Context XXI » Print » Jahrgang 1998 » ZOOM 5/1998
Heinz Fronek

Menschenrechte für Kinderflüchtlinge

Sie kommen aus dem Kosovo, Afghanistan, Sierra Leone, dem Irak und noch vielen weiteren Ländern dieser Erde. Sie sind auf der Flucht vor Krieg, Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung, Hunger, ökologischen und ökonomischen Katastrophen. Laut UNHCR sind es weltweit derzeit sechs Millionen Kinder, die genötigt sind, die Heimat zu verlassen. Besonders prekär ist die Lage für jene Minderjährigen, die gezwungen sind, ohne Eltern diesen Weg anzutreten. Österreich ist nur in einigen Fällen Zielland für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge. Eine von der asylkoordination österreich gemeinsam mit unicef erstellte Studie beleuchtet nun die Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. 1997 kamen ungefähr 400 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge neu in Österreich an. Der Großteil der Jugendlichen (93 %) war männlichen Geschlechts. Die Hauptherkunftsländer waren Jugoslawien (Kosovo) mit 31 % und Afghanistan mit 11 %. Das durchschnittliche Alter der Jugendlichen zum Zeitpunkt der Antragstellung war 17,2 Jahre.

Psychische Belastungen

Sowohl durch die Erlebnisse im Herkunftsland als auch durch die Flucht sind die Jugendlichen enormen psychischen Belastungen ausgesetzt. Bei ihrer Ankunft in Österreich finden sie aber nicht jene Situation vor, die für eine erfolgreiche Bewältigung der oft traumatischen Erlebnisse notwendig wäre. Im Gegenteil, es kommt eine Fülle von zusätzlichen, oft vermeidbaren, Belastungsmomenten auf die Minderjährigen zu. Die fehlende Aufenthaltssicherheit, die Anforderungen, die aus dem Asylverfahren resultieren, die Belastungen aufgrund der Verständigungsprobleme und die fehlende Strukturierungsmöglichkeit des Tagesablaufes sind einige zentrale Belastungsmomente.

Betreuung

Die Betreuung und Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist katastrophal. Der Hauptgrund für die Mängel ist in der ungeklärten Zuständigkeitsfrage zwischen dem Bund und den Ländern zu sehen. Im Zuständigkeitsdickicht bleiben die Kinder und Jugendlichen auf der Strecke, ihnen wird häufig jegliche Unterstützung verwehrt.

Während die Versorgung mit entsprechenden Nahrungsmitteln relativ unproblematisch ist, bestehen in vielen anderen Lebensbereichen massive Defizite. Mangelnde Möglichkeiten und fehlende Unterstützung beim Spracherwerb, kein Zugang zu Ausbildung und Berufstätigkeit, lückenhafte Gesundheitsversorgung, fehlende kind- und jugendgerechte Umgebung und Unterbringung sowie der Mangel an Betreuung durch eine ständige Bezugsperson sind zentrale ungelöste Probleme im Zusammenhang mit der Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen.

Österreich hat es bis jetzt verabsäumt, für diese besonders schutzbedürftige Personengruppe Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten – wie sie in der Kinderrechtskonvention gemäß Artikel 22 von den Vertragsstaaten gefordert werden – einzurichten.

Rechtliche Situation

Der Ablauf des Asylverfahrens gleicht einem Hindernislauf. Zunächst zeigt sich, daß es für jugendliche Flüchtlinge bereits schwierig ist, einen Asylantrag einzubringen. Gelingt ihnen die Einreise nach Österreich, werden sie in fast 50 % aller Fälle bereits in der ersten Woche ihres Aufenthalts in Österreich am Bundesasylamt einvernommen. In Extremfällen erfolgt die Einvernahme noch am Tag der Ankunft in Österreich. Noch völlig desorientiert, uninformiert, verängstigt und erschöpft müssen sie ihren Fluchtweg beschreiben und ihre Fluchtgründe den ReferentInnen glaubhaft machen. Die ReferentInnen sind nicht auf die spezifischen Problemstellungen bei Jugendlichen und Kindern vorbereitet. Die Einvernahmesituation ist für die Minderjährigen enorm belastend, daher kommt es häufig zu Retraumatisierungen. Die Chance, in Österreich Asyl zu erhalten, ist für unbegleitete Minderjährige verschwindend gering. Weniger als 3 % der AntragstellerInnen erhielten 1997 den Flüchtlingsstatus zugesprochen. In der ersten Instanz wiesen nur zwei von 179 analysierten Bescheiden einen positiven Ausgang des Asylverfahrens aus.

Ebenfalls stellen sich die im Asylgesetz 1997 eingeführten §§ 4, 5 und 6 als höchst problematisch heraus. Die zweitägige Berufungsfrist in diesen Verfahren führte häufig dazu, daß von den gesetzlichen Vertretern Fristen nicht wahrgenommen wurden.

Die Qualität der gesetzlichen Vertretung im Asylverfahren durch das Amt für Jugend und Familie ist breiten Schwankungen unterworfen. Um eine bessere Begleitung sicherzustellen, müssen in diesem Bereich zusätzliche personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Besorgniserregend ist auch der extreme Anstieg der Schubhaftverhängung bei Minderjährigen. Anstatt in kompetente Betreuungseinrichtungen aufgenommen zu werden und psychosoziale Unterstützung zu erhalten, werden sie in Österreich immer häufiger in Schubhaft genommen. Am 1.6.1998 waren 33 Minderjährige in österreichischen Schubhaftanstalten. Rechnet man die Erhebungslücken ein, so kommt man, bei einer vorsichtigen Schätzung, auf eine Zahl von 50 Minderjährigen, die an diesem Stichtag in Schubhaft waren. Im Vergleich dazu waren es am 1.5.1994 noch sechs Minderjährige, am 1.5.1995 acht Jugendliche, am 1.5.1996 17 und am 1.6.1997 19 Jugendliche gewesen, die sich in Schubhaft befanden. Bei der Abschiebung und Zurückschiebung wird keine Rücksicht darauf genommen, was mit dem Minderjährigen im Drittland oder Herkunftsland weiter passiert.

Forderungen

Der Grundsatz gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Kinderrechtskonvention, nach dem das Wohl des Kindes bei allen Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen ist, findet in Österreich bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen keine Beachtung. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden in Österreich als Jugendliche zweiter Klasse behandelt. Alarmiert durch die erschreckenden Zustände hat sich nun eine Gruppe von Menschen gebildet, die sich für die Rechte der Kinderflüchtlinge in Österreich einsetzen will. Die zentralen Forderungen der Arbeitsgruppe sind:

  • Keine Schubhaftverhängung bei minderjährigen Flüchtlingen.
  • Die Unterbringung und Betreuung der Kinderflüchtlinge hat durch den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger in geeigneten Einrichtungen zu erfolgen.
  • Einrichtung von Clearingstellen (Erstaufnahmeeinrichtungen).
  • Faire Asylverfahren unter Berücksichtigung kindspezifischer Fluchtgründe.
  • Gesicherte Zugänge zu Deutschkursen, Ausbildung und Arbeit.

Die Kampagne „Menschenrechte für Kinderflüchtlinge“, die vom Bundeskanzleramt aus Mitteln des Menschenrechtsjahres 1998 finanziert wird, hat sich das Ziel gesetzt, die politisch Verantwortlichen endlich dazu zu bringen, die Einhaltung der Menschenrechte für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sicherzustellen. Fünfzig Jahre nach Unterzeichnung der Menschenrechtserklärung ist es allerhöchste Zeit dazu.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
November
1998
, Seite 20
Autor/inn/en:

Heinz Fronek:

Mag. Heinz Fronek ist Mitarbeiter der asylkoordination Österreich.

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