FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1991 » No. 456
Hannes Tretter

Trennungszorestherapie

Zum Moskauer KSZE-Treffen

Das am 4. Oktober zu Ende gegangene Moskauer Treffen über die Menschliche Dimension der KSZE stand unter dem Einfluß des eben erst abgewehrten Putsches in der Sowjetunion und der eskalierenden Nationalitätenkonflikte in Jugoslawien. Diese Umstände verhießen nichts Gutes, mußte man doch damit rechnen, daß sich die allgemeine politische Verunsicherung auch auf die inhaltliche Arbeit im Rahmen der KSZE bremsend auswirken werde. Daß es viel besser kam wie erwartet, ist wesentlich den „neuen Demokratien“ Polen, Tschechoslowakei, Ungarn und den neu aufgenommenen baltischen Staaten, aber auch der Sowjetunion zuzuschreiben, die mit viel Impetus die Konferenz vorantrieben, wenn auch so manche Vorschläge noch nicht realisierbar waren. Dagegen erwiesen sich einige westliche „Musterdemokratien“, allen voran England, Frankreich und die USA, hinsichtlich jener Rechte bzw. staatlichen Verpflichtungen als große „Bremser“, von denen sie Rückwirkungen auf die eigene Rechtsordnung befürchteten.

Obgleich die Jugoslawienkrise allen Anlaß zu einer Diskussion der Durchsetzungsmöglichkeiten der im Kopenhagener Dokument verankerten Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten und der Einräumung kollektiver Minderheitenrechte bot, verhinderten die genannten Staaten, zu denen sich noch Belgien, Griechenland und die Türkei gesellten, Fortschritte in diesem Bereich. Nicht nur das (in seiner Intention höchst zweifelhafte) Bemühen, durch Ausklammern dieses Themas den jugoslawischen Nationalitätenkonklikt nicht zusätzlich mit rechtspolitischem Zündstoff anzuheizen, und die Sorge um die (nicht erwarteten) aufkeimenden ethnischen Konflikte im eigenen Land schienen dabei eine Rolle zu spielen, auch schlechtes Gewissen war offenbar mit im Spiel: Weder Griechenland noch die Türkei anerkennen offiziell ihre existenten ethnischen Minderheiten, Frankreichs Rechtsordnung räumt seinen ethnischen Minderheiten kaum spezifische Rechte ein, und nach dem Verständnis der USA umfassen ethnische Minderheiten auch Einwanderergruppen, denen man aber keine Sonderrechte einräumen will. Gleichwie, die Nagelprobe, daß sie auch bereit sind, den eigenen Minderheiten diejenigen Rechte zu garantieren, deren Gewährleistung sie den osteuropäischen Staaten stets abverlangen, haben manche der westlichen Staatengruppen zuzurechnenden Staaten jedenfalls nicht bestanden. Das gereicht ihnen zur Schande.

Die Hoffnungen auf eine Verbesserung des „Mechanismus der Menschlichen Dimension“, des Durchsetzungsinstrumentarıums der KSZE im Bereich der Menschenrechte und der humanitären Hilfe, wurden in Moskau nicht enttäuscht. Einstimmigkeit konnte nämlich über das Abgehen vom Einstimmigkeitsprinzip bei der Einsetzung von KSZE-Beobachtern erzielt werden. Überhaupt zeichnet sich ab, daß die Zukunft des KSZE-Mechanismus von der Idee bestimmt sein wird, friedliche Maßnahmen zur Abwendung von Menschenrechtsverletzungen ohne Zustimmung des betroffenen Staates setzen zu können. Damit wird eine Entwicklung weiterverfolgt, die nach Wegfall des alten Ost-West-Konfliktes eingeleitet wurde: Menschenrechte stellen nunmehr nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Präambel des Moskauer Dokuments nicht mehr ausschließlich eine innere Angelegenheit eines Staates dar; hinzu tritt eine internationale Verantwortlichkeit aller KSZE-Staaten für die Einhaltung der menschenrechtlichen und humanitären Bestimmungen der KSZE. Das Moskauer Dokument sieht daher die Einsetzung von dreiköpfigen KSZE-Beobachtermissionen auf Verlangen von wenigstens sechs Staaten auch ohne Zustimmung desjenigen Staates vor, auf den sich bereits ein Verfahren nach der Menschlichen Dimension wegen menschenrechtlicher oder humanitärer Probleme bezieht. In besonders schwerwiegenden Fällen können wenigstens zehn Staaten die sofortige Einsetzung einer Beobachtermission ebenfalls ohne Zustimmung des betroffenen Staates beschließen. Aufgrund der Ergebnisse des fact-finding haben die Experten in ihrem Bericht Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

Dies sind bemerkenswerte Fortschritte: Daß damit aber kein ausreichend effektives menschenrechtliches Krisenmanagement geschaffen wurde, sieht man am Beispiel Jugoslawiens, wo die entsandten EG-Beobachter der Eskalation der Gewalt hilflos gegenüberstehen. Auch die Verurteilung der Gewaltausübung gegenüber demokratisch legitimierten Regierungen und das Bekenntnis zu deren Unterstützung in Verteidigung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit lesen sich im Moskauer Dokument zwar hübsch, schreien jedoch zugleich nach Taten.

Aber: Wie trenne ich die Streitenden, die sich nicht trennen lassen wollen, anders als mit Gewalt? Schon gleicht die EG dem Sisyphus, ohnmächtige Wut bricht auf. Und doch: ohne neue Wunden zu reißen, vermögen nur Überzeugungskraft und Zähigkeit die Unvernunft zu zähmen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
1991
, Seite 9
Autor/inn/en:

Hannes Tretter:

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