FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1972 » No. 223
Paul Balta

Öl im Irak

„Noch immer lastet die Vergangenheit mit vollem Gewicht auf uns“, sagte ein Baas-Führer. Ein Mosaik von Völkern und Religionen, wurde der Irak, zum Unterschied von Ägypten, unablässig durch zentrifugale Kräfte zerrissen, die seine Einheit bedrohten.

Im Norden des Landes siedelnd, gehören die Kurden (indoeuropäischer Abstammung wie die Iranier) der sunnitischen Richtung des Islam an, während die im Iran herrschende Religion die schiitische Richtung ist. Es gibt auch christliche Kurden, deren rund um die Kirche gruppierte Dörfer an der Straße von Erbil nach Mossul leicht zu erkennen sind. Der Rest des Landes wird von semitischen Arabern bewohnt, die jedoch ebenfalls in Sunniten und Schiiten gespalten sind. Die letzteren leben vor allem in den heiligen Städten des Südens — Kerbela, Neschef, Kufa —, aber man findet sie auch in Samarra, 140 Kilometer nördlich von Bagdad, und in Kazimein, in den Vororten der Hauptstadt. Man errät, daß der dem Irak feindlich gesinnte Iran aus seiner ethnischen Verwandtschaft mit den Kurden und seiner religiösen mit den Schiiten Vorteile zu ziehen trachtet. Das Zusammentreffen dieser beiden Kräfte könnte für die Zentralgewalt gefährlich werden, aber die Barriere der Religion ist stärker als die gemeinsamen Interessen und hat immer noch eine Allianz zwischen Norden und Süden verhindert.

Dazu kommen die starken christlichen Minderheiten, selbst in Orthodoxe und Katholiken gespalten, den unter semitischen Assyrern und Chaldäern im Norden, aber auch in der Hauptstadt, und die arischen Armenier, die in den großen Städten leben.

Das Bild wäre unvollständig ohne Nennung der Turkomanen im Gebiet von Kirkuk und Mossul, die gefühlsmäßig mit der Türkei verbunden sind, und schließlich der pittoresken Jesidis, der Teufelsanbeter.

Das Heil läge in der Säkularisierung des Landes. Die Baas strebt dies an, aber es ist eine überaus schwierige Aufgabe. „Warum gilt der Islam weiterhin als Staatsreligion, da doch die Baas-Partei in Damaskus ihn aus der Verfassung eliminiert hat?“ fragten wir Dr. Zalt, einen syrischen Juristen und Mitautor der iranischen Verfassung von 1970. „Wir haben versucht, sie gegenüber der alten Verfassung so weit wie möglich zu säkularisieren und zu modernisieren“, antwortete er, „aber wenn Sie den Süden kennten, würden Sie verstehen, warum wir vorläufig nicht weiter gehen konnten.“

Dichter und Henker

Ist es diese Diversität, in Verbindung mit dem extremen Klima und der kargen Umgebung (die alte mesopotamische Kultur scheint der Natur abgetrotzt worden zu sein), die im Irak eine Tradition der Revolte und der Gewalt geschaffen hat? In allen arabischen Ländern kennt man die erstaunliche Rede auswendig, die Hadschasch Ibn Jussuf, der beste General des Kalifen Abdel Malek, ausgeschickt, um eine Rebellion zu unterdrücken, im Jahre 694 vom Minarett der Moschee in Kufa an die erschreckte Menge gehalten hat: „Bei Gott, ich sehe nur zu mir erhobene Gesichter, dargebotene Hälse, reife Häupter, gut zum Abschlagen ... Geht ihr den rechten Weg, wird alles in Ordnung sein; begebt ihr euch auf Abwege, werdet ihr mich im Hinterhalt finden. Ich werde keinen Irrtum verzeihen, keine Entschuldigung annehmen. Bewohner des Irak, ihr Meuterer und Verräter, wisset, daß ich mich nicht wie eine reife Feige abtasten lasse! Ich bin Hadschasch, Sohn des Jussuf. Was ich verspreche, halte ich. Wenn ich einen balbiere, geht die Haut mit. Schluß mit Zusammenrottungen, Schluß mit unnützem Geschwätz!“

Kann man vergessen, daß Abbas Abdallah, der Begründer der Abbassiden-Dynastie, Al Safah, der Blutige, genannt wurde, nachdem er die Omejaden-Dynastie ausgerottet hatte? Und während Mansur Billah, sein Bruder und Nachfolger, 762 Bagdad gründete, das er „Medinet es Salam“ (Stadt des Friedens) nannte, und eine ordentliche Verwaltung einrichtete, war er es auch, der einen in der arabischen Kultur bis dahin unbekannten Beruf einführte: den des Henkers. Und doch hat diese Dynastie eine der herrlichsten Seiten im Buch der Dichtung, der Wissenschaft und der Kunst geschrieben, zu einer Zeit, da der Westen noch in tiefster Barbarei steckte. Die Dichter des modernen Irak, Erben von Abu Nuwas, dem Villon der Epoche Harun al Raschids, zählen zu den besten der arabischen Welt.

Man vergißt aber auch nicht die makabren, grotesken Sitzungen des Revolutionstribunals unter dem Vorsitz des irakischen Fouquier-Tinville, Oberst Mahdawi, der unbeschwert die wirklichen und angeblichen Feinde Kassems zum Tod verurteilte; das Massaker unter Nasseristen und Baasisten in Mossul 1969, die blutige Rache der Baas an den Kommunisten im Jahre 1963 und in etwas geringerem Ausmaß 1968.

Noch vor einigen Monaten wurden Kommunisten in jenes kleine Gefängnis geworfen, das der Volksmund mit verschämter Ironie „Palast des Endes“, nennt, weil viele von denen, die dort hingebracht wurden, auf geheimnisvolle Weise verschwunden sind. Während man nun die orthodoxen Kommunisten in Ruhe läßt, gelten die Nasseristen wie auch die rechten Baasisten nach wie vor als gefährlich oder verdächtig. Hier hat auch Fuad Ribaki, einer der Gründer der irakischen Baas, den Tod gefunden. „Er wurde“, sagte man uns, „von einem Kriminellen getötet, der ihm die Halsschlagader durchschnitten hatte. Obwohl er unverzüglich ins Krankenhaus gebracht wurde, ist er seiner Verletzung erlegen.“ (Niemand vermochte uns jedoch zu erklären, wieso ein gemeiner Verbrecher, bekannter Gewalttäter und zweifacher Mörder in einer Zelle mit politischen Häftlingen war.) Die Nachricht wurde nicht veröffentlicht, ist aber in allen politischen Kreisen bekannt. Die ungewöhnlichen Umstände dieses Vorfalls, drei Monate nach dem mißglücktem Attentat auf den Kurdenführer Barzani (die Täter wurden bis jetzt nicht gefaßt), hat, gelinde gesagt, Unbehagen hervorgerufen.

Land der Gegensätze: Wie kann dieses zurückhaltende Volk mit seiner Höflichkeit, seinem Sinn für Eleganz und Ironie, mit diesem gewissen Lächeln, das schon die Züge der kleinen sumerischen Statuten im wunderschönen Museum von Bagdad erhellte, wie kann dieses Volk solche Blutbäder hinnehmen, für die es selbst nicht verantwortlich ist?

„Im modernen Irak, unter der Monarchie wie in der Republik“, erklärt ein irakischer Schriftsteller, „hat jedes der aufeinanderfolgenden Regimes immer nur einen Teil der Bevölkerung dieses aus so vielen verschiedenen Komponenten bestehenden Landes repräsentiert. Jedes hat versucht, die Macht zu monopolisieren, und so eine Dialektik der Gewalt ausgelöst: Als Vertretung einer Minderheit mußte die Regierung zum Zwang greifen, um die Mehrheit zu unterdrücken, deren verschiedene Strömungen, um sich Geltung zu verschaffen, kein anderes Mittel hatten als die Gewalt. Das ist die wahre Ursache der Neigung zu Fieber- und Krampfanfällen, die unser Land periodisch schütteln.“

Hat die Baas begriffen? Wird Bagdad, die „Stadt des Friedens“, endlich seinem Namen gerecht werden? Nachdem die Baas am 11. März 1970 eingewilligt hatte, den Kurden kulturelle Autonomie zu gewähren, um die Einheit des Landes und den inneren Frieden wiederherzustellen, schlug sie am 15. November der Demokratischen Partei der Kurden (DPK) und der Kommunistischen Partei einen Pakt vor — während noch am 17. Juli 1970, beim Aufmarsch anläßlich des zweiten Jahrestages der Revolution, eine der Hauptlosungen gewesen war: „Alle Macht der Baas!“ Was hat zu dieser Entwicklung geführt? Beabsichtigt die Baas, die Verantwortung zu teilen, oder will sie einfach andere Kräfte zur Verwaltung des Landes heranziehen? Faßt sie dieses Bündnis nur ins Auge, um das umfassende Entwicklungsprogramm zu realisieren, das auch Sozialisierungsmaßnahmen beinhaltet, und um sich nach außen hin stark zu machen, oder sieht sie darin den Anfang eines Demokratisierungsprozesses?

2. Jahrzehnt der Entwicklung

Seit einem Jahr kehrt in den Berichten ausländischer Botschafter und Wirtschaftsberater stets der Satz wieder: „Der baasistische Irak ist in ein Jahrzehnt der Entwicklung eingetreten.“

„Nur durch Erziehung und Bildung werden wir aus dem Unrat herauskommen“, sagt ein junger Ingenieur. „Seit dem Machtantritt der Baas wurden im Gouvernement vierzehn neue Mittelschulen eröffnet, während es von 1921 bis 1968 nur neun gewesen sind.“

Die Erdöleinnahmen

Das Erdöl spielt eine Hauptrolle beim Aufbau des Landes: Die Einnahmen aus der Ölförderung, die schon vor den Abkommen von Teheran und Tripolis beträchtlich waren — 180 Millionen Dinar — haben sich 1971 auf 354 Millionen Dinar (fast dreißig Milliarden Schilling) verdoppelt. „Diese Einnahme von einer Million Dinar täglich verleiht dem Regime eine gewisse Sicherheit“, bemerkt ein Diplomat.

Diese Einnahmsquelle ist die Garantie für eine gesunde Finanzlage: Die Gold- und Devisenreserven des Irak erreichten Anfang 1970 die Höhe von rund 450 Millionen Dollar, davon fast 210 Millionen in Gold, während die Auslandsverschuldung gering (105 Millionen Dinar im Jahre 1969) und die Zahlungsbilanz stark aktiv ist.

Die Medaille hat auch ihre Kehrseite: Die Volkswirtschaft ist in wachsendem Maß vom Erdöl abhängig; die Erdölgewinne machen 50 Prozent der Budgeteinnahmen aus, decken 90 Prozent des Investitionsbudgets und 90 Prozent der Deviseneinkünfte. Diese Situation erklärt die Vorsicht der irakischen Regierung gegenüber der Irak Petroleum Company (IPC). Wohl spielt sie mit der Idee, das Großunternehmen, das überwiegend in britischem Eigentum ist, zu verstaatlichen. Solange sie aber nicht sicher sein kann, ob sie die Produkte auch verkaufen könnte, will die Regierung das Huhn, das goldene Eier legt, nicht schlachten.

Auch die früheren Regimes haben schon verschiedentlich versucht, sich Mittel zu verschaffen, die es ihnen erlaubt hätten, ihre Abhängigkeit von der IPC zu verringern, in der Hoffnung, sich eines Tages gänzlich befreien zu können: 1964 wurde die Irak National Oil (INOC) gegründet und 1967 reorganisiert; 1968 wurde der Vertrag mit der ERAP abgeschlossen. Die Baas hat den Prozeß beschleunigt: 1969 kam es zu einem technischen Abkommen mit der Sowjetunion, das es der Irak National ermöglicht, die Ölfelder von Rumeilah-Nord auszubeuten; es wurde die INMC (Irakische Nationale Mineralgesellschaft) gegründet und ein Vertrag mit Polen über die Ausbeutung der Quellen von Mischrak geschlossen; 1970 wurde der Erdöl- und Mineralsektor im Sinn besserer Koordinierung reorganisiert; 1971 wurde der Bau einer neuen Erdölleitung nach Fao am Persischen Golf projektiert, sowie der Ausbau der irakischen Tankerflotte, für die in Spanien sieben Schiffe (lieferbar 1972) und weitere in der Sowjetunion bestellt wurden.

Die Irak National hat großen Einfluß, namentlich bei den von ihr ausgebildeten Fachleuten, und es besteht kein Zweifel, daß ihre Agenten ihre Hand im Spiel hatten, als der Konflikt zwischen der ERAP und der INOC nach März 1970 für diese eine ungünstige Wendung nahm. Die französische Gesellschaft erscheint — auf Grund des neuartigen Vertrags, den sie dem Irak vorgeschlagen hat — in diesem angelsächsischen Reservat als ein gefährlicherer Störenfried denn die Sowjetunion, zumal sie über die Mittel verfügt, die irakische Förderung im Westen abzusetzen.

Die Abhängigkeit von einem einzigen Produkt ist ein Nachteil, der den Führern des Irak nicht entgangen ist. „In weniger als zwanzig Jahren wird das Erdöl keine solche Rolle mehr spielen wie heute“, erklärt Raschid al Rifai, der Planungsminister, „und wir werden uns beeilen, unsere Wirtschaft unter Ausnutzung der gegenwärtigen Vorteile zu diversifizieren.“

Absolute Priorität der Landwirtschaft

Dieser Ingenieur, 42 Jahre alt, in England und Amerika ausgebildet, macht kein Hehl aus seinen Problemen. „Wir haben begonnen, eine Industrie zur Verarbeitung der in unserem Land reichlich vorhandenen Rohstoffe zu entwickeln: Phosphate zur Erzeugung von Kunstdünger, dessen Einfuhr eine Belastung für uns ist, Schwefel und Zement, einen der besten der Welt. Aber die Landwirtschaft hat absolute Priorität. Auf diesem Gebiete haben wir unsere größten Schwierigkeiten. Die einen betreffen die Bodenmelioration — sie sind leicht zu überwinden, es ist eine Frage der Arbeit und der Investitionen. Die anderen betreffen die Wandlung der Denk- und Lebensweise der Bauern ...“ Er hält es nicht für notwendig, über dieses Problem weitere Worte zu verlieren.

Nach der Bemerkung, das Land könnte, fruchtbar gemacht, an die 70 Millionen Einwohner ernähren, nennt Rafai einige Zahlen des auf Grund des Teheraner Abkommens revidierten Fünfjahresplanes 1970-1974: „Sie sind kennzeichnend“, sagt er, „für die Intentionen und den Willen der Regierung.“ Das Gesamtbudget des Planes wurde von 1143,7 auf 1559,3 Millionen Dinar erhöht, von denen 952,5 aus der Staatskasse kommen. Davon gehen 336,4 Millionen (statt 185) in die Landwirtschaft (35 Prozent), 207,2 Millionen (gegenüber 132) in die Industrie, die mit 22 Prozent erst an zweiter Stelle steht, und 95,5 Millionen (statt 60) ins Transport- und Kommunikationswesen (10 Prozent).

In den letzten 18 Monaten haben sich die Vergesellschaftungs- oder Verstaatlichungsmaßnahmen vervielfacht. An der Bar eines großen Hotels in Bagdad stand ein Geschäftsmann, der seine Bitterkeit über die Einschränkung seiner Aktivitäten nicht verbergen konnte: „1969 bestritten wir 56 Prozent der Einfuhren, heute gehen 70 Prozent über den verstaatlichten Sektor.“

Noch stärker ist die Intervention des Staates in der Landwirtschaft, im Zuge der Durchführung der 1971 in Kraft gesetzten Bodenreform. Zum Unterschied von der Reform von 1958, die übrigens nie vollständig durchgeführt wurde, gewährt das neue Gesetz den 3467 enteigneten Großgrundbesitzern keine Entschädigung und gestattet ihnen auch nicht, das ihnen verbleibende Grundstück selber zu wählen. Was die Bauern betrifft, so erhalten sie jetzt die verteilten Parzellen kostenlos, unter der Bedingung, daß sie Genossenschaften beitreten, Kollektivwirtschaft bilden oder sich Staatsgütern anschließen. Die Bodenreform, die bis Ende des Jahres abgeschlossen sein soll, wird in zehn der sechzehn Gouvernements durchgeführt; es wurden drei Millionen Hektar zugunsten einer halben Million Familien (zweieinhalb Millionen Menschen) enteignet; die Bauernschaft stellt sechzig Prozent der auf zehn Millionen geschätzten Bevölkerung des Landes.

Das Ministerium für Bodenreform setzt große Hoffnungen auf die beispielgebende Rolle der achtzehn Mustergebiete, die in verschiedenen Teilen des Landes auf insgesamt mehr als 500.000 Hektar geschaffen wurden. So wurden bei Schehimija 15.000 Hektar an 700 Bauernfamilien übergeben, die seit zehn Jahren in Bagdad vegetierten. Regimegegner behaupten, die Bauern seien gezwungen worden, aus Bagdad wegzuziehen. Aber die wieder zu Bauern gewordenen Städter scheinen zufrieden zu sein: „Wir sind besser untergebracht als in der Hauptstadt und leben auch in besseren Verhältnissen.“ Seither haben 3700 Familien, rund 20.000 Personen, um Ansiedlung auf dem Land unter analogen Bedingungen angesucht. Aber in den Vororten Bagdads führen mehr als eine halbe Millionen entwurzelter Landbewohner ein Elendsdasein.

Wir haben auch das „Projekt des 7. April“ unweit von Ktesiphon wiederbesucht, nachdem wir es bereits kurz nach seiner Schaffung im Juli 1970 besichtigt hatten. Die Infrastruktur (Straßen, Kanalisation, Wohnhäuser) wurde, wie auch in anderen, ähnlichen Vorhaben, durch „Volksarbeit“ aufgebaut: Brigaden von Soldaten, Arbeitern, Bauern und Studenten leisten freiwillige Arbeitsschichten und helfen damit in beträchtlichem Ausmaß Zeit und Geld sparen.

Das „Projekt des 7. April“ besteht aus drei Grundstücken, von denen je eines einer Genossenschaft, einer Kollektivwirtschaft und einer Staatsfarm zugeteilt wurde. Die Kollektivwirtschaft besteht aus 500 Absolventen des Agronomiestudiums an Mittel- oder Hochschulen. „Anfangs“, sagte der Leiter der Gruppe, „betrachteten uns die Bauern mit Skepsis. Sie machten sich sogar ganz offen über uns lustig. Als sie aber unsere Ernteergebnisse sahen, begannen sie, Achtung vor uns zu bekommen. Jetzt, da wir auch eine Viehzucht eingerichtet haben — wir werden unter anderem Schweine exportieren und Hasenfelle nach Frankreich verkaufen —, kommen sie uns um Rat fragen.“

In dem einfach eingerichteten Speisesaal dieses Kibbutz à l’irakienne fügt ein anderer junger Mann hinzu: „Nach und nach werden unsere Mitglieder heiraten, und wir planen, ein richtiges modernes Dorf zu bauen, mit Schwimmbad, Kino, Bibliothek und Tanzhalle. Wenn die Bauern es uns eines Tages nachmachen werden, wird das ein schöner Sieg sein.“ Wir wundern uns, daß mehrere der jungen Leute Waffen tragen. Die Erklärung: „Vor unserem Kommen war das Gebiet Ödland; einmal haben uns die Füchse in der Nacht mehrere Dutzend Truthühner getötet. Seither passen wir scharf auf.“

„Neuland gewinnen“

Ein Agraringenieur, der uns durch die Staatsfarm führt, sagt, was das erste angesteuerte Ziel ist: den Irak der Abbassiden wiederherzustellen. „Damals nannte man die Straße von Bagdad nach Damaskus ‚die Schwarze‘, weil sie so dicht von Bäumen gesäumt war. Dann wollen wir Neuland gewinnen. Aber das Land zu bewässern wird fünfzehn bis zwanzig Jahre dauern und eine Milliarde Dinar kosten. Schon jetzt ermöglicht es der ‚Hauptkanal‘ Bagdad—Basra, den Sie gesehen haben und der bis 1974 fertig sein soll, mehr als eine Million Hektar Land zu bewässern.“

Bis diese Bemühungen ihre Früchte tragen, hat die Baas noch mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen: 150 Arbeitslose bei zweieinhalb Millionen Beschäftigten, ein aufgeblähter, nicht immer leistungsfähiger Verwaltungsapparat. Noch besorgniserregender ist das Steigen der Lebenskosten: die Inflationsrate beträgt seit 1969 mehr als zehn Prozent jährlich, während an mehreren lebenswichtigen Produkten Mangel herrscht. Aufschriften wie „Eier am Dienstag“ sieht man häufig über den Türen der Lebensmittelgeschäfte.

Allerdings, die Behörden haben vor zwei Monaten eine leichte Verstärkung der Konsumgüterimporte verfügt, um der Nachfrage der wohlhabenderen Bevölkerungsschichten zu entsprechen. Aber die Regierung ist auch mit der Feindseligkeit enteigneter Unternehmer konfrontiert, ganz zu schweigen von der Bitterkeit mancher Fachleute oder liberaler Intellektueller, deren Fähigkeiten nicht immer voll ausgenutzt werden, weil sie nicht der Baas angehören. Und schließlich, was die Hauptfrage ist: Wird es der regierenden Partei gelingen, den im März 1970 geschlossenen Frieden mit den Kurden zu wahren, von dem die Baas sagt, er sei ein Meisterstück ihrer Politik?

3. Krieg oder Frieden in Kurdistan?

„Sie meinen es nicht ehrlich!“ ruft General Barzani mehrere Male aus. Diese Kritik, dieses Mißtrauen läßt keinen Zweifel über die Verschlechterung der Beziehungen zwischen dem Kurdenführer und der Zentralregierung seit unserer letzten Begegnung im Juli 1970, vier Monate nach dem Abkommen, das Kurdistan den Frieden gebracht hatte. Damals herrschte eine idyllische Stimmung um den Adlerhorst des Generals in den 2000 bis 4000 Meter hohen Bergen Kurdistans. Seither hat die Zeit die schwarzen Napalmflecken — Spuren des neunjährigen Krieges — entlang der Straße, die sich von Erbil nach Galala hinaufschlängelt, ausgelöscht; von Galala gelangt man zu einem der Winterquartiere Mollah Mustafa Barzanis.

Das Attentat „à la James Bond“, das am 29. September 1971 auf ihn verübt wurde, hat gewiß auch zur Verschlechterung der Stimmung beigetragen. Vierzehn Tage vor dem Anschlag, so erzählte man uns, kam eine Abordnung von vier muselmanischen Mönchen zum Kurdenführer. Sie waren sich anscheinend der Rolle, die ihnen die Organisatoren des Komplotts zugedacht hatten, nicht bewußt. Diese hatten in die Gürtel der Mönche „ultramoderne Geräte“ zur Registrierung „topographischer Daten“ eingebaut. Nachdem ihnen sodann diese Daten mitgeteilt worden waren, um sie ins Vertrauen zu ziehen, kehrten sie in Begleitung von fünf weiteren Mönchen und zwei Chauffeuren am 29. September zum Sitz des Generals Barzani zurück. Sie glaubten, abermals mit solchen „Geräten“ ausgestattet zu sein, während es diesmal in Wirklichkeit ferngesteuerte Bomben waren.

Die Emmissäre parkten ihre Autos einige Meter vom Büro des Generals entfernt. Die Unterredung mit diesem begann um 17.10 Uhr. Zehn Minuten später zerriß eine Detonation zwei Delegationsmitglieder auf der Stelle; die anderen flohen, wurden aber von den sie verfolgenden Pesch Merga (kurdischen Partisanen) getötet. Der General blieb unverletzt, aber eine halbe Stunde später flog eines der Autos, das mit einer Sprengladung versehen war, in die Luft Die Bombe war wahrscheinlich von einem der beiden Chauffeure — wie die Mönche ein unfreiwilliger „Kamikadse“ — ferngezündet worden. Als man das andere Auto untersuchte, fand man hundert Kilogramm Sprengstoff und zwei nach hinten gerichtete Zünder.

„Wenn der General wie durch ein Wunder gerettet wurde, so ist es wahrscheinlich einem Defekt an der Fernlenkung zu danken“, erklärte Dr. Mahmud Osman, Mitglieder des Politischen Büros der DPK und Organisationsverantwortlicher.

Die Zündhölzer der Pesch Merga

Der Anschlag, der der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Zwischenfällen im Jahre 1971 war (Zusammenstöße zwischen den Pesch Merga und irakischem Militär, Attentat auf einen der Söhne Barzanis u.a.), führte jedoch nicht zu einer Wiederaufnahme der Feindseligkeiten. Im November trat dann eine relative Entspannung ein. Dazu trugen der Abzug der nach Kurdistan entsandten Truppen und eine dem Kurdenführer gewährte Entschädigung bei. Aber die offenen Probleme sind bis jetzt nicht geregelt, und General Barzani spricht darüber, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Der General — stark und kräftig trotz seinen 69 Jahren und einem ganzen Leben als Partisan, in kurdischer Nationaltracht, mit Pumphosen und Turban, einem großen Dolch im Gürtel — kann nicht verstehen, warum man die kurdische Region Kirkuk nicht in Ruhe läßt. Gewiß haben die von der Irak Petroleum Company ausgebeuteten Erdölvorkommen der Region etwas damit zu tun. „Ich bleibe dabei: Man hat die Kurden aus Chanakin, aus Sinschar und sogar aus der Umgebung von Kirkuk vertrieben und sie gezwungen, in die Türkei oder den Iran zu flüchten. Der Zweck des Manövers ist klar: Wenn man dann eine Volkszählung oder eine Volksabstimmung durchführt, um zu bestimmen, wem die Region gehört, wird es um so weniger Kurden geben. Aber die Geschichte lehrt: Harun al Raschid, die Türken, die Engländer und sogar Kassem, der 1961 den Krieg gegen die Kurden entfesselte, haben zu allen Zeiten gesagt, daß Kirkuk kurdisch ist, und kein Referendum kann daran etwas ändern. Gewisse Leute in Bagdad beschuldigen uns, wir hätten Beziehungen zu Israel oder zum Iran ... Nun, damit wollen sie ihr eigenes schlechtes Gewissen verschleiern, weil sie das Abkommen vom 11. März sabotieren.“ Die Kommunisten erklären sich auch zufrieden mit den Garantien, die man ihnen gegeben hat — insbesondere mit der Freilassung ihrer inhaftierten Mitglieder —, und mit der Haltung, die die Baas jetzt einnimmt. Im Unterschied zu den Kurden machen sie ihre Mitarbeit nicht davon abhängig, daß sie im Revolutionsrat vertreten sind.

Sie sind auch der Meinung, daß sie der Baas bei der Lösung ihrer internen Probleme helfen können. Die Baas besteht ja aus sehr heterogenen Elementen: gläubigen, konservativen Militärs; Kleinbürgern, die für die arabische Einheit, aber gegen einen radikalen Sozialismus sind; Intellektuellen, Anhängern eines „baasistischen Humanismus“, die nicht selten ihrem Ideal widersprechende Polizeimaßnahmen durchlöchert haben; mit dem Marxismus sympathisierenden Ideologen, die einen auf die arabischen Besonderheiten zugeschnittenen Sozialismus wollen und kaum mit Elementen, die man ohne Zögern als Faschisten bezeichnen mag, kohabitieren können. Schließlich gibt es da noch eine neue Richtung der Jungen, die laizistisch und realistisch eingestellt sind und großen Wert auf Effizienz legen; ihr Wortführer ist Vizepräsident Saddam Hussein. Dieser bemüht sich seit 1969, seine Anhänger auf entscheidende Posten zu bringen und eine neue Strategie durchzusetzen, die darauf beruht, mit den Kurden Frieden zu machen, die Militärs zu zügeln und eine Öffnung zu den fortschrittlichen Kräften zu schaffen.

Kommunisten und Baasisten erklären sich jetzt beide bereit, eine nationale Front zu bilden, wenn es sein muß, allein (was sie aber nicht für die beste Lösung halten), falls General Barzani mit einer positiven Antwort zu lange zögert.

Die Sowjetunion ist, auf Grund der militärischen und technischen Hilfe, die sie dem Irak leistet, an dieser Entwicklung nicht ganz unbeteiligt. Sie bemüht sich auch, die Annäherung zwischen Kurden und Arabern durch diskrete Vermittlung zu konsolidieren. Die Unterstützung eines gefestigten Irak, der weiter links steht als die Union der Arabischen Republiken, ist für den Kreml eine Trumpfkarte in seinem Spiel zwischen Ägypten und dem Iran.

Bagdad, das ein historischer Rivale Kairos ist und dessen Beziehungen zu Teheran seit Jahren gespannt sind, scheint dabei auf seine Rechnung zu kommen. Saddam Husseins Besuch in Moskau vom 10. bis 17. Februar hat die Interessenkonvergenz der beiden Länder ins Licht gerückt. Das Abschlußkommuniqué, in dem die irakischen Vertreter als „Genossen“ bezeichnet werden, legt den Akzent auf die sowjetische Hilfe für die irakische Erdölindustrie und die Unterstützung des Kampfes „des arabischen Volkes am Persischen Golf“, an der die Sowjetunion ebenso interessiert ist wie die irakische Baas. Als Gegenleistung verpflichtet sich die Baas, ihre Kooperation mit der sowjetischen KP zu verstärken, und billigt die Beschlüsse der Politischen Kommission der Warschauer Pakt-Staaten, die vor kurzem in Prag tagte. Schließlich wird die Unterzeichnung eines Vertrages zwischen den beiden Ländern angekündigt. Auch scheint kein anderes arabisches Land in der ideologischen Annäherung an die Sowjetunion so weit gegangen zu sein wie der Irak.

Freilich ist der Irak in der arabischen Welt relativ isoliert, und die irakischen Führer versichern, daß sie sich nicht auf einen exklusiven Dialog mit der Sowjetunion beschränken wollen. Sie sprechen den Wunsch aus, ihre Beziehungen zu Frankreich zu vertiefen, und die Hoffnung, allmählich zu guten Beziehungen mit ganz Westeuropa zu gelangen, unter der Bedingung, daß die westeuropäischen Staaten im Nahostkonflikt eine Politik des Gleichgewichts verfolgen.

Anziehungspunkt vielfältiger Interessen wegen seiner strategischen Lage und seines Erdölreichtums, verletzlich wegen seiner inneren Divergenzen, spielt der Irak eine schwierige Partie. Er hat jedoch gute Chancen zu gewinnen, vorausgesetzt, seine Führer verstehen es, ihm eine Stabilität zu sichern, die ihm in der Vergangenheit nur allzu sehr gefehlt hat.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1972
, Seite 11
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Paul Balta:

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