FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1970 » No. 202/II/203/I
Bernhard Frankfurter

Studenten am Nullpunkt

B. F., einst Spiritus Rector der Wiener Studentengruppe „Aktion“, unternimmt hier, auf inhaltlich wuchtige, sprachlich leider ärgerlich komplizierte Weise, den Versuch, Diskussion und Analyse oder gar Neubelebung studentischer Politik in Österreich vorzuschlagen.

I.

Die bisherige oppositionelle Politik der Studenten scheint versagt zu haben; darauf weisen folgende Anzeichen:

  • Die Reformbestrebungen wurden in Gremien isoliert. Die parlamentarische Hochschulkommission (PHK) wird von den Studenten durch außergremiale Maßnahmen überhaupt nicht kontrolliert; die Institutsvertreterkonferenz (IVK) wurde nicht zur politisierenden Vertretung und zum Aktionszentrum der Studenten, sie ist vornehmlich mit ihrer Selbsterhaltung beschäftigt. Ähnlich die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH), welche von systemeigenen Interessen geleitet und vom System auch finanziell ermächtigt ist.
  • Eine studentische Basis wurde nicht gebildet. Diese Basis müßte eine den oppositionellen Interessen dienende Organisierung politisierter Studenten innerhalb der Hochschule sein und die hätte die offizielle Vertretung ÖH abzulösen.
  • Zerfall der politischen Gruppen, der sogenannten „Linken“. Diese Gruppen zerfallen ohne Transformation in Richtung jener Politisierung, die sie hätten initiieren sollen.

Dem Anspruch nach war die studentische Politik der „Linken“ die einzige oppositionelle Politik in Österreich; wenn sie tatsächlich gescheitert ist, muß gefragt werden, wie sich oppositionelle Politik in Österreich überhaupt einrichten und manifestieren kann.

An der Entwicklung der Reformbestrebungen dürfte abzulesen sein, weswegen die oppositionellen Implikate und Aktionen zugunsten angepaßter Reformtändelei von Ministerium und Professoren unterschlagen werden konnten.

Wenn jedoch der oppositonelle Gehalt unterschlagen werden konnte, ist zu bezweifeln, daß er je tatsächlich vollzogen wurde. Blieb er vielleicht bloß ein verbaler Anspruch?

Notwendig ist im derart veranlaßten Untersuchen zu einem Bruch mit bisherigen Gewohnheiten oppositioneller Politik aufgefordert. Weder können Lösungsrezepte formuliert werden noch ist eine prüfende Überlegung zu dieser Entwicklung in deren eigenen Formen vorzunehmen, zum Beispiel im Beharren auf ideologischen Versatzstücken.

Somit ist der Abbau jener Charakteristika gefordert, die durchwegs studentische Politik prägen. Vornehmlich die Neigung zugunsten wiederholter Postulate (was zu machen sei), die Verfassung der studentischen Situation und die der eigenen Gruppe zu vergessen, so daß das „zu Tuende“ eine illusionäre Wirkung jenseits der eigenen Kräfte erzeugt.

II.

Während in den sonstigen Institutionen des Staates und der von systemkonformen Kommunikationsmitteln beherrschten Öffentlichkeit nur geringer Spielraum für einen politischen Willen verfügbar ist, der die gesellschaftsinternen Differenzen aufzudecken vermag, wurden die Hochschulen in den meisten Staaten Orte einer gesellschaftsgerichteten Auseinandersetzung.

Österreich ist durch die Konformität seiner Hochschulen mit den herrschenden Interessen gekennzeichnet und stellt gerade durch die Differenz zwischen verbalen Bekundungen als „Stätte der Lehre und Forschung“ sowie „Freiheit der Wissenschaft“ und ihrer tatsächlichen, auch organisatorisch faßlichen Unterdrückung dieser Ansprüche eine ausgezeichnete Konzentration der Defekte dieses demokratischen Staates dar.

Im Zuge der studentischen Reformbemühungen wurde auf die sogenannte Hierarchie der Positionen, auf die Machtausnutzung durch die Professoren, auf die Mängel der gesamten Hochschulstruktur bereits hingewiesen. Daher werde ich einen Aspekt allein und allgemein verdeutlichen, welcher die Situation der Universität so zu fassen versucht, daß auch verständlich wird, warum diese bisherigen Hinweise auf die „Strukturen“ und die Reformvorschläge prinzipieller Art keine Politisierung wenigstens eine Teiles der Studenten geschaffen hat.

Vor allem beziehe ich mich auf die Universität, wo die oppositonelle Tätigkeit begonnen hat. (Da zuvor das Oppositionelle angezweifelt wurde, und seiner Möglichkeit dieser Artikel dienen soll, erläutert das Attribut „oppositionell“ einen Anspruch, dessen auch praktischer Gehalt erst später darzulegen ist.)

Als Ansatz des Aspektes, den ich Reduzierung der Institution nenne, gilt die zuvor skizzierte Differenz, die nun zu verdeutlichen ist.

Sie wird seitens der Professoren durch die Verweigerung vollzogen, die prinzipiellen Ansprüche, wie sie in den ersten Paragraphen des Allgemeinen Hochschulstudiengesetzes (AHSTG) uninterpretiert formuliert sind, aus ihrer Wissenschaft motiviert einzubringen, und so die Insitution als Realisierungsort dieser Ansprüche tatsächlich freizugeben.

Hingegen dienten Berufungen auf das Gesetz gerade zur Ausschaltung solcher Reflexionen auf eine mögliche Einrichtung der Ansprüche, indem sie aus den Übungen und Vorlesungen ausgeklammert blieben.

Weiters werden die Ansprüche als realisierte und angeeignete vorgetäuscht, wo die ihnen notwendige universitäre Auseinandersetzung gerade ausgeschlossen ist: in der akademischen Feier. Womit die Dienstbarkeit der Ansprüche für andere, wissenschaftsfremde Interessen am deutlichsten wird. Denn die Mentalität des Akademischen umschreibt einen Kodex an Normen, dem die Feier mit dem Verschweigen der tatsächlichen Verhältnisse die angemessenste Phrase ist. Das heißt, die prinzipiellen Ansprüche (wie Freiheit der Wissenschaft) dienen dem Vorwand, da sie aus den zumindest formal bestimmten Orten von Wissenschaft und Lehre, dem Institut beziehungsweise den Lehrveranstaltungen, entfernt sind.

Die Universität ist also zerspalten in eine Vollzugsstelle von sogenannter Ausbildung und ihre Normierung — wie in den Prüfungen —, und in eine jene zwar stützend durchwirkende, wie auch abseitige Verhüllung durch einen pervertierten Anspruch. Die tatsächlich geübten Interessen treffen sich mit den in den sonstigen Institutionen vollzogen darin, daß sie Grundsatzfragen und Bemühungen um Realisierung ihres eigenen Anspruches der Machtgefährdung wegen ausklammern. Denn das erste solcher Absicht wäre, die Interessen der Vertreter dieser Institutionen aufzudecken.

Daher reduziert sich die Universität (Hochschule), indem sie eine im Pragmatischen fixierte Institution ist und mit den modifizierten, das heißt der Pragmatik unterworfenen prinzipiellen Ansprüchen die Reduzierung zu verhüllen sucht; in ihren Vertretern beruft sie sich auf jene Ansprüche, um die Existenz der Institution in allen ihren Verzweigungen zu rechtfertigen, indem sie zugleich die Fragen nach dem Warum, Wozu und Wie verbietet.

Der Großteil der Studenten ist durch andere Bildunssinstitutionen (Schule) der Reduzierung bereits angepaßt. Sie akzeptieren oder erwarten Ausbildung und systemgebundene Leistung. Die Situation der Studenten ist durch eine Entfremdung von den Orten der Lehre und Wissenschaft geprägt, weil diesen formalen Orte (wie Institut) nur noch besondere Vollzugsorgane systemgebundener Leistungsvermittlung und deren Normierung sind.

Eine Ausbildung, in der es gilt, Vorgeträgenes zu reproduzieren, übt selbst die Ausschließung von Grundsatzfragen an Wissenschaft und ihre institutionelle Einrichtung. So werden Lehrveranstaltungen abzuleistende Vorgänge eines künftigen Leistungsnachweises innerhalb von Interessen, welche die Öffentlichkeit insgesamt prägen: Berufsaussichten, Pragmatisierung als Mittelschulprofessor oder Staatsbediensteter, wie auch der gehobene Status des Akademikers, dem schon der Student sein Image entnimmt.

Erst in späteren Stadien des Studiums erfolgte manchmal ein Kontakt mit dem Institut außerhalb von Prüfungen, um die Entfremdung entdecken zu lassen, sofern der Student sich von der Ausbildung weg zu einer freien Mitarbeit an seinem Fach wenden will. Mit Zügen einer Konfrontation oft verknüpft, kann er jedoch ihre Isoliertheit nicht überwinden und veräußert sich daher in Nörgelei.

So bleibt die Konfrontation denen überlassen, welche nach einer Teilnahme am Wissenschaftsbetrieb streben, wie künftigen Assistenten. Die Konflikte erhalten jedoch privaten Charakter und formieren sich zu einer Hauspolitik des Interessenausgleiches zwischen Professor und „Aufstrebenden“, dessen Effekt meist die Anpassung gerade an die Mentalität des Akademischen bedeutet; worin auch ein Mittel, jene Anpassung zu motivieren, gegeben ist.

Wenn nun die Institution sich derart auf ihr pragmatisches Gerüst reduziert, weil sie als zu Befragende und zu Verändernde verweigert wird, bekommt ihre gesetzliche Fassung folgende Doppeldeutigkeit:

Als Vorschreibungen ihrer Verfassung werden sie zur Rechtfertigung ihrer Existenz, im Nachweis, daß sie existiert. Ausgeschieden werden hingegen die prinzipiellen Gehalte. Somit sind die grundsätzlichen Formulierungen des Gesetzes zur Aufgabe und dem Sinn der Hochschule nicht in ihrem Gehalt aufzuschließen und dieser damit zu realisieren, sondern die gesetzliche Vorschrift (die imperativ ist) wird als erfüllte verwendet.

Daher bleibt an den österreichischen Hochschulen das oppositionelle „Klima“ aus, welches formal in der Auseinandersetzung mit der Differenz zwischen bestehender Institution und den in Lehre und Forschung erfahrenen Ansprüchen besteht.

Diese Systemkonformität prägt die Hochschule zum Leistungsvermittler und Leistungsnormator herrschender Bildungspolitik, in welcher insgesamt die tatsächlich vollzogene Frage innerhalb ihrer Institutionen verweigert wird.

Vorhergehendes ist freilich aus einem betonten Aspekt überzeichnet. Ich habe eine Anzahl von Symptomen auf einen wichtigen Zug aufschlüsselnd zusammengedrängt. Als ein nötiger Schritt zum Problem der Opposition genügt es; welche niemals von jenem Ort getrennt betrachtet werden kann, an dem auch ihre Aktivität primär stattfindet. Zudem wird die Überzeichnung nötig, um das Problem zu prüfen, ob tatsächlich die österreichischen Studenten eine oppositionelle Potenz darstellen können, oder ob das nicht, an ausländischen Beispielen allein orientiert, behauptet wurde.

III.

Die studentische Opposition formulierte sich primär in Reformforderungen und -vorschlägen, ihre Aktionen und sonstigen Unternehmen inner- und außerhalb der Hochschule motivierten sich meist aus jenen.

Bevor im Thema der politischen Gruppen [1] diese Zusammenhänge dargelegt werden, vorerst eine Skizzierung der Effekte dieser Reformbestrebungen, ineins deren Entwicklung.

Durch Aktionen erst konnten Professoren und Ministerium gezwungen werden, auf Reformvorschläge überhaupt zu achten. Da die Professoren eine Taktik des Ausweichens entwickelten, waren zumeist Studenten und Ministerium konfrontiert.

Der besondere Charakter der Reformforderungen ist vorerst zu nennen, um die Bedeutung von deren entschärfender Modifizierung durch die fast ausschließliche Behandlung in Gremien zu betonen.

Die gängigen Ansprüche von Interessengruppen: Gehaltsforderungen, soziale Verbesserungen, Kürzung der Arbeitszeit — sind Forderungen, die sich innerhalb des Systems halten und darin ausgleichend erfüllt werden können; denn eine bestehende soziale Gruppe nimmt nur am herrschenden Kampf der jeweiligen Interessen teil. Dem entgegen sind die studentischen Reformforderungen dürch die Grundsätzlichkeit des Anspruches gekennzeichnet und nicht im Eigennutz der Studenten gelegen. Die Studenten hatten sich dadurch zu Vertretern von Ansprüchen gemacht, die ihre soziale Gruppe übersteigen, weil diese Ansprüche von den offiziell Zuständigen versäumt wurden, ob Ministerium oder Professoren.

Solche qualitativ einzigartigen Interessen können nicht bloß verbal vorgetragen werden; [2] die oppositionelle Politik der Studenten mußte ihren Willen durch Aktionen bekunden, welche auch im gängigen Verständnis „Linke“ prägen: das Inventar an Demonstration, Streik, Besetzung usw.

Denn einzig in Aktionen, welche die Vertreter oppositioneller Politik kurzfristig in ihrer Masse konzentrierten, wird es möglich, die Implikate der Forderungen als ihren unveräußerbaren Gehalt zu veröffentlichen und die Reaktionen des Systems als Machtausübung, die kritisierten Zustände aufrechtzuerhalten, nachzuweisen.

Weil die verbale Aufschlüsselung des Gehaltes allein durch die Mechanismen des Systems integrierbar ist, können die Implikate nur im Feld von Aktionen manifest gemacht werden und konkrete Forderungen (zum Beispiel Mitbestimmung) ihren Kontext erhalten.

Das zwingt die oppositionellen Studenten zur Selbstorganisation und zur Bildung von Gruppen, welche außerhalb der vorhandenen und integrierenden Mechanismen die Ansprüche bekunden. Dies gilt gerade in Österreich, wo diese Ansprüche ansonsten von den Kommunikationsmitteln der Öffentlichkeit verschwiegen und seitens des Staates zu eigennützigen Interessen deformiert werden, welche zwischen offiziellen Vertretern der ÖH und dem Ministerium gremial zu behandeln wären.

Mittels der Aktionen gelang es tatsächlich, die Reform zu einem öffentlichen Thema zu machen.

Gleichwohl ist diese hochschulpolitische Phase mit der PHK und IVK beendet worden und nun in Gremien isoliert. Die IVK als Gremium unter den Studenten, deren Interesse für die Reform völlig geschwunden ist, und die PHK ohne außergremiale studentische Kontrolle beweisen, daß die studentischen Forderungen zu eigennützigen Interessen durch die Übernahme von Verhandlungsmechanismen modifiziert worden sind. Während die Professoren ihre Pflicht zu prinzipiellen Überlegungen innerhalb ihrer Institution weiterhin mißachten, können sie nun jenseits dieses Faktums als Interessensgruppe in der PHK entscheiden.

Die IVK ist unter den Studenten isoliert, weil sie die Illusion eines lebendig bestehenden Institutes vollzieht; anstatt das Institut als Vollzugsorgan einer reduzierten Institution aufzudecken, so daß die Interessen der IVK selbst pragmatisch sind. Außerdem hat die fehlende Basis, welche die internen Gruppenkämpfe unter den Studenten beseitigt hätte, jene Gruppenkämpfe innerhalb der IVK gefördert, so daß sie auch kein wirksames Instrument gegen den Lemurenstall ÖH abgibt.

Dieser Effekt der Reformbestrebungen nötigt, sich mit deren Trägern, den oppsitionellen Gruppen (gemeinhin „Linke“ genannt), zu beschäftigen.

IV.

Der genannte Effekt zeigt, daß den Gruppen die Aufdeckung der Implikate und die Bildung einer studentischen Basis mißlungen ist; das erweist auch die durch Integration in Gremien vorgenommene Ausscheidung der eigenen Genese: die Aktionen, durch welche die Einrichtung des IVK erzwungen werden konnte, sind den IVK-Vertretern entfallen. Daß die PHK solches Vergessen übt, wird aus ihrem institutionellen Charakter klar, doch auch die IVK hat ihre Genese „verschluckt“. Selbst wenn einige ihrer Vertreter diese kennen, bleibt dies ohne hochschulpolitische Auswirkung, da diese Vertreter isoliert sind.

Daß sich eine Opposition nicht einrichten konnte, bedeutet also den Zerfall in auf das Verbale reduzierte Forderungen (die in der PHK stattfinden dürfen) und eine durch Aktionen gekennzeichnete „Minderheit“ (welche auch nur mehr als Schablone existiert).

Die Forderungen sind zu solchen einer herkömmlich faßbaren Gruppe vermindert und systemgemäß behandelbar geworden; anstatt Organisationsformen zu ändern, konnten diese perpetuiert werden, die Aktionen, zu Radauszenen einer Minderheit deklariert, können als reformgefährdend abgeurteilt werden. Die Reform erhielt eine oppositionsfremde Ebene. Der Konnex von Aktionen, Reformwillen und damit Opposition wurde hinfällig.

V.

Dieses Ende des oppositionellen Anspruches in der Aktivität studentischer Gruppen scheint nun deren eigenes Ende zu sein.

Ihren Zerfall ohne Transformation verdächtige ich der Selbstexekution auf dem Wege eines illusionär vollzogenen oppositionellen Anspruches, dem eine gewisse vorübergehende Effektivität dennoch gelungen ist, weil die Mängel der Hochschule (Raumverhältnisse, zuwenig Assistenten, also vorerst institutionsgemäße Forderungen) eine vage und latente Unzufriedenheit erzeugt hatten; diese Unzufriedenheit konnten die Gruppen trotz Mißachtung der Hochschulsituation anfänglich aktivieren, weil sie die erste Aktivität unter den Studenten entfaltet hatten, in der weiteren Entwicklung aber den schmalen Politisierungsansatz wieder ausgeschieden.

In der Selbstexekution des illusionären Bewußtseins nun ist ein ständiger Absprung von einer kontinuierlich politisierenden Praxis enthalten, so daß der formulierte Anspruch qualitativ unterschiedener Interessen praktisch nicht im postulierten Tätigkeitsfeld, der Universität (Hochschule} Platz greifen konnte. Denn die Ansprüche fordern eine an ihnen teilhabende — auch organisatorische — Selbstrealisierung der Opposition, damit sie eine Opposition wirklich darstellen kann.

Die Opposition muß, über Gegnerschaft zur Institution hinaus, sich eine tatsächliche, zur Willensbekundung fähige Basis schaffen und die Uneigennützigkeit ihrer Ziele und Interessen durch den mittelhaften Charakter ihrer Gruppen erweisen. Denn darin wird der Unterschied zur reduzierten Institution Hochschule praktisch geübt, indem der eigennützige Interessen stützende Selbstzweck aufgehoben ist.

Dann erst kann der Konnex zwischen Aktionen und Ansprüchen manifest werden. Aber der Integration von Hochschule und Studenten setzten sich die Gruppen selbst postulierend gegenüber, indem sie programmatisch motivierte Änderungen forderten, ohne deren Möglichkeiten und folglich die eigenen Möglichkeiten in dieser Situation zu orten. Sie veröffentlichten sich mittels Darstellung ihres eigenen postulierenden Bewußtseins, so daß sie in der Wiederholung ihrer Ansprüche Veränderung zu vollziehen meinten, und zwar jenseits der Situation, in der Veränderung anzusiedeln wäre: in Studenten und Hochschule.

Soliches Mißlingen erklärt sich aus der außeruniversitären Entstehung der Gruppen. Sie waren nicht aus einer verstärkten Auseinandersetzung der Studenten mit ihrer Institution als eine daraus hervorgehende Notwendigkeit gebildet worden, sondern abseitig (die parteigebundenen Gruppen insbesondere). Damit stellten sich Entfremdunsseffekte hinsichtlich ihrer Ansprüche und Ziele ein oder wurden durch jene Entstehung bereits konstituiert. Ein Großteil der Gruppenpotenzen wurde zur Selbsterhaltung verwendet, auf verschiedenen Sektoren wie Bürokratie, Organisation, Image-Erhaltung. Dazu kam Unverläßlichkeit der Aktivisten und deren selbsttherapeutische Forderungen an die Gruppe.

Somit erhielt die Gruppe primäres Gewicht, und es verblieben die Ansprüche der Veränderung als verbaler Umraum, in dem sich die Distanzierung zur gegebenen Hochschulsituation dauernd wiederholte.

Intern und zwischen den Gruppen ausgetragene Diskussionen, ob reformistisch oder revolutionär, beschreiben diese Gruppensituation der Isolierung, da es ein Streit im verbalen Postulieren blieb. Jene starre Scheidung wird hinfällig in der Absicht, die Implikate der Reformforderungen in politischer Aktivität unter den Studenten aufzudecken.

Mögliche Ansätze der Politisierung wurden verpaßt, weil sie zum Beispiel als reaktionär abgestempelt wurden. Daher der Widerspruch der oppositionellen Aktivität: einmal das Postulat, durch Basisbildung die Zustände zu verändern, zum anderen die Tatsache, daß die Ansätze einer Basisbildung durch unvermittelbare (weil das illusionäre Bewußtsein der Gruppe ausmachende) ideologische Postulate wieder abgeschlossen wurden. Die Gruppen isolierten sich zunehmend.

Seine Vorstellungen einer Veränderung einzubringen, wurde primäre Aktivität der Gruppen, welche nun Hochschulereignisse oder Politisierungsansätze zum Vorwand der eigenen Verlautbarung gebrauchten.

Solcher Widerspruch schlug auf die Gruppen selbst zurück. Denn ihre Empirie der Nichtaktivität, Isolation von den Studenten und bemerkte Wirkungslosigkeit verschärfte intern die Forderung nach Aktivität, welche die jeweilige Gruppe wegen ihrer Schwäche (wenige und unverläßliche Mitglieder) nicht erfüllen konnte.

Die Gruppe wurde das illusionäre Monstrum, von dem Aktivität verlangt werden konnte, worin Entschlüsse gefaßt wurden, die undurchführbar, aber Postulate waren.

Daher als Rückschlag Resignation, welche den Zerfall der Gruppen förderte, womit nochmals die Rückwendung der verbleibenden Aktivität auf diese erzwungen wurde, indem die Selbsterhaltung mehr Energie als zuvor verzehrte. Zusammen mit dem illusionären Bewußtsein fand der Zerfall der Gruppen notwendig statt. [3]

Trotz dieser Entwicklung kann den oppositionellen Gruppen nicht einfach das Versagen an der Reform und deren jetzige Effekte unterschoben werden. Denn ungeklärt lasse ich, ob dieses illusionäre Bewußtsein nicht gerade durch die Reduzierung der Institution Hochschule mitbedingt ist. Doch für eine Einleitung sind wichtige Züge herauszuheben, wie dieses Bewußtsein der Gruppe, um nicht in minimalen Differenzen zu versanden: wie in Probleme, welche Gruppe „linker“ war, oder welche mehr Mitglieder hatte.

Solche Konkurrenzmentalität hat den Anschein einer Opposition genügend durchzogen, so daß die Diskussion über die Verschiedenheit der Forderungen der einzelnen Gruppen nur ihre tatsächliche Verfassung verschleiert. Daher das illusionäre Bewußtsein als alle Gruppen prägende Verfassung, dessen Ähnlichkeit mit der Reduzierung der Institution immerhin auffällt.

Reform wie Aktionen sind nun integriert: Diese Reform als Austragung eigennütziger Interessen zwischen den Hochschulangehörigen und anderen Institutionen, die Aktionen als auch für die Studenten fixierte Radauszenen.

[1Vgl. B. F., Aporie der studentischen Linken (NF 191/1, Anfang November 1969, S. 625 ff.), wo die einzelnen Gruppen näher beschrieben sind.

[2Der propagandistische Versuch, die Studenten als Handlanger kommunistischer Unterwühlungsstrategie zu denunzieren, zeigt den qualitativen Unterschied noch im Negativen an: denn die Propaganda verläßt sich auf die politische Verkümmerung der Öffentlichkeit, welcher bereits der Anschein von Kommunismus eine Bedrohung des gesamten Systems bedeutet, und die sich eben nur auf eigennützige Interessen einzulassen vermag. So hat man den qualitativen Unterschied zur Staatsfeindlichkeit deformiert.

[3Selbst die Erarbeitung von Analysen und Reformvorschlägen konnte den Verlust einer die Implikate aufdeckenden Aktionskontinuität nicht ersetzen. Ohne diese Aktionskontinuität fehlte die Vermittlung der Vorschläge an die Studenten und die Darlegung ihrer Gültigkeit. Denn die Implikate konnten dem Studenten nicht an seiner eigenen Situation aufgedeckt werden.

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1970
, Seite 954
Autor/inn/en:

Bernhard Frankfurter: Geläufig als Rädelsführer am Philosophischen Institut der Universität Wien, Motor der Wiener „Aktion“, Studentengruppe links von der Mitte, jedoch weder sozialistisch noch kommunistisch, studiert derzeit in Paris.

Lizenz dieses Beitrags:
Copyright

© Copyright liegt beim Autor / bei der Autorin des Artikels

Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

AkteurInnen der Kritik

Begriffsinventar