Wurzelwerk » Jahrgang 1982 » Wurzelwerk 12
Peter Weish

Soll das Atomkraftwerk Zwentendorf in Betrieb genommen werden?

I Argumentation über die Gefahren der Atomenergie

Ganz allgemein ist es im Umgang mit großindustriellen Prozessen erforderlich, die unbeabsichtigten Neben- und Spätfolgen, die damit verbunden sind, zu berücksichtigen. Bei der Energieerzeugung durch Kernspaltung ist es die künstlich erzeugte Radioaktivität in vielen Erscheinungsformen, die wegen ihrer lebensfeindlichen Wirkung von der Biospähre isoliert bleiben muß. Bei der Behandlung des „Atommüllproblems“ hat man sich meist auf die Fragen konzentriert, wie man die relativ kleinen Mengen hochkonzentrierter radioaktiver Abfälle langfristig von der Umwelt isolieren könnte. Mittel- und niedrigaktive Abfälle, wie sie bei der Urangewinnung, bei Atomkraftwerken, vor allem aber bei Wiederaufarbeitungsanlagen anfallen, wurden bisher zumeist recht sorglos gehandhabt. Die Rückschläge sind nicht ausgeblieben. Zahlreiche Beispiele von Umweltverseuchung sind bekannt geworden. Die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Zwentendorf von der Gewährleistung einer „Entsorgung“ abhängig zu machen, ist daher eine Selbstverständlichkeit. Von den Atomenergieexperten, Energiewirtschaftlem und einschlägig interessierten Politikern wurde die Frage der Entsorgung des Kernkraftwerks im Laufe der nunmehr schon zwölf Jahre dauernden Diskussion um Zwentendorf schon mehrmals als gelöst bezeichnet:

Anfang der 70er Jahre gab es die „Lösung Mol“. Die bestrahlten Brennstäbe aus dem Kernkraftwerk würden in der Burochimique-Anlage in Belgien wiederaufbereitet werden und der Atommüll könne dort verbleiben. Kurz darauf war diese Lösung nicht mehr aktuell, denn die genannten Anlage wurde stillgelegt. Mitte der 70er Jahre wurde die „Lösung Iran“ angeboten. Die Frage von Skeptikern, was in einigen Jahren ein Versprechen des Schah Reza Pahlevi wert sein würde, wurde damals nicht ernsthaft diskutiert. Ende der 70er Jahre wurden mit der französischen Firma COGEMA Verträge abgeschlossen und die „Lösung Agypten“ verfolgt. Mittlerweile nimmt die französische Wiederaufbereitungsanalge La Hague (Fa. COGEMA,) wegen technischer Schwierigkeiten keine Wiederaufarbeitungsverträge mehr an, und auch um Ägypten als Ort der Endlagerung ist es wieder stiller geworden. Der bei Gorleben in der BRD geplante, große nukleare „Entsorgungspark“ erwies sich in der Zwischenzeit als politisch nicht durchsetzbar. Auch in den USA wurden die Wiederaufarbeitungskonzepte fallengelassen.

Die Kurzlebigkeit der gesellschaftlichen Randbedingungen steht in erschreckendem Widerspruch zur Langlebigkeit der radioaktiven Abfälle, die eine verläßliche Isolierung von der Biospäre über viele Jahrtausende erfordert. Der derzeit aktuelle Vorschlag der Atomexperten besteht darin, die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes soll von der Frage der Entsorgung „abgekoppelt“ werden. Es bestünde zur Lösung der Abfallfrage ein zeitlicher Spielraum von 50 Jahren. Hinter einer solchen Problemlösungsstraegie ist das Konzept zu vermuten: „In 50 Jahren sind wir alle tot“.

Entspricht das Atomkraftwerk Zwentendorf dem Stand der Technik?

Das KKW Zw. gehört der KMU-Siedewasserreaktor-Baulinie 1969 an. Zu der hoch angeordneten Kondensationskammer führt D. Smidt in „Reaktorsicherheitstechnik“ (Springer 1979) aus, sie sei „... weder in statischer noch in dynamischer Hinsicht (Erdbeben) eine gute Lösung ...“. Th. Belting in „Reaktortechnik und Kernenergieversorgung“ (1978) stellt fest: „... verschärfte Sicherheitsanforderungen ... führten zu der Siedewasserbaulinie 1972 ...“. Das Atomkraftwerk Zwentendorf entspricht daher nicht mehr dem Stand der Technik, was besonders im Hinblick auf die Erdbebengefährdung des Standortes von eminenter Bedeutung ist. Die Störanfälligkeit des Typs 1969 wird auch von den zahlreichen Pannen und Stillständen der Schwesterkraftwerke in der BRD dokumentiert.

Katastrophenvorsorge

Wachgerüttelt durch die chaotischen Zustände anläßlich des Reaktorunfalles auf Three Mile Island bei Harrisburg im Frühjahr 1979 werden in der BRD neuerdings detaillierte Katastrophen- und Evakuierungspläne im Umkreis von Atomkraftwerken diskutiert. Dabei stellt sich immer deutlicher die Unzulänglichkeit und Undurchführbarkeit wirksamer Notfallmaßnahmen heraus. Im Falle Zwentendorf wäre hier viel nachzuholen.

Atomkraftwerke und Atombomben

Zahlreiche sachkundige und hochangesehene Wissenschafter (z.B. Prof. Hannes Alven, Prof. Engelbert Broda, Prof. George Wald und viele andere) sind zu der Erkenntnis gelangt, daß die zivile und die militärische Atomindustrie „siamesische Zwillinge“ sind. Mit der Expansion der Atomtechnik ist die Möglichkeit der Verbreitung von Atombomben untrennbar verbunden. Eine Ächtung auch der zivilen Atomindustrie ist eine notwendige Voraussetzung einer wirksamen nuklearen Kontrolle und Abrüstung (siehe die ausgezeichnete Darstellung dieser Problematik in: Lovins & Lovins: Atomenergie und Kriegsgefahr, Rowohlt 1981).

Ein verantwortungsvolles Ja zur Kernenergie könnte nur derjenige abgeben, der die Beherrschung — Beherrschbarkeit genügt nicht — dieser Technik vom Uranbergbau über Reaktorsicherheit, Wiederaufbereitung, Atommülldeponie und auch die Bewältigung der „Probleme höherer Ordnung“ gewährleisten könnte. Einen solchen Unviersalexperten kann es aber nicht geben. Daher ist ein wissenschafltich begründetes Ja zur Kernenergie nicht möglich. Dagegen ist ein wissenschaftlich begründetes Nein zur Kemenergie in all jenen Fällen möglich, wo ein Fachmann eine gravierende Frage als nicht zufriedenstellend gelöst erkennt. Zahlreiche solcher Fälle sind bekannt, nachzulesen in der Dokumentation über die Aufklärungskampagne zur Kernenergie der Bundesregierung, herausgegeben vom Bundespressedienst im Jahre 1977.

II Energiewirtschaftliche Argumentation

Es ist wichtig, volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte (der Elektrizitätsversorgungsunternehmen) auseinanderzuhalten. Wenn jemand in einer Badewanne sitzt, aus der ständig Warmwasser ausläuft, was braucht er wohl dringender — einen stärkeren Boiler oder einen dichten Verschlußpfropfen? Wir sitzen — bildlich gesprochen — in einer Wanne mit vielen undichten Stellen und die EVUs wollen uns ständig stärkere Boiler einreden. Von ihrer Warte aus ist das auch ganz vernünftig, denn für sie ist Strom eine Ware, von der sie möglichst viel verkaufen wollen. Wir müssen nur eines klar erkennen: Das Energieproblem der Verbraucher und das Energieproblem der Energieverkäufer sind zwei sehr verschiedene Dinge. Die Wirtschaft der Industrienationen hat sich in den letzten Jahrzehnten auf der Basis billigen und reichlichen Ölangebotes entwickelt und hat sich daran gewöhnt, mit Energie und Rohstoffen höchst verschwenderisch umzugehen. Das Argument, mit Atomenergie könne das nicht mehr vorhandene billige Erdöl ersetzt werden, ist aus mehreren Gründen falsch: Erstens ist Atomenergie nicht billig. Zitat aus atw 6/80: „Das Betriebsergebnis der deutschen Siedewasserreaktoren kann als unbefriedigend bezeichnet werden.“ Die Arbeitsausnutzung der Leichtwasserreaktoren im allgemeinen und der Siedewasserreaktoren (Baulinie 1969) im besonderen ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben und betrug in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1979 knapp über 30%. Für die Kalkulation des Strompreises in Zwentendorf wurden 65% zugrundegelegt. Da die Anlagenkosten beim Atomstrom stark ins Gewicht fallen, bedeutet das eine erhebliche reale Verteuerung des Atomstroms. Neuere Kalkulationen weisen nach, daß der Strom aus Atomkraftwerken teurer ist als der aus Kohle.

Diese Umstände haben zu einem Niedergang der Reaktorindustrie geführt, und beispielsweise in den USA ist die Hoffnung auf substantielle Beiträge aus der Kernenergie zur Stromerzeugung im Jahr 2000 geschwunden. Zur Verringerung unserer Erdölabhängigkeit haben Maßnahmen zur besseren Energienutzung Vorrang vor neuen Kraftwerksprojekten (siehe zu dieser Thematik die ausführliche Darstellung von Krause, Bossel und Müller-Reißmann: ENERGIEWENDE — Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran, S. Fischer, 1980; Ruske und Teufel: DAS SANFTE ENERGIEHANDBUCH, rororo aktuell 4725, 1980, sowie Lovins und Lovins a.a.O.). Bessere Energienutzung wie Gebäudeisolierung, Abwärmenutzung, Kraft-Wärmekupplung und andere, verbinden mehrere Vorteile: Sie sparen sehr wirksam Energie ein, verringern damit private Energiekosten, entlasten die Handelsbilanz, schaffen (dezentral!) Arbeitsplätze und entlasten die Umwelt. Nur eine Volkswirtschaft, die mit teurer Energie sparsam umgeht, kann längerfristig konkurrenzfähig sein.

In Österreich herrscht kein Mangel an Elektrizität. Ganz im Gegensatz zu öffentlichen Erklärungen mancher Vertreter der Elektrizitätswirtschaft herrscht in Österreich keine Gefährdung der Elektrizitätsversorgung und es besteht keine Gefahr von Flächenabschaltungen. „Der größte Engpaß der Stomversorgung liegt bereits hinter uns“, so lautet eine gut begründete Feststellung der Energieverwertungsagentur vom Oktober 1981. Da der Zuwachs im Stromverbrauch in den letzten Jahren weit hinter den Erwartungen der Elektrizitätswirtschaft zurückgeblieben ist, das Ausbauprogramm an Kraftwerken jedoch im Wesentlichen unverändert weiterläuft, nimmt die Reserveleistung an Kraftwerkskapazität in unserem Lande ständig zu. Ebenso die Exportüberschüsse.

Die Atomenergie bringt für Österreich keine energiewirtschaftlichen Vorteile, sehr wohl aber unkalkulierbare Langzeitbelastungen (Wiederaufarbeitungskosten, Atommüllagerung, Kraftwerksstillegung und Bewachung).

Argumentation angesichts der Notwendigkeit einer umfassenden und tiefgreifenden Neuorientierung

Eine vorausschauende Betrachtung wie der umfassende Bericht „GLOBAL 2000“ zeigt mit aller Deutlichkeit auf, daß eine Fortsetzung der gegenwärtigen Trends in Wirtschaft und Industrie und ganz allgemein im Lebensstil dramatische nachteilige Folgen auf die gesamte Biospähre haben würde. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, so rasch wie möglich eine Harmonisierung von Technik und Ökonomie mit den ökologischen Voraussetzungen zustandezubringen. Die in vielen Lebensbereichen vorgeschlagenen und vielfach auch im Modell erprobten Überlebensstrategien fügen sich harmonisch zu einer „sanften Gesamtaltemative“. Diese Wirtschaft und Technik nach Menschenmaß, wie sie Ernst Friedrich SCHUMACHER gefordert hat, ist verhältnismäßig einfach und überschaubar, daher in ihren Konsequenzen zu überblicken und zu verantworten, sie ist verhältnismäßig billig und flexibel, umweltverträglich und demokratisch. Die Kernenergie als Musterbeispiel einer „harten Technik“ kann keinen positiven Beitrag zu dieser notwendigen Gesamtalternative leisten, denn sie ist im höchsten Maße zentralistisch, schafft technokratische Sachzwänge und verhindert durch Bindung von Ressourcen, Arbeitskraft und Schaffung zahlreicher neuer Probleme sanfte Auswege in eine offene Zukunft.

Mit der Nichtinbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf ist Österreich in der glücklichen Lage, mit geringen Kosten (verglichen mit manchen anderen Ländern) aus der Sackgasse Atomenergie wieder herauszufinden, ohne unlösbare Langzeitprobleme zu schaffen. Statt immer wieder die Inbetriebnahme von Zwentendorf zu propagieren, sollten die Verantwortlichen endlich eine zukunftsorientierte Energiepolitik einleiten.

aus: „Alternativen-Rundbrief“

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1982
, Seite 11
Autor/inn/en:

Peter Weish:

Geboren 1936 in Wien. Studierte Biologie, Chemie und Physik an der Universität Wien. 1966 bis 1970 Mitarbeiter am Institut für Strahlenschutz im Reaktorzentrum Seibersdorf, anschließend vier Jahre lang Assistent am Institut für Zoologie an der Universität für Bodenkultur Wien. 1969 begann seine kritische Auseinandersetzung mit den gesundheitlichen und gesellschaftlichen Aspekten der Atomenergie. Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen zu diesem Thema. Ab 1974 arbeitete er als wissenschaftlicher Beamter am Institut für Umweltwissenschaften und Naturschutz. Ab 1984 Lehrbeauftragter für Humanökologie an der Universität für Bodenkultur Wien. Acht Jahre später Habilitierung für das Fach Humanökologie an der Universität Wien. Es folgten Lehrtätigkeiten in den Fächern Humanökologie und Umweltethik an der Universität Wien, der Wirtschaftsuniversität Wien und der Universität für Bodenkultur Wien.

Lizenz dieses Beitrags:
CC by
Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

Begriffsinventar