Streifzüge » Print-Ausgaben » Jahrgänge 2011 - 2020 » Jahrgang 2017 » Heft 71
Peter Oberdammer

Symptomatisch

Das AMS vermittelt den Absolventen eines Lehramtsstudiums an das Chocolate Museum Vienna, das didaktisch erfahrene Mitarbeiter für Führungen und Präsentationen sucht. Auf die Bewerbung per Email und mehrere Nachfragen erfolgt über Monate keine Antwort des Unternehmens, eine Telefonnummer ist weder im Branchenverzeichnis noch auf einer Website zu finden, an der angegebenen Adresse im Wiener Prater befindet sich ein kleines Schokoladengeschäft, das auch während seiner Öffnungszeiten fest verschlossen ist. Das hindert den AMS-„Betreuer“ aber nicht, über den Arbeitslosen eine vorläufige Bezugsperre zu verhängen, weil er aus der vorgeschriebenen Rückmeldung des Chocolate-Historikers in spe (per eingeschriebenem Brief) nicht entnehmen könne, ob wirklich eine Bewerbung erfolgte, also ein typisches Problem Sinn verstehender Lesefähigkeit. Nur mit der Bescheidanforderung des Betroffenen tut sich das AMS schwer, weil das hauseigene Service für Unternehmen laut Akt zu bedenken gibt, dass die Firma noch Investoren suche und unklar sei, ob und wann das Etablissement seine Pforten öffnen werde. Die Bezugsperre muss also aufgehoben werden, der Mitte August 2017 angekündigte Bescheid steht nach wie vor aus. Dafür erfährt der Betroffene viereinhalb Monate später, dass das Chocolate Museum Vienna inzwischen eröffnet hat, und die Besucher nun vom Roboter Mr. Pepper „didaktisch“ betreut werden.

Was lernen wir daraus?

  • Das AMS muss sich mit fiktiven Stellen behelfen, um Vermittlungsaktivitäten zu simulieren.
  • Bloß potentiell existierende Stellen reichen völlig für AMS-Zwecke. Sie sind ja nur Anlass für zweierlei: die Sanktionswut der AMS-Priester und -Messner und die Demonstration einer zwar real folgenlosen, dafür aber „richtigen Gesinnung“ des Arbeitslosen, sprich Arbeitswilligkeit.
  • Das Rechtssystem ist noch nicht soweit auf virtuellen Bekenntniszwang arbeitsgesellschaftlicher Rechtgläubigkeit umgestellt, dass das AMS sich auf etwas anderes als Einschüchterung durch „vorsorgliche“ Existenzvernichtung verlassen kann, aber das kann ja noch kommen.
  • Sofern die Arbeitslosendisziplinierung sich nicht ganz im virtuellen Binnenraum der AMS-Parallelwelt abspielt, ist auf dem realen Arbeitsmarkt die Automatisierung immer schneller.

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
Januar
2018
, Seite 21
Autor/inn/en:

Peter Oberdammer: Geboren 1961 in Wels/OÖ im Boom der fordistischen Konsumidiotisierung, ist immer noch distanzierter Betrachter ihrer Spektakel in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verfallsprozessen. Die Auseinandersetzung mit der Welt – ge- bzw. verformt durch ein gemächliches Geschichte- und Geographiestudium an der Uni Wien – verwertete sich in sozialwissenschaftlicher Forschung zu ethnischen Minderheiten, Nationalismus und Rassismus und deren polit-ökonomischen Verortung, und mehr vermittelnden Tätigkeiten zur Migrationspolitik und in der Erwachsenenbildung.

Lizenz dieses Beitrags:
LFK
Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

Begriffsinventar

Organisationen