FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 129
Harald Kaufmann

Karajan noch in unserem Besitz

Unser ständiger Musikreferent Hans Menningen hat im August-Heft unter dem Titel „Die Austreibung Karajans“ Grundsätzliches zum Problem und zur Affäre Karajan vorgebracht und hat damit weitgehend auch die Meinung des FORVM klargestellt: wir sind — soweit „für“ und „gegen“ sich in solchem Zusammenhang eindeutig scheiden lassen — für Karajan. Und wir sind es nicht zuletzt deshalb, weil uns die Motive seiner Gegner bisweilen recht fragwürdig erscheinen, also weil wir gegen die Anti-Karajaner sind. Daß die einigermaßen neuartigen Konstellationen, die sich im österreichischen Kulturleben ergeben haben (oder sich anbahnen), auch zur Revision manch einer ehedem eingenommenen Haltung führen mußten, versteht sich angesichts der Vielschichtigkeit des Problems Karajan von selbst.

Eine dieser vielen Schichten, die in den bisherigen Kommentaren völlig vernachlässigt wurden, wird nachstehend von unserem langjährigen Mitarbeiter Harald Kaufmann beleuchtet. Sie läßt die Problematik des Falles in einem andern und für Karajan minder ergiebigen Licht erscheinen, zu dessen Einschaltung DDr. Kaufmann als Jurist und Musikwissenschaftler besonders gut ausgerüstet ist. Wir glauben, unseren Lesern die rechtlichen Aspekte der Causa Karajan um so weniger vorenthalten zu sollen, als die künstlerischen Aspekte inzwischen durch Karajans Bindung an Salzburg eine neue und erfreuliche Wendung genommen haben.

Was du bist, bist du nur durch Verträge.

„Rheingold“

Man ist vor Überraschungen im Zeitalter der sportifizierten Staatsopernkrisen nie sicher. Kaum hatte sich der grollende Maestro vom Streit der zerfallenen österreichischen Menschheit auf Nimmerwiedersehen abgesetzt, trug ihn der Aeroplan der verzeihenden geschäftlichen Einsicht schon wieder ins Paradies der beamteten Autokratie zurück. Grundsätzlich muß man den Salzburgern zu dem bedeutenden Sieg, den sie da über Wien davongetragen haben, gratulieren. Ein Karajan, der sonst nirgends in Österreich zu hören ist, sichert den Salzburger Festspielen einen Vorrang, auf den tatenlos zu verzichten programmierter Selbstmord gewesen wäre.

Dennoch hat der neue Kontrakt eine Lage geschaffen, bei deren leidenschaftsloser Analyse man nicht recht glücklich wird. Noch hinzunehmen ist der Interessenkonflikt innerhalb der Anhängerschaft Karajans zwischen dem Salzburger und dem Wiener Lager, der unabdingbar zum Basar des sommerlichen Kunsttratsches an der Salzachpromenade gehört. Die einen sehen in der Verbindung mit Karajan die Chance föderalistischen Wunschtraumes, Festspiele ohne Bevormundung der Bundestheater zu verwirklichen (wenigstens in der Oper), die anderen haben unmißverständlich dargetan, daß die gehaltene Salzburger Bastion als Möglichkeit genutzt werden müsse, die Zurücktreibung Karajans nach Wien ins Werk zu setzen.

Angesichts der festlichen Stunde gab sich die Gesinnung mancher Wiener Kulturpolitiker erstaunlich kriegerisch. Man las von einem „Brückenkopf“, den zu bilden geglückt sei, von einer „Demarkationslinie“, die quer durchs österreichische Land der Musik verlaufe. Der Generalangriff auf Wien mit dem Richtungszentrum Staatsoper wird wohl bevorstehen ob nun der aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretene Karajan seine Fronttauglichkeit bekunden wird oder nicht.

Die interessanteste Gruppe der Karajan-Kämpfer indessen kümmert das österreichische Renommee wohl überhaupt nicht. Ihr mag der Platz der Austragung nur aus der Sicht eines musikalischen Weltprestiges erstrebenswert sein. Je mehr Tumult um Karajan, desto populärer der Verkauf seiner Leistungen. Man sprach in Salzburg von phantastischen Summen, die der Schallplatten-Exklusivvertrag Karajans der Deutschen Grammophongesellschaft kostet.

Gewiß wurde diese musische Ehe mit erheblichem Kapitalaufwand und unter der Erwartung von Dividenden geschlossen. Karajan hatte als Mitgift nicht nur seinen Namen zu bieten, sondern zur Zeit des Vertragsabschlusses (Frühjahr 1964) auch die Möglichkeit, stehende Staatsopernaufführungen, die aus österreichischen Steuergeldern bezahlt werden, relativ preisgünstig, nämlich ohne wochenlange Probenarbeit, an die Plattenindustrie weiterzureichen. Die Bestürzung in Grammophonkreisen, als bald nach dem Zustandekommen des Vertrages mit Karajan dessen Verbindung mit der Wiener Staatsoper verlorenging, kann man sich ausmalen.

Karajan, gewohnt, Herr seiner Entschlüsse zu sein, war nach der übereilten Verkündigung seines Unmuts über Österreich plötzlich in der Zwangslage, Ersatz für die Erfüllung seiner anderen Verabredungen schaffen zu müssen. Kein Opernhaus von Rang außerhalb Österreichs war imstande, diesen sofort zu garantieren. In die Marktsituation Eingeweihte wußten, daß Karajan, sobald man ihm ermöglichte, sein Gesicht zu wahren, in Salzburg zugreifen werde. Er hat sich denn auch weit weniger geziert, als nach der Stimmungsmache zur Zeit der beginnenden Verhandlungen zu erwarten war.

Aufhorchen ließ lediglich, daß Karajan einen Sitz im Salzburger Direktorium zugesprochen bekam. Denn selbst leidenschaftlichste Bewunderer seiner Kunst räumen ein, er habe in Wien als Direktor versagt. Darüber hinaus wurde vom Salzburger Kuratorium in einer Art Geheimklausel verfügt, daß der jeweilige Festspielpräsident in allen Programm- und Besetzungsfragen zunächst mit Herrn von Karajan Fühlung aufzunehmen habe. Somit erhält Karajan praktisch wieder jene Position eines künstlerischen Leiters der Festspiele, die er im Jahre 1959 unter dem Druck heftiger Kritik und interner Uneinigkeit niedergelegt hatte, allerdings mit dem Unterschied, daß er nun mitbestimmen darf, wo immer er will, aber nicht mehr öffentlich verantwortlich gemacht werden kann.

Hier ist der Ansatzpunkt, den Salzburger Vertrag besorgniserregend zu nennen. Denn diese Konstellation ist in ihrer juristischen Unverbindlichkeit so sehr nach Karajans Geschmack und anderseits so ausgeprägt dafür geschaffen, komplizierte internationale Rechtsverhältnisse zwischen Tür und Angel zu begründen, daß alle Voraussetzungen zur Befürchtung bestehen, die Wiener Situation werde sich in Salzburg modellhaft wiederholen. Karajans kunstwirtschaftliche Ökonomie möchte einen produzierten Standard für die Welt vervielfältigen, dies aber nicht auf der Grundlage präziser Detailverträge, deren logisches Durchdenken ihm viel zu mühsam wäre, sondern in der Art von Gentlemen’s agreements. In dieser Unpräzision, die der Präzision seiner künstlerischen Arbeit widerspricht, offenbart Karajan unfreiwillig den Irrtum seines Systems. Er ist hinterdrein erstaunt wie ein Kind, wenn die Vertragspartner auf dem Buchstaben der Abmachung bestehen, die Karajan möglicherweise schon wieder vergessen hat oder zugunsten anderer Dispositionen opferte.

Was aus der Verwirrung der bisherigen Vorschläge, die das neue Salzburger Direktoriumsmitglied Karajan in den wenigen Wochen seines Wirkens mit Blickrichtung Produktionsökonomie zu erstatten wußte, noch werden wird, bleibt abzuwarten. Jeder Vorschlag für sich ist ein Pulverfäßchen, das den Festspielen untergeschoben wurde: Schallplattenproduktion des geplanten „Boris Godunow“ für die Deutsche Grammophongesellschaft, deshalb aber auch interne Diskussion über eine allfällige Verpflichtung der Berliner Philharmoniker als Orchester, da die Wiener Philharmoniker bei Decca unter Vertrag stehen und ihr Transfer rechtlich schwierig und teuer wäre; Gespräche über einen Vorschlag, die von Karajan dirigierte und inszenierte „Elektra“ als Gesamtgastspiel der Salzburger Festspiele nach Mailand zu transportieren, welche Eigenwilligkeit, die dem Fremdenverkehr die Attraktion der ortsgebundenen Kulturleistung kosten würde, von den Verantwortlichen nicht nur deshalb erörtert werden muß, um den Maestro nicht von vornherein zu verstimmen, sondern auch aus der Nötigung, daß eine Unabkömmlichkeitserklärung der Wiener Philharmoniker erst recht die Berliner Philharmoniker auf den Plan bringen würde.

Was aber dann, wenn eine allzu bevorzugte Verpflichtung eines ausländischen Orchesters die Subventionsgeber, den Bund vor allem, verärgerte? Man muß hoffen, daß nicht jedes Pulverfäßchen explodieren werde.

Die geänderte Situation in Salzburg, die Karajan erneut vage definierte Vollmachten durchaus nicht nur künstlerischer Art beschert, rechtfertigt (diesmal von der Gegenposition her gesehen) nochmals eine Zusammenstellung der Fakten, die zum Wiener Direktionsdebakel führten.

  1. Im rechtsverbindlichen Sinn begann die Direktionskrise der Wiener Staatsoper mit jenem Brief vom 8. Mai 1964, den Karajan an den Unterrichtsminister sandte. Er erklärte darin aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt als künstlerischer Leiter des Instituts, bekundete aber Bereitwilligkeit, über eine weitere Tätigkeit als Dirigent und Regisseur zu verhandeln. Dem Brief war eine Unterredung zwischen dem Minister und Karajan vorausgegangen, bei der Karajan dezidiert seinen Rücktrittsentschluß vortrug. Vom Schicksal Dr. Hilberts war damals nicht die Rede.
  2. Das persönliche Rechtsverhältnis zwischen der Republik Österreich und Karajan, die künstlerische Führung der Staatsoper betreffend, war zur Zeit der Aufkündigung nicht durch einen schriftlichen Vertrag, wohl aber durch konkludente Handlungen verwirklicht. Karajan hatte mit der Bundestheaterverwaltung nur im Jahre 1956 einen dreijährigen Vertrag abgeschlossen, der seither im stillen Einverständnis der Partner weitergeführt worden war. Karajan arbeitete für die Staatsoper und bezog Gehalt und Gage.
  3. Dr. Egon Hilbert besitzt, zum Unterschied von Karajan, als Direktor der Wiener Staatsoper einen unterzeichneten rechtsgültigen Vertrag für fünf Jahre (ab 1963/64). Der Abschluß dieses Vertrages, in der Amtszeit des Unterrichtsministers Dr. Drimmel, war von Karajan vorgeschlagen worden. Gegenüber Karajan wird Hilberts Rechtsverhältnis mangels anderer schriftlicher Abmachungen ebenfalls durch konkludente Handlungen begründet, also durch die Faktizität dessen, was Hilbert bisher tat und Karajan tolerierte; auch im künstlerischen Bereich.
  4. Eine Kündigungspflicht des Co-Direktors, falls Karajan zurücktrete, ist im Vertrag Dr. Hilberts nicht vorgesehen. Wohl aber ist für diesen Fall von einem Kündigungsrecht Hilberts die Rede, das jedoch innerhalb einer Frist von 14 Tagen bei der Unterrichtsbehörde angemeldet werden muß. Der Schluß ist zwingend, daß Hilbert, sobald er von diesem Kündigungsrecht nicht Gebrauch macht, in gleicher Position wie bisher verbleiben oder die Direktion, sofern kein Nachfolger Karajans bestellt wird, einstweilen allein weiterführen kann.
  5. Karajan hat in seinen Interviews zwar Wert auf die Feststellung gelegt, er habe niemals Dr. Hilberts Kopf gefordert, aber hinterher gleich auf die unterlassene Möglichkeit hingewiesen, entweder Hilberts Vertrag zum 31. August 1965 vorzeitig zu kündigen oder seinen Co-Direktor auf ein Ressort abzuschieben, das keine künstlerischen Kompetenzen hat. Eine vorzeitige Kündigungsmöglichkeit Dr. Hilberts ist in dessen Vertrag tatsächlich vorgesehen. Sie müßte bis 1. Februar 1965 durch die Unterrichtsbehörde ausgesprochen werden und könnte ohne Angabe von Gründen erfolgen. Der Unterrichtsminister steht jedoch auf dem Rechtsstandpunkt, die Republik Österreich könne sich als Basis eines erst abzuschließenden Privatvertrages (mit Karajan) nicht darauf festlegen, daß sie einen anderen Privatvertrag (mit Dr. Hilbert) bis zu einer bestimmten Zeit kündigen werde. Dr. Piffl betont, er habe dies Karajan in aller Deutlichkeit schon damals erklärt, als dieser mit seiner Bedingung herausrückte, bevor er an der Staatsoper dirigiere, müsse Hilbert aus dem Haus. Eine Beschäftigung Dr. Hilberts in einem anderen Ressort als dem vertraglich vorgesehenen ist laut Bühnendienstvertrag unzulässig. Im Vertrag Dr. Hilberts heißt es (entgegen der Versicherung Karajans in den Interviews): „Dr. Egon Hilbert hat die Tätigkeit als Direktor gemeinsam und im Einvernehmen mit dem bereits bestellten künstlerischen Leiter Herbert von Karajan auszuüben und ist diesem daher hinsichtlich der Verantwortung und der Dispositionsbefugnis für den künstlerischen Betrieb der Staatsoper gleichgestellt.“
  6. Von Rechtsverbindlichkeit einer allfälligen mündlichen Abmachung über einen gemeinsamen Rücktritt beider Direktoren zwischen dem damaligen Unterrichtsminister Dr. Drimmel, Karajan und Dr. Hilbert kann nicht die Rede sein, da die schriftliche Fixierung einer solchen Abmachung entgegensteht. Dr. Hilbert bestreitet eine Nebenabrede. Dr. Drimmel als möglicher Zeuge wurde von der Unterrichtsbehörde bewußt nicht bemüht, da er sich als solcher nicht selbst anbot. Dr. Drimmel wurde auch von Karajan nicht als Zeuge berufen.
  7. Karajan spricht von entscheidenden Einschränkungen seiner Rechte, die ihm zugemutet werden sollten. Das ministerielle Angebot lautete jedoch, Karajan solle als Dirigent und Regisseur in gleicher Relation wie bisher alle Freiheiten der künstlerischen und technischen Möglichkeiten genießen. Ein Treuhänder seiner Rechte sollte gefunden werden, der mit allen Befugnissen auszustatten gewesen wäre, um Karajans Forderungen, wie sie aus dem bisherigen Zustand der künstlerischen Arbeit gerechtfertigt waren, gegenüber der Operndirektion durchzusetzen. Karajan verhandelte über diesen Überbrückungsvorschlag, stellte sich aber auf den Standpunkt rechtlichen Mißverstehens, daß dieser Treuhänder die Direktion Dr. Hilberts überhaupt auszuschalten habe. Vor allem an dieser Interpretation scheiterten die Verhandlungen mit Prof. Gamsjäger und Volksoperndirektor Moser. Karajans Telegramm, das die Bestellung Oscar Fritz Schuhs vorschlug, nominierte diesen kurzweg als „Operndirektor“.
  8. Karajans Behauptung, dem Budget der Wiener Oper drohe eine Kürzung (im „Spiegel“ war von einer Reduzierung des Budgets von 124 auf 114 Millionen Schilling die Rede) ist Rhetorik. Der ministerielle Budgetvorschlag für das nächste Jahr sieht keine finanzielle Drosselung der Staatsoper vor.
  9. Auf die Kritik des Rechnungshofes antwortete Karajan mit der Wendung, wenn seine Oper teuer gewesen sei, so war sie auch sehr gut. Der Rechnungshofbericht kritisiert aber nicht, was künstlerisch sehr gut war, sondern Aufwendungen für zu ausgedehnte Dienstreisen, Doppelengagements, nicht verwendete Ausstattungen usw. Der Rechnungshofbericht beschäftigt sich ausschließlich mit der Ära Karajan-Seefehlner und der Ära Karajan-Schäfer nach dem sogenannten Additionale, das ist die Feststellung der finanziellen Autonomie für die einzelnen Bundestheater.
  10. Der Rechnungshof empfiehlt zwar die Aufhebung der finanziellen Autonomie der Bundestheater und die Wiederherstellung des alten Zustandes, doch ist nach ausdrücklicher Erklärung des derzeitigen Unterrichtsministers das Additionale noch zu kurz in Kraft, um zu erkennen, ob und wo es für die Finanzen gefährlich werden könne. Der Rechnungshofbericht wurde Karajan zur allfälligen Beantwortung erst nach dessen öffentlicher Erklärung zugesandt, er werde nach dem 31. August 1964 in Österreich nicht mehr dirigieren. Loyalerweise wurde vorher schon Schuh über die Existenz dieses Berichtes, nicht über den detaillierten Inhalt, informiert, da für einen Direktionsanwärter eine allfällige Änderung des finanziellen Autonomiestatuts wissenswert war.
  11. Der vielzitierte Vertrag mit der Mailänder Scala besteht nur aus einer ganz globalen Abmachung in wenigen Punkten. Es liegt nichts vor, was gekündigt werden müßte oder könnte. Der Mailänder Vertrag wird im Rechnungshofbericht besonders hart kritisiert; es fehle u.a. die Vertragsgrundlage, um eine ständige Aufwärtsentwicklung der Gagen zu begründen, auf deren Festsetzung Operndirektion und Bundestheaterverwaltung keinen Einfluß haben.
  12. Der Unterschied zwischen den Wiener Karajan-Krisen der Vorjahre, die Minister Dr. Drimmel bereinigen konnte, und der letzten, die zum Bruch führte, ist der Folgende: Von Dr. Drimmel hat Karajan keine Rechtswidrigkeit gefordert; dem neuen Unterrichtsminister jedoch wurde eine solche zugemutet, als Karajan die Ausschaltung Dr. Hilberts verlangte.
  13. Dennoch waren die Bemühungen, im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten mit Karajan zugunsten der Wiener Staatsoper zu einer Einigung zu kommen, erheblich. Es wurde sieben Wochen lang verhandelt. In das konkreteste Stadium waren die Gespräche mit Prof. Gamsjäger und Direktor Moser getreten. Karajans Vorschlag, Prof. Schuh betreffend, entbehrte sowohl hinsichtlich des Zeitpunktes, ab dem Schuh für die Wiener Staatsoper zur Verfügung gestanden wäre (1. September 1966), als auch wegen dessen verständlicher Forderung, das Institut nur als finanziell autonomer, alleiniger Operndirektor führen zu wollen, zur Zeit des Vorschlages der realen Verhandlungsgrundlage. Nachdem diese Auffassung in einem Kommuniqué vom Unterrichtsminister und Prof. Schuh einvernehmlich bekanntgegeben worden war, betrachtete Karajan alle Wiener Verhandlungen als gescheitert und teilte dies der Öffentlichkeit, nicht aber der Unterrichtsbehörde mit.

An warnenden Stimmen in Salzburg selbst, aus dem Wiener Debakel eine Lehre zu ziehen, hat es nicht gefehlt. Die Genugtuung darüber, daß Karajan, der bedeutende Künstler, unser bleibt, sollte nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß dieses Künstlers enormer Marktwert einer dauernden Selbstbestätigung in wirtschaftlichen Arrangements bedarf, die der bisher zumindest theoretisch hochgehaltenen Idee des Salzburger Festes widersprechen und obendrein einen exzellenten juristischen Kopf verlangen, der Karajan gar nicht sein möchte. Der Hohn, mit dem Karajan das ihn an eine Analogie mit Gasbeleuchtung gemahnende alte Ensembletheater abkanzelt, läßt übersehen, wie anachronistisch er selbst sein System des musikalischen Commonwealth, der hochindustrialisierten Arbeitsteilung, juristisch zu begründen trachtet: mit Feudalentscheidungen, die nur dann wirksam wären, wenn die Kunstwelt konstitutionslos organisiert ist. Sollte Karajan dies voraussetzen, dann wäre seine Utopie schon eine der Gegenwart. Ihr soziologischer Dilettantismus (der künstlerischen Standard nicht ausschließt) besteht in der Verknüpfung auseinanderliegender Produktionssysteme: höchster Technifizierung im Artistischen auf der einen Seite und Reaktivierung des souveränen Herrenwortes auf der anderen. Illusionen dürfen sich Industriebarone nicht leisten; sonst bleiben sie keine.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
September
1964
, Seite 454
Autor/inn/en:

Harald Kaufmann:

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