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Robert Zöchling
Thoreau, Anders, Noll:

Ungehorsam gegen den Staat

Was ist das: Es sieht aus wie eine Videocassette, enthält eine Broschüre mit Texten über den „Ungehorsam gegen den Staat“ und ein Tonband, auf dem Helmut Qualtingers Stimme mit den Worten eines prominenten US-Renegaten aus 1848 zum Steuerboykott aufruft? Ein Multimedia-Agitationspaket der Österreichischen Staatsdruckerei für den Widerstand gegen ihren Eigentümer? Nein, so ist das freilich nicht gemeint.

Der Herausgeber, Alfred J. Noll, empfiehlt, „sich Aufregung und Unruhe für andere“ — nämlich wirklich revolutionäre — „Gelegenheiten (zu) sparen und den zivilen Ungehorsam als Angebot und Chance einer republikanischen politischen Kultur (zu) begreifen“.

Tatsächlich ist der Text von Henry David Thoreau (vor allem im überzeugenden Vortrag Helmut Qualtingers) weniger eine revolutionäre Brandrede denn das Bekenntnis eines verantwortungsvollen Bürgers, dessen aufrechte Entrüstung über die Dummheit, die Unzweckmäßigkeit und die Ungerechtigkeit seiner Regierung ihn qua Hausverstand dahin bringt, ihr die Gefolgschaft wenigstens teilweise zu verweigern. Thoreaus Worte könnte man zum Teil und mit Phantasie sogar einem österreichischen Kleingewerbetreibenden in den Mund legen: „Regierungen führen uns also vor, wie leicht man die Menschen betrügen kann, ja, wie sie sich sogar selbst betrügen und zwar zu ihrem eigenen Vorteil. Wir müssen zugeben: es ist eindrucksvoll; nur von sich aus hat diese Regierung noch nie irgendeine Unternehmung gefördert, höchstens durch die Behändigkeit, mit der sie ihr aus dem Weg gegangen ist. Sie bewahrt nicht die Freiheit des Landes. Sie besiedelt den Westen nicht. Sie erzieht nicht. Alles, was erreicht wurde, verdanken wir dem eingewurzelten Charakter des amerikanischen Volkes; und der würde mehr ausgerichtet haben, wenn die Regierung nicht so oft im Wege gelegen hätte. ... Wenn sie nicht aus Gummi wären, könnten Handel und Wirtschaft niemals die Hindernisse überspringen, welche die Gesetzgeber ihnen unaufhörlich in den Weg legen; wenn man diese Leute nur nach ihrer Wirkung und nicht teilweise nach ihren Absichten beurteilte, dann verdienten sie, zusammen mit jenem Gesindel eingestuft und bestraft zu werden, das Hindernisse auf Eisenbahnschienen legt.“

Was aber bei Thoreau das Faß zum Überlaufen brachte, war, daß die Regierung von Massachusetts nicht nur nutzlos und träge war, sondern auch noch die Sklaverei und den Eroberungskrieg in Mexico unterstützte: „Alle Maschinen haben eine gewisse Trägheit, und das würde wahrscheinlich genügen, um das Übel aufzuheben. Auf jeden Fall ist es ein großer Fehler, deshalb solchen Lärm zu schlagen. Wenn aber die Trägheit einen Apparat erhält, wenn Unterdrückung und Raub organisiert werden, dann sage ich: wir wollen einen solchen Apparat nicht länger dulden.“

Als die wahren Gegner einer Abschaffung des Übels erkannte Thoreau nicht die Politiker, sondern „hunderttausend Krämer und Bauern bei uns, die sich mehr für Handel und Landwirtschaft interessieren als für die Menschlichkeit“ — „und die nach dem Essen in aller Ruhe die Tagespreise zugleich mit den letzten Nachrichten aus Mexico lesen ...“ „Wie hoch steht wohl heute der Tagespreis für einen Ehrenmann oder Patrioten? Sie zögern, sie bedauern und manchmal unterschreiben sie auch Bittschriften, aber sie tun nichts ernsthaft und wirkungsvoll ...“ Der Lehrer aus Massachusetts entschloß sich zu einer zu seiner Zeit ernsthaften Tat: zum Steuerboykott, der ihm mehrfach Gefängnisstrafen einbrachte. Thoreaus Text ist heute ein Klassiker der Widerstandstheorie und auch literarisch höchst lesenswert.

Abgerundet wird das Leseerlebnis durch Texte von Günther Anders, der sich — allerdings 140 Jahre später und bei einem schlechterdings völlig geänderten Organisationsstand des Machtapparates — ebenfalls für ernsthafte und wirkungsvolle Widerstandsformen einsetzt, sowie durch einen ordnenden und die Diskussion anzettelnden Beitrag des Herausgebers.

Henry David Thoreau/Günther Anders/Alfred J. Noll: Ungehorsam gegen den Staat; herausgegeben von Alfred J. Noll; Edition S — Text & Ton; Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1990; Broschüre (100 Seiten) und Tonbandkassette, 278,— öS.

aus: Juridikum 1/91, Seite 47

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1991
, Seite 0
Autor/inn/en:

Robert Zöchling:

1989-1996 Mitgründer, Redakteur und Geschäftsführer der Zeitschrift Juridikum. Mitgründung der Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften 1990, deren Obmann 1996-2001. Seit 1997 Redakteur der Zeitschrift ZOOM. Ab 1999 als geschäftsführender Redakteur: Erweiterung von ZOOM durch Fusion mit Alexander Emanuely’s Webmedium CONTEXTXXI zum Multimedium Context XXI.

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