Grundrisse » Jahrgang 2008 » Nummer 28
Gerhard Hanloser
Bini Adamczak:

gestern morgen

über die einsamkeit kommunistischer gespenster und die rekonstruktion der zukunft

Münster: Unrast-Verlag 2007, 160 Seiten, 12 Euro

Bini Adamczak hat ein kleines Büchlein geschrieben, das zwischen Benjaminschem Hass auf eine Geschichte, die komplett falsch läuft, Derridascher obskurantistischer Gespensterlehre als Trauerarbeit und Foucaultschem Pessimismus hinsichtlich der Wünschbarkeit der Revolution hin und her pendelt. Das Leitmotiv des kleinen essayistischen Bändchens ist die Erinnerung. Wie soll sich ein kommunistisches Begehren heutzutage zu den vielen toten „Kommunistinnen“, die im Namen der Geschichte, der Idee, des „wahren Kommunismus“ also der je aktuellen Parteitaktik des Stalinschen Sozialismus in einem Land ermordet wurden, stellen? An Walter Benjamin geschult ist die Antwort: Erinnern. Und teilweise gelingt das der Schrift sehr gut, vermag sie doch etliche Dissidenten, Kritiker und hellsichtige Köpfe der kommunistischen und sozialistischen Weltbewegung zu zitieren, die heutzutage im linken Gedächtnis keine Rolle mehr spielen. „Lesen lernen“ - das ist eine explizite Anregung von Adamczak und man kann es wörtlich nehmen. Wir stoßen in diesem Büchlein auf Manes Sperbers „Wie eine Träne im Ozean“, einen authentische Erlebnisse verarbeitenden Roman, der zeigt, wie aufrechte Kommunisten durch den real existierenden Kommunismus in den 30er und 40er Jahre an den Rand gedrückt wurden. Welche Auswirkungen der Hitler-Stalin-Pakt auf die diversen kommunistischen Parteien hat. Wie schnell Revolutionäre zu Konterrevolutionären gestempelt werden konnten und liquidiert wurden. Wie weitgehend die Stalinistische Verwüstung dort ging, wo man Revolution und Kampf gegen den Faschismus hätte erwarten können.

Und bei der Lektüre des Wiederwachrufens der Geschichte der stalinistischen Konterrevolution möchte man wieder Trotzki recht geben, der einmal meinte, dass niemand, Hitler inbegriffen, dem Sozialismus so tödliche Schläge versetzt hat wie Stalin. Dieser kam nämlich von innen, aus der weltrevolutionären Bewegung selbst. Die Worte Sozialismus und Kommunismus, so Trotzki, sind grauenvoll kompromittiert. Doch man sollte nicht zu schnell einem einfach gestrickten Antistalinismus frönen. Vorsichtig mit Trotzki!

Bei der Fragestellung, ab wann die Revolution in Russland eine falsche Richtung einschlug, weist Adamczak wie Generationen linksradikaler und antiautoritärer Köpfe auf die von Trotzki zu verantwortende Niederschlagung des Kronstädter Aufstandes für die Rätemacht und gegen die Parteidiktatur der Bolschewiki im Jahre 1921 hin. Während Lenin den Kapitalisten mit der NEP Freiheit gewährte, so erinnert Bini Adamczak die Leserinnen, wurden die wahren revolutionären Streiter wie die Rebhühner abgeschossen. Begann vielleicht schon hier, was schließlich mit dem Hitler-Stalin-Pakt endete? Ein schrittweises Abrücken und eine schließlich komplette Verkehrung der weltrevolutionären Intention von 1917?

Das Buch beginnt mit den düsteren 30er Jahren, wo die Revolution ihren letzten Tod starb, und zeigt nochmals in aller Drastik, wie hohl und geschichtsvergessen das wohlfeile links-traditionelle Apologetentum ist, und sich die Kommunisten schleunigst hätten dran machen müssen ein wirklich gutes „Schwarzbuch des sogenannten Kommunismus“ zu erstellen. Wir lernen gleich im ersten Kapitel Buber-Neumann kennen, die von der Sowjetregierung in die sibirischen Lager geschickt worden war während des Hitler-Stalin-Pakts. Dieser Pakt verfolgte nicht nur taktische Ziele und man hätte sich einen Hinweis auf Boris Souverins Stalin-Biographie und seine Interpretation des Hitler-Stalin-Paktes gewünscht, nein, der Pakt wurde mit einem Freundschaftspakt ergänzt, und dieser wurde mit Blut besiegelt - dem Blut kommunistischer deutscher und österreichischer Emigranten. Antisemitische, antikommunistische und konterrevolutionäre Diktatoren unter sich. Buber-Neumann wurde durch die „kommunistische“ Geheimpolizei GPU und NKWD an Nazi-Deutschland ausgeliefert und es gelang ihr im KZ Ravensbrück bis zur Befreiung zu überleben.

Wir machen die Bekanntschaft mit Weißberg-Cybulski, österreichischer Kämpfer von 1934, sozialistischer Jude, der zu Protokoll gibt, wie weitgehend unter den Bedingungen der roten und braunen Lager, der roten und braunen Uniformierten auch bei denjenigen, die dieser Bedrohung, dieser Herrschaft und diesem Terror unterlagen, das uniformierte Denken als letzte Hoffnung grassiert: ein ehemaliger Mitarbeiter der Kommintern, nun auch in der Abschiebezelle gen Deutschland, erklärt, der NS sei eine Form des organisierten Kapitalismus und helfe, den Sozialismus vorzubereiten. Darin nur den Wahnwitz oder den hilflosen Konformismus erblicken zu wollen, würde das Drama der Identifikation mit dem Aggressor und das schwere Erbe eines zum Determinismus verknöcherten „historischen Materialismus“, das diese Vermutung nährt, verkennen.

Wir begegnen Georg K. Glaser, dem anarchischen Fürsorgezögling, Gerichtsreporter der KPD und Fabrikarbeiter, der mit seinem biographischen Werk „Geheimnis und Gewalt“ eines der eindrucksvollsten Zeitdokumente aus der Frühphase des deutschen Faschismus vorgelegt hat. Glaser ist einer der vielen, die in den 30ern schließlich der KP den Rücken gekehrt haben, damals noch bedrängt von Arthur Koestler, doch Mitglied zu bleiben.

Unseren Weg kreuzt Franz Jung, der ewig blinde Passagier der dissidenten Kommunistischen Arbeiter Partei Deutschland auf dem Weg zu Lenin, der kommunistische Torpedokäfer, immer dabei die harte Doppelscheibe aus stalinistischer und faschistischer Herrschaft zu durchbrechen - ohne all zu lang auf dem Rücken liegen zu bleiben.

Uns begegnen dank Bini Adamczak dissidente Kommunisten und Sozialisten, deren Zeugnisse, Bücher und Schriften in jedem linken Bücherregal stehen sollten. Sollte auch „gestern morgen. über die einsamkeit kommunistischer gespenster und die rekonstruktion der zukunft“ im Bücherregal stehen? Viel Platz nimmt das schmale Bändchen nicht weg. Es ist ein schöner Essay, der die genannten Bücher ergänzen kann und sie zusammenführt. An einigen Schlussbemerkungen mag man sich stoßen, so, wenn behauptet wird, dass man Marx und Stalin nicht voneinder trennen könnte, ohne dem armen Marx den Backenbart zur Hälfte abzureißen. Eine lustige Vorstellung, aber selbst wenn man die Ikonographie der Marxisten-Leninisten-Stalinisten(-Maoisten) nimmt, ist zumindest Lenin zwischen Stalin und Marx angesiedelt, ziepen würde es also allenfalls beim Bärtchen des Wladimir Iljitsch. Hatte nicht Maximilian Rubel darauf aufmerksam gemacht, dass Marx selbst von der Möglichkeit eines direkten Sprungs in einen einfachen Kommunismus in Russland ausging? Marx also doch kein Prophet des Industrialismus? Hätte die Dorfgemeinde nach Marx eine kommunistische Gemeinschaftsform darstellen können? Solche Hinweise sucht man leider vergebens, wie jeden Versuch einer theoretischen Klärung der angerissenen Fragen. Sind vor dem geschilderten Panorama die linksradikalen Totalitarismustheorien beispielsweise des Rätekommunisten Otto Rühle, der auch die Rede von „roten und braunen Faschismus“ führte, in irgendeiner Form bedenkenswert? Enttäuschend ist auch der Schluss, bei dem die oftmals prätentiöse Sprache sich mit allerhand Kapitulationsprosa vermischt. Hätten, fragt Adamczak, nicht die Revolutionäre angesichts der zu erwartenden Gräuel der Konterrevolution, die immer mitgedacht und erwartet werden muss, diese nicht einfach gleich aufgeben sollen? Das ist Original der skeptizistische Foucault: Ist die Revolution der Mühe wert und welche? Auf einmal taucht als Positiv-Beispiel das Verhalten der Allende-Regierung 1973 auf. Den Bürgerkrieg hätte sie gewinnen können, aber nicht mehr einen Sozialismus danach, so Adamczak. Besser die Waffen strecken? Gab es doch Kritik von linksradikaler Seite, beispielsweise des M.I.R., dass Allende vor einer Volksbewaffnung zurückschreckte, dass er die Arbeiter in den Fabriken nicht bewaffnete. Und wenn eine Lehre aus dem 20. Jahrhundert mitgenommen werden sollte, dann doch folgende: Der Faschismus ist eine Konterrevolution gegen eine Revolution, die niemals stattgefunden hat. Er kommt als Strafe dafür, wenn man oder Frau die Revolution nicht macht.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
2008
, Seite 52
Autor/inn/en:

Gerhard Hanloser:

Geboren 1972, hat Soziologie, Geschichte, Pädagogik und Deutsch studiert, lebt und arbeitet in Berlin und vertreibt sich die Zeit mit Privatstudien u.a. zum Antisemitismus, der Neuen Linken und dissidenten Strömungen der Arbeiterbewegung.

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