FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1988 » No. 411/412
Klara Krupka

Meinen Vater soll es nicht gegeben haben?

Jüngst stand in einer heimischen Wochenzeitschrift, es gäbe viele Österreicher, die gar nicht glauben, daß es Widerstandskämpfer (während der Nazizeit) gegeben habe. Viele glauben, so hieß es auch, daß jene Verräter gewesen seien.

Posthum und stellvertretend für meinen Vater krampfte ein weiteres Mal mein sozialistisches Herz, denn eines weiß ich wie nichts so sicher: mein Vater hat gelebt und war im Widerstand, was ihm zwischen Juni 1943 und Mai 1945 zuerst Gestapohaft am Mittersteig und am Schwedenplatz, dann ein Todesurteil des sogenannten Volksgerichtshofs und schließlich, nach der Begnadigung, noch 18 Monate KZ Mauthausen bescherte.

Zur Last wurde ihm gelegt, was im nationalsozialistischen Sprachgebrauch Hochverrat hieß, in unserem, sozialistischen Denken jedoch nichts als grundanständige Mitmenschlichkeit war. Als Feuerwehrmann ließ er sich beim „Mitführen staatsfeindlicher Flugblätter und gesammelter Spendengelder für die Unterstützung der Witwe des Floridsdorfer Feuerwehrkommandanten Weissel und deren drei Kinder“ ertappen. Der dies verraten hatte, damals als „zuverlässiger und vorbildlicher Parteigenosse“ tituliert, machte später Feuerwehrkarriere. Leider weiß ich seinen Namen nicht — mein Vater hat ihn nie verraten.

Nun wird also angeblich immer noch in Österreich Widerstand gegen die Nazibarbaren mit Hochverrat verwechselt, nur so halt. Solche Lurche überstehen jede Trockenzeit heil, und kaum werden die Zeiten schlüpfriger, kriechen sie aus den Sümpfen und sauren Wiesen.

Daß mein Vater die unsäglichen Torturen, die ihm widerfuhren, überhaupt überstand, verdankte er nicht vielleicht seiner Auffassung von Pflichterfüllung für die KZ-Schergen oder deren schonungsvoller Behandlung. Er verdankte sein weiteres Leben auch nicht der Tatsache, daß viele seiner (auch sozialistischen) Freunde damals ihre Pflichterfüllung in tatenlosem Zusehen oder gleichgültigem Wegsehen verstanden. Er überlebte auch nicht, weil er von so guter körperlicher Verfassung war. Sein Magendrittel nach einer „Billroth II“ genannten Operation im Jahr 1938 (!) verhinderte dies gründlich. Er überlebte einzig deshalb, weil, als dieser sinnlose Krieg im Mai 1945 endlich beendet war, er noch nicht krank genug war, um sterben zu müssen. Er wurde allerdings auch nie wieder völlig gesund. Er starb an der Lagerhaft mit qualvoller Verzögerung erst im Jahr 1971.

So wie er 1944 in letzter Minute — schon auf dem Richtplatz mit verbundenen Augen neben den 11 anderen Kameraden angetreten — zu „lebenslänglich“ begnadigt wurde, so schafften die lagerbefreienden Amis es 1945, in den für ihn beinahe schon letzten Tagen, ihn am Leben zu erhalten. Bloß wußte er den Rest seines Lebens nicht annähernd so nutzbringend zu verwenden wie seine Genossen Rosa Jochmann oder Josef Hindels, die Zeugnis ablegten; mein Vater resignierte, ging in innere Emigration.

Als politisches Erbe gab er mir auf den Weg: sozialdemokratisches, menschliches Empfinden, Kenntnisse über die schweren Zeiten ab dem Ersten Weltkrieg und eine Liebe zum Leben, die vor allem auf den einfachsten Dingen beruht: Was man lernt, was man kann, kann einem niemand wegnehmen. Und: Glücklich ist, wer an den kleinen Dingen am Wegrand Freude haben kann. Wir verbrachten viel Zeit in den Bergen, im Wald und unter Freunden.

Nur ein Wunsch blockierte die brave Tochter lange Zeit: „Misch dich nie in die Politik, mein Kind, dafür dankt dir niemand, im Gegenteil. Wenn du ein anständiger Mensch bleiben willst, halte Abstand. Wer sich da einmischt, kann nur Ärger und Leid ernten.“

Ich folgte, solange er lebte. Als er tot war, fühlte ich mich nicht mehr an mein Versprechen gebunden und wollte es kurzfristig selber erfahren.

Bei „Freiheit für Griechenland“ und „Bundesheer — wozu?“ mußte ich lernen (und tat es gern), wie man mit Malerpinsel und Farbe umgeht, ohne aufzufallen. Bei „Mein Bauch gehört mir“ und bei „AKW — nein danke“ mußte ich auf Spraydose umlernen. Widerwillig, denn Treibgas, man weiß ja mittlerweile, beraubt uns des schützenden Ozons da oben.

Und was mach ich bei der Mahnwache vor dem Stephansdom? Übe nachträglich Ungehorsam gegen den Vater, stell’ mich, halte keinen Abstand. Noch immer leben sie, diese Wahnwitzigen, diese Nichtwissenwollenden, zu denen vereinzelt seinerzeit auch „Freunde“ unserer Familie zählten. Und die Gesichter der alten Nazis werden immer jünger. Das beängstigt mich zutiefst.

Mitunter erzählte mein Vater nach dem Krieg über die Lagerhaft oder die Gestapo-Henker und Folterknechte. Seine Freunde glaubten wohl nur einen Teil; aber auch wenn bloß die Hälfte wahr sein sollte, so meinten sie, müsse er unsagbar gelitten haben.

So trösteten sie und belogen sich selber. Weder von den Qualen durch Folter noch von der Arbeit im Mauthausener Steinbruch konnten sie sich aber wirklich ein Bild machen. Die jahrelange germanisch-arische Propaganda, ihnen ins Hirn gedrillt, vernebelte den Versuch eines Mitfühlens. Und sie meinten auch, daß der Hausmeister von der Nebenstiege so schlecht nicht gewesen sein konnte, der die zwei Kommunisten bei seinen Parteigenossen denunzierte, damit seine Mitgliedsnummer bei der NSDAP auch möglichst niedrig ausfallen möge. Nach dem Krieg klagte er doch immer, er sei nur Blockwart gewesen, weil man ihm angedeutet hätte, daß er sonst mit Frau und Kindern aus der Dienstwohnung ziehen müsse. Und wohin hätte er denn dann sollen. Und wie hätte er denn auch ahnen sollen, daß die zwei Roten im Lager nicht umerzogen, sondern umgebracht werden würden?

Mein Vater hat. Nicht nur geahnt.

Und wer wagt — so meint unser oberster Hüter der Republik — den ersten Stein zu werfen?

Ich — Trottel. Trotz aller Warnungen meines wohlmeinenden Vaters.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1988
, Seite 31
Autor/inn/en:

Klara Krupka:

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