FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1970 » No. 198/II/199
Alexander Dubček • Waldeck Rochet

Gespräche mit Alexander Dubček

Zur Vorgeschichte dieses Dokuments vgl. Ernst Fischer in diesem Heft, S. 742.

(Von der „Humanité“ weggelassen)

Das Protokoll der Gespräche zwischen Waldeck-Rochet und Alexander Dubček wurde im Zentralorgan der tschechischen KP mit folgendem Vorspann veröffentlicht: „Dieses Dokument trägt in aufschlußreicher Weise zur Erhellung der Probleme bei, die unsere Partei in der gegenwärtigen Phase zu lösen hat. Bis jetzt haben viele Mitglieder der Partei in ihrem Unterbewußtsein die Vorstellung, daß der frühere Erste Sekretär des Zentralkomitees, Genosse Dubček, im Grund ein guter, recht sympathischer Genosse war, wenn es ihm auch an Energie fehlte und seine Fähigkeiten begrenzt waren, und daß er auf jeden Fall den Sieg der Partei, des Sozialismus und der Freundschaft mit der UdSSR wünschte, Seine Unterredung mit dem Genossen Waldeck-Rochet zeigt nun, daß diese Charakteristik eine der zahlreichen Legenden ist, die in den Redaktionen und Zentralen der Prager Manipulatoren auf geschickte Weise fabriziert wurden. Welcher Mensch war und ist Dubček wirklich? Dies macht uns das folgende Dokument begreiflich. Auch die Stellungnahmen von Cernik und Cisar, die damals Mitglieder der Parteiführung waren, verdienen Aufmerksamkeit. In die Geschichte der Arbeiterbewegung wird dieses Dokument als ein Beispiel der bewußten Deformation und Verschleierung der Realität in unserem Land und in unserer Partei eingehen, all dies gegenüber den Vertretern einer kommunistischen Bruderpartei.“


(Ende der Auslassung)

A. Dubček

Wir haben Sie einen Monat früher erwartet, aber in Frankreich sind Ereignisse eingetreten, von denen wir gehört haben. Wir sind heute glücklich, Sie hier als bedeutende und sehr geschätzte Vertreter Ihrer Partei bei uns empfangen zu können.

W. Rochet

Es ist für mich sehr erfreulich, von Ihrer Partei und vom Genossen Dubček empfangen zu werden. Wir haben immer ausgezeichnete Beziehungen zueinander gehabt und wir wünschen, daß diese Beziehungen auch in Zukunft andauern. Was uns heute die meiste Sorge macht, ist die Tatsache, daß die Beziehungen zwischen manchen sozialistischen Ländern einer Krise entgegengehen. Wenn Genosse Dubček meint, daß ich beginnen kann, möchte ich den Sinn unserer Reise nach Prag erklären. Aber wir können natürlich auch auf andere Weise vorgehen.

A. Dubček

Nein, beginnen Sie, ich bitte Sie darum.

W. Rochet

Als wir uns vor einiger Zeit über diesen meinen Besuch einigten, ging es um einen Austausch von Informationen über die Situation in der ČSSR und in Frankreich, über einen Meinungsaustausch in einer langen Reihe von Fragen. Ich glaube, daß Sie mit mir einer Meinung sein werden, daß das Ziel unseres heutigen Treffens einen anderen Charakter haben muß. Bevor ich Ihnen den Sinn unseres Schrittes erkläre, möchte ich Ihnen das ganze Ausmaß unserer Sorge und unserer Unruhe begreiflich machen. Sie wissen, daß wir uns niemals, in keinem Fall in Ihre Angelegenheiten eingemischt haben. Wir vertreten mit Entschlossenheit die Idee, daß jede kommunistische Partei die Unabhängigkeit der Bruderparteien respektieren muß. Dies bedeutet nicht, daß wir das gemeinsame, äußerst wichtige Problem, das sich allen unseren Parteien stellt, mit Schweigen übergehen. Es ist notwendig, gemeinsam eine für alle günstige Lösung zu finden. In diesem Geist sind wir zu Beginn dieser Woche nach Moskau gefahren und aus diesem Grund sind wir heute hier. Im selben Geist haben wir auch eine Konferenz aller kommunistischen und aller Arbeiterparteien Europas vorgeschlagen.

Wir sind besorgt. Wir halten es für äußerst dringend, alles zu tun, um eine neue Verschlimmerung der Situation zu verhindern.

Wir müssen auch alles tun, um eine Spaltung und einen Skandal zu verhindern, deren Folgen für die ganze Welt, für alle unsere Parteien sehr ernst wären. In diesem Geist der tiefen Freundschaft und der Sorge um unsere gemeinsame Sache sind wir nach Prag gekommen. Ich möchte daran erinnern, daß unsere Partei zu den Beschlüssen Ihres Zentralkomitees im Jänner dieses Jahres positiv Stellung genommen hat. Ich selbst habe diese Stellungnahme vor unserem Zentralkomitee im April dargelegt. Ich habe mich dabei auf Ihre Erklärung gestützt, in der Sie Ihre Entschlossenheit betonten, den Aufbau des Sozialismus fortzusetzen, die sozialistische Demokratie zu fördern, die Arbeitsmethoden der Partei und des Staates zu verbessern, die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion noch mehr zu verstärken, den Frieden zu verteidigen. In derselben Rede vor dem ZK wünschte ich der Kommunistischen Partei der ČSSR, ihrem Zentralkomitee und ihrem Ersten Sekretär, der Regierung der ČSSR viel Erfolg bei der Erfüllung ihres Programms auf dem Weg zum Sozialismus.

Gleichzeitig sagte ich: natürlich gibt es sowohl innerhalb als außerhalb der Tschechoslowakei Leute, die die Situation zu Zwecken verwenden wollen, die sich gegen den Sozialismus richten. Dies erfordert viel Wachsamkeit. Wir sind auch der Meinung, daß Genosse Dubček durchaus Recht hatte, wenn er in einem Interview für „Rude Pravo“ kürzlich unterstrichen hat, daß Demokratie nichts gemein hat mit Anarchie, und wenn er die Journalisten, an erster Stelle diejenigen, die der Partei angehören, mit gutem Recht aufgefordert hat, ihre Meinung zu äußern und die Parteiführung zu verteidigen, wenn sie demagogischen Angriffen ausgesetzt ist.

Dies geschah im April, aber seither waren wir Zeugen einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei einerseits und der Sowjetunion, Polen, der DDR, Ungarn und Bulgarien anderseits. Diese Spannung zwischen sozialistischen Ländern weckt bei uns, in der Masse der Kommunisten, große Unruhe. Wir haben mit der KPdSU immer Beziehungen der Freundschaft und der tiefen Solidarität unterhalten, gleichzeitig haben wir seit eh und je gute Beziehungen mit der KP der ČSSR, die sich auf die Solidarität unter Kommunisten gründen. Angesichts der Verschlechterung der Beziehungen mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern haben wir uns bemüht, die wichtigsten Klagen und Vorwürfe der Genossen Ihnen gegenüber kennenzulernen.

Als wir die sowjetischen Genossen angehört hatten, bin ich zu dem Schluß gekommen, daß der Hauptvorwurf in der Feststellung liegt, daß die antisozialistischen Kräfte der Rechten bei Ihnen große Aktivität entwickeln, ohne daß man ihnen in ausreichendem Maß entgegentritt. Infolge der Aufhebung der Zensur und auf Grund der Pressefreiheit können Nichtkommunisten, die dem Sozialismus mehr oder weniger feindlich gegenüberstehen, die führende Rolle der Partei verleugnen, die Politik der Partei und die Vertreter der Partei angreifen, ohne die Antwort zu erhalten, die sie verdienen. Mir scheint, daß hier eine wirkliche Gefahr liegt. Ich besitze keine detaillierten und vollständigen Informationen über Ihr Land, um definitive Schlüsse zu ziehen, aber wenn es stimmt, daß Presse, Rundfunk und Fernsehen zum Großteil der Kontrolle der Partei und des sozialistischen Staates entgleiten, kann eine solche Sachlage nur Sorge wecken, denn sie enthält eine Gefahr. Sicher, wir verstehen, daß im Rahmen der Pressefreiheit nichtkommunistische Zeitungen irrige Ansichten veröffentlichen können. Demgegenüber gibt es die Parteipresse, die Zeitungen der Gewerkschaften und den staatlichen Rundfunk, die auf solche Meinungen grundlegende Antworten geben können, um diese falschen Ideen zu widerlegen und deren Einfluß auf die Massen zu verhindern. Es gab das Manifest der 2000 Worte, das vor dem Parteitag als Druckmittel gegen die Partei verwendet worden ist. Das Präsidium Ihrer Partei hat zu Recht nachgewiesen, daß dieses Manifest ein Angriff auf die Politik Ihrer Partei, auf die Parteiführung, auf den Sozialismus in der Tschechoslowakei war. Aber die Presse und der staatliche Rundfunk gaben diesem Manifest große Publizität. Und die Tatsache, daß es möglich ist, bei Ihnen Devisen wie „Gewerkschaften ohne Kommunisten“ zu verbreiten, unterstreicht, daß die feindlichen Elemente Mut gewonnen haben und zur Offensive übergehen.

Es stimmt, daß das Plenum Ihres ZK im Mai die Gefahr von rechts als Hauptgefahr aufgezeigt hat, aber die sowjetischen Genossen haben uns auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß auf diese Feststellung keinerlei praktische Maßnahmen folgten.

Ich habe feststellen können, daß diese Tatsachen die sowjetischen Genossen schwer beunruhigen; sie sind überzeugt, daß die Fortsetzung der Offensive durch die Rechtskräfte die Zukunft des Sozialismus gefährden kann. Und ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß auch wir in dieser Hinsicht für den Sozialismus bei Ihnen fürchten. Was die Außenpolitik der Tschechoslowakei betrifft, haben wir sehr gute Erklärungen gelesen, die Sie selbst sowie auch andere Vertreter der KPČ abgegeben haben. Aber wir haben auch manche Artikel und Erklärungen in intellektuellen Zeitschriften gelesen, die die fundamentalen Prinzipien der Außenpolitik der ČSSR, insbesondere die entscheidende Bedeutung der Freundschaft mit der Sowjetunion, in Frage stellen. Für uns wie für Sie ist dies ein lebenswichtiges Problem, das mit der Sicherheit unserer Völker und mit dem Frieden in Europa verknüpft ist. Weder wir noch Sie können München vergessen.

Zusammenfassend möchte ich sagen, daß unsere Partei mit Ihnen ebenso wie mit den sowjetischen Genossen freundschaftliche und brüderliche Beziehungen haben will, die sich auf die Solidarität und die Prinzipien des proletarischen Internationalismus gründen.

Aber im gegenwärtigen Augenblick ist das zentrale Problem nicht das Problem der Beziehungen zwischen der KPF und der KPČ. Das zentrale Problem für die gesamte internationale kommunistische Bewegung ist das der Verbesserung der Beziehungen zwischen Ihrer Partei und der KPdsSU. Ohne uns in irgendeiner Weise in die Angelegenheiten anderer Parteien einmischen zu wollen, stellen wir fest, daß eine sehr ernste, ich möchte sogar sagen, eine sehr gefährliche Situation besteht. Um so mehr als die Imperialisten schon auf der Lauer liegen. Sie sind sich, dessen bin ich sicher, des Ernstes der Situation ebenso bewußt wie wir. Aber ich möchte auf dieser Feststellung insistieren. Die Kommunisten bei uns — und ich glaube, daß die Lage in allen Ländern so ist — sind sehr beunruhigt von der Vorstellung, es könnte zwischen Ihnen und den Genossen in den sozialistischen Ländern, vor allem in der Sowjetunion, zu einer Divergenz kommen. Einerseits sind sie der Meinung, es wäre eine Niederlage für die ganze internationale kommunistische Bewegung, wenn es bei Ihnen zu einem Rutsch nach rechts käme, der den Sozialismus gefährden könnte. Anderseits, wenn es zu einer Verschlechterung Ihrer Beziehungen zu den sowjetischen Genossen, wenn es bis zu einem Bruch käme, könnte dies ärgste Folgen haben. Auf jeden Fall würde ein Bruch Ihres Bündnisses mit der Sowjetunion Ihr Land den verschiedensten Manövern der Bonner Regierung und der USA aussetzen. Das Kräfteverhältnis in Europa wäre verändert und die europäische Sicherheit bedroht. Wir verstehen, daß die UdSSR und die sozialistischen Länder nicht zulassen können, daß es zu einer solchen Situation kommt. Deswegen besteht die einzige Lösung, die wir vorschlagen können, darin, die ernsten Schwierigkeiten, die zwischen Ihnen und den Genossen in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern bestehen, durch das Anstreben eines Abkommens und einer effektiven Zusammenarbeit zu beseitigen. Dies hängt zweifelsohne nicht nur von Ihnen ab; aber es hängt in großem Maß von Ihnen ab.

Um eine Basis der Verständigung zu finden, sollten Sie, glaube ich, berücksichtigen, was an der an Ihnen geübten Kritik gerechtfertigt ist. Übrigens geben Sie in der Antwort Ihres Zentralkomitees auf den Brief aus Warschau eine gewisse Zahl von Tatsachen, Fehlern und Schwächen in Ihrer Politik zu. Die Situation ist schwierig, aber wir glauben, daß sich alles zum Guten wenden läßt, wenn bestimmte Maßnahmen getroffen werden.

An erster Stelle sollten Sie versuchen, ein Treffen und eine gründliche Diskussion mit den sowjetischen Genossen und den Genossen der sozialistischen Nachbarländer zustande zu bringen. Hierzu wäre es von einem praktischen Standpunkt aus notwendig, daß beispielsweise Presse, Rundfunk und Fernsehen wirklich unter der Kontrolle der Partei stehen, selbstverständlich einer Partei, die sich fest auf die Arbeiterklasse stützt, im Kampf gegen die rechtsgerichteten und antisozialistischen Kräfte.

Wir wünschen inständig, daß diese schwierige und gefährliche Situation auf positive Art Schritt für Schritt gemeistert werden kann, unter Wahrung der Unabhängigkeit jeder kommunistischen Partei und unter Wahrung des proletarischen Internationalismus, zum Wohl der Einheit unserer Bewegung. Dies ist wichtig für uns, für die Sowjetunion, für die anderen sozialistischen Länder, und dies ist auch wichtig für Ihre Partei und für alle kommunistischen und Arbeiterparteien in den kapitalistischen Ländern. Ich möchte noch eine Bemerkung anfügen bezüglich unseres Plans für ein Treffen der kommunistischen und Arbeiterparteien der europäischen Länder. Die Initiative zu diesem Plan ist in unserer Partei entstanden, ohne jede vorhergehende Absprache mit irgendeiner Partei. Wir haben diesen Vorschlag gemacht, weil wir der Meinung sind, daß die Probleme, die zur Diskussion stehen, alle europäischen Parteien und nicht nur eine von ihnen interessieren. Außerdem sind wir der Ansicht, daß ein solches Treffen aller Parteien zu einer befriedigenden Lösung von Problemen führen sollte, die im Interesse aller liegen.

Das ist, kurz gefaßt, der eigentliche Grund unserer Sorgen.

Der Genosse Leonid Breschnjew probiert die Mütze W. I. Lenins
Zeichnung aus der oppositionell kommunistischen französischen Zeitschrift „Politique aujourd’hui“, Mai 1970

A. Dubček

Wir sind sehr froh, daß Sie uns Informationen geliefert haben, die uns eine Vorstellung von den Anschauungen der sowjetischen Genossen geben. Ich werde mich etwas später bemühen, auf alle Ihre Fragen zu antworten. Aber wenn ich recht verstanden habe, hat uns Genosse Waldeck-Rochet die Anschauungen der sowjetischen Genossen mitgeteilt.

W. Rochet

Nein, ich bin von niemandem beauftragt, Ihnen die Anschauungen der sowjetischen Genossen mitzuteilen. Ich bin in aller Unabhängigkeit nach Moskau gefahren. Ich habe mit sowjetischen Genossen gesprochen, ich habe ihre Meinungen gehört und ich habe daraus geschlossen, daß die Situation ernst ist. Ich habe einige Bemerkungen der sowjetischen Genossen hier wiedergegeben, weil sie in Zusammenhang mit unserer Diskussion stehen. Was uns betrifft, haben wir unsere eigenen Bemerkungen zu machen. Ich möchte ein Beispiel zitieren: das sogenannte Manifest der 2000 Worte hat die sowjetischen Genossen beunruhigt. Aber auch wir sind der Meinung, daß dieses Manifest eine gefährliche Plattform darstellt. In manchen Zeitschriften für die Intellektuellen werden Standpunkte vorgebracht, die von den Ihren absolut verschieden sind. Wir sind der Ansicht, daß man auf solche Standpunkte antworten muß und daß Sie dies vielleicht in nicht ausreichendem Maß tun. Ich habe zum Beispiel einen Artikel über Imrè Nágy gefunden. Wir glauben, daß das ein sehr schlechter Artikel ist und daß seine Veröffentlichung den ungarischen Genossen natürlich nicht angenehm sein kann. Wenn ich dies sage, möchte ich zugleich darauf hinweisen, daß ich nicht genügend informiert bin, um über die Angelegenheit in allen ihren Aspekten ein Urteil fällen zu können. Ich erlaube mir ein solches Urteil nicht. Ich bin hier, um Ihren Standpunkt zu der Frage zu hören.

A. Dubček

Sowohl Sie als auch ich sprechen hier als Vertreter unserer Parteien. Selbstverständlich kennen wir die Meinung des Politbüros der Kommunistischen Partei Frankreichs, die eigene Meinung der KPF. Und nun werde ich mich bemühen, auf Ihre Fragen zu antworten. Wir haben vor den französischen Genossen keine Geheimnisse. Keine Frage ist ihnen untersagt. Wir wissen, daß Ihr Zentralkomitee im April zu unserer ZK-Sitzung im Jänner eine positive Stellungnahme abgegeben hat. Sie haben soeben gesagt, daß Ihre Hauptsorge darin besteht, daß es zu keinem Bruch zwischen unserer Partei, der KPdSU und den vier anderen Parteien kommt.

W. Rochet

Im gegenwärtigen Zeitpunkt ja. Das ist unsere Hauptsorge.

A. Dubček

Ich möchte betonen, daß die neue Führung unserer Partei seit Jänner nie irgendeinen Vorwand zu einem solchen Bruch geliefert hat. Daher sage ich Ihnen auch offen, daß die Feststellung, es bestehe die Gefahr eines Bruches, für uns kaum verständlich ist. Wir haben hierzu keinerlei Vorwand geliefert. Diese Gefahr weckt ihre Besorgnis, sie weckt auch die unsere. Ich lege Wert darauf, dies festzustellen.

Im Lauf der letzten zwei oder drei Wochen hat sich etwas ereignet, was wir nicht verstehen. Wenn es uns nicht gelingt, auf alle Ihre Fragen zu antworten, müssen Sie dies entschuldigen. Denn es gibt Fragen, auf die wir keine Antwort haben. Wir stimmen mit Ihnen überein, was die Notwendigkeit betrifft, alles zu tun, um einen Bruch zu vermeiden. Die Führung unserer Partei ist hierzu fest entschlossen. Unser Zentralkomitee hat vor kurzem auch einen diesbezüglichen Beschluß gefaßt. Und zwar gerade weil wir überzeugt sind, daß wir kein Motiv für einen Bruch geliefert haben, weil wir entschlossen sind, alles zu tun, um unsere Beziehungen mit der Sowjetunion und den vier anderen Ländern zu verbessern. Dies ist unsere Position, die Position des Zentralkomitees, das vor kurzem getagt hat. Unser Zentralkomitee hat einstimmig die Stellungnahme des Präsidiums gebilligt und ihm Vollmacht erteilt, in diesem Sinn weiterzuarbeiten.

Sie haben von der Möglichkeit einer europäischen Konferenz der kommunistischen Parteien gesprochen. Sie haben dies am Rand erwähnt, und ich möchte nicht in Details gehen, wenn Sie selbst dies nicht für nötig gefunden haben. Im gegenwärtigen Zeitpunkt glauben wir tatsächlich, daß eine Konferenz, die sich ausschließlich mit der Tschechoslowakei beschäftigt, nicht opportun wäre. Ich sage: im gegenwärtigen Augenblick; die Situation kann sich natürlich ändern. Im übrigen sehen wir nicht, was eine solche Konferenz erbringen könnte, wenn sie nur dazu bestimmt sein soll, die Position einer einzigen Partei zu studieren. Wir können sogar zu Recht die Ansicht vertreten, daß viele Parteien über unsere Situation ziemlich schlecht informiert sind und daß sie folglich kaum in der Lage sind, diese Situation zu beurteilen. Ich möchte wiederholen, wir haben im Prinzip nichts gegen eine kollektive Konferenz. Aber wenn Parteien eine Bruderpartei beurteilen wollen, kommt es darauf an, daß sie genug Informationen und eine eigene Meinung haben. Um sich eine qualifizierte Meinung bilden zu können, müssen sie mit uns diskutieren und unser Land besuchen. Überall wo es Besorgnis über die Politik einer Partei gibt, soll man die Politik dieser Partei an Ort und Stelle überprüfen. Unsere Türen stehen offen. Jedermann kann kommen.

Sicher, wir haben Schwierigkeiten, weil wir wenige Wochen vor dem Parteitag stehen, einem Parteitag, der über sehr wichtige Fragen entscheiden soll. Aber wir haben nicht nein gesagt zum Vorschlag einer Konferenz von Parteien der sozialistischen Länder, und wir haben eine europäische Konferenz nicht abgelehnt. Wir sagen nur, daß es zuvor bilaterale Treffen geben muß, und wir sagen außerdem, daß das Ziel eines kollektiven Treffens nicht darin bestehen kann, über die Situation in einer einzigen Partei ein Urteil zu fällen. Wenn ein solches Treffen stattfinden soll, halten wir es für notwendig, daß sich die Bruderparteien zuvor an Ort und Stelle ihre eigene Meinung bilden.

Sie haben selbst darauf hingewiesen, daß wir uns seit Jänner zu wiederholten Malen für den Sozialismus ausgesprochen haben, für die Freundschaft mit der Sowjetunion, für den Warschauer Pakt, für das Comecon. Ich sehe keine Notwendigkeit, noch einmal hierauf zurückzukommen, dies ist die Linie unserer Partei. Unsere gesamte Partei folgt dieser Linie. Nicht eine einzige Organisation der Partei kann beschuldigt werden, in diesen Fragen unentschlossen zu sein. Nicht ein einziger Beschluß einer Parteiorganisation hat eine Tendenz zum Ausdruck gebracht, die von dieser Linie abweicht. Diesbezüglich kann es nicht den geringsten Zweifel geben. In der Frage des Sozialismus, der Freundschaft mit der Sowjetunion, des Warschauer Paktes usw. gibt es keinerlei Differenz zwischen uns, Ihnen, den Sowjets, den Polen usw. Sie haben gesagt, daß es bei uns Kräfte gibt, die dem Sozialismus feindlich gegenüberstehen. Ja, solche Kräfte gibt es, und das ist natürlich. Die Welt ist geteilt. Und ich kann Ihnen sagen, daß wir uns keine Illusionen machen, wenn wir eine Lobrede aus den kapitalistischen Ländern lesen. Wir wissen, daß es für die Kapitalisten sehr gut wäre, wenn wir eine antisowjetische Politik machten. Aber wir sind Kommunisten, und wir werden unsere politische Linie nicht nach den Wünschen der bourgeoisen Presse bestimmen.

Ja, es gibt einen Klassenkampf auf Weltebene zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Aber selbst wenn es eine Kraft gäbe, die uns aus dem Lager des Sozialismus entfernen wollte, würden wir den Sozialismus nicht aufgeben. Ich will keine Vergleiche anstellen, aber jedenfalls ist unsere Partei, ihre Geschichte und ihr Bewußtsein nicht das der KP Albaniens; wir hüten uns vor einem derartigen Abenteuer. Unsere Partei ist eine internationalistische. Sie tritt für die Einheit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern ein. Es gibt keinerlei Beweis, der eine andere Meinung zuließe.

Sie haben darauf hingewiesen, daß unsere Beziehungen mit der KPdSU und den anderen Parteien seit April oder Mai immer schlechter geworden sind. Ich kann Ihnen kein Datum nennen, aber was uns betrifft, glaube ich, daß sich vor wenigen Tagen, um den 28. oder 30. Juni, plötzlich etwas geändert hat. Dieses Datum stellt einen Wendepunkt dar. Vielleicht erfolgte diese Wende in der Folge des Manifests der 2000 Worte, oder vielleicht war es auch etwas anderes. Jedenfalls ist ein Umschwung eingetreten.

Ich will keine Hypothesen über die Ursachen dieses Umschwungs formulieren: wenn sich unsere Beziehungen mit den anderen sozialistischen Ländern verschlechtert haben, ist dies nicht unsere Schuld. Was die Ungarn betrifft, so war innerhalb von sechs Monaten der einzige bedauerliche Vorfall unsererseits die Veröffentlichung des Artikels über Nágy, eines Artikels, der schlecht und falsch war. Er wurde in einer Wochenzeitung an dem Tag veröffentlicht, an dem ich in Budapest war. In „Rude Pravo“ stand dagegen ein Artikel, der die Politik der Sozialistischen Arbeiterpartei Ungarns seit Kadar in einem ganz anderen Geist beurteilte Wir haben uns von diesem schlechten Artikel distanziert. Übrigens habe ich vor meiner Abreise nach Budapest an einer begeisterten Versammlung teilgenommen, die für die Freundschaft zwischen uns und Ungarn absolut signifikant war. Ich kann sogar sagen, daß es wenig Delegationen gibt, die in einer solchen Atmosphäre der Freundschaft zu einer Reise aufbrechen.

Oder ein anderes Beispiel: Nehmen wir die Bulgaren, mit denen es absolut keinen Streitpunkt gibt, keinen Artikel, in dem man etwas gegen sie findet.

J. Hajek

Die bulgarischen Genossen und ich haben festgestellt (ich war zu diesem Zeitpunkt in Sofia), daß es keinerlei wichtiges Problem bezüglich der Presse gibt. Wir haben dies festgestellt am gleichen Tag, als wir den Brief der Fünf erhielten.

A. Dubček

Nehmen wir die sowjetischen Genossen: in einigen nicht offiziellen Zeitschriften hat es hie und da einige Irrtümer gegeben, das stimmt. So hat es zum Beispiel die Tendenz zu einer gewissen Sensationskampagne rund um den Tod Masaryks gegeben. Aber „Rude Pravo“ hat den offiziellen Standpunkt unserer Partei veröffentlicht: Wir haben Untersuchungen angestellt in allen Ländern, selbst in England, den Schluß aus diesen Untersuchungen haben wir bekanntgegeben und veröffentlicht: es steht außer Zweifel, daß Masaryk schlicht und einfach Selbstmord begangen hat. Diese Angelegenheit geriet bei uns im übrigen schnell in Vergessenheit. Wir haben andere Gründe zur Besorgnis.

W. Rochet

Man muß sagen, daß sich die bürgerliche Presse bei uns — Sie werden das wissen — auf jeden derartigen Artikel stürzt und viel Aufsehen darum macht.

C. Cisar

Ist dafür unsere Partei verantwortlich?

A. Dubček

Unsere Partei ist sicher für alles verantwortlich, was sich in unserem Land abspielt. Es gibt Leute, deren Meinungen im Gegensatz zu denen der Partei stehen. Das stimmt. Aber wir sind überzeugt, daß diese Tendenz immer mehr zurückgehen wird. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wurde in der Öffentlichkeit eine Diskussion über unsere wirtschaftlichen Beziehungen mit der Sowjetunion durchgeführt. Sind sie für uns günstig oder nicht? Es stimmt, daß es darüber eine Debatte gab. Aber schließlich hat sich herausgestellt, daß diese Beziehungen für uns positiv sind. Ja, es hat schlechte Artikel gegeben, und es gibt sie noch immer. Aber kann dies einen Grund für die Verschlechterung unserer Beziehungen darstellen? Müssen sich unsere Beziehungen vergiften, weil irgend jemand irgendeine Meinung vertritt? Jedenfalls trägt weder unsere Partei noch die Nationale Front noch irgendeine offizielle Organisation Verantwortung dafür, für diese Verschlechterung einen Vorwand geliefert zu haben.

Daß manche Einzelpersonen dies getan haben mögen, mag sein. Aber dafür sind wir nicht verantwortlich. Es hat nach der wiedergefundenen Freiheit eine Welle des Freiheitsrausches gegeben, das stimmt. Aber das wird sich geben. Die Tatsachen, die man vorbringt, stammen aus den Monaten März und April. Sie haben im großen und ganzen bis zur Maisitzung des Zentralkomitees gedauert. Gerade deswegen hat die Partei im Plenum diese Stellungnahme abgegeben. Es ist möglich, daß wir damit nicht alles geregelt haben, es ist sogar sicher. Aber was zählt, ist die Tatsache, daß wir zur Offensive übergegangen sind. Dies sollte unsere Beziehungen mit den Bruderparteien verbessern.

Sie sagen, daß wir auf manche Erklärungen nicht so antworten, wie es erforderlich wäre. Was unsere Beziehungen zu anderen Parteien betrifft, sind wir auf jeden Fall gegen Erklärungen. Wir wollen damit sagen, daß sich die Sowjets nur über Tatsachen beunruhigen können, die mehr als zwei Monate zurückliegen. Zum Beispiel die Gründung des Klubs 231, der zum Ziel hatte, zu Unrecht verurteilten Personen zu Hilfe zu kornmen.

Es gab in diesem Klub Leute, die wirklich für die Rehabilitierung von zu Unrecht Verurteilten und für die Wiedergutmachung des ihnen geschehenen Unrechts kämpften. Aber es gab unter ihnen auch negative Elemente. Zwei oder drei von ihnen haben viel Aufsehen verursacht, aber ich wiederhole, abgesehen von diesen zwei oder drei Lügnern waren die Leute des Klubs wirklich Opfer, die Wiedergutmachung forderten; eine Forderung, die wir erfüllten. Wir haben in „Rude Pravo“ aufgezeigt, welche Leute uns zu täuschen suchten, und gleichzeitig haben wir ein Gesetz beschlossen betreffend die Wiedergutmachung an zu Unrecht verurteilten Personen. Auf dieses Gesetz folgten keinerlei politische Maßnahmen.

Und was ist das Resultat? Der Klub hat keinen Einfluß mehr, es ist kaum mehr die Rede von ihm.

Ein anderes Beispiel: Gewisse Leute wollen die sozialdemokratische Partei wieder einführen. Einer von ihnen ist Buchhalter in einem Betrieb, ein ganz gewöhnlicher kleiner Buchhalter. Ein anderer, der Mitglied des vorbereitenden Ausschusses ist, ist Pensionist, der Enkel eines früheren sozialdemokratischen Politikers. Wir haben eine Reihe von Maßnahmen getroffen, ich habe interveniert, Dutzende Artikel wurden gegen die Wiedereinführung dieser Partei geschrieben. Und heute ist die Angelegenheit erledigt, die Aktion gestoppt. Die Leute sind nicht im Gefängnis? Ich weiß, daß die sowjetischen Genossen sie vielleicht eingesperrt hätten; aber ist dies notwendig, wenn ich genügend politische Mittel habe, um auf diese Maßnahme verzichten zu können? Wenn es eine echte Gefahr gäbe, ja, dann würden wir sie ins Gefängnis stecken. Aber es sind alles in allem fünf oder sechs Personen!

Es gibt eine Gefahr von rechts? Das sagen wir selbst in unserer Antwort auf den Brief der Fünf. Wir wollen diese Gefahr politisch in aller Öffentlichkeit liquidieren. Denn schließlich und endlich haben wir die Macht! Und wir haben keine Angst vor ein paar Leuten, die auf der Straße diskutieren.

„Lenin, wach auf, Breschnjew ist verrückt geworden“
Aufschrift in Prag, August 1968
Von der „Humanité“ weggelassen

Die Sowjets sagen: Ihr habt die Westgrenze geschwächt. Aber wir haben ihnen unsere Pläne gegeben, unsere militärischen Pläne, um ihnen zu zeigen, daß wir im Gegenteil unsere Westgrenze verstärkt haben. Konjew und andere sowjetische Generäle sind zu uns gekommen. Sie haben alles gesehen und zu Breschnjew gesagt: „Alles ist in Ordnung.“ Wir haben heute mehr Truppen an der Westgrenze als früher. Warum? Weil wir uns unserer Situation voll bewußt sind. Das war sogar das erste, was wir im Jänner getan haben. Wir haben dem Verteidigungsministerium Befehl gegeben, unsere westliche Grenze zu verstärken. Sprechen wir von den Manövern. Die sowjetischen Truppen verlassen gegegenwärtig unser Territorium. Aber Genosse Waldeck-Rochet, Cernik und ich haben selbst die Initiative zur Abhaltung dieser Manöver ergriffen. Warum? Um der ganzen Welt zu zeigen, daß wir ein integrierender Bestandteil des Warschauer Paktes sind. Damit Bonn sieht und zur Kenntnis nimmt, daß jemand hinter uns steht. Und trotzdem hat es Dinge gegeben, die nicht klappten. Als wir über den Termin der Manöver sprachen, hat der Oberkommandierende der Truppen des Warschauer Paktes, Jakubowski, Ende Juni oder Anfang Juli vorgeschlagen. Im März und April hatte die westliche Presse gemeldet, daß die Tschechoslowakei in Kürze von den Sowjets besetzt werden würde. Um diesen Gerüchten den Boden zu entziehen, hat Jakubowski daher öffentlich erklärt, daß die Manöver Ende Juni oder Anfang Juli abgeschlossen wären. Die Sache war beschlossen, und für uns war das so klar, daß ich bei einer Versammlung am 30. Juni oder am 1. Juli, ich weiß nicht mehr genau, gesagt habe: heute sind die Manöver zu Ende, diese Versammlung schickt den Einheiten, die unser Territorium verlassen, einen brüderlichen Gruß: Und dann ist etwas passiert. Die Truppen ziehen nicht ab, sie bleiben auf unserem Territorium. Zwei Tage, drei Tage, eine Woche — gut, aber dann, warum ziehen sie nicht ab? Die Menschen beginnen sich zu fragen, beginnen unruhig zu werden. Ich frage Sie: Wer täuschte hier wen? Das Ergebnis war, daß die Leute sagten: Schön, die Amerikaner haben vielleicht im April doch recht gehabt. In der Öffentlichkeit gibt es Leute, die sagen: Und jetzt werden sie bis zum XIV. Parteitag bleiben, um auf diesen Parteitag Druck auszuüben. Man mußte die Dinge klarstellen: im Ministerrat sind wir übereingekommen, Jakubowski zu bitten, daß er in der Öffentlichkeit eine Erklärung abgibt. Keine Antwort. Wir haben gesagt: wenn keine Erklärung erfolgt, wird sich die öffentliche Meinung gegen Sie richten. Dies nützt nur den antisowjetischen Kampagnen. Für uns tschechische Kommunisten ist eine solche Situation schwierig.


(Ende der Auslassung)

Die Sowjets haben auch gesagt: Ihr entfernt die alte Führungsgarnitur, die kommunistische Führungsgarnitur. Aber, Genossen, durch sechs Jahre lang hat man in der Partei die Forderung erhoben, daß die Wahlen bei Parteikongressen geheime Wahlen sind. Die frühere Parteiführung hat sich immer gegen diese Forderung gestellt. Wir haben uns für geheime Wahlen ausgesprochen. Was geschieht? Sicher, es kommt vor, daß in der einen oder anderen Fabrik der frühere Sekretär des Parteikomitees nicht wiedergewählt wird. Aber von allen Sekretären der Bezirkskomitees wurden nur 15 nicht wiedergewählt. Und diese 15 hätten bis zum Sommer auf jeden Fall ersetzt werden müssen. In den Regionen wurden nur neun Sekretäre abgewählt. Und die absolute Mehrheit der neuen Führungsgarnitur ist durch die Moskauer Parteischule gegangen und besser ausgebildet als die alte Führungsgarnitur.

O. Cernik

20 Jahre lang wurden die Bezirkssekretäre von oben eingesetzt. Daher ist es natürlich, daß die Leute sie austauschen, sobald sie die Möglichkeit der Wahl haben.

A. Dubček

Die Devise „Gewerkschaften ohne Kommunisten“ ... Es hat einige Flugschriften gegeben, das ist alles. Es gibt keinerlei Basis dafür in der Bevölkerung. Es gibt nur einen einzigen solchen Gewerkschaftsausschu8 — in Prag, in den Tesla-Werken, wo fast nur junge Frauen arbeiten.

Das Manifest der 2000 Worte: Ich werde nicht mit Ihnen streiten, ob es sich dabei um ein antisozialistisches Manifest handelt oder um ein Manifest, über das wir uns täuschen ... Aber es enthält einen Teil unseres Aktionsprogramms und daneben sicher auch den Appell zur Absetzung von Funktionären, zum Streik und zur Errichtung von Aktionskomitees. Vaculik hat das Manifest verfaßt. Er wurde dazu von sehr respektablen Leuten angeregt; um diesem Text einen möglichst populären Charakter zu geben, hat er ihn von sehr bekannten Leuten unterzeichnen lassen, von Leuten, die bis dahin nicht in der Politik tätig gewesen waren. Diesen Leuten gegenüber, die so berühmte Namen tragen, administrative Maßnahmen zu ergreifen, ist ausgeschlossen — das werden Sie sicher verstehen.

Sicher, wir haben alles, was notwendig ist. Wir haben die notwendigen Truppen, wir haben die Volksmiliz. Ich kann Ihnen zum Beispiel im Vertrauen sagen, daß es täglich in den Fabriken 70.000 Bewaffnete gibt, die bereit sind, in Aktion zu treten, wenn es notwendig ist. Aber im erwähnten Fall Gewalt anzuwenden? Das wäre eine Katastrophe. Was haben wir getan? Das Manifest der 2000 Worte wurde an einem Donnerstagmorgen veröffentlicht. Am selben Abend noch habe ich darüber im Verlauf einer Festversammlung anläßlich des Jahrestages der Einheit der ČSSR gesprochen. Ich habe gesagt, daß wir gegen diese 2000 Worte wären. Daß es zur Anarchie führen würde, wollte man die darin enthaltenen Devisen befolgen. Weil wir uns dieser Gefahr bewußt sind, Genosse Waldeck-Rochet. Man sagt, wir reden, ohne etwas zu tun? Noch am selben Abend hat das Präsidium eine Erklärung beschlossen, am nächsten Tag hat die Regierung vor dem Parlament eine Erklärung abgegeben. Und während der zwei folgenden Tage haben alle Organisationen der Nationalen Front Texte zum Manifest der 2000 Worte beschlossen. Keine einzige Organisation der Partei hat das Manifest unterstützt. Keine einzige Organisation hat sich für das ausgesprochen, was das Manifest der 2000 Worte forderte. Nicht ein einziger Student ist aus der Reihe getanzt. Wenn ich in der Lage bin, solche Aktionen politisch zu paralysieren, warum sollte ich dann zu administrativen Maßnahmen greifen? Wenn ich es täte, würde man sagen, ich sei unfähig, mich mit politischen Maßnahmen durchzusetzen. Ich will die Gefahr von rechts nicht unterschätzen. Sie besteht. Sie wird noch lang und in allen sozialistischen Ländern existieren. Weil diese Gefahr eine ökonomische Basis hat.

O. Cernik

Vor dem Februar 1948 zählten die früheren Parteien 1.700.000 Mitglieder. Außerdem hat die persönliche Machtpolitik in gewissen Schichten der Bevölkerung ein Gefühl der Verärgerung gegenüber der Partei erzeugt. Was notwendig ist, ist die Beseitigung der Ursachen der Rechtsopposition. Hierzu gibt es zwei Mittel: die Liquidierung der beiden Extreme, das heißt der Rechten und der Linken, oder die Verstärkung der Haupttendenz, so daß die extremistischen Tendenzen geschwächt werden. Wenn sich die Extremisten organisierten, würden wir natürlich andere Maßnahmen ergreifen, davon können Sie überzeugt sein. Aber soweit sind wir nicht, das entspricht nicht unserer Situation. Im Gegenteil, unsere Politik führt zu guten Ergebnissen. Die Haupttendenz verstärkt sich auf Kosten der Rechten und der Linken.

Sie müssen eines verstehen: das System der persönlichen Macht betonte den Zentralismus, aber der Informationsaustausch zwischen der Parteiführung und den Massen war unterbrochen: unterbrochen durch das Polizeisystem einerseits und durch die Zensur anderseits. Je länger dieses System andauerte, um so mehr entfernte es sich vom wirklichen Leben, um so verletzbarer wurde es. Durch die Befreiung vom System der persönlichen Macht wurden die Massen frei für den demokratischen Prozeß. Ein Kommunist sollte sich nicht vor der Aktivität der Massen fürchten. Die Kommunistische Partei muß imstande sein, die Führung dieses Prozesses zu übernehmen.

Die Sowjets sagen: es besteht eine konterrevolutionäre Situation. Nein. Dem können wir nicht zustimmen. Wenn dem so wäre, wäre es wirklich notwendig, zur Gewalt zu greifen. Aber dies ist nicht der Fall. Bleiben Sie einen Monat bei uns, gehen Sie durch die Straßen, fahren Sie aufs Land hinaus, Sie werden es sehen. Als zum Beispiel heute das ZK tagte, haben wir 2400 Resolutionen erhalten. Wir haben den Delegationen untersagen müssen, zum ZK zu kommen. Und diese Resolutionen, diese Delegationen kamen spontan, ohne irgendeine organisatorische Maßnahme unsererseits. In einer Prager Fabrik haben 18.500 Arbeiter Unterschriften gesammelt für die Antwort des Präsidiums auf den Brief der Fünf. Ist das die Konterrevolution? Die Tausenden Menschen, die uns unterstützen, sind das Konterrevolutionäre? Wenn man das sagt, beleidigt man unser Volk. Das vorhergehende Regime war so schwach, weil Novotny nicht die Massen hinter sich hatte. Wir haben in der Armee 63.000 organisierte Kommunisten, das heißt, daß ein Drittel der Armee mit uns ist. Wenn daher jemand unseren Sozialismus gefährden wollte ... Sie können in Ruhe wieder abreisen. Der Kern der Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und den sowjetischen Genossen liegt in der Frage der Führungsmethoden.

(Von der „Humanité“ ausgelassen)

(In diesem Moment erhält Dubček ein Papier, liest es und sagt:) Da haben wir’s. Die Agentur TASS informiert uns, daß wir nach Moskau eingeladen sind. Das erfahren wir via TASS, aber es gibt einen Beschluß des Präsidiums, wonach die Präsidiumsmitglieder vor dem Parteitag die ČSSR nicht verlassen dürfen.

(Die tschechoslowakischen Gesprächsteilnehmer sprechen alle gleichzeitig. Große Nervosität: „Wenn wir hinfahren, werden die Leute unruhig. Wir sind schon dreimal ins Ausland gefahren, dreimal zwecks Diskussionen über unser Land, einmal nach Dresden, zweimal nach Moskau, Warum kommen sie nicht her?“)


(Ende der Auslassung)

A. Dubček

Seit der Jännersitzung des ZK gab es 15.000 Ansuchen um Mitgliedschaft in der Partei, und dies ohne den geringsten Aufruf von unserer Seite. Vor zwei Wochen hat mich das Präsidium gebeten, öffentlich zum Eintritt in die Partei aufzufordern. Aber ich muß sagen, daß ich mich bis jetzt dagegen gewehrt habe, weil dies zu einer echten Überschwemmung führen würde. Die sowjetischen Genossen sollen kommen und sich ansehen, was in diesem Land vorgeht, und nicht nur mit uns hinter verschlossenen Türen diskutieren. Wir haben nichts getan, um eine Krise herbeizuführen. Wir werden nichts tun, was diese Krise verschlimmern könnte. Wir haben drei Briefe an die KPdSU gesandt, Wir haben vorgeschlagen, uns noch einmal vor einer allgemeinen Konferenz zu treffen. Warum haben sie diesen Vorschlag nicht angenommen? Nach dem Warschauer Treffen habe ich den fünf Teilnehmern geschrieben. Ich habe sie gebeten, ihren Brief nicht zu veröffentlichen. Ich habe ihnen gesagt, daß dies von den Massen bei uns abgelehnt würde und bedauerliche Rückwirkungen auf die internationale Bewegung hätte. Sie haben den Brief veröffentlicht.

Genosse Rochet, ich bin seit 30 Jahren in der Partei tätig. Mein Vater ist ein alter Sozialist, Mitglied der Partei seit deren Gründung. Nehmen Sie Lenart, er kommt aus der Fabrik, und die anderen Genossen ... Selbst wenn man uns aus dem Sozialismus hinaustreiben wollte, würden wir ihn nicht aufgeben. Wir werden alles tun, um die Situation positiv zu lösen. Unser Zentralkomitee hat es so beschlossen. Aber wenn man mit uns polemisiert, weil man in einem Artikel oder in einer Erklärung irgend etwas gefunden hat, das nicht der Parteilinie entspricht oder das als antisowjetisch interpretiert wird ... Wenn man bedenkt, daß man in Ungarn und Polen sogar den Namen der Partei ändern mußte, sosehr war die Partei diskreditiert! Wir haben die Massen hinter uns; ist das nicht ein Sieg, selbst wenn es vorkommt, daß ein paar schlechte Artikel veröffentlicht werden?

Wozu sollte es gut sein, auf die Menge schießen zu lassen? Diese ganze Verschlechterung unserer Beziehungen zu den sowjetischen Genossen und den anderen ist ohne unser Zutun eingetreten. Wie hat das alles begonnen? Und wohin wird das führen? Ich weiß es nicht. Ich werde Ihnen alle Dokumente geben. Wir haben uns nie geweigert, nach Warschau zu fahren. Wir haben gesagt: Treffen wir uns vorerst zu bilateralen Gesprächen, bevor wir nach Warschau kommen. Sie sind in Warschau zusammengekommen. Sie haben in 48 Stunden ein Dokument beschlossen. Sie haben es veröffentlicht ... Vielleicht ist ihr Ziel die Wiederherstellung des früheren Systems? Ich weiß es nicht. Unser Volk würde dies auf keinen Fall dulden. Genosse Waldeck-Rochet, wir überlassen es Ihnen zu beurteilen, was in meinem Bericht zu Ihrer Information, zur Information Ihres Politbüros bestimmt ist und was veröffentlicht werden soll. Abschließend möchte ich Ihnen sagen, daß wir über Ihren Besuch sehr froh sind.

W. Rochet

Ich danke Ihnen für die Informationen, die Sie mir gegeben haben. Ich werde unser Politbüro darüber objektiv informieren. Ich habe Ihre Erklärung zur Kenntnis genommen, ebenso wie wir die Erklärung der sowjetischen Genossen zur Kenntnis genommen haben. Wir sind überzeugt, daß es immer gut ist, mehrere Seiten zu hören, um sich eine genauere Meinung zu bilden. Da Sie die Frage gestellt haben, welches unsere eigene Stellung zu Ihrer Partei ist, erinnere ich Sie, daß diese Stellung in unserem ZK im April festgelegt wurde, wo wir die Maßnahmen Ihres ZK im Jänner und im März positiv beurteilt haben. Wir haben am wesentlichen Inhalt unserer Stellungnahme nichts geändert. Aber wir waren jedenfalls immer davon überzeugt, daß die Entwicklung der sozialistischen Demokratie, wie Sie sie anstreben, es erfordert, auf die Versuche des politischen Feindes und der Rechtselemente sowohl auf politischer Ebene als auch unter allen anderen Aspekten entsprechend zu reagieren. Man muß darauf hinweisen, daß im Rahmen der „Demokratisierung“ und bei einer solchen Pressefreiheit die feindlichen Elemente natürlich die Möglichkeit zur Aktivität ergreifen. Genau das geschieht bei Ihnen. Wir haben von gewissen Artikeln und gewissen Erklärungen von Elementen gehört, die dem Sozialismus feindlich gegenüberstehen, Artikel und Erklärungen, die Sie in unzureichendem Maß beantwortet haben. Sie haben uns erklärt, daß Sie eben im Begriff sind, Ihren politischen Kampf zu verstärken: das ist es, was auch wir wünschen. Wenn Sie den Kampf gegen die Rechtselemente und gegen die feindlichen Elemente wirklich verstärken, wird es leichter sein, die gegenwärtige Krise zu lösen und das Vertrauen wiederherzustellen. Sie haben wieder von einem Treffen gesprochen, das eventuell zwischen Ihnen und den sowjetischen Genossen stattfinden soll. Wir wünschen von ganzem Herzen, daß diese Begegnung zustande kommt. Die Frage des Ortes ist Ihre Angelegenheit, aber sie sollte unserer Meinung nach kein Hindernis darstellen, denn wir sind überzeugt, daß ein solches Treffen zur Lösung der Schwierigkeiten absolut unerläßlich ist. Unseren Vorschlag für eine Konferenz der europäischen Parteien haben wir gemacht, weil die Fragen, um die es geht, alle Parteien und nicht nur sechs von ihnen interessieren und angehen. Es ist eine Tatsache, daß ein Bruch zwischen der UdSSR und der Tschechoslowakei für alle europäischen Länder tiefreichende Folgen hätte. Sie sagen selbst, daß sich die Situation in der letzten Zeit merklich verschlechtert hat. Dies rechtfertigt unseren Vorschlag. Wir sind überzeugt, daß sich die Dinge richten lassen, solange man diskutiert und solange man verhandelt.

Umgekehrt können sich die Dinge nur verschlimmern, wenn man nicht mehr spricht, wenn man nicht mehr diskutiert. Wir wünschen daher, daß die Situation vor allem durch eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen Ihrem Land und den anderen sozialistischen Ländern gelöst wird, im Interesse unserer ganzen Bewegung.

A. Dubček

Das ist auch unsere Position; aber was wollen Sie, die Situation liegt nicht nur in unseren Händen.

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1970
, Seite 743
Autor/inn/en:

Alexander Dubček:

Waldeck Rochet:

Lizenz dieses Beitrags:
Copyright

© Copyright liegt beim Autor / bei der Autorin des Artikels

Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

Begriffsinventar

Geographie