FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1982 » No. 344-346
Wolfgang Siegmund

Es wiad a Wein sein und mia wean no immer so sein

Spekulationen über die politische und kulturelle Wirklichkeit Österreichs in zehn Jahren

In zehn Jahren, da platzen die Schränke, zerbersten die Schubladen und Millionen unterschlagener Gedichte, Pamphlete, Erzählungen drängen geschlossen ans Tageslicht, hinaus auf die Dorf- und Marktplätze, verkrallen sich in den Wangen der Lektoren, trommeln befreite Poesie in die Staubnacht.

Theaterstücke führen sich selbst auf, Romane veröffentlichen sich trotz neu eröffneter Zensurstuben.

Kein DDT ist dieser Verselbständigung kulturellen Ausdrucks gewachsen, und die eingesetzten Doppeldecker, vollgeladen mit Pestiziden, kapitulieren nach dem achten Sprühflug.

Das tägliche Bierplauscherl von Karli Selbstzufrieden über die Haltbarkeit seines neuen Keilriemens und die enormen PS seines Rasierapparates geht über in ein kulturrevolutionäres in die Küche gerufenes: „Mamma wer samma und wohin gemma ...?”

Soweit die Zeilen eines unbelehrbaren Vierundzwanzigstundenträumers.

Damit derartiges nicht eintrifft, dafür sorgt das österreichische Gemüt, dieser natürliche, noch von keinem Jagdverein ausgerottete Feind jeglicher Erneuerung.

In zehn Jahren:

  • kommt deshalb aus Graz noch immer der Roman Marke „Herr Wendig steigt aus und wird Kartograph am Seelenmoor”;
  • brütet die Salzburger Schreibergilde noch immer über der Neubeschriftung der Mozartkugel;
  • wird in Wien nach wie vor jeder Satz prämiiert, der nicht am Zilk rüttelt;
  • beziehen alle fortschrittlichen Lehrer ihre Rotstifte von Ikea;
  • wechselt Österreichs Linke erneut ihr Kellerlokal, weil schon wieder der Schwamm drinnen ist;
  • schreibt Lingens noch immer über die Arbeitszeitverkürzung, während die Roboter einer Maschinenfabrik den Generalstreik ausrufen, weil alle Maschinen beschlossen haben, sich von nun an selbst zu produzieren;
  • kommen die ersten Bananen in silbermetallisé auf den Markt;
  • demontiert sich das Riesenrad, da es den Anblick von Wien nicht mehr erträgt;
  • hebt Handke nach seinem Ausspruch „Ich bin das All” vom Boden ab und ward nicht mehr gesehen;
  • wird Freistritzer Justizminister;
  • wird Androsch Kultursprecher der FPÖ;
  • baut Bacher ein neues Landesstudio am Ölberg und sendet die zehn Mediengebote;
  • werden Bildredakteure von Leuten der Kronenzeitung im Nahkampf gegen Wallraff ausgebildet;
  • erreicht die österreichische Fußballnationalmannschaft, daß die Bundeshymne ein wenig langsamer abgespielt wird;
  • dirigiert Karajan von Bord aus das Festland;
  • werden herumstreunende Arbeitslose mit handgeknüpften Netzen aus Capri von den Straßen gefischt;
  • werden Straßensänger in ihre Gitarrenkoffer gelegt und versenkt;
  • hat sich Reich-Ranicki den Bachmannpreis selbst zuerkannt;
  • erreicht der erste Müllberg die Höhe des Dachsteins;
  • bleibt Wolfgang Kraus vor Ehrfurcht endgültig an Manés Sperber picken;
  • kann Beuys auch seinem zweiten Österreichruf nicht Folge leisten, weil er in der Zwischenzeit selbst im Museum steht;
  • werden auf den Kärntner Seen keine einheimischen Schwimmer mehr zugelassen;
  • ist Hundertwasser dagegen, daß unsere ungenützten Kopfoberflächen zu Parkplätzen ausgebaut werden — seiner Meinung nach sei es weniger entartet, auf den Köpfen Bäume zu pflanzen;
  • verleiht Niki Lauda dem ausdauerndsten Staufahrer den silbernen Auspuff;
  • ist Nenning wiederum zum Sprecher des grünen Seniorenbundes gewählt worden;
  • wird anläßlich eines Linzer Stadtfestes die „Linzer Smogschnitte” feierlich ins Markenregister eingetragen;
  • wird der letzte Steirer aus der Grazer Autorenversammlung ausgetreten sein;
  • erhöht Sekanina, jetzt auch Boß der „Vereinigten Nichtarbeitslosen”, das Gewicht seiner Manschettenknöpfe auf vier Kilo zwanzig;
  • feiert man die Inbetriebnahme von Zwentendorf mit der Freiluftaufführung eines Fallouts;
  • erklärt Kreisky in einem Interview, den „Mann ohne Eigenschaften” selbst geschrieben zu haben;
  • ernennt Kardinal König Dalma zum Weihbischof;
  • versucht Hugo Portisch — Pressesprecher von Reagannachfolger Dean Martin — das Gleichgewicht zwischen Whisky und Wodka zu halten;
  • wird die Psychoanalyse in Salzburg endgültig verboten;
  • duellieren sich Oskar Werner und O. W. Fischer am Tegernsee;
  • setzt sich die lebenslängliche Untersuchungshaft in der Gerichtspraxis durch;
  • entwirft Meister Fuchs für Heller vergoldete Sonnenkollektoren;
  • erkämpft Petuely die Zusage einiger Fleischhacker, statt Krötenzehen nur mehr Froschaugen in die Braunschweiger zu mischen;
  • läßt Piaty nur mehr diejenigen Medizin studieren, die in ihrer Familie drei Fachärzte und vier praktische Arzte nachweisen können;
  • heiratet Thomas Bernhard Anneliese Rothenberger;
  • widmet Roman Schließer die dreibändige Werkausgabe seiner gesammelten Feuilletons der österreichischen Arbeiterschaft;
  • erwürgt ein Nationalratsabgeordneter drei Tänzerinnen eines Nachtclubs, weil sie ihn nicht mittanzen ließen;
  • warten die Zeugen Jehovas, wie jeden Freitag, im Panhans am Semmering auf die Ankunft des Kometen;
  • wird alles so sein wie gewohnt ...

P.S.: Nur redigiert wird wieder mehr.

G.O.

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1982
, Seite 30
Autor/inn/en:

Wolfgang Siegmund:

Lizenz dieses Beitrags:
Copyright

© Copyright liegt beim Autor / bei der Autorin des Artikels

Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

Geographie