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Ramon Sensano Bayerri
Zu: „Internationale Günther Anders-Gesellschaft“ (I.a)

Streitigkeiten und Enthüllungen in der Internationalen Günther Anders-Gesellschaft

Die Querelle in der Anders-Gesellschaft hat zahlreiche Reaktionen nach sich gezogen: einige belustigt, andere leicht konsterniert, mehrere teilten mit, dass sie sich nicht auskennen würden. Dieser Beitrag beweist aber, dass es möglich war, sich ein stimmiges Bild zu machen: Er zeichnet die Grundzüge des Konflikts, bewertet ihn aus seiner Sicht und wirft schließlich eine weit darüber hinaus
gehende, Günther Anders jedoch nahe liegende Frage auf.

Ramon Sensano lebt als freischaffender Philosoph in Barcelona

Hier geht es zum spanischen Original, Jänner 2024

Einleitende Zusammenfassung

In der komplexen Welt der Philosophie und ihrer Gesellschaften ergeben sich oft Situationen, die so kompliziert sind wie die Debatten, die ihre Foren prägen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die „Internationale Günther Anders Gesellschaft“ [IGAG], eine Institution, die sich dieser Komplexität nicht entzieht. In einem Bericht, der Ethik, Wahrheit, Organisationspolitik und Informationsfreiheit miteinander verwebt, entwirrt Gerhard Oberschlick, [1] der literarische Nachlassverwalter von Günther Anders, ein Geflecht von Ereignissen und Entscheidungen, die den wahren Geist der Gesellschaft in Frage stellen. Es entsteht eine Geschichte, die eines Krimis würdig ist und von einem Muster intellektuellen und moralischen Versagens geprägt ist. Dieses Versagen zeigt sich im schlampigen und irreführenden Umgang mit der Wahrheit, der sowohl in den Statuten als auch in der öffentlichen Darstellung der Organisation zum Ausdruck kommt. Paradoxerweise scheint eine Gruppe von Philosophen in ihrem Versuch, das Werk von Günther Anders zu ehren, von den Idealen der Transparenz und Wahrheit, die er vertrat, abzuweichen.

Der Text „Seltsames in Anders’ Namen. Disput über Öffentlichkeit und Informationsfreiheit“ [2] von Gerhard Oberschlick schildert detailliert und nachdenklich den Ausschluss eines IGAG-Mitglieds und seinen anschließenden Ausschluss von einer Konferenz über Anders in Kopenhagen. Auslöser des Konflikts ist der Ausschluss eines freien Journalisten aus der Gesellschaft nur fünf Tage nach seiner Aufnahme im März 2023, gefolgt von seinem abrupten Ausschluss von einer Konferenz über Anders im Juni-Juli 2023 an der Universität Kopenhagen. Diese Entwicklung ist umso überraschender, als der Protagonist auch dort zunächst aufgenommen wurde.

Oberschlick äußert seine Besorgnis über dieses Vorgehen, das in eklatanter Weise gegen die Satzung der Gesellschaft verstößt. Diese Situation veranlasst ihn, eine Untersuchung einzuleiten.
Der Bericht enthält eine umfassende Analyse der Struktur und Funktionsweise der IGAG und versucht, die zugrunde liegende Dynamik zu verstehen, die die Organisation bestimmt. Seine Analyse deckt erhebliche interne Mängel in der IGAG auf und macht deutlich, wie wichtig die Einhaltung der Grundsätze der Wahrhaftigkeit und Transparenz im akademischen und philosophischen Bereich ist. Diese Episode ist eine zwingende Mahnung, dass Einrichtungen, die sich der intellektuellen Reflexion und Debatte widmen, die Integrität und Ethik, die sie verkünden, auch in die Praxis umsetzen müssen, um so dem Vermächtnis bedeutender Denker wie Günther Anders gerecht zu werden.

1. Der Streit um die Informationsfreiheit

Der Kern des Problems liegt im Ausschluss eines Mitglieds der Gesellschaft, das es gewagt hatte, den Vizepräsidenten des Vorstands nach möglichen Reisekostenzuschüssen für den Kongress in Kopenhagen zu fragen, was eigentlich kein Problem hätte sein dürfen, zumal auf der Einladungsseite der Veranstaltung die Erstattung von Reise- und Unterbringungskosten, wenn möglich, versprochen wurde, was aber eine unverhältnismäßige Reaktion des Vizepräsidenten auslöste. Christian Dries hätte den Journalisten rechtens an Knopf, den lokalen Organisator des Kongresses, verweisen müssen. Der Journalist seinerseits hat seine Aussage schnell zurückgezogen und versucht, sich zu entschuldigen.

Dieser Vorfall ereignete sich vor einer Generalversammlung der Anders-Gesellschaft, an der der neu aufgenommene Journalist teilnahm. Am nächsten Tag bedankte er sich beim Vizepräsidenten für die Aufnahme in die Gesellschaft. Sein Versuch, Informationen über eine interne Angelegenheit zu geben, wurde jedoch vom Vizepräsidenten als Angriff auf seine eigene Integrität missverstanden. Aus Sorge um die Auswirkungen dieser Ereignisse auf das Erbe von Anders geht Oberschlick den Einzelheiten der Entwicklung der Gesellschaft und ihren Nachwirkungen nach, was ihn dazu veranlasst, die ersten zehn Jahre der Gesellschaft selektiv Revue passieren zu lassen, um die Ereignisse und die beteiligten Schlüsselfiguren besser zu verstehen.

Nachdem er die Statuten der Gesellschaft und ihre Präsenz auf der Website der Gesellschaft analysiert hatte, schickte Oberschlick seine Beobachtungen an Alexander Knopf und die IGAG-Leitung mit der Bitte, seine Analyse an die Mitglieder weiterzuleiten. Die Antwort von Dries, der sich aus inhaltlichen Gründen weigerte, die Analyse weiterzuleiten, und sein Wunsch, die Informationen den Mitgliedern vorzuenthalten, offenbaren zusammen mit der Antwort von Knopf einen Mangel an Transparenz. In der Zwischenzeit suchte Dries heimlich Unterstützung für den Ausschluss des Journalisten.

Oberschlick stößt auf Widerstand, insbesondere von Christian Dries, dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der IGAG, der ihm das Recht verweigert, seine kritische Analyse an die Mitglieder weiterzugeben. Das Vorgehen von Dries, für das es keine klare Rechtfertigung gibt, wirft ernste Fragen auf.
Widerspricht das Vorgehen von Christian Dries (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) und Alexander Knopf (Universität Kopenhagen), ersterer stellvertretender Vorsitzender der IGAG und beide Organisatoren der Konferenz an der Universität Kopenhagen in Zusammenarbeit mit der Internationalen Günther-Anders-Gesellschaft, den Grundsätzen der Fairness und Transparenz, die in einer der Philosophie gewidmeten Organisation herrschen sollten? [3]

2. Eine esoterische Veranstaltung

[Zu „esoterisch“ siehe: [4]]

Oberschlick weist darauf hin, dass die Konferenz in Kopenhagen, die ursprünglich als offenes Forum geplant war, in eine geschlossene und esoterische Veranstaltung umgewandelt wurde, die die Teilnahme und die Debatte einschränkt. Diese Änderung steht im Widerspruch zu den von Anders vertretenen Grundsätzen einer transparenten und zugänglichen Kommunikation. In Anbetracht dieser Situation stellt sich die Frage: Wie hätte Anders reagiert? Hätte er nicht auf die Ironie und den Widerspruch hingewiesen, dass eine Gesellschaft, die seinen Namen trägt, auf diese Weise handelt? [5]

3. Das doppelte Gesicht der IGAG

Oberschlicks Kritik an der Verwaltung der IGAG ist heftig. Er wirft der Organisation vor, in der Öffentlichkeit ein falsches Bild abzugeben, während sie intern fahrlässig mit der Wahrheit umgeht, insbesondere in Bezug auf ihre Satzung und Verwaltungsentscheidungen. Die Interaktion zwischen dem Vorstand und den IGAG-Mitgliedern offenbart deren ungleiche Behandlung des kürzlich ausgeschlossenen Kritikers und fordert die Organisation auf, derartige Entscheidungen zu überdenken und aufzuheben. Das Zögern, seine kritische Analyse mitzuteilen, zeugt von einem beunruhigenden Mangel an Offenheit und Transparenz in der Gesellschaft. Oberschlick fordert die Führung und das Sekretariat auf, integrativere und transparentere Praktiken anzuwenden. Das Vorgehen der IGAG offenbart einen intellektuellen und ethischen Konflikt, bei dem Bürokratie und Elitedenken das Erbe von Günther Anders zu überschatten und die Integrität der Gesellschaft, die seinen Namen trägt, zu gefährden drohen.

4. Vorschläge zur Verbesserung

Oberschlick schlägt Reformen für die IGAG vor, um die Verwaltung und Transparenz zu verbessern. Er schlägt vor, die Satzung auf der Website leicht zugänglich und verständlich zu machen und die Kategorien der Mitgliedschaft zu klären, um die „privilegierte Aristokratie“ zu beseitigen, die nicht durch die Satzung abgedeckt ist und den Grundsätzen der Demokratie und Gleichheit widerspricht.

Darüber hinaus plädiert er dafür, die Namen aller Mitglieder im Internet zu veröffentlichen, um die Kommunikation zu erleichtern, und die Satzung hinsichtlich der Aufnahme und des Ausschlusses von Mitgliedern zu überarbeiten, um Fairness und Transparenz zu gewährleisten. Er schlägt außerdem vor, dass die Gründungsmitglieder nur als Teil der frühen Geschichte der Gesellschaft und nicht als Elite anerkannt werden.
Oberschlick äußert sich besorgt über die Kooperationen der IGAG mit externen Einrichtungen wie dem Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek und dem Verlag C.H.Beck und plädiert für die Zustimmung und Kenntnisnahme dieser Vereinbarungen durch alle Mitglieder.

Zusammenfassend wird eine Änderung der IGAG-Satzung gefordert, um die Führung und Transparenz der Organisation zu verbessern. Zu diesen Vorschlägen gehören die Überarbeitung der Kriterien für die Mitgliedschaft und die Abschaffung zweideutiger und subjektiver Begriffe, die zur Begründung von Ausschlüssen verwendet werden, Praktiken, die seiner Ansicht nach im Widerspruch zu den von Anders vertretenen ethischen und philosophischen Idealen stehen.

5. Folgerungen und offene Fragen

Diese kritische Analyse der IGAG zeigt, dass die Wahrung von Integrität und Wahrhaftigkeit selbst in Wissensumgebungen eine ständige Herausforderung darstellt. Sie hebt hervor, wie wichtig es ist, die gesellschaftlichen Praktiken an den Idealen und dem Vermächtnis von Anders auszurichten, und kritisiert die Heuchelei und den Mangel an moralischer Integrität bei der Verwaltung der IGAG. Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Praktiken entehren nicht nur Anders’ Namen, sondern gefährden auch die Informations- und Meinungsfreiheit, wesentliche Pfeiler seines Denkens.

Der Konflikt wirft umfassendere Fragen zur akademischen Integrität und zur Meinungsfreiheit in philosophischen Gemeinschaften und im weiteren Sinne in akademischen Einrichtungen im Allgemeinen auf. Es stellt sich eine entscheidende Frage: Wie kann eine Organisation, die einem Philosophen gewidmet ist, der für Klarheit und intellektuelle Redlichkeit eintrat, Handlungen rechtfertigen, die im Widerspruch zu diesen Grundsätzen stehen?

6. Ungewisse Zukunft

Mit einer Mischung aus Ironie und Ernsthaftigkeit legt Oberschlick die Widersprüche der IGAG offen, einer Institution, die hin- und hergerissen ist zwischen der Wahrung ihres Auftrags und ihrer Werte, der Vorwegnahme künftiger Enthüllungen und einer möglichen Lösung des verworrenen Zusammenspiels von Macht, Politik und Philosophie. Die Kontroverse in der Internationalen Günther-Anders-Gesellschaft (IGAG) hat die Aufmerksamkeit der philosophischen Welt auf sich gezogen und nicht nur ihren Ruf beeinträchtigt, sondern auch die ethischen und organisatorischen Herausforderungen innerhalb akademischer Gesellschaften beleuchtet. In diesem Zusammenhang wird der Text zu einem dringenden Aufruf zum Nachdenken und Handeln, der die IGAG auffordert, sich an den grundlegenden Prinzipien der Offenheit, Transparenz und Fairness zu orientieren, die dem Erbe von Anders innewohnen und für die Philosophie von entscheidender Bedeutung sind.

Nachwort: Eröffnung einer Günther-Anders-Forschungsstelle

Zum Abschluss unserer detaillierten Analyse des Textes von Gerhard Oberschlick stehen wir vor einer interessanten Entwicklung, die sowohl Erwartungen als auch Zweifel weckt. Die für den 8. Februar geplante Einweihung des „Günther-Anders-Forschungszentrums“ in Freiburg [6] stellt ein paradoxes Szenario dar. Dieses neue Zentrum unter der Leitung von Dr. Christian Dries, einem der in diesem Beitrag in Frage gestellten Persönlichkeiten, wird sich der akademischen Forschung über Leben und Werk des Philosophen Günther Anders widmen, eines Philosophen, der für seine kritische Haltung gegen das Akademische und seinen Außenseiterstatus in der philosophischen Welt bekannt ist.

Die Eröffnung dieses Zentrums kann als Versuch gesehen werden, das Erbe von Anders zu würdigen, wirft aber auch kritische Fragen über die Authentizität und Integrität dieser Initiative auf, insbesondere angesichts der jüngsten Kontroversen und Kritiken in der Verwaltung der Internationalen Günther-Anders-Gesellschaft. Wird sich dieses neue Zentrum wirklich mit den Idealen von Anders befassen und diese widerspiegeln, eines Denkers, der Konventionen und intellektuelle Selbstgefälligkeit immer wieder in Frage gestellt hat? Oder wird es in dieselbe Machtdynamik und Politik verwickelt sein, die die jüngsten Auseinandersetzungen in der IGAG geprägt haben?

Diese Entwicklung ist nicht nur eine Gelegenheit für die IGAG und andere damit verbundene Institutionen, ihre Praktiken und Ansätze zu überdenken und neu zu bewerten, sondern zeigt auch, wie komplex es ist, das Erbe eines so kritischen und originellen Denkers wie Günther Anders zu interpretieren und lebendig zu halten. Es ist ein Moment, der tiefes Nachdenken und ständige Wachsamkeit erfordert, um sicherzustellen, dass Anders’ Mission und Werte in diesem Prozess nicht kompromittiert oder fehlinterpretiert werden.


Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)

[1Gerhard Oberschlick ist ein österreichischer Publizist und Essayist. Von 1985 bis 1995 war er Herausgeber und Eigentümer der politischen und kulturellen Zeitschrift FORVM. Derzeit ist er der literarische Nachlassverwalter von Günther Anders.

[2Der ursprüngliche Text wurde später durch diese “purgierte Fassung” ersetzt: http://forvm.contextxxi.org/seltsames-in-anders-namenpurgierte.html [Zugriff: 27/02/2024].

[3Die korrektere und natürlichere grammatikalische Konstruktion wäre im Englischen: „Do they contradict...? Durch diese Formulierung der Frage wird direkt gefragt, ob die Handlungen von Christian Dries und Alexander Knopf im Widerspruch zu den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Transparenz stehen. Dieser Ansatz ist einfach und folgt der Standardstruktur einer englischen Frage. Die Verwendung von“no contradicen„in der Frage (“¿No contradicen...?„) mag in manchen Kontexten korrekt sein, wird aber im Allgemeinen verwendet, um eine Erwartung oder Vorannahme über die Antwort zu suggerieren. In diesem Fall ist“¿Contradicen...?” neutraler und klarer. Siehe Diccionario panhispánico de dudas (DPD) [online], https://www.rae.es/dpd/contradecir, 2. Auflage (vorläufige Fassung). [Zugriff: 16/01/2024].

[4Vgl. Günther Anders: Über die Esoterik der philosophischen Sprache. In: Die Sammlung 7, no. 11 (1952): 475-489. Geschrieben 1943; online: http://forvm.contextxxi.org/anders-und-adorno.html#Gunther-Anders-Uber-die-Esoterik-der-philosophischen-Sprache [Zugriff: 27/02/2024].

[5In Anlehnung an Günther Anders und seine imaginären Dialoge baut Oberschlick fiktive Gespräche mit Anders in seinen Text ein. Kombiniert mit gelegentlichen Anekdoten bereichern diese Dialoge seine Kritik an der IGAG und bieten eine persönlichere und reflektiertere Perspektive.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
2024
Autor/inn/en:

Ramon Sensano Bayerri: Estudioso Independiente [Filósofo]. Barcelona.

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