FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1990 » No. 439-441
Frank Hartmann (Übersetzung) • Lewis H. Lapham

Politik mit Opiaten

Amerikas Krieg gegen Drogen ist unsinnig und bedrohlich, insbesondere für die amerikanischen Bürgerrechte, zeigt L.H.L.‚ Herausgeber [1] der vornehmsten, liberalen und trotzdem größten US-Monatszeitschrift, „Harper’s Magazine“, dem wir die freundliche Abdruckerlaubnis danken.

Wenn Präsident Bushs Ansprache an die Nation zum Thema Drogen im vergangenen September als ein Beispiel für seine Ehrlichkeit oder seinen Mut genommen werden soll, so sehe ich keinen Grund, warum ich mich nicht auf seine Kriegserklärung gegen Krüppel oder Einäugige oder rote Geranien freuen sollte. Es war eine wahrhaft fürchterliche, eine nach Angst und Vorurteilen heischende Rede gegen einen imaginären Feind, gleich am Anfang auf einer Lüge aufbauend, unterstützt durch ein falsches Argument, und eine Taktik vorschlagend, die längst versagt hatte. Schon die ersten paar Sätze der Rede haben sie als Schwindelei ausgewiesen. „Drogen“, sagte Bush, „zehren an unserer Kraft als einer Nation“. „Unser ernsthaftestes Problem heutzutage“, sagte Bush, „ist Kokain“. Keins dieser Statements trifft die Standards weder minimalster Analyse noch gelegentlicher Beobachtung. Die Reglerungsstatistik selbst zeigt, daß die Abhängigkeit von illegalen Drogen eine relativ kleine Zahl von Amerikanern betrifft, und die gegenwärtige Generation amerikanischer Jugend ist die stärkste und gesündeste in der Geschichte der Nation. [2]

Im sechsten Abschnitt seiner Rede untermauerte der Präsident seinen Betrug damit, daß er einen kleinen Plastikbeutel vorzeigte, so angewidert, als hielte er eine Urinprobe in Händen. „Dies ist Crack Kokain“, sagte er, „das von Agenten der DEA [3] in einem Park gerade gegenüber der Straße vom White House sichergestellt wurde. Es hätte leicht Heroin oder PCP sein können“. Aber nachdem niemand auch nur jemals dafür bekannt geworden war, irgend eine Droge im Lafayette Park zu verkaufen, hätte es eben unmöglich Heroin oder PCP sein können. Der Beutel mit Kokain war nichts anderes als ein Bühnengag: Das DEA hat keine Mühe und Kosten gescheut, einen Dealer in den Park zu locken, um jene Verhaftung vornehmen zu können, die dem kleinen dramatischen Effekt des Präsidenten zeit- und ortsgerecht entgegenkam.

Bushs Redenschreiber haben die Inszenierung des „Kaufs“ bestellt, weil sie eine rhetorische Pointe brauchten, um zu zeigen, wie die dunkle und fürchterliche Flut der Drogen bereits an den unschuldigen, von der Sonne umschmeichelten Rasen des White House spült. Der Verkauf war schwierig zu arrangieren, da besagter Drogenhändler noch nie vom Lafayette Park gehört hatte, nicht wußte, wie der Ort auf dem Stadtplan zu finden war, und sich nicht vorstellen konnte, warum jemand derart umständliche Maßnahmen auf sich nehmen sollte, um ein paar Crack-Brösel niedriger Qualität zu erwerben.

Zwei Tage später, von der Presse mit den Mechanismen seines Kunstgriffes konfrontiert, äußerte Bush: „Ich verstehe nicht. Ich meine, spielt hier jemand den Anwalt für diesen Drogenkerl?“ Der überraschte und gereizte Ton seiner Frage offenbarte die Natur seines politischen Spiels, von dem er annahm, es würde ihm auf dem Spielfeld des beliebtesten nationalen Aberglaubens einen Platzvorteil verschaffen. Nach sieben Monaten im Amt hatte er für seine erste Fernsehansprache ein Thema gewählt, von dem er dachte, es wäre so sicher wie Muttern und die unberührte Flagge. Höflich hat er jedes dieser „Probleme“ vermieden, „die unsere Nation betreffen“ (sagen wir das Defizit, oder die Umwelt, oder die Rassenfrage) und getan, was er konnte, um eine nichtkontroversielle Platitüde mit guter Optik zu beleben. Von den Leuten erwartete er, daß sie unterstützend und nett sein würden.

Offensichtlich fiel es ihm weder ein, daß jemand sich darüber beschweren könnte, daß er sich einige kleinere Freiheiten mit den Tatsachen genommen hatte. Noch schien er zu bemerken, daß er das im Drogenhandel enthaltene menschliche Leid als Gelegenheit für einen schäbigen politischen Trick benutzte. Genau denselben Kniff hat er schon in seiner Wahlkampagne gebraucht, indem er das Image von Willie Horton — einem schwarzen Sträfling, der Gewaltverbrechen beging, nachdem er aus seinem Gefängnis in Massachusetts auf Hafturlaub entlassen worden war — in eine Metapher für die Schlechtigkeit dieser Welt übersetzte. Ich kann mir seine Redenschreiber vorstellen, wie sie ihm erklären, der Krieg gegen Drogen sei nichts anderes als ein Willie Horton im Großen.

Die Prämisse dieses Krieges ist dermaßen grundfalsch und die Hoffnung auf einen Sieg so offensichtlich aussichtslos, daß ich ihren Sinn nur dann verstehe, wenn ich mir die rhetorische Frage des cui bono? stelle. Wer gewinnt durch Bushs netten kleinen Krieg, und welchen Tribut hat der Rest von uns dafür zu zollen?

Die Frage ist eine politische. Demnach ist der Krieg gegen Drogen aber ein politischer Krieg, der nicht von Wissenschaftlern und Doktoren, sondern von Polizeibeamten und Politikern geführt wird. Unter glücklicheren Umständen würde das Überhandnehmen von Drogen — nicht nur von Kokain und Heroin und Marihuana, sondern auch von Alkohol und Tabak und Schlaftabletten — in der amerikanischen Gesellschaft richtigerweise als eine Frage der Volkshygiene behandelt werden. Die American Medical Association [4] ordnet Drogenabhängigkeit unter die Krankheiten ein, nicht unter die Verbrechen oder die moralischen Verfehlungen. Eine Abhängigkeit ist auch nicht ansteckend, wie Masern oder die Grippe. Bei der gegebenen Torheit und den Kosten dieses Krieges gegen Drogen (vergleichbar der Torheit und den Kosten des Vietnamkrieges) erwarte ich, daß die Vereinigten Staaten letzten Endes irgendeine Methode der Entkriminalisierung des Gebrauchs aller Drogen finden werden. Die Argumente zugunsten einer Entkriminalisierung scheinen mir unabweisbar, wie die Lektionen aus der Erfahrung mit dem Scheitern der Alkoholprohibition gelehrt haben. [5]

Für den Moment jedoch, solange die Frage eine vornehmlich politische bleibt, dient der Krieg gegen Drogen den Absichten der mehr reaktionären Interessen in unserer Gesellschaft (d.h. den Verteidigern der imaginierten Unschuld einer nichtexistenten Vergangenheit) und transferiert die Kosten des Kriegs genau zu den Individuen, von denen die Befürworter des Krieges behaupten, sie wollten sie beschützen. Ich finde es schwer zu glauben, daß dieser Scherz, bitter genug, unbeabsichtigt sei.

Für Politiker auf der Suche nach solider Meinung und anhaltendem Applaus präsentiert sich der Krieg gegen Drogen wie ein Geschenk des Himmels. Weil die menschliche Begierde nach Rauschmitteln nicht unterdrückt werden kann — weder von Priestern noch von Gefängniswärtern oder Kongreßbeschlüssen — können die Politiker leichter dem allegorischen Feind tapfer gegenübertreten als einem Feind, der sagen wir die greifbare Form der Tabakindustrie annimmt oder der Chinesen oder der Öl- und Banklobbies. [6] Der Krieg gegen Drogen stattet sie mit Redestoff aus, der niemanden beleidigt, keine schwierigen Handlungen von ihnen verlangt, und es ihnen erlaubt, die dringenderen und spezifischeren Fragen über den Zustand der öffentlichen Schulen, der Wohnungen, der Arbeitsmöglichkeiten für junge schwarze Männer — über Zustände also, aus denen Drogenabhängigkeit als tragisches Symptom spricht und nicht als Ursache — auf ewig hintanzustellen. Sie fühlen sich sicher im Wissen, daß sie genausogut den Teufel oder den Regen anprangern könnten, und so können sie getrost ihre Stimmen voll vorgefertigter Schuldzuschreibungen gegen metaphorische Erscheinungen erheben, die sich, anders als Senator Jesse Helms [7] und seine Freunde von den Tabakauktionen in North Carolina, in dämonische Geister verwandeln lassen, die von bösen Winden über die Karibik nordwärts getragen werden. So wird der Krieg gegen Drogen der perfekte Krieg für Leute, die doch in keinem Krieg kämpfen wollen, ein Krieg, in dem die Politiker, die so furchtlos auf Seiten des Guten, Wahren und Schönen stehen, nichts tun müssen, außer als Beschützer des Volkes und Verteidiger des öffentlichen Wohlbefindens zu posieren.

In ihrer Rechenkunst ist stillschweigend ihr ganzer Zynismus enthalten. Präsident Bush verlangte in seiner Septemberrede 7,9 Milliarden Dollar, um seinen „Angriff auf allen Fronten“ durchzuziehen, doch bewilligt das Pentagon allein 5 Milliarden Dollar im Jahr für das B-2 Programm, d.h. für eine einzige Waffe. In Prozenten des Bundesbudgets ausgedrückt, beträgt der dem Krieg gegen Drogen gewidmete neue Fonds 0,065 Prozent. Und die Regierung unternimmt nichts, schon gar nichts betont Militärisches gegen legale Drogen wie Alkohol und Tabak, die weit mehr Schaden in der Gesellschaft anrichten als all das Marihuana und all das Kokain, das jemals nach Florida oder Kalifornien geschmuggelt worden ist. [8]

Der Krieg gegen Drogen, wie alle Kriege, fördert den Zeitungsverkauf, und die Medien verlangt es, ebenso wie die Politiker, nach nichts anderem als nach einer sicheren und profitträchtigen Bedrohung. Die Kampagne gegen Drogen beinhaltet die meisten der theatralischen Kniffe, wie sie bei Miami Vice Verwendung fanden — Verbrechensszenen (fast immer auf obszönen Effekt stilisiert, inklusive der schillernden Erscheinung von ein oder zwei Prostituierten), melodramatische Schurken in den Anden, das Vokabular eines hochtechnisierten Militärjargons, so selbstsicher wie die Floskeln eines Groschenromans, und das Gespenst eines entfesselten Lumpenproletariats, das sich in den nationalen Metropolen revoltierend erhebt.

Wie der Troß im Gefolge einer Armee von Kreuzrittern auf dem Weg nach Jerusalem haben die Medien in den letzten Monaten die schreienden Farben ihres Metiers ausgehängt. Jeder, der etwas heißt, hat seine Bude aufgestellt und seine Tränen feilgeboten — nicht nur Geraldo und Maury Povich, sondern auch, mit derselben schillernden Sprache, Dan Rather (in „48 Hours“), Ted Koppel (in „Nightline“) und Sam Donaldson (in „Prime Time Live“). [9]

In den sechs Wochen zwischen dem 1. August und dem 13. September produzierten die drei Fernsehgesellschaften zusammen mit der „New York Times“ und der „Washington Post“ 347 Reportagen von der apokalyptischen Front — Crack in den Städten, Kokain in den Suburbs, Lieferwagen inspizierende Zollfahnder an der mexikanischen Grenze, Schmuggler namens Julio, wie sie stündlich in Key West ankommen.

Die meisten der Journalisten, die die Berichte geschrieben haben, wie die meisten der Kolumnisten, die ihre Gewissensurteile weitergegeben haben, wußten ebensoviel über Crack oder Heroin oder Kokain, wie sie über die Molekularstruktur der Saturnmonde wissen. Ihre Ignoranz hat sie aber nicht davon abgehalten, ihre große Story zu retten — und die des Präsidenten. Wenige Tage nachdem der Präsident seine Rede gehalten hatte, sagte Peter Jennings in „World News Tonight“ in einem Ton, der so selbstsicher war wie dumm (und so charakteristisch wie der Rest der Propaganda, die über die anderen Kanäle gesendet wurde): „Schon der einmalige Gebrauch von Kokain kann eine Person für den Rest ihres Lebens abhängig machen.“

So großartig war die Aufregung der Medien, und so bestimmt ihre Anstrengung, die zahlende Masse zusammenzutrommeln, daß kaum jemand sich die Mühe gemacht hat, die Voraussetzungen dieses Drogenkrieges zu hinterfragen, und einige der betagteren Mitglieder der Truppe haben es gar auf sich genommen, Hetzreden auf jeden Dissidenten der Redaktionsstuben zu schreiben. A.M. Rosenthal denunzierte, im Editorial der „New York Times“, schon die leiseste Andeutung von Toleranz für illegale Drogen als einen Akt der Niederträchtigkeit, der den Vergleich mit der Verteidigung der Sklaverei verdiene. William Safire, der ebenfalls in der „New York Times“ schreibt, charakterisierte jedes Argument gegen den Drogenkrieg als einen Beweis für unamerikanischen Defätismus. Ohne erwähnenswerte Ausnahme stimmte der Chor der großen Medien seine Instrumente auf die metallische Tonhöhe der absoluten Intoleranz ein, verdammte jede Wahrheit, die nicht die ihre widerspiegelt, und knallte einigen Leuten, unter ihnen Milton Friedmann und William Buckley, ihren Spott vor den Kopf, nur weil diese die Kühnheit besaßen zu meinen, daß der Krieg gegen Drogen vielleicht genauso dumm wie bereits verloren wäre.

Die Geschichte des Kriegs gegen Drogen kommt den Vorurteilen eines Publikums entgegen, welches nur zu beflissen ist, das Schlechtestmögliche von jenen Leuten zu glauben, die sie erst lieber gar nicht kennenlernen möchten. Weil der meiste Totschlag im Zusammenhang mit dem Drogenhandel im Zentrum der Städte stattfindet, und weil die meisten der wegen Drogenhandels verhafteten Leute entweder Schwarze oder Hispanics sind, fällt es den Weißen, die in sicherer Umgebung leben, relativ leicht, die Grenzen zwischen Rasse und Verbrechen zu verwischen. Nur wenige von ihnen haben jemals einen Süchtigen gesehen oder einen Handel beobachtet, aber die Zeitungen und die Fernsehstationen fahren fort, ihnen Bilder vorzuführen, die den Eindruck eines Klassenkampfes vermitteln, und nun können diejenigen unter ihnen, die sich immer schon davor gefürchtet haben, durch Harlem zu fahren (aus Angst davor, in die Hände von Horden bewaffneter schwarzer Männer zu fallen) oder die sich immer gewünscht haben, sich wegen der sozioökonomischen Distanz zwischen East 72 Street und West 126 Street nicht so schuldig fühlen zu müssen, sie alle können sich nun schließlich und endlich mit gutem Gewissen damit trösten, daß ihr BMW doch der Beweis ihrer Tugend ist, und daß sie, oder wohl eher ihre Mütter, schon immer Recht damit hatten, die niedrigen Klassen und die dunkleren Rassen zu fürchten.

Während die Bedingungen in den Slums sich verschlechtern, und das tun sie unausweichlich, da die Regierung Geld von Jugendämtern und Wohnbauförderungen abzieht, um ihren Krieg gegen Drogen zu finanzieren, nehmen die Slums nun genau jenes Aussehen an, wie es der Vorstellung von besser Situierten entspricht, die kühnsten Verdächtigungen von Regierung und besitzender Klasse bestärkend, nur um die weitere Anwendung von Machtmitteln und Repressionen zu rechtfertigen. Es stellt sich heraus (Wunder oh Wunder), daß die Leute, die die Rechnung für die offizielle Darstellung zu begleichen haben, nicht die Angehörigen der wohlhabenden Mittelklasse sind — nicht die Journalisten oder die akademischen Theoretiker, nicht die Politiker und Regierungsfunktionäre, die hinter den Hecken von Maryland und Virginia leben — sondern (mirabile dictu) die an sich gesetzestreuen Bewohner der Innenstädte, die halt in der einzigen Gegend wohnen, die sie sich gerade noch leisten können.

In den Slums von New York werden durchschnittlich drei Menschen täglich getötet — was, übers Jahr gerechnet, eine höhere Verlustrate bedeutet als in Gaza und West Bank; in diesen Slums beschäftigt der Drogenhandel Kinder für den Verkauf von Rauschmitteln, was nicht das Resultat angeborener Schurkerei ist sondern der herrschenden Gesetzeslage; in diesen Slums wurde der Drogenhandel zum exemplarischen Modell des Finanzkapitalismus für jene Kinder, die dem Erfolg eines Donald Trump oder Samuel Pierce nacheifern; und in diesen Slums experimentiert die Polizei auch mit Praktiken der Apartheid, indem sie die Bewohner der Housing Projects [10] zum Tragen von Identitätskarten verpflichtet oder, indem sie ihnen die Schuld für die Anwesenheit von Drogenhändlern zuschob, die Bewohner von Apartementhäusern fristlos delogiert. [11]

In dem Ausmaß, in dem die Slums als der nationale Schwachpunkt betrachtet werden können (d.h. auch als traurige Inszenierung, nicht unähnlich jenem „Reich des Bösen“, welches Ronald Reagan in der Sowjetunion gefunden hatte), können die Verbrechen im Zusammenhang mit dem Drogenverkehr eher als das moralische Problem der anderen betrachtet werden denn als das eigene soziale oder politische Problem. Die Slums werden zu fremden, unbekannten Gefilden jenseits der ökonomischen und kulturellen Fronten. Die wohlerwogene Vermischung von Geographie mit Metaphysik — so stellt sich, wiederum zu niemandes Überraschung, heraus — paßt den Befürwortern des Kriegs gegen Drogen ganz wunderbar ins Konzept. Politiker bringen ihre Namen in die Medien, die Medien haben ihre Story, und wir anderen werden von Gewissensfragen und erhöhten Steuerpflichten entlastet. In einem teuren New Yorker Restaurant hörte ich letzte Woche zufällig mit, wie eine Frau sagte, sie verstehe nicht, warum die Regierung nicht eine beschlagnahmte Lieferung Kokain mit „Arsen oder so etwas“ versetze. Wenn die Regierung (oder „die CIA oder das FBI oder wer immer diese Sachen macht“) das vergiftete Kokain zurück auf die Straßen schleuse, dann „wären wir die ganze verdammte Sache doch bald los“.

Wenn die Narrheit des Kriegs gegen Drogen nur als eine Lehre in Sachen politischer Zynismus zu verstehen wäre, oder einfach als ein Beispiel für die Präpotenz, mit der die Medien es sich erlauben können, mit der Meinung des Pöbels zu spielen, dann würde ich mich vielleicht zufriedengeben mit ein paar letzten scherzhaften Bemerkungen über die Dummheit unserer Zeit. Aber der Krieg gegen Drogen dient auch den Interessen des Staates, der für sich unter der Vorhaltung, die Menschen müßten doch vor unberechenbaren Gefahren geschützt werden, enorm ausgeweitete Repressions- und Kontrollmöglichkeiten beansprucht.

Eine Meinungsumfrage, die in der auf Präsident Bushs Septemberrede folgenden Woche durchgeführt wurde, hat gezeigt, daß 62% der Antwortenden „bereit sind, einige Freiheiten aufzugeben“ um Amerika vor den Schäden der Drogenplage zu bewahren. Die Regierung zeigt sich entschlossen, sie beim Wort zu nehmen. Der Krieg gegen Drogen wird zum nützlichen Ersatz für den Kalten Krieg, der jetzt im warmen Reich der Nostalgie versinkt. Unter den vertrauten Rubriken von konstantem Terror und unaufhörlicher Bedrohung subtrahiert die Regierung so viel wie möglich von der Summe der Freiheiten der Nation, und verkündet ihren Bürgern, die sie sich als einen gefährlichen Pöbel vorstellt, de facto das Kriegsrecht.

Jeder, der an diesem Punkt zweifelt, soll nur die Reden von William Bennett lesen, dem Chefkommandanten in Bushs Krieg gegen Drogen. Bennetts Stimme ist die Stimme einer intoleranten Schelte, eng und schrill und gemein, die Stimme eines Mannes, der die Freiheit fürchtet und dem Frieden mißtraut. Er glaubt, es sei die Pflicht der Regierung, den Leuten einen puritanischen Verhaltenskodex aufzuerlegen, den man am ehesten mit der Zucht eines ungeheizten Internates vergleichen könnte. Er versäumt keine Gelegenheit, nach mehr Polizei, mehr Gefängnissen, mehr Richtern, mehr Verhaftungen, mehr Bestrafungen und nach mehr Beamten zu verlangen, die tausendmal mehr „ernsthafte Zeit“ investieren.

Wenn ich Bennetts Reden lese, so erinnert mich das an den Ayatollah Khalkhali, der von den Autoritäten des Iran als Sonderminister ins Amt des obersten Scharfrichters eingesetzt wurde. Khalkhali war mit der Macht gesegnet, den Tod eines jeden zu befehlen, bei dem Drogen gefunden wurden, und im Zeitraum von sieben Wochen ließ er 176 Menschen töten. Dennoch gelang es ihm nicht, den Gebrauch von Opium zu unterdrücken, und er sagte: „Wenn wir jeden töten wollten, der fünf Gramm Heroin hat, müßten wir 5.000 Leute umbringen.“ Und dann, nach einer versonnenen Pause, fügte er hinzu: „Und das wäre schwierig.“

Auf einer Linie mit Bennetts Eifer für Zucht verlangen Politiker beider Parteien [12] längere Gefängnisstrafen und schärfere Gesetze, ebenso das Recht, in jedermanns Privatsphäre einzudringen; jedermanns Auto oder Boot ohne Genehmigung zu durchsuchen; die Regeln der Beweisaufnahme zu brechen, indem, wiederum ohne Genehmigung, Polizeispitzel mit elektronischer Verdrahtung eingesetzt werden. Je offensichtlicher die Verschärfung der Gesetze ihren nominellen Zweck verfehlt (d.h. solange noch mehr Drogen zu noch günstigeren Preisen zugänglich werden), desto mehr Gründe findet der Oberste Gerichtshof, das Eindringen in die Privatsphäre zu billigen. In den letzten Jahren hat der Gerichtshof der Polizei unumschränkte Macht eingeräumt — so mit der Erlaubnis, die durch die nationalen Flughäfen kommenden Reisenden, in denen die Beamten Ähnlichkeiten mit Drogenhändlern vermuten, auch ohne zureichenden Grund aufzuhalten, zu verhaften und zu verhören; so mit der Erlaubnis (wieder ohne zureichenden Grund), Lagerhallen zu durchsuchen, Motorisierte aufzuhalten, Bankauszüge einzusehen, Telefone anzuzapfen.

Die Umfragen lassen vermuten, daß die Mehrheit der Amerikaner diese Maßnahmen als angemessen und richtig empfindet. Von den Befragten in der ABC/„Washington Post“-Umfrage im September waren 55% für den zwangsweisen Drogentest bei allen Amerikanern, 82% waren dafür, das Militär im Krieg gegen Drogen hinzuzuziehen, 52% wären damit einverstanden, wenn man ihr Haus durchsuchen würde, und 83% nicht abgeneigt, den Verdacht auf Drogengebrauch der Polizei zu melden, sogar wenn es sich bei den Verdächtigten um die eigenen Familienmitglieder handelt. Im Oktober berichtete „Newsweek“ von Fortschritten der Inquisition in Clinton, Iowa. Die dortige Lokalzeitung hatte folgende Rücksendekarten abgedruckt: „Ich habe genug von Drogen in meiner Gegend! Ich habe Grund zu glauben, daß ... (leer) ... Drogen nimmt / mit Drogen handelt“. Die Zeitung sammelte die Karten für die örtliche Polizei ein, die den Rücklauf als „hervorragend“ bezeichnete.

Die vermehrte Durchsetzung von noch schärferen Gesetzen verlangt nach zusätzlichen Ansprüchen einer ohnehin teuren Regierung, und die 7,9 Milliarden Dollar, die Präsident Bush im September dem Krieg gegen Drogen zugeteilt hat, lassen das Budget der gegenwärtig beauftragten achtundfünfzig Bundesdienststellen und vierundsiebzig Kongreßausschüsse anschwellen, mit je eigener Tagesordnung und eigener Armee an verschiedenen Fronten der Kampagne, die durchgefüttert werden will. Was natürlich nicht heißen soll, daß das Geld damit nun ehrlich oder auch nur überlegt verteilt würde. Wie die Regierung Reagan nur zu deutlich bewies (vgl. die vom HUD [13] und vom Pentagon zweckentfremdeten Summen), hat auch die Administration ein Talent für Diebstahl und Betrug, das man kaum noch von der kriminellen Virtuosität des Drogensyndikats, welches sie zerschlagen möchte, zu unterscheiden vermag.

Gerade deshalb tritt die Regierung, ihrer üblichen Inkompetenz und Gier entsprechend, die unter dem Vorwand der Apokalypse gesammelten Machtansprüche nicht so leicht wieder ab. Was die Regierung sich greift, das sucht die Regierung sich auch zu halten. Die rhetorische Aufrüstung, die den Krieg gegen Drogen begleitet, läßt die öffentliche Debatte zu einer faulenden Stille verkommen. Die politische Wetterlage wird grau und düster. Menschen, die sich an die willkürlichen Einmischungen der Polizei gewöhnen, lernen auch, in Gegenwart politischer Autoritäten sanfter zu sprechen, sich zu verbeugen und zu lächeln und vorgedruckte Formulare auszufüllen mit der bangen Unterwürfigkeit von Musikern, die auf einer Mafia-Hochzeit Walzer spielen.

Und wofür das alles? Um Menschen zu strafen, die verzweifelt oder dumm genug sind, sich selbst mit Dorgen zu vergiften? Um Vergeltung zu üben an Menschen, die mit der Krankheit ihrer Abhängigkeit geschlagen sind, und die, zu ihrer eigenen Trauer und Scham, keinen Ausweg aus den Bahnen ihrer Verzweiflung finden können?

In der Konsequenz von Bushs Krieg gegen Drogen gewinnt die Gesellschaft nichts als den unmittelbaren Zugang zu einem unbegrenzten Vorrat von Ressentiment und unspezifischer Wut. Im Tausch für einen derart ärmlichen Sieg, und im Interesse der Leute, die lieber Gefängnisse bauen würden als Schulen, bietet Bush der Nation die Gelegenheit, ihre besten Prinzipien zu verleugnen, ihre Beamten zu korrumpieren und die gemeinsten und effizientesten Verbrecher zu bereichern, ihre bürgerlichen Freiheiten zu verwerfen und die Errungenschaften des Friedens zu bereuen. Dieser Tauschhandel ist so schäbig wie der Trick mit Bushs Säckchen voll Kokain. Für eines verbiesterten Polizeibeamten Traum von paradiesischer Ruhe und Ordnung riskiert dieses Land den Verlust seiner Seele, seinen Sinn für den Geist der Verfassung.

Copyright © December 1989 by Harper’s Magazine. All rights reserved. Reprinted from the 1989 issue by special permission.

[1Amerika hat nicht nur Probleme mit dem Drogenkrieg in Lateinamerika; brav in Ronald Reagans Fußstapfen, hat nun auch George Bush den Krieg gegen Drogen im eigenen Land ausgerufen. Er trägt den Charakter eines Bürgerkriegs — der wohlhabenden Weißen (die übrigens den Hauptanteil am Drogenkonsum haben) gegen die deklassierten Schwarzen und Hispanics. — Lewis H. Lapham ist auch Autor von Büchern, zuletzt erschienen Money and Class in America (NY 1988) und die Essaysammlung Imperial Masquerade (NY 1990)

[21983 sank zum ersten Mal, seit Statistiken geführt werden, die Todesrate unter Jugnedlichen im Alter von fünfzehn bis vierundzwanzig Jahren unter 100 von 100.000. Die Wahrheit der Statistik sollte jedem offenbar werden, der sich die Mühe nimmt, sich bei der Fernsehübertragung eines College-Footballspieles einmal die Menge in den Zuschauerrängen anzusehen.

[3Drug Enforcement Administration, U.S.-Drogenfahndung — A.d.Ü.

[4U.S.-Ärtztekammer — A.d.Ü.

[5„Harper’s Magazine“ hat in den letzten zwanzig Jahren eine recht gute Anzahl von Artikeln und Statements publiziert, die für eine Entkriminalisierung von Drogen eintreten. Dem interessierten Leser, der der Sache mit eher aktuellen Autoren nachgehen möchte, empfehle ich Ethan A. Nadelmann in der Frühjahrsnummer des „Foreign Policy“ von 1988, sowie das Interview mit Arnold Trebach in „New Perspectives Quarterly“ vom letzten Sommer.

[6Sogar Regierungen, denen alle Mittel der faschistischen Repression zur Verfügung stehen, können die menschliche Natur nicht in jene Formen pressen, die für die Fernsehunterhaltung im Hauptabendprogramm geschaffen wurden. In der Türkei des neunzehnten Jahrhunderts schlitzten die Autoritäten die Nasenlöcher eines jeden auf, der beim Zigarettenrauchen erwischt wurde. Das zaristische Rußland bestrafte das Verbrechen des Rauchens mit dem Tod. Obwohl ich glaube, daß beide Strafformen von gewissen Mitgliedern der Bush-Administration voll gebilligt würden, konnte doch keine von ihnen den Tabakgebrauch abschaffen.

[7Konservativer Republikanischer Senator

[81988 zählten amerikanische Krankenhäuser 3.308 auf Kokain bezogene Todesfälle, gegenüber 390.000 Todesfällen, die auf irgendeine Art mit Tabakgenuß zusammenhingen, und 100.000 Todesfälle, die direkt von exzessivem Alkoholgenuß verursacht waren.

[9Nachrichten- und Journalsendungen des amerikanischen Fernsehens mit eher anspruchsvollen Reportagen — A.d.Ü.

[10Soziales Wohnbauprogramm — A.d.Ü.

[11Die regierungseigenen Statistiken zeigen, daß die Mittelklasse das Drogenproblem nicht mehr als eins ihrer Probleme betrachtet. In den letzten fünf Jahren war es nicht mehr hip, Kokain zu schnupfen, und unter College- und Highschoolstudenten hat der Drogenkonsum während desselben Zeitraumes feststellbar abenommen. Tatsächlich hat die Zahl der Kokainkonsumenten von 5,8 Millionen 1985 auf 2,9 Millionen 1988 abgenommen. Eine Meinungsumfrage des Bürgermeisteramtes von Washington DC vom letzten Juli hat gezeigt, daß sich die weißen Bewohner der Stadt mehr Sorgen über Schlaglöcher in den Straßen (und die sind dort tatsächlich enorm — A.d.Ü.) machen als über Kokain.

[12Demokraten und Republikaner — A.d.Ü.

[13Department of Housing and Urban Developement, Regierungsabteilung für Stadterneuerung — A.d.Ü.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1990
, Seite 63
Autor/inn/en:

Frank Hartmann:

Lewis H. Lapham:

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