MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 54
Igor Schellander
Das kroatische Volk hat gewählt:

Jugoslawien kaputt?

Der Wahlerfolg der nationalistischen „Kroatischen demokratischen Union“ hat größte Auswirkungen auf die politische Krise in Jugoslawien. Zudem kommen noch Probleme aus unbewältigter Vergangenheit ans Tageslicht.

Bild: Contrast / Lesinger
Kroatische demokratische Union, Franjo Tudjman
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„In der Partei der Sieger, der HDZ, existiert ein aggressiver ustaschoider Kern, welcher dem Sieg der Partei etwas Schmerzhaftes gibt ...“ Jovan Raskovic, Führer der „Serbischen demokratischen Partei“ in Kroatien, kann dem überragenden Erfolg von Franjo Tudjmans Oppositionsbündnis „Hrvatska demokratska zajednica“ (HDZ, „Kroatische demokratische Union“) nicht allzuviel Positives abgewinnen. Der bekannte Arzt aus Sibenik vertritt mit seine Partei die Interessen der autochthonen serbischen Bevölkerung Kroatiens (sie stellt ca. 12 Prozent der Landesbevölkerung). Die Wahlen bezeichnet er als „Plebiszit des kroatischen Volkes“. Mit ihnen seien auch neue Aspekte in den kroatisch-serbischen zwischennationalen Beziehungen aufgetreten, die den Serben Grund zum Mißtrauen geben, meint Raskovic.

In Zagreb hatten sich vor den Wahlen am 22. April (der zweite Wahldurchgang fand am 6. Mai statt) drei Wahlblöcke gebildet: die Mitte-Rechts-Gruppe „Kroatische demokratische Union“ (HDZ) mit dem Spitzenkandidaten Franjo Tudjman, die Mitte-Links-Gruppe „Koalition der nationalen Verständigung“ (KNS) mit der Spitzenkandidatin Savka Dabcevic-Kucar (sie wurde 1971 nach dem ‚kroatischen Frühling‘ als Regierungsvorsitzende abgesetzt) und der Linksblock unter der Führung des Bundes der Kommunisten Kroatiens/„Partei der demokratischen Veränderung“ mit dem Spitzenkandidaten Ivica Racan. Die „Serbische demokratische Partei“ Kroatiens (SDS) mit Jovan Raskovic war ebenfalls mit von der Partie. Insgesamt kandidierten über 20 Parteien, wobei allerdings die meisten davon an der 7-Prozent-Hürde scheiterten.

Parlamentsboykott durch Serben

An Spannungen und Turbulenzen fehlte es bei der Wende in Kroatien tatsächlich nicht. Richtig sensationell war dann der Triumph Tudjmans. Die HDZ („Kroatische demokratische Union“) dominierte beim ersten Wahldurchgang mit knapp 80 Prozent und erhielt nach der Stichwahl mit insgesamt 205 Sitzen in allen drei Parlamentskammern die absolute Mehrheit. Mit 81 Parlamentssitzen folgen die Kommunisten als zweitstärkste Partei. Auf die KNS („Koalition der nationalen Verständigung“) entfielen 11, der Rest der 356 Parlamentssitze verteilt sich auf kleinere Parteien, unabhängige Kandidaten und fünf ‚serbische‘ Sitze. Gleich nach der Wahl bot Tudjman der „Serbischen demokratischen Partei“ — sehr zum Unwillen der Nationalisten in seiner HDZ — eine Regierungsbeteiligung an. Diese wiederum stellte, noch vor dem 30. Mai, als der neue kroatische Sabor, das Parlament, zusammentrat und Tudjman zum Präsidenten wählte, ihre Beziehungen zum kroatischen Parlament ein. Raskovic und seine Partei begründeten diesen Boykott unter anderem mit zwei Vorfällen, die die serbische Öffentlichkeit besonders beunruhigten:

  • in Benkovac wurde kurz zuvor der SDS-Funktionär Miroslav Mlinar Opfer eines Messerattentats;
  • in der Nähe von Bleiburg in Südkärnten beteiligten sich am 12. Mai führende HDZ-Mitglieder und Funktionäre gemeinsam mit Ustascha-Emigranten öffentlich an einer Gedenkfeier für die dort von den Partisanen bei Kriegsende aufgeriebenen Ustascha-Verbände.

Beide Ereignisse versetzten die Serben in Kroatien in eine, durch die historischen Ereignisse leicht verständliche, Emotionalität. Das Abschlachten mit blankem Messer, eine Spezialität der Ustascha-Terrortruppen während des 2. Weltkrieges, war den Serben und Partisanen noch in Erinnerung. Der faschistische Ustascha-Staat unter Ante Pavelic wollte die gesamte serbische Bevölkerung auf kroatischem und bosnischem Boden ausrotten und ein Großkroatien errichten.

Hochspannung nach Triumph der kroatischen Nationalisten

Der HDZ-Sieg löste bereits eine leichte Eskalation der zwischennationalen Beziehungen aus, verschiedene Kreise der HDZ („Kroatische demokratische Union“) — vorwiegend der zweiten oder dritten Garnituren — begannen mit der Thematisierung der sogenannten ‚serbischen Frage‘. Die Fußballschlacht in Zagreb am 13. Mai gab sogar Anlaß zu parlamentarischen Auseinandersetzungen: Ausschreitungen zwischen den Fans von „Roter Stern Belgrad“ und „Dynamo Zagreb“ führten zu den schwersten Krawallen in der jugoslawischen Sportgeschichte, an der Prügelei mit der Polizei beteiligten sich sogar die Fußballer.

Die freigesetzten Aggressionen werden ohne Zweifel durch scharfe Töne aus Belgrad noch zusätzlich angeheizt. Die Kritik des neuen serbischen Staatspräsidenten Borisav Jovic — er gilt als ein Mann von Milosevic — an den demokratischen Umwälzungen in Slowenien und Kroatien, welche Jugoslawien in eine Krise bringen und ins Chaos stürzen könnten, konnte von den an die Macht gekommenen Oppositionsgruppen nur als serbischer Affront verstanden werden. Anfragen im Bundesparlament in bezug auf Verfassungswidrigkeit der Wahlen in den beiden Republiken, die von Jovic angedeutete Erwägung eines Ausnahmezustandes sowie die von ihm veranlaßte Entwaffnung der regionalen Territorialverteidigung steigerten die Spannungen.

Korrespondenten der Belgrader Zeitungen in Zagreb schildern ein Zunehmen chauvinistischer Stimmung gegen Serben in Kroatien. Ein Korrespondent der „Politika“ fand eines Morgens auf der Motorhaube seines Autos eine weiße Taube mit abgeschnittenem Kopf vor ...

Ustascha-Vergangenheit: nur die Opfer können vergeben ...

Die gefühlsmäßige Anspannung der Serben in Kroatien hat reale Ursachen. Der kroatische Sabor soll eine neue kroatische Verfassung ausarbeiten. Die Serben wollen dabei auf keinen Fall in einen Korb mit nationalen Minderheiten geworfen werden. Raskovic: „Wir fürchten die kroatozentristische Politik nicht, solange sie nicht ausschließlich auf dem Prinzip der kroatischen Souveränität aufbaut. In dem Falle aber, daß den Serben nur soviel Souveränität gegeben wird, als die Kroaten für notwendig erachten, wäre von Demokratie keine Rede mehr.“

Das zweite Problem ist das amtlicherseits proklamierte Vorhaben der kroatischen nationalen Versöhnung. Dies zielt vor allem auf die Ustascha-Emigration und erweckt bei den Serben (nicht nur in Kroatien) den Eindruck einer Vergebung gegenüber den faschistischen Kollaborateuren. Die Serben betonen in diesem Zusammenhang, daß nicht die HDZ („Kroatische demokratische Union“) und andere Parteien, sondern lediglich die damaligen Opfer zu einer solchen berechtigt seien. Solange diese Probleme nicht geklärt werden, will Raskovic zumindest keine Beziehungen mit dem Sabor unterhalten.

Kroatien verharrt somit im Zwiespalt zwischen einer noch unbekannten und bisher unbewährten Regierungsmacht sowie einer alten und repräsentativen Staatsmacht, die — entsprechend den Ankündigungen Borislav Jovics — gerne äußerste Maßnahmen anwenden würde. Die HDZ steht nunmehr vor dem Problem, sich vom buntgefleckten und mit populistischer Ankündigungspolitik operierenden Oppositionsbündnis zu einer modernen und ernstzunehmenden politischen Partei zu wandeln. Tudjmans Vernunftsappelle und Warnungen vor Spaltungstendenzen sind vielleicht schon ein Schritt zur neuen Identität. Gefährdet wird dieser Weg jedenfalls von seiten der kroatischen als auch der serbischen radikalen Nationalisten. Die „Kroatische demokratische Union“ wird allerdings kaum um die Klärung ihrer Beziehungen zu Ustascha-nahen Gruppen umhin kommen. Diese selbst sehen Franjo Tudjman auf Grund seiner Partisanenvergangenheit mehr oder weniger nur als vorübergehendes notwendiges Übel.

Tudjman, der Märtyrer

Gefährlich ist auch — die im HDZ-Dunstkreis weitverbreitete — Ideologie eines Großkroatien, die die territoriale Integrität der (von Serben, Kroaten und Moslems bevölkerten) Nachbarrepublik Bosnien und Herzegowina in Frage stellt. Da gerade dieses Gebiet immer schon ein Konfliktherd war, erhielt es in Titos nationalitätenbefriedetem Nachkiegsjugoslawien den Republikstatus.

Zu ernsthaften Auseinandersetzungen könnten auch die Revanchismus-Appelle der „Kroatischen demokratischen Union“ gegenüber den ehemaligen kommunistischen Machthabern führen. Die reformierte kroatische KP erhielt immerhin knapp ein Drittel der Wählerstimmen und kann als politischer Faktor nicht ignoriert werden. Sie wird aber noch einige Runden zur eigenen Reformierung zulegen müssen: während Ivica Racans Partei Ende Mai keine Delegierten zum Abschluß des im Winter abgebrochenen 14. Kongresses des von Belgrad dominierten Bundes der Kommunisten Jugoslawiens entsandte, folgten einige Gemeindekomitees der Einladung. Auch ein großer Teil der kroatischen KP-Mandatare im Zagreber Sabor zählt nicht gerade zum Reformflügel der Partei.

Das ökonomische Sanierungsprogramm des — übrigens auch aus Kroatien stammenden — jugoslawischen Regierungschefs Ante Markovic wird von Tudjmans HDZ unterstützt, nicht jedoch seine unitaristischen Elemente. Kroatien will seine ökonomische und politische Souveränität sowie eine neue Rechtsstaatlichkeit voll ausbauen.

Franjo Tudjman, mit 23 Jahren Titos jüngster General der Partisanenarmee, später Generalmajor der jugoslawischen Volksarmee und nach Beendigung der Militärkarriere Professor für Zeitgeschichte an der Zagreber Uni, ist als HDZ-Führer und nunmehriger Republikspräsident eine — selbst von den Serben in Kroatien — respektierte Integrationsfigur. Das Attribut ‚extremer Nationalist‘ ist verfehlt, er deklariert sich aber als kroatischer Patriot, als politischer Märtyrer (zweimal wegen politischer ‚Delikte‘ in Haft) und als praktizierender Katholik. Als Historiker verfaßte er auch Arbeiten zur Nationalitätenproblematik in Europa. Das breite Spektrum der „Kroatischen demokratischen Union“ wird gerne mit der dominierenden kroatischen politischen Kraft nach 1918, der „Kroatischen Bauernpartei“, verglichen und Tudjman ebenso mit der exponierten Figur ihres damaligen Führers Stjepan Radic. Dieser war 1918 gegen die bedingungslose Vereinigung mit dem serbischen Königreich und Gegner der zentralistischen großserbischen Bourgeoisie. Radic forderte eine bäuerliche Republik Kroatien in einer jugoslawischen Föderation. 1925 gab er seine Oppositionsrolle auf und trat der Regierung in Belgrad bei, was noch zur Verschärfung der Konflikte zwischen Serben und Kroaten führte. Im Juni 1928 wurde er mitten in einer Parlamentssitzung vom Anhänger der serbischen Großbourgoisie Racic mit Pistolenschüssen ermordet. Der Eklat wurde vom serbischen König Alexander zur Einleitung einer Königsdiktatur genutzt.

Die Episode aus der Geschichte der jugoslawischen nationalistischen Auseinandersetzungen sollte allen heutigen hitzigen Akteuren ein warnendes Beispiel sein ...

Ustascha, unabhängiger Staat Kroatien, Bleiburg

Die Ustascha-Bewegung ist aus der extrem chauvinistischen Richtung der „Kroatischen Partei des Rechts“ hervorgegangen.

Sie hatte beste Beziehungen zu revanchistischen Kreisen in Ungarn, Italien, Österreich, Spanien, Deutschland. Nach der Einführung der Königsdiktatur in Jugoslawien (1929) wurde die illegale „Kroatische Befreiungsbewegung“ (Ustascha) gegründet. Ihr Ziel war die Verselbständigung eines großen Kroatien (mit Bosnien und Herzegowina sowie Srem) und die Vernichtung der Angehörigen der serbischen Bevölkerung in diesen Gebieten. Ustascha-Terrorgruppen wurden in Österreich, Ungarn und Italien gegründet. Sie verübten Anschläge sowohl in Jugoslawien als auch im Ausland (Attentat auf den jugoslawischen König Alexander in Marseille 1934). Vor dem 2. Weltkrieg infiltrierten sie die „Kroatische Bauernpartei“. Nach dem faschistischen Überfall auf Jugoslawien (1941) errichteten sie mit Hilfe Hitlerdeutschlands und Italiens den „Unabhängigen Staat Kroatien“. Unter ihrem Polizei- und Terrorregime vollzog sich die KZ-mäßige Vernichtung der Serben. Am Ende des 2. Weltkrieges flohen sie gemeinsam mit den faschistischen Okkupationstruppen vor der siegreichen jugoslawischen Partisanenarmee. Die Ustaschaverbände lieferten den Partisaneneinheiten bis zum 15. Mai 1945 (die letzten Gefechte bei Bleiburg in Südkärnten) erbitterten Widerstand; Titos Direktiven sahen in bezug auf die bewaffneten Quislingverbände den kurzen Prozeß vor.

Die Sabotagetätigkeit der emigrierten Ustascha-Kreise (ihre Organisationen bestehen in der BRD, Österreich, USA, Südamerika) gegen Titos Jugoslawien dauerten bis vor kurzem an (Anschläge auf jugoslawische diplomatische Einrichtungen, Flugzeugentführungen, Erpressung von Gastarbeitern, Bombenanschläge gegen Tourismusobjekte an der Adria in den 70er Jahren).

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1990
, Seite 24
Autor/inn/en:

Igor Schellander: Freier Journalist, studierte Publizistik und Slawistik in Wien, war von 1983 bis 1985 Sekratär des Klubs slowenischer Studentinnen und Studenten, lebt in Wien und St. Jakob/Sentjakob (Kärnten).

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Geographie