FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1964 » No. 128
Walter Antoniolli

Herrschaft durch Gewaltentrennung

Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes hielt auf dem Zweiten Österreichischen Juristentag das nachstehend abgedruckte Hauptreferat. Es geriet sogleich in den Mittelpunkt des Interesses dieses ansehnlichen Gremiums. In der Tat bezieht es sich in aktuellstem Maße auf die verfassungspolitische Situation unseres Vaterlandes. FORVM setzt damit eine Beitragsreihe fort, in der zuletzt René Marcic („Recht, Staat, Rechtsstaat“, Heft XI/123 und 124), Franz Kardinal König („Demokratie ist Christentum“, Heft X/115-116 und 117) sowie, zu einem Streitgespräch vereint, Christian Broda, Günther Winkler, Rainer Leignitz und Günther Nenning („Ein Bruderzwist um Habsburg“, Heft X/115-116) zu Worte kamen.

I.

Fünfzig Jahre vor der Französischen Revolution hat Montesquieu in seinem Werk über den Geist der Gesetze das Wesen der Freiheit untersucht. Es bestehe darin, so meint Montesquieu, daß der Bürger vor dem Mißbrauch der Staatsgewalt geschützt sei. Eine Verfassung könnte so sein, daß niemand zu Handlungen gezwungen wird, zu denen ihn das Gesetz nicht verpflichtet, oder zur Unterlassung von Handlungen, die das Gesetz ihm erlaubt. Dazu sei es nötig, daß eine Gewalt die andere hemme. Die drei Gewalten im Staate, die gesetzgebende, die vollziehende und die richterliche Gewalt müßten getrennt und auf drei Organgruppen verteilt werden. Der Gesetzgeber dürfte nur Gesetze geben, der Richter nur Recht sprechen, die Verwaltung nur verwalten. „Die gegenständliche Dreiteilung der Staatstätigkeiten in Rechtsetzung, Rechtsprechung und Verwaltung soll sich decken mit der organisatorischen in Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung.“ So formulierte Walter Jellinek [1] die Gewaltentrennung. Ziel ist also der Schutz der Freiheit des Menschen vor dem Mißbrauch der Staatsgewalt, Mittel ist eine bestimmte Rechtstechnik bei der Gestaltung der staatlichen Ordnung.

Die Wirkung der Lehre war ungeheuer. Die Wissenschaft widmete ihr ungezählte Untersuchungen. [2] Politisch wirkten die Gedanken Montesquieus wie Sprengstoff. Sie besiegelten den Untergang der alten Ordnung Frankreichs in der Französischen Revolution. Kein Verfassungsgeber kann seither an ihnen vorbeigehen, ja die Gewaltentrennung ist zu einer Frage des Bestandes des Menschen in der staatlichen Gemeinschaft geworden. Dies rechtfertigt das immer wieder erneute Ringen um das Problem; es möge auch heute die Wahl des Themas rechtfertigen, denn der Anlaß, die Versammlung der österreichischen Juristen und ihrer Freunde, fordert einen gewichtigen und uns alle bewegenden Gegenstand.

Freilich ist die Zahl der damit aufgeworfenen Fragen geradezu unübersehbar. Vieles muß daher heute von der Untersuchung ausgeschlossen werden. Etwa die Frage, wie sich Montesquieu tatsächlich einen gewaltentrennenden Staat in der Wirklichkeit vorgestellt hat. Wissen wir doch, daß seine Worte Eigenleben bekommen haben und unsere Deutung ihres Inhaltes in mancher Hinsicht von ihrem ursprünglichen Sinn abweicht. Oder die Frage, ob Montesquieu das politische Gefüge Englands, das ihm als Vorbild diente, richtig wiedergegeben hat. [3] Oder die Frage der Ursprünglichkeit seiner Gedanken. [4] Heute berührt uns auch nicht die historisch-politische Bedeutung der Gewaltentrennung, daß sie die konstitutionelle Monarchie zuerst gegenüber der absoluten Monarchie rechtfertigen, dann gegen die heraufziehende Demokratie verteidigen sollte. [5] Längst haben wir die Gewaltentrennung als ein zeitloses Instrument zur Sicherung der Freiheit erkannt. Ebenso soll die wichtige Frage nicht erörtert werden, wie weit neben die Trennung der Gewalten ein Ausgleich, eine Verbindung, eine gegenseitige Kontrolle der Gewalten treten muß, soll der Staat nicht zerreißen. Und schließlich wollen wir auch nur die Tatsache festhalten, daß die konkrete Gestalt der Gewaltentrennung unendlich mannigfaltig sein kann, wollen aber nicht diese Einzelformen darstellen. Nur zwei Beispiele dieser Mannigfaltigkeit seien gegeben. Nach deutscher Auffassung sind Rechtsmittel an die ordentlichen Gerichte gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden durchaus zulässig, [6] nach der österreichischen Verfassung völlig ausgeschlossen. [7] Und die Verfassung der Vereinigten Staaten, gekennzeichnet durch strengste Trennung der Regierung vom Parlament, sieht dennoch eine weitgehende Mitwirkung des Senates an der Regierung vor. — Alle diese Fragen können heute nicht untersucht werden.

Aber der wesentliche Gehalt der Gewaltentrennung muß klargestellt werden. Zwei Gedanken sind letzten Endes der Kern aller noch so verschiedenartigen Vorstellungen von der Gewaltentrennung:

Erstens: Staatsgewalt, in einer Hand vereinigt, entartet.

Zweitens: Schutz vor dem Mißbrauch der Staatsgewait bietet ihre Zerlegung und die Übertragung auf Organe, die einander selbständig gegenüberstehen und Träger verschiedener Aufgaben sind.

Kelsen hat dazu freilich festgestellt, [8] daß in Wahrheit nicht die Staatsgewalt geteilt wird, sondern daß ihre Ausübung auf mehrere Organe verteilt wird. Wir wollen noch einen weiteren Gedanken hinzufügen: daß das Bild der Freiheit, die gewährleistet werden soll, in jedem Staat durch die Rechtsordnung bestimmt wird, insbesondere durch die Ordnung der Grundrechte. Für Österreich ergibt sich daraus, daß die Gewaltentrennung nicht eine liberale, individualistische Freiheit schützen soll. Ebensowenig aber die Freiheit als Vorrecht einer herrschenden Schicht, einer Klasse, aber auch nicht des Volkes schlechthin als einer ungegliederten Masse. Die Freiheit der österreichischen Grundrechtsordnung ist ungeachtet der Zeit, in der sie entstanden ist, die Freiheit der in die Gemeinschaft eingeordneten Persönlichkeit.

Nach dieser Abgrenzung und Klarstellung sollen heute zwei Fragen untersucht werden: Die konkrete österreichische Gestalt der Gewaltentrennung und die Frage ihrer Wirksamkeit. Die Antwort soll auf dem Wege einer dogmatischen Untersuchung der Rechtsordnung in ihrer heutigen Gestalt gewonnen werden. Ich füge noch hinzu, daß nur die Gewaltentrennung im herkömmlichen Sinn geprüft werden soll, also das Verhältnis von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, nicht aber andere Formen staatlicher Gliederung, wie die Dezentralisation oder föderalistische Gliederungen.

II.

Was sagen die Hauptwerke der Literatur über die Gewaltentrennung nach österreichischem Recht aus? Adamovich-Spanner [9] berühren das Thema der Trennung der Gesetzgebung von der Vollziehung nebenbei und wenden sich dann vor allem der Trennung der Justiz von der Verwaltung zu. Art. 94 B-VG bedeute nicht, daß den Gerichten gesetzlich nicht Agenden übertragen werden dürften, die in materieller Hinsicht „Verwaltungsagenden“ sind, oder daß umgekehrt die Verwaltungsbehörden nicht durch Gesetze zur „Rechtsprechung“ herangezogen werden dürften. Der Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung beziehe sich vielmehr lediglich auf die Organisation der Behörden: Eine und dieselbe Behörde dürfe nicht gleichzeitig als Gerichts- und als Verwaltungsbehörde organisiert sein. Und da auch die in Instanzen gegliederte Behörde eine durch den ordentlichen Rechtsmittelzug verbundene Einheit bildet, sei aus dem Grundsatz der organisatorischen Trennung von Justiz und Verwaltung auch der Rechtszug von einer Verwaltungsbehörde an ein ordentliches Gericht verfassungswidrig. Dieselbe Aussage über die organisatorische Trennung der Staatsorgane finden wir bei Kelsen. [10]

Wir können dieser Aussage in ihrem positiven Teil durchaus zustimmen. Die Regel des Art. 94 B-VG, daß die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt ist, bezieht sich nach ihrer historischen Entstehung zweifellos auf das organisatorische Verhältnis von Gerichten und Verwaltungsbehörden. Man kann aber wohl diese Aussage — immer unter der Annahme einer organisatorischen Gewaltentrennung — an Hand der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes etwas erweitern:

  1. Die Organtypen sind durch die Verfassung festgelegt. Es gibt nach ihr nur gesetzgebende, verwaltende und richterliche Organe.
  2. Es darf keine Mischformen geben.
  3. Staatsorgane können überhaupt nur durch die Verfassung oder einfaches Gesetz geschaffen werden, wobei ihre Eigenschaft als gesetzgebendes, verwaltendes oder richterliches Organ festgelegt werden muß.
  4. Hieher gehört auch noch, daß die Zuständigkeiten fest verteilt sein müssen, und zwar, wie sich insbesondere aus Art. 83 Abs. 2 ergibt. [11]

Die Aussage der Hauptwerke unserer staatsrechtlichen Literatur über die organisatorische Bedeutung der Gewaltentrennung in der österreichischen Ordnung rechtfertigt sich also aus den Rechtsgrundlagen. Aber ist diese Aussage vollständig?

Ohne jeden Zweifel besteht neben der Vorstellung von der organisatorischen Gewaltenteilung, also neben der Vorstellung, daß es drei voneinander geschiedene Gruppen von Staatsorganen geben soll, die weitere Vorstellung, daß bestimmte Staatsaufgaben nur von gesetzgebenden Organen, andere bestimmte Aufgaben von den Verwaltungsbehörden und andere nur von Gerichten besorgt werden sollen. Solche Vorstellungen von einer gegenständlichen, inhaltlichen Gewaltentrennung sind schon für Montesquieu bestimmend. Ich wiederhole die Aussage Walter Jellineks, der die Lehre Montesquieus dahin deutet, daß sich die gegenständliche Dreiteilung der Staatstätigkeit mit der organisatorischen Dreiteilung der Staatsorgane decken soll.

Die Frage ist also, ob sich aus der österreichischen Verfassung nur eine organisatorische Dreiteilung der Staatsorgane ergibt, wie sie schon dargestellt wurde, oder auch eine gegenständliche, inhaltliche Trennung. Wir können auch ganz konkret fragen: Darf der Gesetzgeber die Grenzen zwischen den gesetzgebenden, den richterlichen und den verwaltenden Organen nach seinem Belieben verschieben? Wäre dies der Fall, dann wäre der Meinung zuzustimmen, daß die Verfassung Gewaltentrennung nur im organisatorischen Sinn fordert. Andernfalls hätten wir Gewaltentrennung im materiellen Sinn in dem Maße, als es eben dem Gesetzgeber verwehrt ist, Aufgaben nach seinem Belieben von einem Staatsorgan auf das andere zu übertragen.

Ob dem Gesetzgeber solche Hindernisse durch die Verfassung in den Weg gestellt sind, ist zu untersuchen. Vorweg sei bemerkt, daß wir an der Annahme einer inhaltlichen Gewaltentrennung nicht dadurch gehindert sind, daß wir bei Abgrenzung der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung von formalen Merkmalen ausgehen. [12] Wenn wir uns dieser formalen Merkmale bedienen, um im nachhinein die Zugehörigkeit einer Sache zur Verwaltung etwa daraus zu schließen, daß sie von weisungsgebundenen Staatsorganen besorgt wird, schließt dies nicht aus, daß der Gesetzgeber von herkömmlichen, wenngleich nicht scharfen Vorstellungen über die inhaltlich bestimmte Grenze von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung ausgeht. Ein fester Bestand an Vorstellungen wird immerhin festzustellen sein, mag auch über die Zugehörigkeit vieler Angelegenheiten Zweifel bestehen.

Wir stellen uns also die Frage, wie weit der Gesetzgeber durch die Verfassung gehindert ist, die Grenzen zwischen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung beliebig zu verschieben. Greifen wir die wichtigsten Fälle heraus.

  1. Die gesetzgebenden Organe haben Recht zu setzen, also allgemeine Anordnungen zu erlassen; sie dürfen nicht verwalten und nicht richterliche Geschäfte besorgen. Im einzelnen ergibt die Untersuchung der Bundesverfassung: Im wesentlichen ist die Rechtsetzung den gesetzgebenden Organen vorbehalten. Nur durch Verfassungsgesetz oder auf Grund verfassungsgesetzlicher Ermächtigung — zur Verordnungssetzung etwa — können auch andere Organe mit Aufgaben der Rechtsetzung betraut werden. Dem einfachen Gesetzgeber ist dies völlig verwehrt. Er darf auch nicht dem gesetzgebenden Organ Aufgaben der Vollziehung, sei es der Verwaltung oder der Gerichtsbarkeit übertragen. Die wenigen Fälle der Mitwirkung des Nationalrates an der Verwaltung sind durch Verfassungsgesetz geregelt. Eine Mitwirkung des Gesetzgebers an der Rechtsprechung ist ebenso ausgeschlossen. — Man kann also sagen, daß der Gesetzgeber das Monopol auf Erlassung allgemeiner Anordnungen hat, aber darauf beschränkt ist. Der individuelle Akt ist ihm durch die Verfassung verwehrt. Daher wird auch das Individualgesetz nicht nur vom Gleichheitssatz her, sondern auch von der Gewaltentrennung her als sehr bedenklich angesehen werden müssen, insbesondere dann, wenn die Form des Gesetzes mißbraucht wird, um einen individuellen Akt zu verbergen. [13]
  2. Aufgabe der Verwaltungsorgane ist es zu verwalten. Sie dürfen nicht Recht setzen und nicht Recht sprechen. Die große Ausnahme ist hier die durch die Verfassung vorgesehene Teilnahme der Verwaltung an der Rechtsetzung: Jede Verwaltungsbehörde kann nach Art. 18 Abs. 2 B-VG im Rahmen ihres Wirkungsbereiches auf Grund der Gesetze Verordnungen erlassen. Nach übereinstimmender Auffassung von Lehre und Rechtsprechung ist damit der Verwaltung nur das Recht gegeben, völlig im Rahmen des Gesetzes liegende Durchführungsverordnungen zu erlassen. Diese seit der Erlassung der Bundesverfassung bestehende Rechtsprechung hat zu manchen echten und zu sehr vielen unechten Schwierigkeiten geführt. Wir müssen darauf hinweisen, daß der Verfassungsgeber seit mehr als vierzig Jahren alle Klagen, insbesondere der Verwaltung unbeachtet gelassen hat. Die Rechtsprechung entspricht also offenkundig nicht nur seinem Willen, sondern es soll auch die Einschränkung des Verordnungsrechtes aufrecht erhalten bleiben.
  3. Die richterlichen Organe schließlich sind von Verfassungs wegen mit der Rechtsprechung in Zivil- und Strafsachen betraut. Die Rechtsetzung, auch in der Form der Verordnung, ist ihnen verwehrt. Auch in seinen Urteilen greift der Richter nicht in die Rechtsetzung ein. Er spricht stets nur aus, was der Rechtsordnung entspricht. Seine Aufgabe ist es, das Recht zu finden, nicht, es zu erfinden. Hier liegen auch die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit im allgemeinen. So weit Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes über den Einzelfall hinausgehende rechtliche Wirkung haben, ist dies verfassungsgesetzlich bestimmt. Der Richter darf sich, abgesehen von der verfassungsgesetzlichen Ausnahme der Justizverwaltung, [14] also jener Verwaltung, die der Aufrechterhaltung des Gerichtsbetriebes dient, auch nicht mit Verwaltungsaufgaben befassen.

Lassen wir es mit dieser ermüdenden Aufzählung von Beispielen genug sein. Schon die hier vorgetragenen Fälle machen uns klar, daß der Verfassungsgesetzgeber von einer materiellen Gliederung der Staatsaufgaben in Angelegenheiten der Rechtsetzung, Angelegenheiten der Verwaltung und Angelegenheiten der Rechtsprechung ausgeht. Weiters, daß die Verfassung dem Gesetzgeber eine ganze Reihe unübersteigbarer Schranken für die Zuteilung dieser Staatsaufgaben an die drei Organgruppen setzt. Das heißt aber, daß die Bundesverfassung in Wahrheit außer der formalen auch eine ganz gewichtige materielle Trennung der Gewalten normiert. Daraus ergibt sich eine fundamentale materielle Ordnung der Staatsaufgaben, die als ein echtes Baugesetz der Verfassung nicht verletzt werden darf.

III.

Ist diese fundamentale organisatorische und materielle Ordnung des Verhältnisses der Gewalten wirksam, d.h. durchsetzbar gegenüber Staatsorganen, die sie verletzen? Sie ist durch zwei Gefahren unmittelbar bedroht: Durch die Anmaßung von Zuständigkeiten einer anderen Gewalt und durch die Nichtbeachtung der Akte einer anderen Gewalt. Die Wirksamkeit der Gewaltentrennung hängt daher zunächst ab von der Haltung der Rechtsordnung gegenüber solchen Grenzverletzungen.

Jeder Verstoß der Vollziehung gegen die Gewaltentrennung ist rechtswidrig: Der Richter, der in die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde eingreift, oder die Verwaltungsbehörde, welche sich richterliche Zuständigkeiten anmaßt, handeln rechtswidrig. Dasselbe gilt für den Richter oder die Verwaltungsbehörde, die etwa bei der Beurteilung einer Vorfrage rechtskräftige Entscheidungen einer anderen Behörde nicht beachten. Der Abwehr solcher Rechtswidrigkeiten dient das System der ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmittel im gerichtlichen und im Verwaltungsverfahren, ein System, das nicht viele Wünsche offen läßt.

Im besonderen dient dem Schutz der Grenzen der Gewalten gegenüber Übergriffen der Verwaltung die verfassungsgerichtliche Handhabung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter (Art. 83 Abs. 2 B-VG). Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichtes und des Verfassungsgerichtshofes bedeutet dieses Recht einen verfassungsgesetzlichen Schutz gegenüber Übergriffen unzuständiger Vollzugsorgane, im besondern bei Eingriffen der Verwaltung in die gerichtliche Zuständigkeit. [15]

Der Gesetzgeber kann gewiß die Organisation der Staatsorgane frei regeln, aber er darf dabei nicht gegen die Verfassung verstoßen. Er kann auch ihre Zuständigkeit frei bestimmen. Er kann etwa zunächst frei bestimmen, ob eine Angelegenheit in die Zuständigkeit der Gerichte oder der Verwaltung fallen soll. Aber diese freie Entscheidungsgewalt stößt bald auf verfassungsgesetzliche Grenzen, jene oben dargestellten verfassungsgesetzlichen Regeln über die grundlegende inhaltliche Ordnung des Staatsaufbaues. Hiezu kommen viele andere verfassungsgesetzliche Beschränkungen, von denen bisher nicht die Rede war, z.B. aus dem bundesstaatlichen Aufbau. So kann der Landesgesetzgeber nur ausnahmsweise Gerichte mit der Vollziehung betrauen.

Aber selbst dort, wo der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Zuständigkeit nicht auf solche ausdrückliche verfassungsgesetzliche Schranken stößt, bedarf es der Untersuchung, ob er nicht verborgenen, aber doch gleich wirksamen verfassungsgesetzlichen Hindernissen gegenübersteht. Der Gesetzgeber könnte gewiß die Zuständigkeit zur Entscheidung bestimmter privatrechtlicher Streitigkeiten von den Gerichten auf Verwaltungsbehörden übertragen, aber es wäre verfassungswidrig, wenn er dabei so weit ginge, daß die Zuständigkeit der Gerichte in bürgerlichen Rechtsstreiten überhaupt zerstört würde. Irgendwo muß es hier eine Grenze geben. Sie zu bestimmen ist freilich außerordentlich schwer. [16]

Wann immer aber der Gesetzgeber gegen ausdrücklich ausgesprochene oder aus der Verfassung durch Auslegung zu gewinnende Gebote der Gewaltentrennung verstößt, handelt er verfassungswidrig. Das Gesetz wäre vom Verfassungsgerichtshof aufzuheben.

Grenzen sind auch dem Verfassungsgesetzgeber gezogen. Die meisten Änderungen der in der Verfassung bestimmten organisatorischen und inhaltlichen Gewaltentrennung werden Gesamtänderungen der Verfassung im Sinne des Art. 44 Abs. 2 B-VG sein. Sie wären also nur zulässig, wenn ihnen das Bundesvolk zustimmt. Ja, manche Änderungen werden wohl überhaupt als unzulässig und unmöglich angesehen werden müssen. Gewiß könnte niemand den Verfassungsgesetzgeber hindern, auch solche Änderungen vorzunehmen, aber dann gibt er das Ziel, Wahrung der Freiheit, auf.

Schließen wir das Problem der rechtlichen Wirksamkeit der Gewaltentrennung ab. Die Rechtsordnung gibt uns ausreichende Mittel an die Hand, die Gewaltentrennung aufrechtzuerhalten und Verletzungen abzuwehren, und zwar im großen und ganzen gegenüber allen Staatsorganen.

Dieses Ergebnis macht aber die Frage nach der tatsächlichen Wirksamkeit nicht überflüssig. Keine Rechtsordnung, wäre sie noch so vollkommen und mit den besten Rechtsmitteln ausgestattet, funktioniert wie ein den Naturgesetzen unterworfener Mechanismus. Jede Rechtsordnung ist ein System von Normen, die anordnen, was sein soll. Ob dies auch wirklich geschieht, hängt von vielem ab, vor allem von den Menschen; ebenso von jenen, die der Norm unterworfen sind, wie von jenen, die sie zu vollziehen haben. Die Verwirklichung einer Rechtsordnung hängt aber überdies von zahllosen sozialen Umständen ab.

Eine Untersuchung der tatsächlichen Wirksamkeit der Gewaltentrennung könnte von verschiedenen Standpunkten ausgehen, ist sie doch von vielen inneren und äußeren Gefährdungen bedroht. Wird etwa eine Gewaltentrennung tatsächlich wirksam sein, die verfehlt aufgebaut ist, weil das Verhältnis der Gewalten nicht richtig ausgewogen ist? Die Trennung könnte zu weit gehen, dann wird der Staat zerreißen; sie könnte zu wenig tief sein, dann wird sie unwirksam werden. Die Gewaltentrennung könnte auch scheitern an allgemeinen soziologischen Erscheinungen oder an der einmaligen historisch-politischen Lage in einem Staat. Hier soll nur von einer möglichen Gefährdung der Gewaltentrennung die Rede sein, einer Gefahr, die sich aus dem Wesen der Gewaltentrennung ergibt.

Nach der These der Gewaltentrennung soll der Schutz vor dem Mißbrauch der Staatsgewalt dadurch erzielt werden, daß die Staatsgewalt zur Ausübung auf mehrere Staatsorgane übertragen wird, die Träger verschiedener Aufgaben sind. Dies setzt aber ein gewisses Maß von Selbständigkeit dieser Staatsorgane voraus, sonst kann die Gewaltentrennung nicht wirksam werden. Ein völliger politischer Gleichklang zwischen Regierung und Parlament z.B. wird eine Kontrolle der Regierung durch das Parlament verhindern. Und die österreichische Staatsgerichtsbarkeit ist schon ihrer Regelung nach unwirksam und daher verfehlt, weil die Regelung des Antragsrechtes diesem Gedanken nicht Rechnung trägt. Die Gewaltentrennung setzt eben immer ein gewisses Maß von Selbständigkeit der getrennten Organe voraus. Wo diese Selbständigkeit nicht gegeben ist oder infolge der politischen Entwicklung wegfällt, kann man auf die Wirksamkeit der Gewaltentrennung nicht rechnen.

Dieses Problem der Selbständigkeit ist im höchsten Maße gegeben bei der richterlichen Gewalt. Die Selbständigkeit des Richters besteht in seiner allein ihm verfassungsgesetzlich aufgetragenen und gewährleisteten Unabhängigkeit. Auch sie muß immer wieder aufs neue erkämpft werden. Wir haben sie heute freilich nicht gegen Weisungen der Obrigkeit zu schützen, ihre wahre Gefährdung liegt in unserer Zeit wohl darin, daß der Richter verleitet oder gedrängt wird, Interessen zu dienen. Gerade die Unabhängigkeit des Richters wird in einem Staat, der auf richterliche Überprüfbarkeit nahezu aller staatlichen Akte hinweisen kann, entscheidend sein für die Wirksamkeit der Gewaltentrennung. Ihre Gefährdung wäre nicht nur das Ende der Gewaltentrennung, sondern das Ende jener staatlichen Gemeinschaft, wie sie uns durch die Verfassung vorgezeichnet ist.

IV.

Der Kreis der Gedanken schließt sich. Montesquieu hat den Weg zur Wahrung der Freiheit gewiesen: die Gewaltentrennung; die Österreichische Bundesverfassung verwirklicht diesen Gedanken und gibt damit die Möglichkeit, den Mißbrauch der Staatsgewalt zu verhüten und abzuwehren. Die Frage nach der Wirksamkeit der Regelung kann freilich nie endgültig beantwortet werden, denn aus der Natur des Menschen ist die Freiheit immer gefährdet. Wir wagen die Frage kaum zu stellen, ob das Gewaltentrennungskonzept unserer Verfassung in seiner Verwirklichung heute den Mißbrauch der Staatsgewalt wirklich verhindert. Daher werden wir nicht müde werden, die Gewaltentrennung und ihre wirksamste Gestalt immer wieder zu prüfen, wobei es uns nicht um die technische Gestaltung der staatlichen Organisation an sich geht, sondern um das Schicksal des Menschen in der Gemeinschaft des Staates.

Es steht zu viel auf dem Spiel, als daß man die Gewaltentrennung als unwichtig ansehen oder gar mit ihr spielen dürfte. Alle jene, die die Gewaltentrennung in Zweifel ziehen wollen, müssen wir daran erinnern, daß nicht zufällig der Nationalsozialismus die Gewaltentrennung theoretisch und praktisch mit Leidenschaft bekämpft hat. Und wie immer man politisch oder juristisch die Ereignisse des Jahres 1934 in Österreich betrachten will, eines kann niemand bestreiten: Die Vereinigung der Gesetzgebungsgewalt und der Regierungsgewalt in der Hand eines Organs brachte schwerste Einbußen an persönlicher Freiheit. Jede rechtliche oder tatsächliche Gefährdung oder Minderung der Gewaltentrennung bedeutet Verlust an Freiheit. Das Ende ist der absolute Staat, die durch keine andere Gewalt beschränkte Herrschaft eines Organs. Für das Ergebnis ist es dabei gleichgültig, in welcher Hand die Gewalt vereinigt wird, in der Hand eines absoluten Monarchen, einer absolut herrschenden Klasse oder auch des absolut herrschenden Volkes. Über die absolute Monarchie hat die Geschichte ihr Urteil gesprochen. Geben wir uns nicht dem Irrtum hin, daß ihr Urteil über die unbeschränkte Herrschaft irgendeines anderen Trägers der Gewalt anders sein könnte.

Die Gewaltentrennung ist ein wirksames Mittel, den absoluten Staat abzuwehren. Der Staat darf nicht wieder ein Kerker des Menschen werden. Er soll das schützende Haus sein für freie, friedliche und glückliche Menschen. Es gilt daher, die Gewaltentrennung zu schützen und immer wieder aufs neue zu verwirklichen.

[1Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1931, S. 7.

[2Nur einige neuere Arbeiten seien angeführt: Drath, Die Gewaltenteilung im heutigen deutschen Staatsrecht (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft, Bd. ID), 1952; Hellbling, Die Trennung von Justiz und Verwaltung in historischer Schau, JBL. 1948, S. 610 ff.; Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, 1959; v. Hippel, Gewaltenteilung im modernen Staat, 1949; H. Huber, Niedergang des Rechts und Krise des Rechtsstaates, in: Festschrift für Z. Giacometti, S. 59 ff.; Jahrreiss, Die Wesensverschiedenheit der Akte des Herrschens und das Problem der Gewaltenteilung, in: Festschrift für Nawiasky, 1956, S. 119 ff.; Krauss, Die Gewaltengliederung bei Montesquieu, in: Festschrift für Carl Schmitt, S. 103 ff.; Küster, Das Gewaltenproblem im modernen Staat, AöR. 75, S. 397 ff.; H. Peters, Die Gewaltentrennung in moderner Sicht, Heft 25 der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen; Peter Schneider, Zur Problematik der Gewaltenteilung im Rechtsstaat der Gegenwart, AöR. 82 S. 1 ff.; Weber, Die Teilung der Gewalten als Gegenwartsproblem, in: Festschrift für Carl Schmitt, S. 253 ff.; Winkler, Die Entscheidungsbefugnis des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes im Lichte der Gewaltentrennung, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Jubiläumsschrift zum hundertjährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit und zum zehnjährigen Bestehen des Bundesverwaltungsgerichtes, 1963, S. 279 ff.

[3Dazu Imboden, a.a.O., S. 4.

[4Zur Frage der gedanklichen Selbständigkeit gegenüber der früheren Staatstheorie insbesondere gegenüber John Locke, siehe Imboden a.a.O.

[5Hans Kelsen: Allgemeine Staatslehre, S. 256 f.

[6Art. 19 Abs. 4 GG.

[7VerfGH.Slg. 1565.

[8Allgemeine Staatslehre, S. 255 ff.

[9Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts, 5. Aufl., 1957, S. 106 und S. 209 ff.

[10Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, 5. Teil, 1922, S. 192 ff.

[11VerfGH.Slg. 2563: Der normative Sinn des Art. 83 Abs. 2 B-VG ist auf den Schutz und die Wahrung der gesetzlich begründeten Behördenzuständigkeit gerichtet.

[12Siehe mein „Allgemeines Verwaltungsrecht“, 1954, S. 1 ff. und die dort zitierte Literatur, ebenso die Rechtsprechung.

[13Siehe zu den Individualgesetzen mein „Allgemeines Verwaltungsrecht“, S. 73, Anm. 24. Ich glaube heute, daß solche Gesetze nicht nur am Gleichheitssatz, sondern auch an der Gewaltentrennung zu prüfen sind.

[14Siehe R. Walter, Trennung von Justiz und Verwaltung und Justizverwaltung, JBl. 1957 S. 255 ff.

[15Z.B. VerfGH.Slg. 2653.

[16Dazu R. Walter, Verfassung und Gerichtsbarkeit, S. 105 ff.; Hellbling, Können Verwaltungsbehörden über zivilrechtliche Ansprüche entscheiden? ÖJZ. 1956, S. 233 f.; JBl. 1956, S. 301 ff., 331 ff.; W. Kralik, Garantiert die Verfassung eine unabhängige Gerichtsbarkeit? JBl. 1962, S. 532 ff.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
August
1964
, Seite 355
Autor/inn/en:

Walter Antoniolli:

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