FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1980 » No. 321/322
Jan Osers

Polens Arbeiterräte

Viktoria Grevemeyer-Korb: Die polnische Diskussion um die Arbeiterräte, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1978, 219 Seiten, DM 78, öS 600

In der Nachkriegsentwicklung der osteuropäischen Staaten trafen zwei gegensätzliche Tendenzen aufeinander: die führenden Kräfte im jeweiligen Land waren um die Einführung eines eigenständigen sozialistischen Konzepts mit gewissen demokratischen (selbstverwalterischen) Elementen bemüht, während die Sowjetunion, insbesondere nach 1948, ihr hierarchisches Modell überall zwecks politischer, wirtschaftlicher und militärischer Angleichung als einzig gültiges in alle Länder ihres Einflußbereiches transplantierte. Besonders klar tritt dies in Polen zutage, wie diese Studie zeigt.

Nach Stalins Tod und Chruschtschows Kritik an dessen Politik treten in Polen Liberalisierungstendenzen auf, die in der Wiedereinführung der Arbeiterräte gipfeln, die es schon 1944-48 gab. Gleichzeitig wird ein Wirtschaftskonzept diskutiert, das sich vom sowjetischen Vorbild unterscheidet. Das Spektrum reicht von zentralistischen Ansätzen bis zu marktsozialistischen Vorstellungen.

Eine große Rolle in dieser Debatte spielen zwei über die Grenzen Polens hinaus bekannte Wirtschaftswissenschaftler, Oskar Lange und Wlodzimierz Brus, beide „Zentristen“. Sie plädieren für eine Kombination von Plan und Markt, wobei sie (Lange allerdings erst in späteren Jahren) die Dominanz der Rahmenplanung anerkennen.

Der Plan soll langfristige gesellschaftliche Entwicklungstrends zentral bestimmen. Gleichzeitig treten sie für einen eingebauten „regulierten“ Marktmechanismus ein, der die Durchsetzung von Konsumentenwünschen ermöglichen soll und ein demokratisches Element bildet. Auch betriebliche Selbstverwaltung war vorgesehen.

Das Brus’sche dezentralisierte Modell hat die Wirtschaftsreformen der 60er Jahre in Osteuropa angeregt, ist aber nie konsequent verwirklicht worden. Das Selbstverwaltungsprinzip wurde von der sowjetischen Ideologie verworfen, da es der These von der „führenden Rolle der Partei“ widersprach. Die polnischen Arbeiterräte durften sich ebensowenig frei entfalten wie die Selbstverwaltungsorgane in Ungarn oder in der Tschechoslowakei.

Die Darstellung der polnischen Liberalisierung und der sie begleitenden Diskussionen der Jahre 1956-58 ist für den westlichen Leser zum Großteil unbekannt.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
September
1980
, Seite 59
Autor/inn/en:

Jan Osers: Geboren 1921, wächst in einer deutschsprachigen jüdischen Familie in Prag auf. Im April 1942 wird er aus Theresienstadt in das Ghetto Zamosc deportiert. Von dort kann er jedoch fliehen und gelangt, unter wechselnden Identitäten als taubstummer Landstreicher, schließlich nach Ungarn. Mangels gültiger Papiere wird Jan Osers wiederholt verhaftet und kommt ins Gefängnis. Nach dem Krieg kehrt er nach Prag zurück und beginnt dort eine journalistische Karriere. Seine Erfahrungen während der NS-Zeit lassen ihn zum überzeugten Kommunisten werden. In den sechziger Jahren gerät er in Konflikt mit der Partei, bekommt Berufsverbot und muss mehrere Jahre in der Fabrik arbeiten. Nach dem Prager Frühling verlässt Jan Osers die Tschechoslowakei und emigriert nach Mannheim. Bis in die achtziger Jahre ist er dort als Dozent für Volkswirtschaftslehre an der Universität tätig.

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