FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1990 » No. 442/443
Alfred J. Noll

Polizei-Sicherung

Die Geschichte der Bemühung, österreichische Exekutivbeamte ins Korsett rechtsstaatlicher Vorschriften zu zwängen, ist um ein Kapitel bereichert: Der erste Ministerialentwurf, der offizielle Begutachtungsentwurf und schließlich die in der 146. Sitzung des Ministerrates am 7. Mai 1990 verabschiedete Regierungsvorlage eines Sicherheitspolizei-Gesetzes (SiPolG) waren samt und sonders Papiertiger. Die regierungsamtlich hochgelegte Latte war nicht zu überspringen: Da sollten Polizeiaufgaben und -befugnisse im Bereich der allgemeinen Sicherheitspolizei rechtsstaatlich einwandfrei und für die Sicherheitsexekutive leichter handhabbar geregelt und der bestehende Behördenaufbau sowie die Reichweite der sicherheitspolizeilichen Aufgaben und Befugnisse übersichtlich zusammengefaßt werden. [1]

Und was wurde uns geboten? Ein Sammelsurium teils unverständlicher, teils widersinniger Definitionen, die sich in rechtsdogmatisch kaum aufzulösender Verwirrung mit den anderen Vorschriften der Gesetzesvorlage fanden; ein fades und konzeptionsloses Beharren in überkommenen (Behörden-) Strukturen; eine teils subtile, teils durch ihre rechtsstaatsfeindliche Frechheit verblüffende Entgrenzung polizeilicher Befugnisse; und vieles mehr an Phantasie-, Geist- und Mutlosigkeit, wir hatten uns gebührlich darüber lustig gemacht. [2] Die dann letztlich präsentierte Regierungsvorlage hat immerhin noch einen schönen Schein verbreiten können: Durch den Wegfall des sog. Wegweiserechts und einige Verbesserungen im Datenschutzkapitel hätte man die Vorlage als rechtsstaatliche Bemühung ernst nehmen können. Die Verkommenheit österreichischer Verhältnisse, die Zustände in der politischen Arena haben dies entbehrlich gemacht: Am 20. Juni wird die Vorlage definitiv von der parlamentarischen Tagesordnung gestrichen und die ÖVP gibt durch ihren Sicherheitssprecher Wendelin Ettmayer bekannt, daß das Gesetz hinsichtlich seiner Anwendung in der Praxis noch nicht ausdiskutiert sei; die ÖVP-Mitglieder im Innenausschuß (Ermacora, Neisser, Graff, Burgstaller) erheben schwere Bedenken gegen die Vorlage und Paul Burgstaller resümiert: „Es genügt nicht eine Festschreibung des Ist-Zustandes“. [3] Der ÖVP gelingt in einem Überraschungsstreich, was das in der Öffentlichkeit gegen den Gesetzesentwurf aufgebotene Schimpfen und Schreien kaum bewirken konnte: Das (vorläufige) Ende der „Polizei-Entsicherung“, freilich bei weitem noch keine angemessene Sicherung dieser gefährlichen Waffe. Nicht genug, daß wir uns von der ÖVP das SiPolG verhindern lassen müssen; es bringt der dadurch bewirkte Aufschub auch keine wie immer geartete Besserung: Kurt Wolzendorff [4] hat solches Scheitern schon im Jahre 1918 (sic!) kommentiert: „Wohl selten ist ein Gesetz so gut gemeint gewesen wie dieses. Wenn es trotzdem weder die Bedürfnisse des Bürgers, noch die der Regierung befriedigt, liegt es bloß daran, daß der Gesetzgeber (hier war’s erst der Legist, AN) in dem Streben, möglichst vielen Wünschen gerecht zu werden, das Wichtigste vergaß: Klarheit über seinen eigenen Willen zu schaffen, d.h. Klarheit des Polizeigedankens, den er verwirklichen wollte.“

An mangelnder Klarheit allein wird’s zwar nicht gelegen haben, manches tun unsere Inneminister ja auch vorsätzlich (also streng willensgeleitet), aber die amtliche Vorstellung darüber, was unsere Polizei denn nun wirklich soll, dürfte Inhalt eines transzendentalen Tresors sein: Jeder weiß, daß, aber keiner weiß, was ...

Nun sind die legistischen Anstrengungen noch nicht endgültig versiegt. Unser HBP soll in Linz, wo er den Herren der „International Police Association“ eröffnende Worte mitgab, nicht umsonst gesprochen haben: Wir sehen eine „Verschärfung der Bedrohung der ‚inneren Sicherheit‘ der einzelnen Nationen durch sogenannte ‚autonome‘ in Wahrheit gesetzesverweigernde Gruppen, die den demokratischen Rechts- und Staatsordnungen den Kampf ansagen.“ [5] Wir wissen nicht, welchen gesellschaftlichen Umgang Waldheim pflegt und was ihm da alles in Sichtweite gerät. Aber solchen und anderen Defiziten der Wahrnehmungsfähigkeit ist vermutlich das Bedürfnis geschuldet, das SiPolG unmittelbar nach den Wahlen verabschieden zu wollen und eine „Sicherheitsoffensive“ einzuleiten (so die Forderung von Ettmayer und Kukacka). [6] Im Kampf gegen die „Verschärfung der Bedrohung der ‚inneren Sicherheit‘“ wird „das Wichtigste“ — das Wolzendorff im alten Reichsvereinsgesetz noch vermißte — wohl liegen.

Paroli bietet man den Helden der „inneren Sicherheit“ durch ein anderes Sicherheitskonzept. Die „Sicherheitsoffensive“ müßte vom Feld exekutiver Entgrenzung auf das Terrain der Rechtspolitik umgeleitet und als

„Rechtssicherheits-Offensive“

reformuliert werden.

Die Entwürfe zum Sicherheitspolizei-Gesetz versuchen, die Aufgaben und Befugnisse der Sicherheitsexekutive möglichst taxativ und fest umrissen zu normieren (System der Spezialermächtigung). Man sieht es allgemein als rechtsstaatlichen Fortschritt an, daß polizeiliches Handeln jeweils in einer bestimmten gesetzlichen Regelung fundiert ist; Generalklauseln stehen im Verdacht, das polizeiliche Handeln nicht ausreichend zu determinieren und daher nicht genügend beschränken zu können. Nun zwingt aber eine allgemeine Ermächtigungsklausel — etwa der immer noch geltende Artikel II § 4 Abs. 2 des Verfassungs-Übergangsgesetzes 1929: die Sicherheitspolizei kann „zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Menschen oder des Eigentums innerhalb ihres Wirkungsbereiches die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Anordnungen treffen und deren Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung erklären“ — die Gerichte, beim Nachprüfen der Gesetzmäßigkeit polizeilicher Anordnungen den ganzen Komplex jener Normen in Anwendung zu bringen, der sich aus dem grundsätzlichen staats- und rechtsgedanklichen Inhalt der Verfassungsordnung ergibt. Aus der damit notwendigen Nachprüfung der Zweckrichtung der polizeilichen Anordnung ist dann aber — der immer noch gültigen Arumentation von Wolzendorff (S. 227 f.) folgend — auch eine Nachprüfung fast aller administrativen Erwägung unvermeidlich:

Denn eine Prüfung der ‚Notwendigkeit‘ der Polizeiverordnung ist ... praktisch im Rahmen des bestehenden Rechts einfach nicht immer zu umgehen. Und bei der Polizeiverfügung wird eine Prüfung nicht nur der Tatsache, sondern auch sogar des Grades der Notwendigkeit als rechtlich zulässig (‚Verhältnismäßigkeit von Störung und Abwehr‘) erachtet; dementsprechend ist aber weiter hier endlich auch eine logisch konsequente Ausschließung der Prüfung der ‚Zweckmäßigkeit‘ unmöglich. Das alles wirkt natürlich nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar, da die Verwaltung sich der Gerichtspraxis anzupassen gezwungen ist. Umgekehrt: wo der Gesetzgeber der Verwaltung nicht so weiten Spielraum hat lassen wollen, wie ihn eine Generalklausel gibt, und er daher zum System der Spezialermächtigung gegriffen hat (wie im vorligenden Entwurf, AN), ist zwar das Gefühl (sic!) der Rechtssicherheit vollständig befriedigt, aber die Rechtsprechung begnügt sich erfahrungsgemäß leicht mit der Nachprüfung, ob überhaupt für einen bestimmten Gegenstand (z.B. Straßenverkehr, Polizeistunde) polizeiliche Regelung formell zugelassen ist, ohne sich weiter Sorge zu machen, ob materiell die unerläßlichen ‚objektiven Voraussetzungen‘ (...), der Charakter einer mésure de police (nicht nur matière de police) gegeben sind. Entsprechend leicht oder leichter macht es sich natürlich die Verwaltung, sie hat also in Wirklichkeit viel mehr Freiheit als bei einer weiteren Fassung ihrer rechtlichen Ermächtigung.

Damit verschiebt sich das Problem eines SiPolG auf die Ausbildung, Führung und Strukturierung der Sicherheitsexekutive sowie — nicht zu vergessen — auf die (verfassungsrechtliche) Zuverlässigkeit der Rechtsprechung.

Die hübsche Paginazeile im gedruckten FORVM soll diesfalls auch den online-Lesenden nicht vorenthalten werden:

Forvm für Rechtssicherheit / Law & Order, aber wirklich!

[1Wiener Zeitung, 9.5.1990

[2Vgl. FORVM 432, S. 24 ff und 436, S. 53 ff

[3Standard 21.6.1990, Wr. Zeitung 22.6.1990

[4Der Polizeigedanke des modernen Staates, Aalen: Nachdruck 1964, S. 236

[5Wiener Zeitung, 24.5.1990

[6Wiener Zeitung, 17.8.1990

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1990
, Seite 8
Autor/inn/en:

Alfred J. Noll:

Geboren 1960, lebt in Wien als Rechtsanwalt. Vater zweier erwachsener Töchter, von einer derselben zum Großvater geadelt.

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