FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1974 » No. 245

PRESSE-FORVM

Die Führer der „Volksfront“
(in der vorderen Reihe von links nach rechts): Michel Rocard (PSU), Georges Séguy (CGT), Georges Marchais (PCF), François Mitterrand (PSF), Jacques Duclos (PCF).

Sartre: Gegen die alte Linke

(Sartre hat bei den letzten Präsidentschaftswahlen 1965 Mitterrand unterstützt; diesmal setzte er sich für eine Kandidatur von Charles Piaget ein.)

Das Trennende ist nicht die Person von Piaget, es sind die Ideen der neuen Linken, die sich den Ideen der klassischen Linken, den fünf Punkten von Mitterrand, entgegenstellen. Wenn wir Mitterrand unterstützen, werden die Sozialisten versuchen, die Kommunisten zu inhalieren und umgekehrt.

Das Problem ist nicht, ihn zu ersetzen ... ich vergesse schon seinen Namen ... Ach ja! Pompidou durch Mitterrand zu ersetzen. Mitterrand wäre der Pompidou der Sechsten Republik. Es gilt, zu verhindern, daß Pompidou und Mitterrand zu Chefs der anderen gewählt werden. Deshalb können wir keinem von beiden unsere Stimme geben. Unter diesen Umständen würde ich für Piaget stimmen, um Pompidou und Mitterrand jemanden innerhalb des Régimes vor die Nase zu setzen, der, wenn man so will, die Hierarchie des Systems von innen zerstört, der aufzuzeigen beginnt, daß ein Mensch nicht der Chef eines anderen sein kann. Wenn man das einmal begriffen hat, wird man dem Sozialismus recht nahe sein.

Man kommt nie zu einer Aktion, wenn man bei einer historisch notwendigen Bewegung zugleich dafür und dagegen ist. Man hat das während der Besetzung gesehen, als einige Genossen der Bewegung des Marschalls beitreten wollten, um ihn umzudrehen, nach links zu ziehen. Na ja, sie wurden also pétainisiert. Notwendigerweise. Man wird gezwungen, eine Opposition zu machen, die sich nicht zu erkennen gibt, die vorgibt, mit der Hauptrichtung übereinzustimmen, während man dagegen ist. Das ist Quatsch. Es gibt nur eine Politik: nicht mitkämpfen, dagegen auftreten. Ich sehe die Möglichkeit, gegen die Rechte und gegen die alte Linke, die falsche Linke, zu kämpfen — das geht aber sicher nicht, wenn man es auf sich nimmt, mit ihnen bei den Wahlen gemeinsame Sache zu machen.

Libération
13. April 1974

PSU: Gegenmacht aufbauen

(Aus der Resolution der linkssozialistischen PSU, beschlossen am 15. April, zugleich mit der Ablehnung einer Kandidatur Piagets und der Unterstützung Mitterrands.)

Die PSU erwartet von einer Regierung, die von einem linken Präsidenten eingesetzt wird, daß sie sofortige Verhandlungen mit den Gewerkschaftsorganisationen aufnimmt und auch solche, die zwischen den Unternehmern und den Arbeitervertretern notwendig sind, fördert. Die PSU meint, daß ein Sieg der Linken, um sich zu festigen, eines Prozesses der Neuüberlegung und der Neuorientierung des Wachstums in unserer Gesellschaft bedarf.

Es wird nicht möglich sein, alles zu machen: die Prioritäten müssen schon am Beginn der Kämpfe definiert werden, zugleich müssen neue Zentren der Kontrolle, der Beratung und der Entscheidung entstehen, die einen wichtigen ersten Schritt in Richtung auf einen Typ von Volksmacht darstellen.

Le Monde
17. April 1974

Toasts auf Pinochet

Der General der Reservedivision der Luftstreitkräfte, Jean Becam, Präsident der „Vereinigung der Reserveoffiziere für eine neue Armee“ (CORAN), sagte uns: „... Selbst wenn die Armee von 1974 Kerne der extremen Rechten beinhaltet, ist sie noch nicht so weit, einen Putsch zu organisieren, um einen Sozialisten daran zu hindern, die Präsidentschaft der Republik zu erringen bzw. zu bewahren. Weniger ruhig bin ich hingegen darüber, was sich in gewissen Einheiten der Territorialverteidigung (Defense operationelle du Territoire = DOT) abspielt, und ganz allgemein in den Einheiten der Reserve.“

Die Sache ist um so beunruhigender, als sich gewisse Reserveeinheiten, welche in die Territorialverteidigung integriert sind, auf den Kampf gegen den inneren Feind spezialisiert haben. Das ist namentlich bei einem Jägerregiment der Fall, das etwa hundert Kilometer von Paris stationiert ist und das seit nunmehr zwei Jahren die „Lokalisierung“ und „Neutralisierung“ eines „infiltrierten und von gewissen Elementen der Bevölkerung unterstützten Feindes“ übt. Die betreffenden Elemente sind, wie man erraten wird, keine anderen als die Militanten der KP, des CGT oder des CFDT [der beiden Gewerkschaften]. Für seine Aufgaben verfügt das Regiment über die Unterstützung der Gendarmerie und reichlich über modernes Material: Panhard-Panzerspähwagen mit 90-mm-Kanonen, 60-mm-Infanteriegeschütze, leichte Waffen, Sprengstoff, ein autonomes Nachrichtensystem. Die Einheit kann in weniger als zehn Stunden in Marsch gesetzt werden.

Panzer auf den Champs Elysées

Es gibt auch ein Phänomen, das möglicherweise noch beunruhigender ist: seit einigen Monaten haben sich in ganz Frankreich Hunderte Schieß-Klubs gebildet. Ihre Mitglieder sind fast ausschließlich Offiziere und Unteroffiziere der Reserve. Stets Rechte oder extrem Rechte. Die Mitgliedschaft in einem Klub erlaubt ihnen die Haltung von Bürgerkriegswaffen und Munition. In der Regel haben sie die Möglichkeit, auf militärischen Anlagen zu trainieren.

Aktiven Offizieren, die Fragen stellen, rät man gewöhnlich, „weniger neugierig zu sein“. Was will man verbergen? Welche merkwürdigen Aufgaben verbergen sich hinter der Abkürzung DOT? Und welche Guerilla bereiten diese Freiwilligenkommandos vor, die manchmal soweit gehen, Toasts auf den General Pinochet auszubringen?

René Backmann
Le nouvel Observateur
13. April 1974

Undenkbares Gastarbeiter-Wahlrecht

(Zwischen der spanischen und der französischen KP ist seit dem westeuropäischn KP-Gipfel vom 26./28. Jänner 1974 in Brüssel ein Streit über die Behandlung der Gastarbeiterfrage entbrannt oder, wie die lateinischen Parteien sie nennen, über die „Arbeitsimmigranten“, die eingewanderten Arbeiter. Die KP Spaniens verlangt für sie das Wahlrecht, die Parteien der reichen Länder des Nordens lehnen das ab. L’Humanité, das Zentralorgan der KPF, sprach in der Ausgabe vom 9. Februar von einem „falschen und gefährlichen Vorschlag“. Das Folgende ist ein Auszug aus dem spanischen KP-Organ Mundo Obrero.)

Die Masse dieser (eingewanderten) Arbeiter stellt einen bedeutenden Teil der Produktivkräfte einer Anzahl reicher Länder Europas (Länder, die ohne diese Produktivkraft nicht das wären, was sie heute sind). Gegen diese Massen wird eine Diskriminierung ausgeübt. In den Ländern, in denen sie arbeiten und ihre Steuern zahlen, enthält man ihnen ihre Rechte vor. Kraft ihrer Nationalität (weil sie „Fremde“ sind) bilden sie nationale Minoritäten eines besonderen Typs, entstanden durch eine enorme Wanderbewegung in einer Phase der Internationalisierung der Produktivkräfte und einer stark ungleichen Entwicklung.

Wenn man leugnet, daß dieses Problem der eingewanderten Arbeiter eine nationale Komponente hat, so würde das nach unserer Meinung zu schweren Konsequenzen für den revolutionären marxistischen Standpunkt in dieser Frage führen. Entweder man befürwortet die Assimilation, wie das mancherorts geschieht: das ist aber eine falsche und unrealistische Lösung, weil die überwiegende Mehrzahl der Einwanderer sie ablehnt. Oder man akzeptiert es als normal, daß ein beträchtlicher Teil der Arbeiterklasse, die in einer Reihe von Ländern Mehrwert produziert, seiner politischen Rechte beraubt ist; dies stellt eine Verstümmelung der Demokratie dar, einen direkten Angriff auf die Rechte der Arbeiterklasse.

Wir verstehen, daß diese Behauptungen schockieren angesichts der fest verwurzelten Denkgewohnheiten sogar sehr fortschrittlicher Bevölkerungsschichten; daß ihre Umsetzung in die Praxis Schwierigkeiten bedeutet, Modifikationen je nach den Ländern usw. Aber eine marxistische Konzeption muß avantgardistisch sein, eine dynamische Vision haben, eine Vision der Zukunft.

In vielen Fällen befürwortet man bestimmte Formen des Wahlrechts (und wendet sie in einigen Fällen an). In Belgien gibt es ‚„conseils consultatifs“ (Beiräte); die kommunistische Partei, Teile der Sozialisten, Gewerkschaften u.a. sind Vorkämpfer für das Wahlrecht bei Gemeinderatswahlen. In Westdeutschland ist die DKP — wie sie anläßlich eines Kolloquiums in Essen erklärt hat — Vorkämpferin für ein Stimmrecht, einschließlich der politischen Wahlen. Die Stellung der sozialdemokratischen Partei in Holland ist ähnlich. In einem Schweizer Kanton gibt es das Wahlrecht für Zugewanderte usw.

In unseren Augen ist das „bloß beratende“ oder „nur kommunale“ Wahlrecht ein Weg, anzuerkennen, daß den Einwanderern das Wahlrecht zusteht. Es ist eine Bresche für Ideen, die gestern noch undenkbar waren.

Mundo Obrero
27. Februar 1974

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1974
, Seite 17
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