Streifzüge » Print-Ausgaben » Jahrgänge 1996 - 2000 » Jahrgang 1998 » Heft 1/1998
Erich Ribolits

Und jetzt wird wieder in die Hände gespuckt ...

Wider die Überhöhung der Arbeit zur zentralen menschlichen Bestimmungsgröße und die daraus folgende Unfähigkeit, dem Weniger-werden der Erwerbsarbeit anders als mit dem Ruf nach neuen Arbeitsplätzen zu begegnen.

Schon Ende der 50er Jahre prognostizierte Hannah Arendt in ihrem Buch „Vita activa“, daß der technische Fortschritt die Menschheit in naher Zukunft von den uralten Fesseln der Arbeit, die sie unmittelbar an die Natur ketten, entbinden werde. Allerdings sah Arendt schon damals voraus, daß die Befreiung von der Last der Arbeit und dem Joch der Notwendigkeiten nicht als die schlußendliche Befriedigung der ewigen Sehnsucht des Menschengeschlechtes „nach einem von Mühe befreiten, göttergleichen Leben“ in die Geschichte treten wird. Denn — so führt sie aus — „die Verwirklichung des uralten Traums trifft wie die Erfüllung von Märchenwünschen auf eine Konstellation, in der der erträumte Segen sich als Fluch auswirkt. Denn es ist ja eine Arbeitsgesellschaft, die von den Fesseln der Arbeit befreit werden soll, und diese Gesellschaft kennt kaum noch vom Hörensagen die höheren und sinnvolleren Tätigkeiten, um deretwillen die Befreiung sich lohnen würde. Was uns bevorsteht ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit auf die sie sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller sein.“

Tatsächlich galt die Arbeit den Menschen bis an die Schwelle zur Neuzeit als „Fluch Gottes“; eine dem Menschen auferlegte bittere Notwendigkeit, der sich jeder, der es sich leisten konnte, entzog. Erst danach setzte ein sukzessiver Prozeß ein, in dessen Verlauf die Arbeit ihren Makel als ein von Gott auferlegtes Übel abschüttelte und zur Tugend umgedeutet wurde. Zunehmend erlangte sie den Status der grundlegenden Bestimmungsgröße des Menschen. Indem das Besondere am Menschen immer weniger in seiner unsterblichen Seele und immer mehr in seiner Fähigkeit gesehen wurde, das Schicksal durch Intelligenz und Willenskraft zu bestimmen, wurde Arbeit zur neuen Definitionsgröße des Menschen. Sie wurde zu jener Größe, die — wie es Friedrich Engels später einmal formulierte — den Affen zum Menschen macht.

Diese Entwicklung, die in der frühen Neuzeit ihren Anfang genommen hatte und mit den bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts kräftigen Aufwind erhalten hatte, gelangte schließlich, unter tatkräftiger Unterstützung der Arbeiterbewegung, um die Wende zum 20. Jahrhundert zu ihrem Abschluß. Die Arbeiterbewegung war es, die die feudale parasitäre Faulheit endgültig desavouierte und das bürgerliche Leistungsstreben definitiv in den Köpfen der Menschen verankerte. In einer beispiellosen Überhöhung der Ideologie ihrer Unterdrücker hat sie den geknechteten und unterdrückten Arbeiter zum Heroen der Geschichte und die entfremdete Arbeit zum Hohelied des Industriezeitalters umgedeutet. Die soziale Disziplinierung durch Arbeit — im Kontext profitorientierter Ökonomie! — wurde dergestalt zu etwas hochstilisiert, um das es sich zu kämpfen lohnt. Der letzte Ansatzpunkt für ein Infragestellen der „Ideologie der Arbeit“ war damit gebrochen. Arbeit hatte sich losgelöst von der Bindung an Bedürfnisbefriedigung und war zu einem „Zweck an sich“ geworden — die Arbeitsgesellschaft war etabliert.

Das ist die Grundlage jener Situation, die Hannah Arendt im eingangs zitierten Textausschnitt anspricht: Die Tatsache, daß immer weniger menschliche Arbeit notwendig ist, um die Bedürfnisbefriedigung der Menschen sicherzustellen, kann nun nicht mehr als Segen wahrgenommen werden. Dementsprechend wird angesichts des Rückgangs an Arbeitsplätzen heute kaum jemals darüber gesprochen, daß die durchschnittliche Wertschöpfung pro geleistete Arbeitsstunde auch derzeit massiv ansteigt und der durch Arbeit geschaffene gesellschaftliche Reichtum weiterhin anwächst. Der vom Arbeitsethos paralysierte Blick verhindert die Forderung nach einer gerechten Aufteilung des Arbeitserfolgs. Bevor die unserer Gesellschaft immanente Vergötzung der Arbeit nicht grundsätzlich relativiert wird, besteht überhaupt keine Chance, das Weniger-werden der Lohnarbeit dafür zu nützen, gesellschaftspolitische Alternativen jenseits von Lohnarbeit und Arbeitsgesellschaft zu entwickeln. Stattdessen werden von allen Seiten in hilfloser Einigkeit neue Arbeitsplätze gefordert. Als Maximalvorstellung der gesellschaftlichen Verantwortung gegenüber dem Einzelnen erscheint ein „Menschenrecht auf Arbeit“, eine Forderung nach „Wohlversorgtheit für alle“ wagt gar niemand zu denken.

Uns allen, die wir gelernt haben, uns über Arbeit zu definieren, wird allerdings nichts anderes übrig bleiben als (wieder) zu entdecken, daß der Sinn des Lebens nicht darin liegen kann, sich Arbeitsprozessen unterzuordnen, die nicht an der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern an der Maximierung von Profit ausgerichtet sind. Denn auch wenn Politiker aller Couleurs derzeit regelmäßig Maßnahmen zum Schaffen neuer Lohnarbeitsplätze ankündigen, ist nicht zu erwarten, daß sich der Prozeß der rapide anwachsenden Arbeitslosigkeit (und der damit verbundenen sukzessiven Entwertung der Arbeit) umkehren wird. Der Arbeitsgesellschaft geht ihr namensgebendes Gut — die Erwerbsarbeit in ihrer klassischen Ausprägungsform — aus. Und diese Entwicklung ist endgültig. Denn im Gegensatz zur Arbeitslosigkeit in früheren Entwicklungsphasen im System kapitalistischer Arbeitskraftverwertung, signalisiert die gegenwärtige Arbeitslosigkeitswelle nicht eine Periode der Umstrukturierung im System, sondern die Krise des Systems selbst. Es handelt sich dabei nicht — wie oft behauptet — bloß um Folgen des technischen Fortschritts oder der ökonomischen Globalisierung.

Wären dies die Ursachen des Weniger-werdens an Lohnarbeitsplätzen, dann wäre das System der kapitalistischen Arbeitskraftverwertung noch lange nicht grundsätzlich in Frage gestellt. So ist das Hervorbringen neuer, produktivitätssteigernder Technologien und Arbeitsverfahren nachgerade ein Kennzeichen der kapitalistischen Ökonomie. Und auch der mit dem Begriff Computer verbundene, gegenwärtige Produktivitätsfortschritt ist nur ein — wenngleich gewaltig großer — technologischer Entwicklungsschritt, wie es deren schon viele gegeben hat. Hätte sich an den Rahmenbedingungen nichts geändert, würden — so wie bisher — die durch den technischen Fortschritt „freigesetzten“ Arbeitskräfte bald schon von Wirtschaftsbereichen aufgesogen werden, die durch die weitere Ankurbelung des Warenumlaufs und das Wecken neuer Konsumwünsche entstehen.

Auch die durch die Globalisierung ausgelösten Arbeitsplatzverlagerungs- und Vernichtungseffekten, einschließlich der damit verbundenen sozialen Erosionen bringen die Arbeitsgesellschaft nicht unbedingt zum Kippen. Zwar funktioniert es tatsächlich immer weniger, durch die Unterordnung der Politik unter Wirtschaftswachstumsprämissen den Spielraum für die sozialstaatliche Abfederung gesellschaftlicher Widersprüche zu schaffen. Mit den vorhandenen Instrumenten nationaler Politik kann die global agierende Konkurrenzökonomie nur mehr in immer geringeren Maß beeinflußt werden. Und es würde wohl Jahrzehnte dauern, bis transnationale politische Instrumentarien installiert sind, die es ermöglichen, den Kapitalismus auch auf globaler Ebene jenes soziale Erscheinungsbild zu geben, das seinen zuletzt recht guten Ruf begründet hat. Aber prinzipiell kann davon ausgegangen werden, daß es vielleicht irgendwann auch im internationalen Rahmen möglich wäre, die Anarchie des (Arbeits-)Marktes politisch zu überformen.

Was aber tatsächlich berechtigt, heute von einem heraufdämmernden „Ende der Arbeitsgesellschaft“ zu reden, ist, daß zunehmend die ökologisch diktierten „Grenzen des Wachstums“ sichtbar werden. Permanente Ausweitung ist aber einer der Grundpfeiler der kapitalistischen Ökonomie. Das traditionelle Lösungsmuster für kapitalistische Krisen, das Ankurbeln der Wachstums- und Konsumspirale, stößt jedoch immer deutlicher an Grenzen. Lange Zeit war es möglich gewesen, den Zerstörungsfaktor von Arbeit, der im schlichten „Aufbrauchen von Umwelt“ besteht, weitgehend auszublenden. Heute sind die Grenzen des Wachstums, die sich in Form limitierter Ressourcen und in den ökologischen Folgekosten der an Profit orientierten Arbeitskraftvernutzung zeigen, nicht mehr übersehbar. Hier ist die Ursache dafür begründet, daß dem Kapitalismus seine Lohnarbeit schaffende Potenz abhanden gekommen ist. Genau das, was durch Arbeit überwunden werden sollte — die Abhängigkeit des Menschen von der Natur — erzwingt somit schlußendlich die Einsicht, daß es nicht die Arbeit, sondern wohl doch eher die Vernunft sein muß, die den Menschen vom Tier unterscheidet.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1998
, Seite 1
Autor/inn/en:

Erich Ribolits:

Geboren 1947. Lebte in Wien. Forschte zum Verhältnis von Arbeit, Bildung und Gesellschaft. Zuletzt: Bildung – Kampfbegriff oder Pathosformel (2011). „Traforat“ der Streifzüge.

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