FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1980 » No. 317/318
Reinhard Engel • Monika Schulte-Derne

Mondscheinbauern

Die Großen werden größer und kleiner die Kleinen

1918 war eines der Hauptargumente gegen die Überlebensfähigkeit des österreichischen Reststaates die mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln. Die Hauptstadt Wien war von ihren wichtigsten Versorgungsgebieten, vor allem in Ungarn, abgeschnitten. Heute ist die Lage grundsätzlich anders. Österreich kann sich selbst ernähren, es exportiert landwirtschaftliche Erzeugnisse selbst nach Osten, die Überschüsse steigen jährlich. Die enorme Produktivitätssteigerung ging Hand in Hand mit einer tiefgreifenden Umwälzung ländlicher Strukturen. Das allmähliche Aussterben der Mischwirtschaft, zunehmende regionale Spezialisierung, wachsende Konzentration sowie Reduktion der Arbeitskräfte im Austausch gegen Übertechnisierung sind einige der Hauptmerkmale dieser Entwicklung. Zeichnete man sie geradlinig weiter, entsteht die Frage: Sterben die Bauern aus?

Idylle der Armut:
Käuschler in Mauthern, Steiermark

Minimum 20 Kühe

Hubert Steiner bewirtschaftet einen mittleren Grünlandbetrieb im obersteirischen Traboch. Von 24 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche füttert er 20 Milchkühe, einen Stier und 20 Stück Jungvieh. Weiterer Viehbestand sind 15 Schweine und 3 Pferde, zu den Wiesen kommen noch 15 Hektar Wald und eine gepachtete Alm.

Der hochtechnisierte Betrieb (2 Traktoren, Mähmaschine, Lader, Melkanlage mit Milchkühlung, Stallentmistung) kommt gerade mit der Arbeitkraft des Bauern und seiner Frau aus. Nur für die Forstarbeit werden gelegentlich Tagelöhner eingestellt. Maschinen ersetzen die zu teure landwirtschaftliche Arbeits-Kraft.

Dies ist eine für die heutige Landwirtschaft typische Erscheinung. Die vollbeschäftigten Arbeitskräfte je Betrieb nehmen ständig ab. Waren es 1951 pro Betrieb noch 2,2 Personen, so sank die Zahl bis 1976 auf 1,0. Zum ersten Zeitpunkt war noch jeder dritte Erwerbstätige in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt, 1976 nur mehr jeder zehnte. Trotzdem stieg die reale Endproduktion in derselben Zeit um rund 70 Prozent.

Die Haupteinnahmequelle der Steinerschen Wirtschaft ist die Milch, in zwei Tagen etwa 500 Liter. Da der Preis von der Qualität direkt abhängt, muß vor allem auf Keimfreiheit und Sauberkeit geachtet werden. Auch die Kühlung bis zum Abholen der Milch durch die Molkereigenossenschaft ist unbedingt notwendig. Die Abhängigkeit von der Energieversorgung ist voll bewußt: „Ohne Strom keint ma deis nia schoffm.“ Frau Steiner berichtet, daß einmal durch Stromausfall die strenge Qualitätsgrenze nicht mehr ganz erreicht werden konnte: „500 Lita homma miassn in Kanal schittn. Do bin i in Stoll ummi und hob great.“

Noch vor 50 Jahren hätte der Hof Hubert Steiners zu den größeren gezählt. Heute veranschlagt er selbst die Rentabilitätsgrenze bei 16-20 Milchkühen. Bauern mit weniger Viehbestand waren gezwungen zu vergrößern, aufzugeben, oder sich nach einem Nebenerwerb umzuschauen. Waldschlägerung war oft die einzige Investitionsmöglichkeit. Auf Verschuldung mit den damit verbundenen Risken ließen sich Bauern nie gerne ein.

Feste Burg, fester Grund in dieser Zeit?
Hubert Steiner und sein Hof in Traboch, Steiermark

Ethos macht billig

Adolf Koller ist einer, der es nicht geschafft hat. Nur wenige Kilometer von Steiners Hof entfernt, in Mautern, bearbeitet er mit seiner Frau Maria eine Kleinstwirtschaft. Die 5,4 Hektar Wiese, nicht einmal ein Hektar Wald, 2 Kühe, 3 Kälber und ein Schwein liefern nicht genug Ertrag zum Leben. Die einzige Maschine ist ein Handmäher. Ein Pferd muß den Traktor ersetzen. Dazu kommt noch die Hanglage der Wiesen, einige sind nicht einmal mit dem Pferdewagen erreichbar. Ein hölzerner Schlitten dient selbst im Sommer zum Heueinbringen.

Damit die Familie überleben konnte, mußte Koller in die Fabrik gehen. So ging die Hauptlast der Wirtschaft auf die Frau über. Die Alternative wäre der Verkauf von Wiesen gewesen, hätte aber nur eine vorübergehende Erleichterung bedeutet.

„Die Mami hot gsogt, guat wauns zwoatausnd Schülling hoambringst; und daunn hob i in drei Wouchn viertausnd vadient!“ Arbeitskräfte mit derartigen Lohnvorstellungen werden von Unternehmen natürlich gerne eingestellt. Die übrigen Arbeiter fürchten sie als Lohndrücker.

Der Bauer Adolf Koller mit „Bubi“

Zwei junge österreichische Wissenschafter, die eine gründliche Studie über den Agrarbereich verfaßt haben, Josef Krammer und Günter Scheer, fassen dies so zusammen:

Die Agrarbevölkerung stellt eine billige Reservearmee dar, denn sie hat drei Eigenschaften, die sich optimal zur Ausbeutung im industriellen Arbeitsprozeß eignen: sie ist in der Regel unzureichend ausgebildet, überdurchschnittlich an lange und harte Arbeit gewöhnt, die ihnen durch lange Zeit eingeimpfte bäuerliche Unternehmerideologie macht sie weniger anfällig für Arbeitskonflikte.

1976 wurden nur mehr 39 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe im Vollerwerb geführt. Die nebenberufliche Bewirtschaftung herrscht vor.

So gibt es etwa in der südburgenländischen 1100-Seelen-Gemeinde Oberdorf nur mehr 7 Vollerwerbsbauern. Die Bewohner lebten früher fast ausschließlich von der Landwirtschaft, heute pendeln die meisten aus. Die Männer fanden Arbeit im 130 Kilometer entfernten Wien, für die Frauen wurden in der Umgebung (Billiglohn-) Arbeitsplätze angesiedelt. Die ursprünglich homogene Gemeinde Oberdorf ist heute lediglich eine Schlafstadt für Alte und Frauen, die Männer sind nur mehr am Wochenende zu Hause. Das gesamte kulturelle und soziale Leben, bis hinein in die familiären Beziehungen, wurde umgewälzt.

2% Agrarkapitalisten

Nach Krammer/Scheer gibt es vier Kategorien landwirtschaftlicher Betriebe:

  • Kleinbauern: Familienbetriebe, die Produktion ist arbeitsintensiv, 40-45 Prozent aller Bauern in Österreich sind Kleinbauern.
  • Arbeiterbauern: Die Betriebsorganisation entspricht der der Kleinbauern, allerdings gekoppelt mit einer „unselbständigen“ Berufstätigkeit. Man kann zwei Gruppen unterscheiden: Solche, die ihren Betrieb spezialisiert und ihren Arbeitseinsatz extensiviert haben, und solche, die die arbeitsintensive Mischwirtschaft weiter betreiben. Die Arbeiterbauern stellen rund 40 Prozent aller österreichischen Bauern.
  • Mittelbauern: Auch hier herrscht der Familienbetrieb vor, fallweise werden fremde Arbeitskräfte eingestellt. Die Arbeitsintensität ist hoch, jedoch niedriger als bei den Kleinbauern. 14-19 Prozent der österreichischen Bauern sind Mittelbauern.
  • Großbauern: Zwei Untergruppen: Die traditionellen Großbetriebe (Gutsbetriebe) und die landwirtschaftlichen Unternehmer. Während erstere Form vor allem in der Getreideproduktion und in der Forstwirtschaft anzutreffen ist, konzentriert sich die letztere auf die Viehproduktion. Sie produziert nach industriellem Vorbild extrem kapitalintensiv. Sie bilden die akkumulierende Gruppe der Bauern, ein bis zwei Prozent der Gesamtzahl!

1000 Schweine beim Fürsten

Der Steghof im niederösterreichischen Neulengbach ist ein typischer Gutsbetrieb. Die 250 Hektar Anbaufläche sind nur ein Teil des altadeligen liechtensteinschen Besitzes, der auch noch 2000 Hektar Wald umfaßt.

Der Betrieb ist auf Anbau von Mais und Getreide spezialisiert, seit 1961 gibt es keine Kühe mehr. Die Mast von 250 bis 1000 Schweinen im Jahr wird zusätzlich durchgeführt. Der Bau eines modernen Schweinestalles fiel erst kürzlich einer Initiative von Anrainern zum Opfer.

Der Betrieb ist hochtechnisiert, 5 Traktoren und ein Mähdrescher können auch tatsächlich ausgenutzt werden. (Die meisten Betriebe können ihre — individuell angeschafften — Maschinen wegen der langen Stehzeiten nicht rentabel nutzen.) Weitere modernste technische Geräte sind vorhanden.

Der Betrieb, der einmal über 40-50 Arbeitskräfte verfügte, wird heute von einem Verwalter mit drei Traktorfahrern geführt. Nicht zuletzt durch den radikalen Abbau von Arbeitskräften wurde das defizitäre Gut wieder hochgebracht. Die Produktionssteigerung durch neue Getreidesorten und massive Düngung tat ein übriges.

Die Bewirtschaftung ist kapitalintensiv, der Energieverbrauch sehr hoch.

Preisgesteuerte Marktordnungen und einheitliche Preise für alle Landwirte begünstigen Betriebe mit großer Nutzfläche in Gunstlagen mit hohem Maschineneinsatz. Die Einkommensdisparität ist entsprechend und vergrößert sich ständig. So verdienen die oberen 0,4 Prozent der Familienarbeitskräfte ebensoviel wie die unteren 20 Prozent, nämlich 3 Prozent des gesamten landwirtschaftlichen Einkommens. Die oberen 5,5 Prozent der Familienarbeitskräfte verdienen gleich viel wie die Hälfte aller Familienarbeitskräfte.

Während die Zahl der rentablen Betriebe ständig abnimmt, steigt die Zahl derjenigen, in denen zuverdient werden muß. Dies sind vor allem unselbständige Tätigkeiten, aber auch Gastgewerbe und Tourismus. Die Palette reicht vom ländlichen Gastbetrieb über Urlaub am Bauernhof, von Schiliftbetrieben bis hin zu Reiseunternehmen.

Bauer ohne Pflug

Karl und Zenzi Eisner haben ihren „Edlerhof“ den Städtern geöffnet. Der mittlere Grünlandbetrieb (14 Milchkühe, ebensoviel Jungvieh), wird zwar weiter bewirtschaftet, aber ein Großteil des Arbeitsaufwandes dient bereits der Touristenbetreuung. Und mit Bettenmachen allein ist es nicht getan. Auch für Unterhaltung der Gäste muß gesorgt werden. Den Stadtkindern wird der Stall gezeigt, für die Erwachsenen werden Schwammerlpartien organisiert. Am Abend nach der Arbeit heben die Bauersleute ein Glas Wein mit ihren Gästen.

Die Idee zu diesem Nebenverdienst kam ihnen vor einigen Jahren. Fremdenverkehrsgebiete wurden bereist, Pläne entworfen. Um den erwarteten Komfortwünschen der Gäste zu entsprechen, mußte viel investiert werden. Den Einbau von Duschen und Zentralheizung ins alte Bauernhaus finanzierten die Eisners durch den Verkauf von Holz, zahllose Arbeitsstunden leisteten sie selbst. Den Nachbarn, die über die gleichen Möglichkeiten verfügten, war damals das Risiko zu groß — heute übersteigen die Investitionskosten ihre Belastbarkeit.

Die Arbeitsbelastung kann nur mit erhöhtem Maschineneinsatz und unter Mithilfe der Kinder bewältigt werden. Melkmaschine und Milchkühlung erleichtern die Arbeit im Stall, der Anbau wurde gänzlich aufgegeben. Eisner: „Il bin a Baua ohne Pfluag.“

Das Wohlbefinden der Urlauber wird bei der Familie Eisner großgeschrieben. Im Gegensatz zur Massenabfertigung in Fremdenverkehrsfabriken genießen ihre Gäste hausgemachte Marmeladen und Mehlspeisen, die unzerstörte Naturlandschaft eines steirischen Bergtales und können am täglichen bäuerlichen Leben teilhaben. Das wird von den Stammgästen honoriert, so daß Reklame nicht nötig ist.

Milchkühlung bei der Familie Eisner am Edlerhof

Gib Loden, Schaf!

Hoch über dem obersteirischen Industrieort Eisenerz liegt die Bergbauwirtschaft von Hubert Hartl. Die Milcheinkünfte der 8 Kühe reichen gerade für das tägliche Leben. Was daneben benötigt wird, muß der Wald hergeben. Auf der großen Alm grasen noch 15 Stück Jungvieh, 4 Schweine stehen im Stall, 30 Schafe, die im Sommer kaum Arbeit benötigen, liefern Wolle. Die wird in einer Lodenfabrik gegen Bekleidung eingetauscht.

Die Wirtschaft führt der Bauer mit seiner Frau, im Sommer helfen die beiden studierenden Söhne mit. Stipendien und Entbehrungen ermöglichen ihnen die Ausbildung. Durch den strengen und langen Winter und die exponierte Lage sind die Arbeitsbedingungen besonders schwierig. Erst seit 1971 gibt es eine Straße, die im Winter befahrbar ist. Sie muß allerdings vom Bauern selbst geräumt werden.

Auch Hartl braucht für seinen Betrieb zusätzliche Einnahmequellen. Mehrmals im Jahr übernimmt er Holzarbeiten bei der nachbarlichen „Herrschaft“. Im Jahr 1963 beteiligte er sich am Bau eines Schilifts. Dieser ist mittlerweile schuldenfrei, zusätzlich notwendige Investitionen (Pistengerät, neues Zugseil) sowie schneeunsichere Lage ließen jedoch kein gutes Geschäft zu.

In dieser Wirtschaft können trotz der hohen Lage noch Traktoren und Heulader eingesetzt werden; die Wiesen vieler Bergbauern sind dafür zu steil.

Die Bergbauern stellen heute eine Randgruppe der österreichischen Gesellschaft dar. Sie wurden von der rasenden Entwicklung am Agrarsektor überrollt. Kleine Flächen, schwierige Arbeitsbedingungen, ungünstige klimatische Verhältnisse sowie staatlich festgesetzte Preise, die sich an der Rentabilität von Mittelbetrieben orientieren, haben die Bergbauern ins Abseits gedrängt. Hinzu kommen fehlende Zuerwerbsmöglichkeiten, schlechte Versorgung mit Information, Bildung und Gesundheit.

Hubert Hartls Hof in Eisenerz

Die vom Berge, politische Zwerge

Eine Gruppe von Bergbauern, unzufrieden mit dem „Bauernbund“, der von Großagrariern dominierten Interessenvertretung, haben sich zur „Österreichischen Bergbauernvereinigung“ (ÖBV) zusammengeschlossen. In ihrer Zeitung Die Bergbauern (Spittelberggasse 24, A-1070 Wien) ziehen sie gegen die in der Landwirtschaft Mächtigen (Großbauern, Agrobusineß, Düngemittelindustrie, landwirtschaftliche Maschinenindustrie, Genossenschaften, Bauernbund) zu Felde. Die Kritik am österreichischen Agrarsystem wird durch Selbsthilfe ergänzt. Angepaßt an die Bedürfnisse der Bergbauern, bringt die Zeitung Informationen zur besseren Bewirtschaftung, Zuerwerbsmöglichkeiten und alternativen Formen der Zusammenarbeit (Direktverkauf an den Verbraucher).

Ein Hauptpunkt der Kritik ist die Abhängigkeit der Bauern von Energie und Kunstdünger. Das führt zur Zerstörung von Naturkreisläufen: Flachlandbauern spezialisieren sich zusehends auf den Getreideanbau, mangels Naturdüngers (die Viehwirtschaft wird meist eingestellt) ist die kapital- und energieintensive Kunstdüngung nötig; die Grünlandbauern geben den Getreideanbau völlig auf und kaufen Kraftfutter zu. „Tierfabriken“, Legebatterien mit Hühnern, die nie natürliches Licht sehen, Riesenställe mit winzigen Kälberboxen sind die Konsequenz.

In der Steiermark besaßen 1977 1,4 Prozent der Schweinehalter bereits 42 Prozent des gesamten steirischen Schweinebestandes.

Krank, ohne Urlaub und Geld

Der Anteil des Handels an den Agrarpreisen steigt. Machte er im Jahre 1950 von 100 Schilling 43 aus, so war er 1977 bereits auf 57 angestiegen. Der Einkommensanteil der Bauern reduzierte sich in derselben Zeit von 43,50 auf 20 Schilling.

Die soziale Lage des größten Teils der Bauern ist schlechter als die der Arbeiter. Die Arbeitszeiten sind länger, meist gibt es keinen Urlaub, das Einkommen ist geringer, das Netz der sozialen Sicherheit ist lockerer, die Frau meist überlastet, Kinderarbeit gibt’s weiterhin.

Hubert Hartl veranschlagt seine tägliche Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt mit 12 Stunden, Steiner schätzt die seine auf 13-14 Stunden. Die Frau arbeitet womöglich noch länger. Die Wende, ein katholisches Jugendmagazin, veröffentlichte im Juli 1979 eine Umfrage der katholischen Landjugend: „19 Prozent der Burschen und 41 Prozent der Mädchen arbeiten wochentags länger als 12 Stunden, 33 Prozent der Burschen und 51 Prozent der Mädchen samstags länger als 10 Stunden, und 6 Prozent der Burschen und 35 Prozent der Mädchen sonntags länger als 5 Stunden.“

Urlaub ist für die meisten Bauern ein Fremdwort. Es ist niemand da, der die fehlenden Arbeitskräfte ersetzen könnte. Die noch junge Frau Steiner hat als einzige Perspektive das Heranwachsen der Kinder. „Waun die Kinda grouß san, daun foan mia fuat.“

Trotz verbesserter sozialer Sicherheit der Landwirte durch Bauernpension und Bauernkrankenkasse genießt nach wie vor die Arbeiterversicherung ein höheres Ansehen. Ein Bauer muß das Arzthonorar erst selbst bezahlen, um später 80 Prozent rückvergütet zu bekommen. Eine der Hauptforderungen des sozialistischen Arbeitsbauernbundes zielt dahin, daß der Bauer die 80 Prozent nicht mehr auslegen muß. In den zehn Jahren sozialistischer Regierung hat sich die Lage immerhin dahin geändert, daß 1979 den 2577 Millionen Schilling Eigenmitteln der bäuerlichen Sozialversicherung 6880 Millionen Bundeszuschüsse gegenüberstehen (1970 war die Relation noch 929 zu 1041 Millionen).

Mit der Gesundheit steht es bei den Bauern schlecht. Einer Umfrage des Wiener Instituts für empirische Sozialforschung (IFES) zufolge bezeichnen nur 23 Prozent der Landwirte ihren Gesundheitszustand zufriedenstellend (Facharbeiter: 56 Prozent, öffentlich Bedienstete: 61 Prozent). Trotzdem gehen 44 Prozent nie, 20 Prozent nur einmal im Jahr zum Arzt. „Es braucht scho wos greibers, daß ma zum Oarzt geht“, meint Hubert Hartl.

Die hohe Arbeitsbelastung in den Klein- und Mittelbetrieben trifft besonders die Frau. Ihr Gesundheitszustand ist noch schlechter als der des Mannes, die Arbeitszeit ist höher (Doppelbelastung), ihr rechtlicher und sozialer Status liegt im argen. In der Krankenversicherung wird die Bäuerin wie eine Hausfrau behandelt, sie ist beitragslos mitversichert. Leistungen aus dem Mutterschutz bleiben ihr damit verschlossen.

Schwarz auf ewig?

Bewußtsein und politische Haltung der Bauern sind geprägt vom traditionellen und konservativen Gedankengut, nicht zuletzt von der Beziehung zum Klerus. Sie bleiben das große Wählerpotential der Österreichischen Volkspartei; bei den Wahlen in die Landwirtschaftskammern (die öffentlich-rechtliche Vertretung der Bauern) erhielt der ÖVP-Bauernbund letzthin 84 Prozent der Stimmen. Der sozialistische Arbeitsbauernbund folgt abgeschlagen mit nicht einmal 9 Prozent.

Die Maßnahmen der SPÖ im Sozialbereich seit der Regierungsübernahme 1970 blieben dennoch nicht unhonoriert. So schreibt Karl Blecha, Zentralsekretär der SPÖ, in einer Wahlanalyse in der Zukunft: „Eines der bemerkenswertesten Phänomene dieses Jahrzehnts war der auffällig starke Trend der Bevölkerung in agrarischen Gebieten zur SPÖ; seit 1971 konnten die Sozialisten in Gemeinden mit bäuerlichem Anteil über drei Prozent zulegen, während der Zuwachs im Bundesdurchschnitt etwa ein Prozent betrug.“

Mitverantwortlich für diesen Zuwachs ist sicherlich das stetige Ansteigen der Nebenerwerbsbauern, die im industriellen Bereich erstmals mit anderen Ideologien als der des Bauernbunds konfrontiert werden. Auch die wachsende Unzufriedenheit mit der Agrarbürokratie dürfte eine gewisse Rolle spielen.

Die Ziele der SPÖ-Agrarpolitik definiert Albin Schober, Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, folgendermaßen: „Wir versuchen vor allem den Kleineren und Schwächeren zu helfen. Die freie Marktwirtschaft setzt uns dabei Grenzen, es stehen uns lediglich Mittel der Förderung zur Verfügung.“ Besonders verweist er auf Bergbauernzuschüsse, die Sonderausgaben machen 1980 735 Millionen Schilling aus, sowie auf die Grenzlandförderung. „Dennoch wäre es ein Verbrechen an jungen Bergbauern, sie in dem Glauben zu belassen, ihr Betrieb sei überlebensfähig. Für Ausbildung und Arbeitsplätze muß also rechtzeitig gesorgt werden.“

3 von 4 müssen gehn

Wie in anderen westeuropäischen Ländern produziert die Landwirtschaft auch in Österreich Überschüsse. Diese nützen sowohl dem Gewerkschaftsbund, der die Nahrungsmittelpreise niedrig halten will, als auch den expandierenden Landwirten in Gunstlagen, solange sie erreichen können, daß die Agrarpreise trotz der Überschüsse mit dem Hinweis auf die Armut der benachteiligten Landwirte angehoben werden. Der steigenden Milchproduktion wurde mit einer Kontingentierung bereits entgegengetreten; mit einem Exportförderungsgroschen zahlen die Getreidebauern einen Teil der Kosten, die durch ihre Überschüsse entstehen.

Krammer/Scheer erstellten aufgrund herrschender Entwicklungen ein Perspektivmodell der Landwirtschaft für das Jahr 2000. Unter Voraussetzung weiterer Ertragssteigerung und der Fortsetzung der bisherigen Agrarpolitik wäre eine beispiellose Konzentration die Folge: eine Abnahme der Betriebe um 78 Prozent gegenüber heute.

Den beiden Wissenschaftern zufolge müßte die Hauptaufgabe einer neuen Agrarpolitik darin bestehen, die Spirale von steigender betrieblicher Intensivierung, wachsenden Überschüssen, sinkenden Preisen und wachsenden inneragrarischen Disparitäten zum Stehen zu bringen. Eine Fortsetzung der Abwanderung im bisherigen Maßstab würde ihrer Meinung nach den Arbeitsmarkt überlasten und wäre somit untragbar. Auch der agrarische Außenhandel ist nicht beliebig ausdehnbar, andere Länder haben ähnliche Probleme.

An die Stelle einer aktiven Preispolitik, welche die Einkommensdisparität vergrößert, sollte eine den unterschiedlichen Verhältnissen in der österreichischen Land- und Forstwirtschaft angepaßte Produktions- und Einkommenspolitik treten. Wichtige Elemente einer solchen Politik wären regionalisierte Mengensteuerung, Preisspaltung und ein Ausbau der Direktzahlungen.

Eine Reform des Einkommensteuerungssystems müßte die Einkommensdisparität verringern. Auch Dezentralisierung, regionale Autonomie, extensive Landbewirtschaftungsformen und Spezialproduktion in den Ungunstlagen, sowie ein angepaßter Fremdenverkehr gehören in dieses Konzept.

Solche Forderungen stoßen bei den Politikern auf harten Widerstand. Zu viele Interessen der Großkopferten werden berührt. Es muß aber bald was geschehen. Sonst sind die Bauern weg.

Literatur zur Bauernfrage:

Josef Krammer: Analyse einer Ausbeutung, Wien 1976, Reihe „In Sachen ...“, Bd. I: Geschichte der Bauern in Österreich, Bd. II: Bewußtsein der Bauern, öS 80 pro Band.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1980
, Seite 14
Autor/inn/en:

Reinhard Engel:

Monika Schulte-Derne:

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