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Tobias Damjanov

Europäisches Netzwerk gegen Atomwaffen gegründet

Nichtregierungsorganisationen fordern ein atomwaffenfreies Europa

Vertreter von Nichtregierungsorganisationen aus 15 europäischen Ländern haben am 15. Juni 1997 im österreichischen Schlaining ein europäisches Netzwerk zur Abschaffung der Atomwaffen gegründet. Zum Abschluß einer internationalen Konferenz stellten die Veranstalter das „Schlaininger Manifest“ vor, das sich kritisch mit der NATO-Osterweiterung auseinandersetzt und ein politisches Programm zur atomaren Abrüstung enthält.

Zum ersten Mal seit Auflösung des Warschauer Vertrages haben sich Atomwaffengegner aus West- und Osteuropa auf eine gemeinsame europäische Handlungsstrategie geeinigt, die, so der Untertitel des Schlaininger Manifestes, auf „Schritte für eine nicht-nukleare europäische Sicherheit“ abzielt. Einer der Anknüpfungspunkte hierfür ist die Lissabonner Erklärung der OSZE von 1996, in der unter anderem die Bedeutung unterstrichen wird, atomwaffenfreie Zonen in der OSZE-Region auf dem Wege zu völliger nuklearer Abrüstung zu schaffen. Zur Präzisierung wird im „Schlaininger Manifest“ gefordert, daß die USA ihre Atomwaffen aus Europa umgehend abziehen sollen, die Alarmbereitschaft für Atomwaffen aufzuheben ist, und alle Staaten in Europa, in denen sich jetzt schon keine Atomwaffen befinden, zur atomwaffenfreien Zone erklärt werden. Zur bevorstehenden NATO-Erweiterung wird in dem Dokument analysiert, daß damit die Sicherheitslage eher verschlechtert würde, weil unterschiedliche Bedrohungsängste verstärkt werden könnten und nicht auszuschließen sei, daß „Europa von neuen Trennungslinien“ durchzogen würde. Angesichts der Bemühungen der USA und einiger europäischer Länder, an potentielle NATO-Mitgliedsstaaten Kampfflugzeuge zu verkaufen, zeige sich die wahre Motivation der NATO.

Mit dem neuen Netzwerk, das sich als Teil der über 750 Organisationen umfassenden internationalen Koalition „Abolition 2000“ versteht, soll mit europaweit abgestimmten Kampagnen für Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention geworben werden. Der Konferenz lag ein Modellentwurf einer solchen Konvention vor, der von einer internationalen Expertengruppe erarbeitet und bereits beim letzten Vorbereitungstreffen für die nächste Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages vorgestellt worden war. Ähnlich den Konventionen zur Ächtung biologischer und chemischer Waffen zielt die Vertragskonzeption darauf ab, in einem schrittweisen Prozeß Atomwaffen abzubauen, Forschung und Produktion einzustellen und existierende Sprengköpfe unschädlich zu machen, um schließlich ein unumkehrbares Verbot dieser Waffengattung durchzusetzen. In Ergänzung wird dazu ein Verhandlungspaket vorgeschlagen, mit dem die Verwendung und Herstellung atomwaffenfähigen Materials verboten und Trägersysteme abgeschafft werden sollen. Die Teilnehmer waren sich gleichzeitig darin einig, daß atomare Abrüstung nur Sinn macht, wenn parallel auch konventionelle Waffenpotentiale drastisch gekürzt und auf ein für reine Selbstverteidigung bestimmtes absolutes Minimum beschränkt werden. Auf diese Weise hofft man, zu einem Modell gemeinsamer Sicherheit in Europa für das 21. Jahrhundert, wie es der letztjährige OSZE-Gipfel vorschlug, beitragen zu können. Der gegründete Verbund europäischer Atomwaffengegner hat sich zum Ziel gesetzt, mit Lobbyarbeit gegenüber den Europaabgeordneten und den Vertretern nationaler Parlamente für die Schaffung atomwaffenfreier Zonen und Korridore in Mittel- und Osteuropa einzutreten. Wie in jüngster Zeit schon in den USA und Australien will man sich gleichzeitig an Städte und Gemeinden wenden, damit diese offizielle Unterstützungserklärungen für atomwaffenfreie Zonen und eine Nuklearwaffenkonvention beschließen. Davon versprechen sich die europäischen Kampagnenträger eine neue Bewegung von unten, mit der ein günstiges politisches Klima geschaffen werden soll. Als positiv wurde in diesem Zusammenhang der Ausgang der Wahlen in Frankreich und Großbritannien, den einzigen westeuropäischen Nuklearmächten, gewertet: Mit den Regierungswechseln, so betonten Vertreter von Friedensorganisationen dieser Länder, habe sich die Ausgangslage wesentlich verbessert. Russische und ungarische Teilnehmer unterstrichen, daß die Bildung atomwaffenfreier Zonen in ihrer Region politisch sinnvoller erscheine als Annäherungen an oder eine Mitgliedschaft in der NATO.

Eine erste Bewährungsprobe für die europäischen Nichtregierungsorganisationen wird die zweite Vorbereitungskonferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages sein, die im April nächsten Jahres in Genf stattfindet: Zu diesem Anlaß will man nicht nur eine gemeinsame Aktionswoche durchführen, sondern auch in Konsultationen mit den offiziellen Regierungsvertretern treten, um so, wie es hieß, dem eigenen Forderungskatalog nach einem atomwaffenfreien Europa den größtmöglichen Nachdruck zu verleihen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1997
, Seite 20
Autor/inn/en:

Tobias Damjanov:

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