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Herbert Auinger

FPÖ damals: Die „Nazi-Partei“

In seinem 14. FORVM-Beitrag zieht Herbert Auinger den parteieigenen „Bericht“ der FPÖ-Historikerkommission ans helle Licht der Aufklärung – mit obgleich erwartbarem, so doch erstaunlichem Ergebnis. H.C. Strache, der zu Recht glücklose Initiator, war bei Erscheinen des Berichts bereits in der Versenkung verschwunden, vermutlich deshalb blieb die historische Beleuchtung der NS-Nähe seiner Partei damals so unterbelichtet. Desto erhellender nun dieser Beitrag
zur Zeitgeschichte der Zukunft.

Bücher von H.A: „Haider. Nachrede auf einen bürgerlichen Politiker“, Wien 2000
„Die FPÖ – Blaupause der Neuen Rechten in Europa“, Wien 2017
Podcast: https://cba.media/podcast/kein-kommentar

Die jüngste Ausgabe der Diskussionssendung „Wild umstritten“ wurde vom Sender Puls 24 für kurze Zeit vom Netz genommen. Der Grund war eine Aussage des Autors und Fotografen Manfred Klimek, der die FPÖ als „Nazi-Partei“ bezeichnet hatte. … Während der Gast live für das, was er sagt, selbst verantwortlich sei, wäre der Sender bei der Wiederholung und in der Online-Verbreitung in der Verantwortung. Medienrechtlich bedenkliche Passagen müsste man „überpiepen oder einordnen etc. wie in einem Beitrag“. [1]

„Medienrechtlich bedenklich“?

Die FPÖ hat sich die Bezeichnung „Nazi-Partei“ doch redlich verdient. Das hat der „BERICHT DER HISTORIKERKOMMISSION. Analysen und Materialien zur Geschichte des Dritten Lagers und der FPÖ“, herausgegeben 2019 vom Freiheitlichen Bildungsinstitut, überzeugend dokumentiert. Dessen Aufgabe:

Anfang 2018 wurde auf Initiative des damaligen FPÖ-Bundesparteiobmanns und Vizekanzlers Heinz-Christian Strache eine Historikerkommission eingerichtet, die sich kritisch mit der Vergangenheit der FPÖ auseinandersetzen sollte. In den Medien und vom politischen Gegner wurde dieses Unterfangen mit dem Aufspüren sogenannter „brauner Flecken“ der FPÖ verglichen. Konkret ist damit gemeint, dass der FPÖ ein historisches Naheverhältnis zur NSDAP unterstellt wird, weshalb es angeblich auch bis heute immer wieder zu Äußerungen von FPÖ-Funktionären kommt – den sogenannten „Einzelfällen“ –, die dieses zu bestätigen scheinen. [2]

Aufschlussreich seit 2019

Anlass dieses „Berichts“ war einer der „angeblich“ „immer wieder“ (sic!) aufbrechenden parteitypischen „Einzelfälle“ (sic!) – damals ging es um antisemitische Texte in einem Liederbuch der schlagenden Burschenschaft „Germania“. Nachdem die FPÖ damals mit der ÖVP die türkis-blaue Bundesregierung stellte, und nachdem nicht zuletzt der türkise Koalitionspartner es sich nicht nehmen ließ, auch diese Affäre auszuschlachten und „Konsequenzen“ anzumahnen, um klarzustellen, wer hier der Chef und wer der Juniorpartner ist, deswegen also wollte Strache die übliche Abwicklung dieser „Einzelfälle“: Distanzieren, Dementieren, Kleinreden, Beschuldigung der Medien, zeitverzögerte Bekräftigungen, das normale jämmerliche Hin und Her eben –, das wollte er auf ein höheres Niveau heben. Durch seine Initiative sollte die Partei endlich die Deutungshoheit über ihre „braunen Flecken“ und „Einzelfälle“ erlangen, indem die Partei in Eigenregie eine „kritische“ Darstellung vorlegt, und so ihren Kritikern den Wind aus den Segeln nimmt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Ergebnisses war Strache allerdings nicht mehr Parteiobmann und die Regierungsbeteiligung der FPÖ war Geschichte; in der Zwischenzeit war das „Ibiza“-Video präsentiert worden. Insofern war das Interesse der Öffentlichkeit am Ergebnis der Forschungstätigkeit sehr endenwollend – und der BERICHT wird durch diese Ignoranz weit unter seinem Wert gehandelt. Mit Ende der Regierungsbeteiligung hat sich die Ausgangslage und das ursprüngliche Bedürfnis für die FPÖ wieder erledigt:

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz will sich wieder den rechtsextremen Identitären annähern. Man habe während der Regierungszeit den Fehler gemacht zu glauben, „wir müssen in ein Rückzugsgefecht gehen und uns auf Zuruf von Sebastian Kurz distanzieren“, sagte er in einem Interview mit dem einschlägigen Magazin „Info Direkt“, und: „Mit dieser Distanziererei ist es jetzt aber definitiv vorbei.“ [3]

Dem war aber dann doch nicht ganz so, denn Schnedlitz hat sich von dieser Distanzierung von den vorherigen Distanzierungen kurz darauf wieder – distanziert. (ebd.) [4]

Wenn es die Intention gewesen sein sollte, das historische Naheverhältnis der FPÖ zur NSDAP als eine „Unterstellung“ und die „Einzelfälle“ als bloß „scheinhafte“ Bestätigung dieser „Unterstellung“ darzulegen – dann wird besagter BERICHT gewaltig unterschätzt.

„Naheverhältnis zur NSDAP, Einzelfälle, braune Flecken“
Die FPÖ und die „Nazis“ – „Prinzip“ oder „ideologische Nähe“?

Einer der Autoren hat sich jedenfalls durch seine Befassung mit der FPÖ ein ziemlich klares Bild erarbeitet. Gegenstand seiner Untersuchung ist die „Positionierung der FPÖ im Nationalrat. Die Redebeiträge freiheitlicher Abgeordneter zu für die Bewältigung der NS-Vergangenheit relevanten Nationalratsdebatten von 1949 bis heute“. In seiner „Zusammenfassung“ räsoniert er:

An diesem Punkt könnte man die „Henne oder Ei“ Frage stellen, ob nun die freiheitlichen Prinzipen von sich aus die Intervention zugunsten der unschuldigen Nazis bedingt hätten oder ob diese nur zum Schein aufgestellt worden wären, um aufgrund der ideologischen Nähe, aber auf „unverdächtige“ Weise, den Nazis helfen zu können. [5]

Die Partei hat also, fasst der Autor seine Forschung zusammen, „zugunsten unschuldiger Nazis interveniert“, aber warum – „Henne oder Ei“? Geht es der FPÖ um die „freiheitlichen Prinzipien“ oder geht es um diese nur zum Schein, tatsächlich aber um die „unverdächtige“ Hilfe für „Nazis“ aufgrund einer „ideologischen Nähe“? Mit dieser „Frage“ fällt der Autor hinter seine Ergebnisse zurück: Ihm ist eben aufgefallen, dass die freiheitlichen Prinzipien gelten, sobald es dem materiellen oder moralischen Nutzen der „Nazis“ dient. Es handelt sich nicht um ein entweder – oder, es liegt vielmehr ein um – zu vor: Die Prinzipien werden nicht „zum Schein“ aufgestellt, sie werden selektiv, berechnend, instrumentell zur Anwendung gebracht, um den „Nazis“ zu helfen. Die Geilheit der freiheitlichen Fürsprecher auf eine „Opferrolle“ für Nationalsozialisten und das Pochen auf „Rechtsgleichheit“ für „Nazis“ erfolgt dabei in der Manier von Winkeladvokaten.

Kleiner Einschub zu den „unschuldigen Nazis“

Im besetzten Nachkriegsösterreich verabschiedete die provisorische Regierung 1945 das Verbotsgesetz, durch das die NSDAP und alle mit ihr verbundenen Organisationen verboten wurden, und das Kriegsverbrechergesetz. Bei diesen Gesetzen wurde gemäß der Lehre von Wilhelm Malaniuk das Rückwirkungsverbot nicht angewendet, so dass die NS-Verbrechen strafrechtlich verfolgt werden konnten. Wegen dieser Gesetze mussten sich alle, die zwischen 1933 und 1945 Mitglied dieser Partei oder einer ihrer Organisationen, wie SS oder SA gewesen waren, registrieren lassen. Sie waren bei der Nationalratswahl 1945 nicht wahlberechtigt. In Österreich wurde 1945/46 rund ein Drittel aller öffentlich Bediensteten, ungefähr 100.000 Menschen, aufgrund einer früheren NSDAP-Mitgliedschaft aus dem Staatsdienst entlassen. Darüber hinaus verloren 36.000 Personen in der Privatwirtschaft und 960 höchste Führungskräfte aus Staat und Wirtschaft ihre bisherigen Positionen.

Anhand von vier Kriegsverbrecherlisten … wurden 242 maßgeblich Hauptverantwortliche der NS-Verbrechen veröffentlicht. In einem Folgegesetz vom 6. Februar 1947 („Nationalsozialistengesetz“) wurden diese Personen in drei Gruppen (Kriegsverbrecher, Belastete und Minderbelastete) eingeteilt. Im Gegensatz zu Deutschland wurde vor allem die erste Gruppe nicht der alliierten, sondern der österreichischen Gerichtsbarkeit zugeführt. … Die Belasteten in den alliierten Zonen wurden von den Besatzungsmächten vor allem in den beiden Lagern, dem US-Camp im Internierungslager Glasenbach bei Salzburg und dem britischen Lager Wolfsberg in Kärnten, festgehalten. Die Sowjets überließen dies meist der österreichischen Gerichtsbarkeit. Viele von ihnen wurden für Aufräumungsarbeiten nach Kriegsschäden verpflichtet. Die Mitläufer, wie die Minderbelasteten auch bezeichnet wurden, wurden meist zu Geldstrafen, Entlassungen, Wahlrechtsverlust oder Berufsverbot verurteilt. Da unter diesen Personen aber auch viele Fachkräfte waren, die für den Wiederaufbau benötigt wurden, versuchten die beiden damaligen Großparteien ÖVP und SPÖ, bei den Besatzungsmächten eine Lockerung der Bestimmungen für Mitläufer zu erreichen.

Die fast 500.000 Mitläufer waren bei der Nationalratswahl 1945 nicht wahlberechtigt, durften aber bei der Nationalratswahl am 9. Oktober 1949 wieder ihre Stimme abgeben. Im März 1949 gründete sich der Verband der Unabhängigen (VdU), die Vorgängerpartei der FPÖ. Durch Amnestien in den Folgejahren wurden vor allem die Folgen für die Mitläufer wesentlich reduziert. [6]

Entnazifizierung

Her mit dem Gleichheitsgrundsatz
gegen die Kriminalisierung der NSDAP!

Ein zusammenfassender Bericht über eine Parlamentsdebatte des Jahres 1951, Gegenstand war ein Beamten-Überleitungsgesetz, mithin die Frage, wer für eine Stelle als Beamter der Zweiten österreichischen Republik in Frage kam:

In der Behandlung dieser sogenannten „Illegalen“ folgte das BÜG somit der Logik des Verbotsgesetzes vom 8. Mai 1945, welches es als mildernde Umstände betrachtete, wenn jemand nachweislich seine Parteimitgliedschaft niemals „missbraucht hat und aus seinem Verhalten noch vor der Befreiung Österreichs auf eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich“ geschlossen werden konnte. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass Personen, die sich schon vor 1938 zur NSDAP bekannt hatten, unter keinerlei Umständen mit Gnade rechnen durften, weil sie dadurch ihre Österreich-Feindschaft überdeutlich klar gemacht hätten. Pfeifer sah jedoch in der gesamten Nationalsozialistengesetzgebung einen Widerspruch zum bereits im Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 festgelegten Prinzip der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Als Beispiel, dass es bei der sich daraus ergebenden „Willkür und ungleichen Behandlung“ auch die „Falschen“ treffen könnte, führte er an, dass nach April 1945 auch ehemalige Sozialisten und Kommunisten entfernt worden seien, die 1938 aus rein taktischen Karrieregründen zur NSDAP als der damals einzig erlaubten Partei gewechselt seien. [7]

Genial der Vorschlag, wegen der Möglichkeit, „Falsche“ zu erwischen, gleich auf das Vorgehen gegen die „Richtigen“ zu verzichten, die innerhalb dieses Bildes dann doch wohl unterstellt sind! Weil womöglich auch „Mitläufer“ betroffen waren, hätten überzeugte Nationalsozialisten nicht als politisch unzuverlässige Figuren von einem Staat, den sie bekämpft hatten, beargwöhnt werden dürfen? Zur Einordnung: Die damalige Entnazifizierung hat sich an der Unterscheidung orientiert, wer als überzeugter Nationalsozialist tätig war, oder wer erst nach dem „Anschluss“ 1938 in die NSDAP eingetreten war, wegen der Karriere. Die erwähnten taktischen Karrieristen wurden mit „mildernden Umständen“ bedacht, sofern

jemand nachweislich seine Parteimitgliedschaft niemals „missbraucht hat und aus seinem Verhalten noch vor der Befreiung Österreichs auf eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich“ geschlossen werden konnte,

so die „Logik“ des Gesetzes zum Verbot der NSDAP aus dem Jahr 1945. Verglichen damit wurden die Mitglieder des österreichischen Ablegers der NSDAP vor 1938 als nationalsozialistische Überzeugungstäter eingestuft.

Im politischen Normalfall fällt ein Kampf wie derjenige der „Illegalen“ – gemeint sind die „illegalen“ Nationalsozialisten, nach dem Verbot der Partei in Österreich 1933 – gegen die Souveränität Österreichs unter das Verdikt „Hochverrat“. Der gleichheitsfanatische Abgeordnete Pfeifer hat nun die „gesamte Nationalsozialistengesetzgebung“ (NSDAP-Verbot und Entnazifizierung) mit dem köstlichen „Argument“ der „Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz“ aufs Korn genommen! Es hat schon etwas Putziges an sich, wenn da die Mitglieder einer staatsfeindlichen, verbotenen und behördlich aufgelösten Organisation als ordentliche Bürger gelten sollen, ausgerechnet wg. der Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz! Der damalige staatliche Zweifel an der „Pflicht und Treue“ von Nationalsozialisten gegenüber Österreich – erst recht, sofern schon vor 1938 beim österreichischen NSDAP-Ableger dabei – verstößt gegen einen Gleichheitsgrundsatz? Der österreichische Staat dürfe nicht zwischen Staatsfeinden und ordentlichen Bürgern unterscheiden? Der leidenschaftliche Gleichmacher von VdU bzw. FPÖ möchte so den Unterschied zwischen Feinden der österreichischen Souveränität und braven Bürgern getilgt wissen? Zur Vermeidung von Missverständnissen: Das gilt nach Meinung von FPÖ und VdU nicht für Staatsfeinde generell, das ist ein echtes Nazi-Privileg. Weil die NSDAP nach Meinung der Freiheitlichen gar nicht erst hätte verboten werden dürfen:

Als die Verbotsgesetze von 1945 und 1947 vom Nationalrat beschlossen wurden, war noch keine freiheitliche Gruppe im Parlament vertreten. Aus der Debatte zur NS-Amnestie 1957 ging jedoch hervor, dass die Freiheitlichen das Verbotsgesetz ablehnten, weil es, unter Nichtanwendung des Rückwirkungsverbotes, schon allein für die Mitgliedschaft bei der NSDAP eine Registrierpflicht sowie besonders schwere Strafen für die sogenannten „Illegalen“ vorsah. [8]

Diese berechnende Beschwerde über die Nichtanwendung des „Rückwirkungsverbotes“ gibt sich blöder, als der Beschwerdeführer vermutlich ist. Besagtes Verbot gilt im richtigen Leben in der Regel im Rahmen einer bestehenden, gültigen Rechtsordnung, aber nicht, wenn eine solche – nach einer Niederlage – durch eine andere ersetzt wird. Im Krieg und durch den Sieg entscheidet sich schließlich, welche Rechtsordnung gilt!

Das „Rückwirkungsverbot“ verbietet grundsätzlich staatliche Akte, die rechtliche Normen oder Verfahren so ändern, dass an vergangenes Handeln nun eine andere Folge geknüpft wird. Problematisch ist dabei, dass der Adressat der Norm sich zum Zeitpunkt seines ursprünglichen Verhaltens nicht auf diese Folge einstellen konnte. [9]

Der Strafrechtler Theodor Rittler entwickelte nach 1945 ein rechtstheoretisches Fundament zum Rückwirkungsverbot bei Kriegsverbrechergesetz und Verbotsgesetz, während sein „Gegenspieler“ Wilhelm Malaniuk die Zulässigkeit der Nichtanwendung des Rückwirkungsverbotes in diesen Fällen damit begründete, dass diese strafbare Handlungen, „die Gesetze der Menschlichkeit so gröblich verletzen, dass solchen Rechtsbrechern kein Anspruch auf die Garantiefunktion des Tatbestandes zukommt. [10] Die Verletzung des Rückwirkungsverbotes wurde auch gegenüber den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945-49 erhoben. [11]

Darum wird der Kriegsverbrecher auch erst nach der Niederlage von den Siegern abgeurteilt – weil die Rechtsordnung des Verlierers durch die Niederlage perdu ist! (Bis auf die öfter sehr umfangreichen Bestandteile, die auch von den Siegern für brauchbar erachtet werden, und die darum weiter gelten.) Deutschland hat sich bei der Aburteilung von Funktionären der DDR einige Jahrzehnte später natürlich auch nicht von lächerlichen Paragraphenklaubereien wg. „Rückwirkungsverbot“ behindern lassen.

Darüber hinaus hat der engagierte Abg. Pfeifer den staatsfeindlichen Kampf dieser „Illegalen“ zwischen 1933 und 1938 insgesamt für berechtigt erklärt. Im Rahmen einer Debatte um die NS-Amnestie 1957 moniert er, dass der SPÖ-Politiker

Schärf von der Tatsache ausgegangen sei, „dass die NSDAP nach den Erklärungen ihrer Führer eine verschworene Gemeinschaft zur Erringung der Macht, […] also eine hochverräterische Gemeinschaft gewesen ist“. Demnach, folgerte Pfeifer, wäre aber jede politische Partei als kriminell zu betrachten, denn die Erringung der Macht sei ja schließlich das Wesen der Politik. Als Hochverräter sei laut Schärf „naturgemäß anzusehen, wer kurz vor dem Anschluss für die NSDAP in Österreich tätig war, also im Wesentlichen … der Illegale“. Während für Schärf der springende Punkt also der Verrat an der österreichischen Eigenstaatlichkeit war, (…) so nahm Pfeifer den Begriff der Illegalität selbst ins Visier, denn „Illegale wurden alle genannt, die sich gegen etwas gestellt haben, was sie selbst mit Recht als illegal betrachtet haben“. Der wahre „Illegale jener Zeit“ jedoch sei der gewesen, „der die Verfassung gebrochen hat, und nicht der, der den Verfassungsbruch nicht anerkennen wollte“. [12]

Auch ein brillanter Beitrag: Wenn die NSDAP verboten wird, gehören entweder alle Parteien verboten oder keine – den kleinen Unterschied zwischen einer staatsfeindlichen und staatstragenden Parteien wollte Pfeifer nicht gelten lassen. Warum nicht? Weil die staatsfeindliche Partei im Recht war! Zur Einordnung: Mit „Verfassungsbruch“ ist die nach der austrofaschistischen Sprachregelung „Selbstausschaltung des Parlaments“ genannte Aussperrung der österreichischen Parlamentarier aller Parteien vom März 1933 gemeint; der damalige Bundeskanzler Dollfuß regierte sodann auf Basis des „Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes“ durch Verordnungen. Der österreichische Ableger der NSDAP in Österreich wurde im Juni 1933 verboten:

Auslösendes Moment war ein Anschlag mit Handgranaten in Krems. Der NS-Terror nahm in den folgenden Monaten ab, jedoch waren bis Jahresende immer noch fünf Tote und 52 Verletzte zu beklagen. … Ab Anfang 1934 erschütterte eine neuerliche Welle von Terroranschlägen der Nationalsozialisten das Land. Ziele waren nun nicht mehr Einzelpersonen wie zuvor, sondern vor allem Einrichtungen des Staates. In der ersten Hälfte des Jahres 1934 starben dabei 17 Menschen und 171 wurden verletzt. Am 25. Juli versuchten die Nationalsozialisten unter Führung der SS-Standarte 89 einen Putsch … wo Dollfuß durch Schüsse so schwer verletzt wurde, dass er einige Stunden später starb. [13]

Dollfuß brachte es nach 1945 immerhin zu einer kleinen Ikone der ÖVP, in Gestalt einer Jahrzehnte währenden fotografischen Präsenz im ÖVP-Parlamentsklub. Bemerkenswert, dass für den Abg. Pfeifer die damaligen „Illegalen“ im Recht waren, weil sie selbst als die zuständige höchste Instanz in Fragen von Recht und Unrecht referiert werden: Sie sind, wie alle Terroristen das tun, ihrem eigenen Verständnis von Legalität gefolgt – und waren deswegen „mit Recht“ Staatsfeinde; spätestens durch das Parteiverbot war die verbotene Partei im Recht! Das müssen sich die sog. „Klima-Terroristen“ merken, auch die folgen bekanntlich ihrem eigenen Verständnis von Legalität und gehören nach Meinung der FPÖ kriminalisiert. So werden ausgerechnet die „illegalen“ Nazis mit dem Bedürfnis nach dem Anschluss an Deutschland von ihrem freiheitlichen Anwalt als enttäuschte Anhänger der österreichischen Verfassung verkleidet, die den „Verfassungsbruch“ nicht akzeptieren wollten!

In diesem Fall gilt – „Henne oder Ei“! – natürlich eine gezielte Missachtung eines anderen ehernen „Prinzips“ der FPÖ, indem das eine vorherige „Unrecht“, nämlich der „Verfassungsbruch“, das andere „Unrecht“ der „Illegalen“ allemal rechtfertigt – im Unterschied zum „Unrecht“ von NSDAP-Verbot und Entnazifizierung, das durch das vorherige „Unrecht“ der Konzentrationslager keineswegs gedeckt sei, so der Abg. Gredler 1951:

Folgerichtig wäre aber auch das Unrecht von 1945, als „Tausende auf die Anklagebank gebracht wurden“, nicht dadurch aufgehoben, dass „vor 1945 Hunderttausende in die Konzentrationslager gebracht [wurden], ohne vorher einem Richter vorgeführt worden zu sein“, denn „möge auch der Unrechtstatbestand vorher, was ich nicht in Frage stellen will, größer, ärger gewesen sein, ein nachher geschehenes Unrecht bleibt Unrecht. Es ist an sich Unrecht.“ [14]

Wiedergutmachung

Her mit dem Gleichheitsgrundsatz und der Opferrolle für Nationalsozialisten!

In Fragen der Wiedergutmachung hat sich die FPÖ (bzw. der VdU) vor allem durch die Vorstellung eines „breiten Opferbegriffs“ profiliert, sodass durch die radikale freiheitliche Gleichmacherei nicht nur die Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch Nationalsozialisten, als die Opfer der Niederlage und der Entnazifizierung, mit Entschädigungen hätten bedacht werden müssen, weswegen die Partei einigen diesbezüglichen Gesetzen dann doch nicht zustimmen konnte:

Das erste Gesetz, zu dem sich auch freiheitliche Abgeordnete (damals noch im VdU) äußerten, war das am 18. Jänner 1956 behandelte Hilfsfondsgesetz, das 550 Millionen Schilling für jüdische Emigranten bereitstellte. Der Redner des VdU, Wilfried Gredler, formulierte in der Ablehnung des Gesetzes für seine Fraktion einige Grundsätze, die wir bereits aus früheren Debatten kennen bzw. auch für die Stellungnahmen von freiheitlichen Abgeordneten zu späteren Gesetzen kennzeichnend sein werden. … So sei es im Sinne der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und internationaler Menschenrechtskonventionen untragbar, dass sämtliche Wiedergutmachungsgesetze seit 1945 eine Ausnahme für sogenannte „illegale“ Nationalsozialisten vor 1938 oder für nach 1945 erlittenes Unrecht von Nationalsozialisten gemacht hätten. … Es gehe daher, viertens, bei den Fragen von Rechtsgleichheit und Gleichbehandlung (aller Opfer) auch um keine Aufrechnung, sprich: „das Leid der einen gegen das Leid der anderen aufzuwiegen“. Der Vorwurf des Aufrechnens war und wird aber immer ein Standardargument der Gegner der Freiheitlichen in den einschlägigen Nationalratsdebatten sein. Gredlers letztes Argument, nämlich dass durch die Bevorzugung von bestimmten Opfergruppen „eine gewisse negative Stimmung, die wir alle gemeinsam nicht sehen wollen“, entstehen könne, kann man für subtilen Antisemitismus oder zumindest Verständnis für das Aufkommen antisemitischer Reaktion halten. [15]

Subtil? Im Ernst? Der „breite Opferbegriff“ gilt also den Nationalsozialisten, die vom erwähnten Gesetz zugunsten „politisch Verfolgter“ – die eben vom Nationalsozialismus verfolgt worden waren! – ausdrücklich ausgenommen wurden, was deren freiheitliche Anwälte einfach nicht goutieren konnten, wo die Nazis doch – nach 1945 – selber aus politischen Gründen verfolgt wurden. Keine Wiedergutmachung an Juden ohne Wiedergutmachung an Nationalsozialisten – schöner kann man die Parteilinie nicht vortragen. „Rechtsgleichheit“ für alle: Gehetzte Juden und illegale Nationalsozialisten sind Opfer, ihnen allen stehen wegen des erhabenen freiheitlichen Gleichheitsgrundsatzes Entschädigungen zu. Der erwähnte Vorwurf des „Aufrechnens“ gegen die FPÖ ist unscharf: Es geht den Freiheitlichen wirklich nicht darum, „das Leid der einen gegen das Leid der anderen aufzuwiegen“, die Charakterisierung der Nationalsozialisten als „Leidende“ ist für sich genommen schon der ganze Witz der Angelegenheit. Wer „Leid“ zu tragen hat, ist ein „Opfer“, und damit im Recht; diese in den moralisch-abstraktesten Kategorien Opfer und Leid schon enthaltene Gleichmacherei soll bloß noch abgerufen werden – in berechnender Kombination mit der für sich sehr kontrafaktischen Unterstellung, es sei der Politik nach 1945 schwerpunktmäßig um die Obsorge und Fürsorge gegenüber Opfern gegangen.

Realiter sind Opfer nach 1945 ff. nur dann als solche anerkannt und daher tauglich als politische Berufungstitel und als ideelle Auftraggeber von viel eigener Gewalt, wenn sie vom jeweiligen Feind malträtiert werden oder aus anderen Gründen in die Staatsräson passen. Diese erhabene, unendlich verlogene Figur des „Opfers“ in der Politik möchten die freiheitlichen Sympathisanten der Nationalsozialisten auch denen im Nachhinein zugutekommen lassen: Bewährte Nationalsozialisten dürfen sich unter die indirekten Opfer des Nationalsozialismus schwindeln. Die vielen Opfer der Erfolge des Nationalsozialismus (im KZ und Vernichtungslager) finden sich mit den Opfern der Niederlage des Nationalsozialismus vereint, im großen egalitären freiheitlichen Opfereinheitsbrei:

Da wäre zunächst der freiheitliche „Opferbegriff“, also die Definition jener Gruppen von Menschen, die in den verschiedensten historischen Zusammenhängen und aus den verschiedensten Gründen politischer Verfolgung ausgesetzt waren und dadurch Verluste an Gütern, Leben etc. erlitten haben. Aufgrund des Prinzips der Rechtsgleichheit befürworten die Freiheitlichen den Grundsatz „Opfer ist Opfer“, [16] was allgemein einem breiten Opferbegriff entspricht. [17]

Nun denn. Da wäre vermutlich einigen gegenwärtigen Flüchtlingen wärmstens zu empfehlen, sich diesen „breiten freiheitlichen Opferbegriff“ samt dem Begehren nach „Rechtsgleichheit“ anzueignen, gleichgültig gegen die „verschiedensten historischen Zusammenhänge“, in denen sie „aus den verschiedensten Gründen politischer Verfolgung ausgesetzt waren und dadurch Verluste an Gütern, Leben etc. erlitten haben“ – um damit die FPÖ als ihre Rechtsanwälte einzusetzen, denn: „Opfer ist Opfer!“

Zwei Zeitzeugen der damaligen Parlamentsdebatten vermerken zum freiheitlichen Standpunkt:

Rückblickend auf diese Debatte meinte Friedrich Hillegeist (SPÖ) am Tag darauf, dass ein neutraler Beobachter hier den Eindruck hätte gewinnen können, dass nur Nationalsozialisten jemals unschuldig Verfolgte gewesen wären … [18]

Fritz Polcar von der ÖVP:

… nach Ihnen, Herr Abgeordneter Pfeifer, wird es wahrscheinlich immer ein NS-Problem geben, solange die Nationalsozialisten in unserem Lande nicht eine nach Ihrem Willen geleistete Wiedergutmachung erhalten. [19]

Deserteure und Widerstandskämpfer

Gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Opferrolle für Deserteure!

Aus der Forderung nach Gleichbehandlung und dem freiheitlichen Opferbegriff folgt

zwangsläufig … auch die freiheitliche Ablehnung der pauschalen Rehabilitierung der Deserteure unter dem Deckmantel des Widerstandes … [20]

Am 21. Oktober 2009 beschloss der Nationalrat – gegen die Stimmen der FPÖ – das Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz, welches die Verurteilungen von Deserteuren durch die NS-Sondermilitärgerichte aufhob und sämtliche Deserteure pauschal rehabilitierte. Die FPÖ hätte laut Peter Fichtenbauer dem Gesetz gerne zugestimmt, wenn es ausschließlich um die Aufhebung der Verurteilungen gegangen wäre, welche ohne jeden Zweifel „verwerflich und beseitigungswürdig“ seien, da sie angesichts der Zahlen fraglos „ein Instrument des Terrors“ eines Regimes, „das wir zutiefst verabscheuen“, gewesen seien. … Die pauschale Rehabilitierung sei jedoch aufgrund der laut historischer Studien „sehr differenzierten Motivengeschichte“ problematisch, da, obgleich „menschlich verständlich“, nur sehr wenige „aktiven Widerstand gegen das Deutsche Reich“ geleistet hätten. Die FPÖ bevorzuge deswegen für die Rehabilitierung von Deserteuren eine engere Auslegung des Widerstandsbegriffes und die Prüfung aller Einzelfälle. [21]

Nach der obligatorischen Distanzierung – „verwerflich und beseitigungswürdig“, „ein Instrument des Terrors“, „das wir zutiefst verabscheuen“ – kommen die FPÖ-Rechtsverdreher zur Problematisierung der „Motive“ der Deserteure und deren Verhältnis zum „Widerstand“, was eine Prüfung der „Einzelfälle“ notwendig mache: Denn der für Nationalsozialisten gültige erhabene freiheitliche Grundsatz „Opfer ist Opfer“ gilt für die Opfer der NS-Militärjustiz definitiv nicht, so „breit“ kann der freiheitliche „Opferbegriff“ gar nicht sein. In dem Fall bevorzugt die Definitionskunst der Partei eine „engere Auslegung des Widerstandsbegriffes“, weil ihr jede „pauschale Rehabilitierung“ „problematisch“ ist, da nicht jeder Deserteur ein aktiver Widerständler gegen das Dritte Reich gewesen ist. Da ist der Partei ihre sonstige Gleichmacherei zuwider, das wäre nämlich nicht gleichmacherisch, sondern „pauschal“, wo hingegen entschieden „differenziert“ gehört. Umgekehrt der Abg. Gredler in einer Debatte um eine Opferfürsorgegesetz-Novelle:

Und so wie jedes Opfer zu achten sei, müsse auch die Rechtsgleichheit in jedem Gesetzesbereich immerzu strikt beachtet und jedes Gesetz, „das an sich differenziert“, abgelehnt werden. [22]

Nun, echte hochkarätige Widerstandskämpfer hätte die FPÖ nach sorgfältiger Einzelfallprüfung natürlich sofort rehabilitiert, nicht aber ordinäre Deserteure, die bloß die eigene Haut retten wollten! Die Darstellung ist von geradezu erbärmlicher Unverschämtheit, sogar für freiheitliche Verhältnisse, angesichts der im freiheitlichen Milieu üblichen Diffamierung des Widerstandes! Deswegen können Deserteure, die erwiesenermaßen diesem Regime des Terrors geschadet hatten, es der FPÖ auch nicht recht machen:

Dem [dem Hinweis, die meisten Deserteure wären ohnehin keine „Kameradenmörder“ gewesen, Anm. H.A.] wiederum hielt Lutz Weinzinger (FPÖ) entgegen, dass immer wieder gerade jene Stellungen, die bis dahin unentdeckt geblieben waren, auf einmal unter intensiven Beschuss geraten seien, nachdem es in diesem Frontabschnitt zu Desertionen gekommen war. [23]

Wenn sie wirksam etwas gegen die Kriegsmaschinerie des Dritten Reichs unternahmen, dann verrieten oder ermordeten sie ihre „Kameraden“, das sieht die FPÖ im Jahr 2009 so wie seinerzeit die NS-Militärjustiz; wenn sie es nicht tun, dann sind sie gar keine echten Widerständler und fallen dem „engen Widerstandsbegriff“ der FPÖ zum Opfer. Bei Deserteuren und „Kameradenmördern“ ist natürlich auch nicht deren eigenes Verständnis von Recht und Unrecht für die FPÖ maßgeblich, wie bei den „illegalen“ Nationalsozialisten der 30er Jahre, die für die FPÖ im Recht waren.

Von der NS-Militärjustiz wurden

mindestens 17.000, wahrscheinlich aber 25.000 oder mehr Todesurteile ausgesprochen und vollzogen. Im Vergleich dazu etwa je 20 Todesurteile von den USA und Großbritannien; in Frankreich etwas mehr. [24]

Sehr folgerichtig, aus faschistischer Sicht: Der Sinn des Menschen ist sein Dienst am Staat. Wer nicht bereit ist, sein Leben dafür verheizen zu lassen oder diesbezügliche Zweifel erweckt, hat sein Recht auf Leben verwirkt. Und wer deswegen der NS-Militärjustiz zum Opfer fällt – der fällt auch beim „breiten freiheitlichen Opferbegriff“ durch den Rost. Ein Richter im Dienst der NS-Sondermilitärgerichte fiele wohl im Fall eines Karriereknicks nach dem Krieg unter den „breiten Opferbegriff“ der FPÖ, die von ihm zum Tod verurteilten Deserteure nicht.

„Braune Flecken“ und „Einzelfälle“ insignifikant

weil immer durchgegriffen wird!

Die „Einzelfälle“ sind allemal repräsentativ für den Geisteszustand weiter Teile dieser Gesinnungsgemeinschaft, kenntlich daran, dass sie erst dadurch zum „Einzelfall“ aufsteigen und durch „Distanzierung“ kleingeredet, manchmal durch Parteiausschluss entsorgt werden, sobald sie außerhalb der Partei auffällig werden. Exemplarisch:

Ein Kandidat der FPÖ Herzogenburg trug ein T-Shirt der Neonazi-Band „Der Stürmer“. Nachdem die Öffentlichkeit auf den Skandal aufmerksam wurde, wurde der Kandidat vom Bezirksparteivorsitzenden der FPÖ ausgeschlossen. Das ist die selbstverständliche Vorgangsweise, die FPÖ wusste bis vor der Veröffentlichung nichts von diesem Skandal und hat sofort reagiert. [25]

Einer dieser „Einzelfälle“ war bekanntlich der Anstoß zur Bildung der FPÖ-Historikerkommission. Der BERICHT enthält diesbezüglich ein eigenes Kapitel – „Vorwürfe und ,Einzelfälleʻ“ –, das als gelungene Selbstpersiflage zu bewerten ist. Es handelt sich um eine „Sammlung“ von

Stellungnahmen, die den offiziellen Umgang der Partei mit Vorwürfen von Wiederbetätigung, Rechtsextremismus, Rassismus etc. gegenüber einzelnen Mitarbeitern seit 2017 belegen. Aus dieser Dokumentation geht hervor, dass es sich dabei in der Regel tatsächlich um bedauerliche, aber insignifikante „Einzelfälle“ handelt, die zwar von Medien und Gegnern aufgeblasen werden, aber nicht auf die Haltung der gesamten FPÖ übertragen werden können bzw. dass die Partei in substantiellen Fällen immer entschlossen durchgegriffen hat. [26]

„In der Regel“(!) gegen eine ganze „Sammlung“(!) von „Einzelfällen“ entschlossen durchzugreifen, und das sogar „immer“(!) – da wäre der Hinweis auf einen „Widerspruch“ wohl eine zu höfliche Bemerkung. Singular und Plural dermaßen zu vermantschen, verweist darauf, dass das Bekenntnis zum Deutschtum und die Beherrschung dieser Sprache doch zwei sehr verschiedene Sachen sind… Der Hinweis auf die „Gegner“ und die „Medien“ bekräftigt, dass der „Einzelfall“ innerhalb der FPÖ „in der Regel“ eben nicht auffällt, zumindest nicht unangenehm. Die Auflistung im BERICHT beginnt im Jahr 2017, mit Bezug auf die freiheitliche Regierungsbeteiligung unter Sebastian Kurz, weil die ÖVP beim „Aufblasen“ der Vorwürfe durch „Medien und Gegner“ ordentlich beteiligt war, und die Gelegenheiten nutzte, um die FPÖ in ihr übliches Eck zu stellen und manchmal „Konsequenzen“ zu verlangen, aber ohne sich als Partner der Einzelfallpartei dabei selbst kompromittieren zu wollen!

Eine Frage noch: „Nazi-Partei“ mitten im demokratischen Österreich? – Aber immer!

Unmittelbar nach dem Krieg, auf Basis der totalen Niederlage des Dritten Reiches und der eindeutig geklärten, der alternativlosen politischen Lage, sowie wegen der Brauchbarkeit der mehr oder weniger „Belasteten“ für den österreichischen Wiederaufbau war das Bedürfnis nach einem „Schlussstrich“ allenthalben anzutreffen. Exemplarisch für die schnörkellose, radikal moralische Eingemeindung sowohl der Hardcore-Nationalsozialisten als auch der vielen „Mitläufer“ eine Stellungnahme aus dem Wahlkampf des Jahres 1949:

Dass selbst ein ehemaliger Häftling, wie der im KZ Dachau internierte spätere Bundeskanzler Alfons Gorbach, ungeniert um die Stimmen ehemaliger Nationalsozialisten warb, erscheint besonders bemerkenswert. … „Nirgendwo im Geschehen der letzten Jahre hat es so viele echte Anständigkeit, so viel selbstverleugnende Pflichterfüllung gegeben wie eben bei den Soldaten dieses Krieges. (…) Da mögen die Herren Emigranten noch so viel Moralinsäure verspritzen: Jene, die draußen [an der Front, Anm. des BERICHT] ihren Mann gestanden haben, wissen besser, was anständig ist, als jene, die sich beim ersten Kräuseln des Ozeans in Sicherheit gebracht haben. Ich spreche den Emigranten das Recht ab, in der NS-Frage mitzureden!“ [27] Alfons Gorbach überredete auch den ehemaligen NS-Bauernführer Sepp Hainzl zu einem Aufruf an „Ehemalige, die ÖVP zu wählen.“ [28]

Der spätere Bundeskanzler von der ÖVP bemüht sich also um sehr eindeutige Klarstellungen, und die Verniedlichung des Statements zum bloßen Wählerfang in Konkurrenz mit der SPÖ wird seiner Botschaft nicht gerecht: Relevant für die Beurteilung seiner Zeitgenossen ist ihm deren Haltung im Krieg, und da sieht er nichts als eine beeindruckende Anhäufung von soldatischen Tugenden, die aus seiner Sicht für die Qualität von Leuten bürgen, die sich komplett zum Menschenmaterial des vorigen Staates haben erniedrigen lassen – denn genau diese Tugenden waren nun vom neuen Staatswesen gefragt und benötigt. Dass die Angesprochenen und mit Komplimenten Überhäuften ihre „Anständigkeit“ und „selbstverleugnende Pflichterfüllung“ dem verkehrten Staat erbrachten, ist für Gorbach sekundär – weil die Lage so eindeutig ist, das Dritte Reich so gründlich politisch, militärisch und moralisch abgewirtschaftet hat, dass diese überzeitlichen und abstrakten, daher aus der Perspektive des Politikers fast schon unpolitisch wirkenden Untertaneneigenschaften nunmehr nur mehr dem neuen Staat zugutekommen können, sollen und müssen. Ab jetzt ist die Republik Österreich Produzent, Adressat und Nutznießer der patriotischen Mitmachermentalität.

Als Störenfriede in dieser Idylle identifiziert der spätere Kanzler nur die paar „Moralinsäure verspritzenden Emigranten“. So die abwertend gemeinte Bezeichnung für die meist jüdischen, zurückkehrenden Flüchtlinge, die Europa verlassen hatten, als „Fluchtrouten“ noch offen waren. Die werden vom Staatsmann im Vergleich mit den bedingungslosen Pflichterfüllern und deren echter Anständigkeit eindeutig als Drückeberger entlarvt, als welche, die sich dem Dienst am nunmehrigen deutschen Vaterland entzogen hätten – auf dessen Todeslisten sie standen! –, und die hätten die Schnauze zu halten, wenn es um die integrative Würdigung der alten bewährten Nationalsozialisten geht. Und das alles im Wissen um das Schicksal derer, die sich nicht „in Sicherheit“ bringen konnten!! Diese Stellungnahme ist keineswegs die Entgleisung eines „Einzelfalls“. Das war der damalige Stand der „Vergangenheitsbewältigung“ in Österreich. Österreich war offiziell ein Opfer des Dritten Reichs, diese „Vergangenheit“ war damit durch die Wiederherstellung der österreichischen Souveränität schon bewältigt. Auf dieser Basis sind dann die Nationalsozialisten und ihre freiheitlichen Anwälte frech geworden, quod erat demonstrandum. Anders formuliert: Der angeblich riesengroße Unterschied von Demokratie und Faschismus ist eine Erfindung der Demokraten. Überzeugte Nazis ebenso wie „Mitläufer“ sind in der Demokratie uneingeschränkt verwendungsfähig, in Österreich wie in Deutschland.

Die den Veteranen der Siegermächte vorbehaltene Würdigung ihres Soldatentums blieb den Angehörigen der deutschen Wehrmacht auch in Österreich vorenthalten, statt dessen waren die offiziellen Feiern von Staats wegen konträr ausgerechnet einer als „Befreiung“ zu deutenden Niederlage vorbehalten, und obendrein dem „Gedenken“ an monströse deutsche Verbrechen. Die amtlich verpönten und offenbar schmerzlich vermissten Ehrungen der Kriegsteilnehmer spendierte sich das „Milieu“ dann eben selbst, immerhin im halböffentlichen Raum. Am bekanntesten waren die „Ulrichsbergfeiern“ in Kärnten, in deren Rahmen sich jahrzehntelang Angehörige von SS-Verbänden aus ganz Europa zum Schwelgen in der Vergangenheit trafen und dabei auch von den Repräsentanten anderer Parteien geehrt wurden; von der „Nazi-Partei“ natürlich ganz besonders. Jörg Haider hat 1995 das frühere Lob eines Gorbach ausdrücklich bekräftigt:

In 1995, Haider notably expressed his thanks to the attending Waffen-SS veterans at a veteransʻ meeting in Krumpendorf (Carinthia) by saying: „That in these difficult times, where there are still honest people with character and who until today remain true to their convictions despite strong contrary winds. [...] We give money to terrorists, to violent newspapers, to work-shy rabble, and we have no money for respectable people“. [29]

Am 12. November 1999, in einer „Rede zur Lage der Republik und zur Situation der FPÖ“, als Vorbereitung der kommenden Koalitionsregierung mit der ÖVP unter Wolfgang Schüssel, formulierte der Chef der „Nazi-Partei“ eine ihm abverlangte sinistre Art von „Entschuldigung“, und obendrein eine historische Einordnung:

Die Nationalratswahlen am 3. Oktober haben – wie wir mit Fug und Recht sagen können, endgültig eine historische Epoche beendet, … und es ist dies jene Phase des Übergangs vom Ende der Diktatur 1945 zur Demokratie von heute. … Österreich war nach Jahren einer blutigen und grausamen Diktatur ein zerstörtes Land gewesen, in dem der Hass der Mehrheit gegen die Minderheit mehr Unheil angerichtet hatte, als alle kriegerischen Ereignisse zuvor.

Der Übergang vom „Ende der Diktatur“ zur „Demokratie“ dauerte also ca. 55 Jahre, bis zur Regierungsbeteiligung der FPÖ, erst damit war die Demokratie komplett. Nach „Jahren einer blutigen und grausamen Diktatur“ war Österreich ab 1945 ein Land, „in dem der Hass der Mehrheit gegen die Minderheit mehr Unheil (sic!) angerichtet hatte, als alle kriegerischen Ereignisse zuvor (sic!)“! Damit war die Entnazifizierung gemeint. Eine Bewertung, die sicherlich zutrifft – nur vom Standpunkt des überzeugten Nationalsozialisten, aber aus dessen Sicht ganz bestimmt. Diese Auskunft war damals kein Skandal, wie die zur „Beschäftigungspolitik“ einige Jahre vorher; denn Haiders Partei wurde von der ÖVP als Mehrheitsbeschaffer gebraucht.

Die damaligen Würdigungen der Nazis durch Gorbach und Haider wären heutzutage nicht mehr möglich; die „Vergangenheitsbewältigung“ in Österreich hat sich weiterentwickelt, durch das deutsche Beispiel, und vor allem durch die Auseinandersetzung mit Haider und dem damaligen Präsidenten Waldheim. Bleibt der Begriff der damaligen Nachkriegs-FPÖ: Nationalsozialismus ohne Wiederbetätigung!

[1Standard 17.12.2023

[3Standard 30.11.2020

[5BERICHT S. 276

[7BERICHT S. 237 f.

[8BERICHT S. 254

[11BERICHT S. 244, Fußnote

[12BERICHT S. 244

[14BERICHT S. 234

[15BERICHT S. 259

[16Harald Ofner, 5. November 1998

[17BERICHT S. 275

[18BERICHT, S. 242

[19BERICHT S. 245

[20BERICHT S. 275

[21BERICHT S. 272

[22BERICHT S. 243

[23BERICHT S. 273

[24BERICHT S. 272, Fußnote

[25BERICHT S. 496

[26BERICHT S. 651

[27Wahlkampf 1949; vgl. Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall, 1979, S.134

[28BERICHT S. 17, auch Fußnote 22

[29BERICHT S. 636

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
2024
Autor/inn/en:

Herbert Auinger:

Herbert Auinger ist freier Autor in Wien.

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