FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1961 » No. 87
Franz Theodor Zölch

Vom Klassenkampf zum Rassenkampf

Der Antisemitismus in der Sowjetunion

Kämen gewisse naive Darstellungen, die der Nationalsozialismus in Umlauf gebracht hat, der Wahrheit auch nur nahe, dann müßte die politische Führung der Sowjetunion hauptsächlich aus Juden bestehen. Die Gleichsetzung des Sowjetkommunismus mit dem „Weltjudentum“ war jedoch nichts weiter als das dümmste aller braunen Hirngespinste.

In Wahrheit ist der Antisemitismus in Rußland eine sehr alte Erscheinung. Schon unter der Zarenherrschaft hatten bedeutende Teile der gesellschaftlich und politisch führenden Schicht die recht- und wehrlosen Juden als hervorragend geeignetes Unterdrückungsobjekt entdeckt. Den von allerlei liberalen bis revolutionären Strömungen aufgewühlten Massen wurden die Juden sodann als Sündenböcke für die soziale Rückständigkeit präsentiert. Das Rußland der Zaren wurde zum klassischen Land der Judenverfolgung; das Wort „Pogrom“ ist sein düsterer Beitrag zum internationalen Vokabular. Des weiteren ließ die zaristische Geheimpolizei „Ochrana“ die „Protokolle der Weisen von Zion“ fabrizieren und schmuggelte sie auf dem Umweg über das westliche Ausland wiederum nach Rußland, um sie dort mit erhöhter Glaubwürdigkeit zirkulieren zu lassen, als nach ihrer Ansicht die Massen wieder einmal der Ablenkung von innenpolitischen Übelständen bedurften. Trotzdem hatte der russische Antisemitismus jener Zeit im Grunde nur wenig mit dem späteren braunen Antisemitismus gemein, denn er betrachtete die Juden nur als eine der vielen in Rußland lebenden Nationalitäten und richtete sich gegen sie weder als Angehörige einer Religionsgemeinschaft noch gar als solche einer Rasse.

Dies änderte sich, wie so vieles andere, mit der Oktoberrevolution, und zwar, wie sich in der Folgezeit erweisen sollte, nicht unbedingt zum Vorteil der Juden, obgleich sie in großer Zahl an der Revolution teilgenommen hatten. Schon 1903 hatte Lenin die „Idee von einem selbständigen jüdischen Volk ... in ihrer politischen Konsequenz als reaktionär“ abgelehnt, und Stalin vertrat zehn Jahre später in seiner Schrift über das Nationalitätenproblem den gleichen Standpunkt. Nach der Revolution erklärten die Bolschewiki die Judenfrage als „nicht mehr vorhanden“. Später wurde auf die Artikel 123 und 124 der Verfassung hingewiesen, denen zufolge in der Sowjetunion Rassen- und Nationalitätenhaß „gesetzlich geahndet“ sowie „die Freiheit der Ausübung religiöser Kulthandlungen ... allen Bürgern zuerkannt“ wird. Die sowjetische Wirklichkeit freilich bot schon wenige Jahre nach der Revolution ein wesentlich anderes Bild. Zwar räumte man den Juden eine beschränkte kulturelle Autonomie ein (wie übrigens schon im zaristischen Rußland), d.h. man gestattete ihnen eigene Gotteshäuser, Schulen, Theater, Zeitungen, und es gab eine jiddische Literatur; aber die von ihnen gewünschte Anerkennung als eigene Nationalität stieß immer wieder auf hartnäckigen Widerstand. Trotzki vertrat noch in der Verbannung die Meinung, daß die formelle Gleichberechtigung, die von der Oktoberrevolution den einzelnen Nationalitäten des Reiches beschert wurde, insbesondere den Juden Vorteil gebracht habe; zuvor seien ihre Rechte durch nicht weniger als 650 Gesetze eingeschränkt gewesen. Obwohl Jude, lehnte er jedoch die „nationale“ Autonomie der Juden gleichfalls als „reaktionäre Utopie“ ab. [1]

Zion in Sibirien

Zum Beweis guten Willens auch in dieser Hinsicht weisen die Apologeten der Sowjetunion gern auf das Experiment mit dem „Autonomen Jüdischen Gebiet Birobidschan“ hin. Die Besiedlung dieses an der sibirisch-mandschurischen Grenze zwischen den Flüssen Bira und Beidschan sich erstreckenden Areals war schon seit 1908 unter dem zaristischen Regime vergeblich versucht worden. 1928 wurde es von der Sowjetregierung für die Ansiedlung von Juden bestimmt, nachdem die bisherigen, meist ukrainischen oder weißrussischen Siedler vor der Ungunst des Klimas und der Bodenverhältnisse kapituliert hatten. Allein in den Jahren 1928-1933 wurden mehr als 21.000 Juden in dieses Gebiet umgesiedelt. Anfang 1934 waren ihrer nur noch 7.500 übrig. Die Mehrzahl verließ das Gebiet wiederum als sich herausgestellt hatte, daß die lokalen Sowjetbehörden weder in der Lage noch auch gewillt waren, für die Siedler menschenwürdige Verhältnisse zu schaffen. Dennoch wurde am 7. Mai 1934 die offizielle Konstituierung des „Autonomen Jüdischen Gebietes Birobidschan“ vollzogen. Der politische Akt erfolgte, wo nicht gegen den Willen, so doch ohne besondere Anteilnahme Stalins, dessen Einstellung zur jüdischen Frage als eher negativ bekannt war. Birobidschan war vielmehr das Werk des damaligen Staatspräsidenten Kalinin, der einen eigenen jüdischen Nationalstaat innerhalb der UdSSR schaffen wollte, um damit dem nach dem Westen und nach Palästina blickenden Zionismus Abbruch zu tun und vielleicht sogar jüdische Siedler aus nichtkommunistischen Ländern anzuziehen. Auf diese Weise wollte er nicht nur die jüdische Frage in der Sowjetunion lösen, sondern zugleich ein strategisch wichtiges Gebiet im Fernen Osten dichter bevölkern. Dieser Gesichtspunkt mag der wichtigste gewesen sein; ein militärisch gefährliches Vakuum an der unruhigen mandschurischen Grenze sollte beseitigt werden, und eben deswegen hat wohl Stalin dem Projekt keine Hindernisse in den Weg gelegt.

Birobidschan brachte keine Lösung der sowjetischen Judenfrage. 1956 zählte das autonome Gebiet bei einer Gesamtbevölkerung von 157.000 nicht mehr als 30.000 bis 35.000 Juden. [2] Vor allem ließ sich kein jüdischer Intellektueller, Künstler oder Wissenschaftler von namhaftem Rang zur dauernden Übersiedlung nach Birobidschan bewegen, so daß die Voraussetzungen für das gewünschte sowjetjüdische Kulturzentrum in diesem Gebiet fehlten. Das Projekt stieß bei den meisten sowjetischen Juden von Anfang an auf Ablehnung. Insbesondere waren die wenigen in den führenden Gremien der KPdSU(B) verbliebenen Juden nicht für die Schaffung eines jüdischen Nationalstaates innerhalb der UdSSR zu gewinnen, da sie ausnahmslos Anhänger der Assimilation waren. In diesem Sinne dachten die kommunistischen Juden kommunistischer als der Staatspräsident der Sowjetunion. [3]

Das Scheitern des Experimentes war den Sowjetfunktionären stets peinlich. In einem Interview mit Serge Groussard, das am 9. April 1958 im Pariser „Figaro“ erschien, versuchte Chruschtschew den Fehlschlag aus den „jüdischen Eigenschaften“ zu erklären. Er behauptete, die Juden hätten „immer Berufe wie Schneider, Juwelier, Kaufmann, Arzt usw. vorgezogen“, dagegen würde man „in körperlich schwer arbeitenden Massenberufen, etwa unter den Metallarbeitern“, keinem einzigen Juden begegnen. „Sie sind nicht für die kollektive Arbeit und die Disziplin. Sie sind Individualisten.“ [4] Die Behauptung Chruschtschews, daß die Juden Berufe mit schwerer körperlicher Arbeit mieden, ist gerade für Rußland unzutreffend. Schon zur Zarenzeit gab es in den Gebieten von Cherson, Jekaterinoslaw und Kiew jüdische Landwirtschaftssiedlungen, in denen insgesamt 90.000 Juden lebten und arbeiteten. Diese Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Juden stieg unter dem Sowjetregime noch beträchtlich. Um 1935 waren in der gesamten Sowjetunion 225.000 Juden in der Landwirtschaft beschäftigt, und es gab damals noch 500 jüdische Kolchosen. Auf den fortschwelenden Antisemitismus hatte dies jedoch keinen Einfluß; im Gegenteil, die ukrainischen und großrussischen Bauern protestierten gegen die Landzuteilung an Juden. [5]

Die Revolution ...

Der ursprünglich verhältnismäßig hohe Anteil der Juden in den Führungsgremien der bolschewistischen Partei erklärt sich daraus, daß die Juden Rußlands vorwiegend in den Städten lebten, wo ihr prozentualer Anteil an der Bevölkerung daher meist ein Mehrfaches ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung betrug. Zum andern standen die Juden als bedrängte Minderheit seit langem im aktiven politischen Kampf gegen das zaristische Regime, und viele von ihnen hofften, in den Bolschewiki nützliche Bundesgenossen zu finden. Die zaristische Regierung hatte den Juden 23 Gouvernements, vor allem in der Ukraine und in Weißrußland, zur Niederlassung zugewiesen. Gerade in diesem zu einem riesigen Ghetto gewordenen westlichen Teil Rußlands konnte in den Jahren vor der Revolution die Begegnung mit dem Marxismus nicht ausbleiben.

In den Dreißigerjahren hatte Stalin seine Abkehr von den Lenin’schen Prinzipien der Oktoberrevolution bereits vollzogen. Mit den Parolen vom Klassenkampf und von der Weltrevolution war zumindest in Rußland nichts mehr anzufangen; das begriff der Realist Stalin früher als alle anderen kommunistischen Führer. Die mißglückte deutsche Revolution 1918/19, der Triumph Hitlers 1933 sowie der klägliche Ausgang des spanischen Abenteuers, in das er sich ohnehin mit gemischten Gefühlen eingelassen hatte, waren für ihn schwerwiegende Lehren. Er suchte nach etwas Neuem, und so entdeckte der Georgier den russischen Nationalismus. Hitlers Überfall auf den sowjetischen Bundesgenossen kam dieser Entwicklung entgegen; im „Vaterländischen Krieg“ stand der neugeborene russische gegen den neugeborenen deutschen Chauvinismus zu Felde. Zuvor aber hatte Stalin von Hitler den Antisemitismus entlehnt. Ohne Sündenbock kommt keine Diktatur aus; bis dahin hatte man in der Sowjetunion nur den „Klassenfeind“. Doch in dem Maß, in dem das Regime die leninistischen Eierschalen abstreifte, verlor dieser dem Ausland längst suspekt gewordene „Klassenfeind“ auch im Inneren immer mehr an Glaubwürdigkeit. Zum neuen chauvinistischen Kurs schien der neue jüdische Sündenbock umso mehr zu passen, als Stalin zeitlebens von antisemitischem Ressentiment nicht frei war und überdies mit einer Reihe jüdischer Mitkämpfer aus den Tagen der Revolution noch manche persönliche Rechnung zu begleichen hatte.

Dazu kam ein Weiteres. Auch der totale Sieger — ja gerade dieser — kann der Infektion durch die Ideologie des Besiegten nicht entgehen. So wie Sonderbeauftragte der NSDAP während des Krieges im besetzten Teil der Sowjetunion die Herrschafts- und Wirtschaftsmethoden des Bolschewismus studierten und hierüber umfangreiche Denkschriften nach Berlin sandten, so haben sich auch kommunistische Funktionäre im Verlauf und nach dem Ende des Krieges in dem von ihnen besetzten Teil Deutschlands gründlich umgesehen. Was sie dort vorfanden, hat in mannigfacher Weise auf den Sowjetkommunismus und seine Praktiken abgefärbt. Freilich ahnten damals nur wenige, daß Stalin dem Trümmerhaufen des Dritten Reiches ausgerechnet den Antisemitismus für den eigenen Hausgebrauch entnehmen werde — eine Ideologie, die man durch die Katastrophe des Krieges beseitigt glaubte.

... frißt ihre Juden

Die Wandlung vom klassenkämpferischen Leninismus zum großrussischen Chauvinismus mit antisemitischen und sonstigen Nebenerscheinungen nahm bereits im Gefolge der großen Säuberungen in den Dreißigerjahren ihren Anfang. Nahezu alle jüdischen Mitglieder der obersten Parteigarnitur fielen damals dem wiedererstandenen Antisemitismus zum Opfer. Aber auch die Gesamtheit der in der Sowjetunion lebenden Glaubensjuden hatte bereits damals schwer zu leiden. Unter dem Pseudonym M. Sambatyon publizierte ein vermutlicher Augenzeuge jener Ereignisse hierüber vor einigen Jahren einen fast 5.000 Seiten starken Bericht in jiddischer Sprache. [6]

Vor Beginn der Säuberung gab es in Kiew einige hundert Synagogen; auf ihrem Höhepunkt waren nur noch zwei übriggeblieben. Etwa zur gleichen Zeit begann man systematisch die Juden aus der Armee, dem diplomatischen Corps und den Behörden zu entfernen. Dieser Aktion fiel auch der damalige sowjetische Außenminister Litwinow zum Opfer. Zwar wurde dies auch mit dem Hinweis auf die von Stalin bereits ins Auge gefaßte Annäherung an Hitlerdeutschland zu erklären versucht, doch bewies die spätere Entwicklung, daß Stalin durchaus auf Grund hievon unabhängiger Überlegungen seinen antijüdischen Kurs eingeschlagen hatte. Zwanzig Jahre später wußte Minister Katharina Furzewa (in einem am 8. Juni 1956 in der prokommunistischen New Yorker Wochenzeitung „National Guardian“ veröffentlichten Interview) hiefür keine vernünftigere Begründung als die, „daß man die Juden von gewissen Sektionen der staatlichen Verwaltung ausschließen mußte, weil sie einen zu hohen Prozentsatz unter den Staatsfeinden bildeten“. [7]

In der Tat wurde das intellektuelle jüdische Element mit seiner Neigung zur Kritik, zum Ausgleich und zum Liberalismus von Stalin als hinderlich für den neuen Kurs empfunden. Die „kosmopolitischen“ Juden standen der Schwenkung zum großrussischen Chauvinismus im Wege. An den sowjetischen Universitäten wurde stillschweigend, aber äußerst rigoros, ein Numerus clausus eingeführt, der nur noch wenigen, sorgfältig gesiebten Juden die Möglichkeit des Studiums beließ. Diese wie andere Maßnahmen blieben inoffiziell; es gab keine Gesetze, die sie angeordnet hätten, denn schließlich standen sie ja im Widerspruch zu der eben verkündeten Stalinschen Verfassung. Aber jedermann wußte darum, und niemand wagte sich zu widersetzen.

Auch während des Krieges sah Stalin keine Veranlassung, von seiner antijüdischen Politik abzugehen. Mit Recht wies der amerikanische Senator Thomas J. Dodd darauf hin, daß nur wenige Juden in der UdSSR die Möglichkeit hatten, vor der deutschen Armee zu fliehen, und daß es daher den Nazi möglich war, in vielen Städten nahezu komplette jüdische Gemeinden in ihre Gewalt zu bekommen: „Jüdische Organisationen in diesem Land sind überzeugt, daß die Sowjetregierung nichts tat, um die Evakuierung der Juden aus den Gebieten zu ermöglichen, die durch die Nazi-Armee bedroht waren, und dies obwohl sie wußte, welches Schicksal die Juden unter der Nazi-Besatzung erwartete.“ [8]

Mit dem Ende des Krieges hörten zwar die Verfolgungen des Nationalsozialismus auf, nicht aber die des Stalinismus. Die Juden in den von sowjetischen Truppen besetzten Ländern Ost- und Südosteuropas bekamen dies bald zu spüren. So berichtet der eben zitierte Senator Dodd: „Während der Periode der sowjetischen Besetzung wurden mindestens 40.000 Juden allein aus Ungarn nach Sibirien deportiert und noch einige Tausend mehr aus Rumänien.“ [9] Stalin fühlte sich nicht mehr auf das gute Verhältnis zu seinen ehemaligen westlichen Kriegspartnern angewiesen, und schon regte sich sein antijüdisches Ressentiment noch kräftiger als bisher. Zumindest seit 1948 läßt sich in der Sowjetunion eine neue Verfolgungswelle feststellen. Sie begann mit Einschränkungen der ohnehin dürftigen kulturellen Autonomie; jüdische Zeitungen, Theater, Schulen und Vereine wurden verboten. Ein Plan Stalins, sowjetische Juden massenweise nach Ostsibirien zu deportieren, wurde bekannt. [10]

Zur gleichen Zeit begann die außenpolitische Kampagne gegen den eben in Palästina gegründeten Staat Israel. Stalin erhoffte sich hievon eine freundliche Reaktion in den arabischen Staaten und stieß sich nicht im geringsten daran, daß sich die Sowjetunion erst kurz zuvor in den Vereinten Nationen für die Gründung dieses Staates ausgesprochen hatte. François Fejtö meint dazu, daß Stalins Zorn nicht so sehr durch den selbstverständlichen Pro-Amerikanismus Israels hervorgerufen wurde, als vielmehr durch die pro-israelischen Sympathiebezeugungen der jüdischen Bevölkerung in der Sowjetunion, denn „das russische Judentum konnte Israel mit Recht als eine Verwirklichung seiner eigenen Träume betrachten“. [11] Die offizielle Version lautet auch heute noch anders; Chruschtschew behauptet in dem bereits erwähnten Interview mit Serge Groussard, daß die UdSSR den jüdischen Staat zwar bei seiner Entstehung unterstützt habe, doch sei Israel „undankbar und in seinen Entscheidungen nicht sehr glücklich gewesen. Diese Nation spielt das Spiel der Imperialisten und Feinde der sozialistischen Länder“. [12]

Die neue Verfolgungswelle in der Sowjetunion wurde durch die sogenannte „Krim-Affäre“ eingeleitet. Im Dezember 1948 kam es überraschend zur Auflösung des „Jüdischen Antifaschistischen Komitees“; sechsundzwanzig führende Mitglieder, durchwegs prominente jüdische Schriftsteller und Gelehrte, zum Teil von internationalem Ruf, wurden verhaftet. Unter ihnen befanden sich der Schriftsteller David Bergelson, das Mitglied der Akademie der Medizinischen Wissenschaften Prof. Lina Stern sowie der ehemalige stellvertretende sowjetische Außenminister S. A. Losowskij. Man beschuldigte die Verhafteten, die Abtrennung der Krim für den Fall eines neuen Krieges vorbereitet zu haben — eine ebenso unsinnige wie offenbar frei erfundene Anklage. Nach zweieinhalb Jahren Haft wurden — mit Ausnahme von Lina Stern, die nach mehrjähriger Gefängnisstrafe 1956 entlassen wurde — sämtliche Angeklagte zum Tod verurteilt und am 12. August 1952 hingerichtet. Nach Stalins Tod wurde der Justizmord lange Zeit geleugnet, endlich zugegeben und auf das Schuldkonto des toten Berija gesetzt, ohne daß bisher eine ausreichende Rehabilitierung der Opfer erfolgt wäre. Hätten sich nicht führende jüdische Mitglieder der westlichen kommunistischen Parteien (so der Kanadier Y. B. Saltsberg und der Engländer Prof. Hyman Levy) um die Aufhellung des Falles bemüht, würde die ganze Affäre vermutlich noch heute totgeschwiegen. [13]

[1Leo Trotzki: Geschichte der russischen Revölution (Frankfurt 1960), S. 538 f.

[2François Fejtö: Les Juifs et l’Antisémitisme dans les pays communistes (Paris 1960), S. 27

[3Walter Kolarz: Die Nationalitätenpolitik der Sowjetunion (Frankfurt 1956), S. 204 ff.

[4Fejtö a.a.O., S. 125

[5Kolarz a.a.O., S. 202 ff.

[6M. Sambatyon: Ein Sechstel der Erde; zitiert bei Arthur A. Cohen, „The Plight of Judaism“ in: „The Commonweal“, New York, 31.5.1957, deutsch in: „Ost-Probleme“, 9. Jahr (1957), S. 918 ff.

[7Fejtö a.a.O., S. 45 f.

[8„Antisemitism, the Swastika Epidemic and Communism“, Remarks prepared by Hon. Thomas J. Dodd of Connecticut for delivery to the Senate of the United States, March 15, 1960. Washington 1960. S. 18.

[9a.a.O., S. 18.

[10Vgl. den Artikel „A Minority Under Pressure“ in „Sovjet Survey“, London, August 1957.

[11Fejtö a.a.O., S. 35.

[12a.a.O., S. 125.

[13Vgl. den Artikel „Krymskcje delo“ in „Sozialistischeskij Westnik“, Nr. 5/1957, Paris-New York. (Gekürzte deutsche Wiedergabe in „Ost-Probleme“, 9. Jahr/1957, S. 927 ff.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1961
, Seite 92
Autor/inn/en:

Franz Theodor Zölch: Mitarbeiter einer Reihe von angesehenen Zeitungen und Zeitschriften in Österreich, der Bundesrepublik, der Schweiz und den USA („Salzburger Nachrichten“, „Basler National-Zeitung“, „New Yorker Staatszeitung & Herold“). Sein besonderer Themenkreis sind die Zusammenhänge zwischen kommunistischer Ideologie und Realität.

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