FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 122
Alfons Gorbach

Nicht rückwärts blicken

Ich weiche normalerweise der Beantwortung von Fragen, die mir Zeitungen oder Zeitschriften stellen, nicht aus. Diesmal kann ich aber die von Ihnen gestellten Fragen nicht im einzelnen, sondern nur zusammenhängend beantworten.

Ich habe in meiner Neujahrsrede im Rundfunk darauf hingewiesen, daß in den ersten Wochen des Jahres 1964 Gedenktage stattfinden, die an eine Zeit erinnern, da die Gegensätze in Österreich stärker waren als das Verbindende. Ich richtete einen Appell, diese Erinnerungstage in würdiger Weise zu begehen, nicht alte Wunden aufzureißen, sondern sich vor den Gräbern der Opfer zu verneigen, wo immer sie sein mögen. Ich appellierte in dieser Rede, die Lehre aus einer so tragischen Zeit zu ziehen und das Gesetz des Miteinander zur Antithese des Gegeneinander zu machen. Ich forderte auf, nicht — um das biblische Wort zu gebrauchen — zur Salzsäule erstarrt stets nach rückwärts zu blicken in die Vergangenheit, wo die Entzweiung regierte, sondern den Blick auf die Zukunft zu richten, auf die Aufgaben, die nur in der Gemeinsamkeit gemeistert werden können.

Diesem meinem Appell haben sich sehr namhafte Persönlichkeiten angeschlossen. Die Beantwortung der einzelnen von Ihnen gestellten Fragen würde aber genau das Gegenteil dessen bewirken, was ich mit meiner Mahnung in der Neujahrsrede bezweckte.

Hier muß man der Geschichtsschreibung das Wort geben. Wir stehen als Zeitgenossen noch zu sehr unter dem Eindruck der damaligen Ereignisse und sind zu sehr befangen, um wirklich ein unbeeinflußtes Urteil abgeben zu können. Als Ergebnis der Ereignisse von 1934 begegneten wir einander, gleichgültig, ob wir auf der einen oder andern Seite standen, auf den Lagerstraßen der Stätten des Grauens. Beide Teile mußten wir schwere Opfer an Leben und Gesundheit für unsere Überzeugung bringen. Damals haben wir uns aus dem gemeinsamen Erleben heraus die Hand gereicht, mit dem Vorsatz, falls wir wieder einmal in Freiheitleben würden, nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander zu arbeiten.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1964
, Seite 76
Autor/inn/en:

Alfons Gorbach:

Dr. jur., Bundeskanzler, steirischer Landesparteiobmann der ÖVP.

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