MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 49
Franz Schandl

Sonja und Johannes

oder: Von den Leiden des grünen Programms

Nach dem Motto „Ein Reformprogramm, das auf die Realisierbarkeit innerhalb einer Legislaturperiode zielt, kann nur Mißstände aufzeigen und deren Korrektur versuchen“ legten Sonja Puntscher Riekmann und Johannes Voggenhuber im Vorjahr drei Grundsatzpapiere zu den Themen Umwelt, Soziales und Demokratie vor.

In obigem Anspruch paart sich intellektuelle Bescheidenheit mit realpolitischem Größenwahn, doch wenn die Umsetzung frohlockt, dann haben weitergehendere Analysen und Überlegungen klein zu bleiben. Zwar glaubt niemand so richtig an die Regierungsbeteiligung, doch für den Fall des Falles will man gewappnet sein. Somit sind die Programmentwürfe dahingehend als freiwillige Vorleistung zu sehen.

Auch wenn Sonja Puntscher Riekmann eigentlich den Dissens organisieren möchte (was immer das ist) (vgl. MONATSZEITUNG 11/89), so heben doch die vorliegenden Papiere geradezu aufdringlich und eindringlich den Konsens mit den Herrschenden, den sog. Konsens der Demokraten hervor: „Es gibt heute einen nahezu globalen Konsens“, schreiben die beiden, „daß Demokratie die beste aller Staatsformen sei ...“ Folglich haben Alternativen in den demokratiepolitischen Überlegungen auch keinen Platz mehr, wir leben eben im besten aller Systeme. Neben der frenetischen Bejahung der bürgerlichen Demokratie und ihren Parlamenten reduzieren auch die Grünen Demokratie auf eine Staatsform.

Da findet sich weiters ein eindeutiges Bekenntnis zum freien Mandat, d.h zur Freiheit des Mandatars von seiner Organisation und eine fiktive Verpflichtung auf die Wählerbasis. Stimmenmaximierung ist den Grünen das einzige Mittel zur Erreichung gesellschaftlicher Macht.

Hier offenbart sich nicht nur die Unkenntnis der eigenen Geschichte, es wird auch einer freiwilligen Anbindung und Reduzierung grüner Politik an die Rituale des Parlamentarismus das Wort geredet. Macht und Stimmenpotential werden unreflektiert ident gesetzt, die Kräfteverhältnisse in den Vertretungskörperschaften werden nicht als ein Indikator gesellschaftlicher Kämpfe analysiert, sondern mit den Machtverhältnissen gleichgesetzt. Das Demokratieprogramm zeigt am deutlichsten den grünen Friedensschluß mit dem real existierenden Kapitalismus.

Interessant ist vor allem, was wir etwa im Sozialprogramm alles nicht finden. Zur Arbeitszeitverkürzung, zur erwerbsunabhängigen Volkspension, zum garantierten Mindesteinkommen (Basislohn), zur Flexibilisierung, zur Ladenschlußdebatte, da fällt ihnen gar nichts oder nur wenig ein. Eindeutige Positionen sind der beiden Sache nicht. Und die Gretchenfrage „Wie hältst du es mit der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel?“ hat sich wohl für jene erledigt, die den Endsieg des Kapitalismus in ihrem Programm festschreiben.

Sogar ein wohlmeinender und keineswegs linker Kritiker des Entwurfs, Ali Gronner, spricht von einem „Minimalprogramm mit sozialdemokratischem Charakter“, dessen Devise „Mehr Geld und besserer Zugang zum Arbeitsmarkt“ lautet.

Selbst konkrete Vorschläge sind manchmal dermaßen daneben, daß man schon an der Ernsthaftigkeit der beiden Autoren Zweifel anmelden muß. So wird etwa der Stärkung (anstatt der Abschaffung) des Bundesrates das Wort geredet. Jedes Bundesland sollte dort gar mit fünf Mandataren vertreten sein, die noch dazu nach dem Persönlichkeitswahlrecht zu wählen wären. Eine satte 70-80%ige Mehrheit von ÖVP-Bezirksfürsten wäre die unausweichliche Folge. Oder wenn man die verpflichtendde Volksabstimmung nach einem Volksbegehren mit mehr als 500.000 Unterschriften vorschlägt, was wiederum kein Schritt Richtung Demokratisierung ist, sondern den beiden Großparteien und mächtigen Medienverbünden ein zusätzliches Instrument der Politik überläßt. Gänzlich obskur wäre auch das Recht der Eltern, am Schulunterricht (wohl als Lehrerüberwachungsbürgerinitiative) teilnehmen zu dürfen u.v.m.

Alles in allem sind die Entwürfe ein Sammelsurium von kurzfristigen und oft kurzsichtigen Forderungen an den Staat zur sozialen, ökologischen und demokratischen Besserstellung in Österreich. Was gänzlich fehlt, ist die Miteinbeziehung von Strategien zur Umsetzung dieser Vorschläge. Was auffällt hingegen, ist, daß der Mensch im grünen Programm hauptsächlich in der Kategorie des Bürgers in Erscheinung tritt. Das ist im grünen Selbstverständnis nur folgerichtig. Der klassenübergreifende Anspruch der Grünen schlägt so geradewegs um in die besonderen Interessen und Ansichten des konsumbewegten Citoyens.

Nicht zufällig sprechen Sonja und Johannes in ihrem Sozialprogramm nicht von Machtverhältnissen, die es aufzuklären und zu verändern gilt, sondern von einem „Gesellschaftsvertrag“, auf dessen Einhaltung sie auch nach dem Sieg des Kapitalismus pochen. Die Entwürfe stehen ganz in der Tradition bürgerlicher Werte. Appelliert wird nicht mehr an gesellschaftliche Interessen, sondern an die Vernunft. Der gesunde Menschenverstand überwindet wieder einmal alle analytischen Anstrengungen.

Sonja und Johannes verstehen so ihre eigenen Vorstellungen als die eigentliche gesellschaftliche Norm. Sie leiten ihre Interessen nicht aus einer spezifischen gesellschaftlichen Stellung oder Weltsicht ab — das wäre wohl, um der Terminologie der beiden zu folgen, totalitär —, sondern unterschieben der Allgemeinheit kaltschnäuzig das grüne Selbstverständnis und tadeln jede Abweichung. Alles, was ihnen paßt, nennen sie normal, alles, was ihnen nicht paßt, nennen sie Skandal. Nur die Grünen, glauben die Grünen, vertreten Allgemeininteressen.

Der Programmentwurf der Grünen Alternative entledigt sich erstmals jedweden gesellschaftsverändernden (d.h. den Kapitalismus überwindenwollenden) Charakters. Auch wenn die deutlich kapitalfreundliche Sprache (etwa eines Joschka Fischer oder eines Hubert Kleinert) noch fehlt, ist es das Programm einer liberal-ökologischen Reformpartei. Die Grünen mögen zwar von sozialer Gesinnung sein, sozialistisch sind sie nicht. Sie sind ein Demokratieverschönerungsverein, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Den meisten Oppositionellen reicht das offensichtlich.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1990
, Seite 22
Autor/inn/en:

Franz Schandl:

Geboren 1960 in Eberweis/Niederösterreich. Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Wien. Lebt dortselbst als Historiker und Publizist und verdient seine Brötchen als Journalist wider Willen. Redakteur der Zeitschrift Streifzüge. Diverse Veröffentlichungen, gem. mit Gerhard Schattauer Verfasser der Studie „Die Grünen in Österreich. Entwicklung und Konsolidierung einer politischen Kraft“, Wien 1996. Aktuell: Nikolaus Dimmel/Karl A. Immervoll/Franz Schandl (Hg.), „Sinnvoll tätig sein, Wirkungen eines Grundeinkommens“, Wien 2019.

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