MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 43
Uri Davis
Israel:

Ein Apartheidstaat

Mitte Juni besuchte der Buchautor und Leiter des „Jerusalem-Institutes für Friedensservice“ in London Wien. In seinem jüngst erschienenen Buch „Israel — ein Apartheidstaat“ setzt er sich wissenschaftlich mit den Phänomenen Rassismus und Zionismus auseinander. Für die MOZ hat er seine Thesen zusammengefaßt.

Wenn wir von Rassismus in Palästina sprechen und Israel als einen rassistischen Staat bezeichnen, so nicht deshalb, weil es in Israel Menschen gibt, die rassistisch sind, und auch nicht deshalb, weil vielleicht die vorherrschende Gesinnung in Israel chauvinistisch oder rassistisch wäre. Das ist in Israel nicht anders als in anderen Gesellschaften, und ein solcher Umstand per se würde — zumindest in meiner Terminologie — die Abqualifizierung eines politischen Systems als rassistisch noch nicht rechtfertigen. Israel ist ein rassistischer Staat, weil durch seine Gesetzgebung und sein politisches System Rassismus von offizieller Seite verordnet wird. Die Verhältnisse sind in Israel nicht so wie in den Vereinigten Staaten, wo Chauvinismus und Rassismus im Volk weit verbreitet sind, wo jedoch die Möglichkeit besteht, vor Gericht zu gehen oder sich auf die Verfassung zu berufen. In den USA können Gesetz und Verfassung zur Geltendmachung nichtrassistischer Werte gegenüber rassistischen Einzelpersonen und rassistischen Gemeinschaften in Anspruch genommen werden. Wenn man sich in Israel an ein Gericht wendet, kann das einen Beschluß zur Folge haben, der die Situation, die ursprünglich den Appell an das Gericht ausgelöst hatte, noch verschlechtert. Das ist deshalb so, weil das Gesetz selbst Rassentrennung und rassische Driskrimierung einrichtet, begünstigt und fördert, und zwar in Form einer extremen rassischen Polarisierung. 92% des israelischen Territoriums stehen ausschließlich Juden zur Verpachtung und Kultivierung zur Verfügung. Selbst in der Republik Südafrika beträgt das ausschließlich den Weißen zur Kultivierung und Entwicklung zustehende Terrain 87 und nicht 92 Prozent des Territoriums. Natürlich heißt das jetzt nicht, daß Südafrika ein weniger rassistischer Staat als Israel ist. Dennoch: die Ziffer für Südafrika — die Verkörperung des Apartheidstaates — ist 87 Prozent, und für Israel — angeblich die einzige Demokratie in Nahost — 92 Prozent.

Der Kibbuz

In der allgemeinen Vorstellung ist die Generalversammlung eines Kibbuz autonom. Das ist richtig, soweit es den routinemäßigen Ablauf betrifft. Sollte jedoch der Fall eintreten, daß die Generalversammlung irgendeines Kibbuz sich dazu entschließt, ihre Autonomie dazu zu benutzen, eine „falsche“ Entscheidung zu treffen, so würde ein Appell an den formalen Mechanismus, dem die Kibbuzim unterworfen sind, die Wahrheit enthüllen. Bis auf den heutigen Tag gibt es keinen Generalversammlungsbeschluß eines Kibbuz, der einen palästinensisch-arabischen Staatsbürger Israels als Mitglied zugelassen hätte, auch wenn es sich bei dem palästinensisch-arabischen Kandidaten offensichtlich um einen genuinen Sozialisten handelte. Bewerbungen von palästinensisch-arabischen Staatsbürgern Israels wurden bei veschiedenen Kibbuzim vorgelegt und ohne Ausnahme von den Generalversammlungen zurückgewiesen. Eigentlich stellt sich die Realität noch schlimmer dar. Würde der Fall eintreten, daß die Generalversammlung eines Kibbuz, sich auf ihre Autonomie berufend, einen Beschluß faßt, der einem palästinensisch-arabischen Staatsbürger Israels die Mitgliedschaft zuerkennt, so könnte und würde die formale Kontrollinstanz aller Kibbuzim, Nir Shitufi (= Genossenschaftlicher Landesinteressenverband für die Ansiedlung hebräischer Arbeiter in Israel m.b.H.), die sich zur Gänze im Besitz der Histadrut befindet, ihr Veto gegen diesen, nicht den Statuten entsprechenden Beschluß einlegen. Der genossenschaftliche Interessensverband Nir Shitufi ist verfassungsmäßig verankert, und seine Aufgabe besteht darin, die Ansiedlung von — ausschließlich — hebräischen Arbeitern zu fördern. Bei den Kibbuzim handelt es sich nicht um Organisationen auf freiwilliger Basis. Jeder Kibbuz ist eine gesetzlich inkorporierte Tochtergesellschaft von Nir Shitufi und untersteht als solche dieser Organisation. Das verleiht Nir Shitufi das Recht, gegen jeden von einem Kibbuz gefaßten Beschluß, der mit den Statuten des Interessenverbands unvereinbar ist, ein Veto einzulegen.

PalästinenserInnen wurden ausgebürgert

Ein Spezifikum israelischer Gesetzgebung ist die Ausbürgerung der überwältigenden Mehrheit der Palästinenser, die in den zwischen 1948/49 unter israelische Landeshoheit gekommenen Territorien leben. Das grundlegende, vom israelischen Gesetzgeber erlassene Gesetz, das die Aufenthaltsdauer regelt — oder, genauer gesagt, der Mehrheit der palästinensischen Einwohner besagter Territorien eine reguläre Aufenthaltssituation versagt —, ist das „Gesetz zur Regelung der Eigentumsverhältnisse Abwesender“ (1950).

Unter Anwendung der konstitutionellen UN-Klausel des Teilungsplanes für Palästina aus dem Jahr 1947 (Beschluß 181, II) sind alle 750.000 palästinensischen Araber, die 1948 zu Flüchtlingen wurden, und ihre Nachkommen, deren Ziffer jetzt bei etwa 2 Millionen liegt, Bürger des Judenstaates. Der Staat Israel entschloß sich, die besagte UN-Resolution zu mißachten. Der israelische Gesetzgeber erkennt die 1948 vertriebenen palästinensischen AraberInnen nicht als Staatsbürger an. Statt dessen werden sie unter Auslegung des „Gesetzes zur Regelung der Eigentumsverhältnisse Abwesender“ (1950) vom israelischen Gesetzgeber als Personen angesehen, die nicht existieren, nämlich als „Abwesende“.

Das besagte Gesetz, das der großen Mehrheit der palästinensisch-arabischen Flüchtlinge eine legale Existenz abspricht und sie als „Abwesende“ bezeichnet, verweigert ihnen nicht nur das Recht auf Staatsbürgerschaft im Judenstaat, wie das im UN-Teilungsplan aus dem Jahr 1947 festgelegt worden war, sondern verweigert ihnen gleichzeitig auch das Zutrittsrecht zu ihren Besitzungen innerhalb Israels. Es ist wichtig festzuhalten, daß der Status „Abwesender“ vererbt wird. Kinder von „Abwesenden“ werden — seien sie nun innerhalb oder außerhalb des israelischen Staatsgebietes geboren — ebenfalls als „Abwesende“ klassifiziert.

Auch wurden die Besitztümer der „Abwesenden“ als „Besitztümer Abwesender“ in Gewahrsam genommen und praktisch ausnahmslos für ausschließlich jüdische Besiedlung, Kultivierung und Entwicklung freigegeben.

Es gibt in Israel keine einsichtbaren offiziellen Statistiken über „abwesende Anwesende“, doch kann sicher die Mehrheit der palästinensisch-arabischen Bürger des israelischen Staates als solche klassifiziert werden.

Apartheidgesetze in Israel

Das Gesetz zur Regelung der Eigentumsverhältnisse Abwesender (1950)

Definiert alle palästinensischen Araber, die von den zionistischen Armeen im Jahr 1948 von zu Hause vertrieben wurden, sowie deren Abkömmlinge als Abwesende. Abwesende sind Nicht-Bürger; sie haben kein Recht auf Land- oder Immobilienbesitz innerhalb der Staatsgrenzen.

Das Rückkehrgesetz (1950)

Gibt jedem Juden auf der Welt das Recht zur automatischen Staatsbürgerschaft im israelischen Staat. Und natürlich das Recht, dort Land zu erwerben.

Rückkehrgesetz, 2. Novellierung (1970)

Dehnt die Staatsbürgerschaftsrechte auf „Kinder und Enkelkinder von Juden sowie auf Ehegatten von Kindern und Enkelkindern von Juden“ aus.

Diese beiden Gesetze wurden in der Absicht erlassen, die innerhalb der heutigen Staatsgenzen Israels geborenen zirka 750.000 palästinensischen AraberInnen und ihre Abkömmlinge, deren Zahl jetzt etwa 2 Millionen beträgt, als Nicht-Bürger zu erklären und gleichzeitig einige Millionen Juden in allen Teilen der Welt (sowie deren Verwandte und Abkömmlinge) als Staatsbürger des israelischen Staates zu bestimmen, von dem Moment an, da sie ihren Fuß über die Staatsgrenze setzen. Viele Palästinenser, die innerhalb Israels geboren wurden, erhalten nicht die israelische Staatsbürgerschaft: auf ihren Geburtsurkunden bleibt ihre Staatsbürgerschaft schlicht undefiniert, da sie Abkömmlinge von „Abwesenden“ sind. Andererseits sind Juden automatisch bei ihrer Ankunft in Israel für die israelische Staatsbürgerschaft qualifiziert, wo auch immer sie geboren wurden.

Notstandsverordnungen (Gebiete unter Verwaltung), novelliert im Jänner 1984

Garantiert jüdischen Siedlern im Westjordanland und im Gazastreifen die israelische Staatsbürgerschaft, obwohl diese Territorien nicht Teil von Israel sind. Alle anderen Bewohner dieser Gegenden werden weiterhin als Nicht-Bürger betrachtet und sind dem Militärrecht unterworfen. Die israelische Apartheid ist also am ausgeprägtesten innerhalb der besetzten Gebiete, wo alle Juden, wo auch immer sie geboren wurden, die israelische Staatsbürgerschaft haben und wo diese den palästinensischen Arabern grundsätzlich verweigert wird.

Der vorliegende Artikel ist eine überarbeitete Fassung des Beitrages „Zionism and Racism in Polestine“, der im März 1989 in der englischen Zeitschrift „Return“ erschienen ist.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1989
, Seite 40
Autor/inn/en:

Uri Davis: Leiter des „Jerusalem-Institutes für Friedensservice“, London.

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