Context XXI » Print » Jahrgang 1997 » ZOOM 7/1997
Peter Steyrer

Dienstpflicht zerstört Sozialsystem

Peter Steyrer über die Forderung nach einer allgemeinen Dienstpflicht

Es ist kaum vorstellbar, daß Sozialarbeit, Kranken-, Behinderten- oder Altenpflege auf der Basis einer allgemeinen Dienstpflicht zu bewerkstelligen sind. Das wird weder für die Betreuten die gewünschte Wirkung haben, noch eröffnet es für die Dienstverpflichteten einen positiven Zugang zu dem, was Gemeinsinn genannt wird.

Das Gemeinwohl und die entsprechenden Tätigkeiten im öffentlichen oder privaten Bereich müssen von der gesamten Gesellschaft erhalten werden. Das heißt, daß entsprechende finanzielle Steuerbeiträge durch die StaatsbürgerInnen bereitzustellen sind und ihre gerechte Verteilung durch die Politik zu erfolgen hat. Das heißt weiters, daß die öffentliche Hand weiterhin für die Erhaltung und den Ausbau des Sozialsystems finanzielle Sorge zu tragen hat. Aber die Verpflichtung aller zu Tätigkeiten im Dienste des Gemeinwohls wird die Qualität des Sozialsystem massiv in Frage stellen. Zwangsarbeit hilft niemandem. Das ist auch der zentrale Einwand von Caritas-Präsident Küberl gegen eine allgemeine Dienstpflicht, den dieser auf wohlerworbene Erfahrung in seiner Organisation stützt.

Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht wird immer wieder auch für Frauen gefordert. Insbesondere die Freiheitlichen, aber auch Teile der ÖVP wollen mit der Einführung der Dienstpflicht auch Frauen erfassen. Damit wird die Mehrleistung, die Frauen nach wie vor im Reproduktionsbereich erbringen, gerade von diesen Freunden der Familie wenig nobel ignoriert. Darüber hinaus übersehen diese wissentlich die nach wie vor eklatanten geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede. Damit erbringen Frauen einen mehr als ausreichend hohen Anteil zur gesellschaftlichen Wertproduktion – wenngleich dies auch durch nichts gerechtfertigt ist. Frauen über eine allgemeine Dienstpflicht ein weiteres Mal mit der Reproduktion der Gesellschaft zu belasten, verstärkt die geschlechtsspezifische Ausbeutung.

Dienstpflicht ist letztlich das versteckte Instrument, mit dem die Wehrpflicht latent erhalten werden kann. Aus einer Dienstpflicht in Zeiten relativen Friedens ist in Krisen leichter eine neuerliche Wehrpflicht kurzfristig einzuführen als bei ausschließlich freiwilligen Diensten. Insofern ist es kein Zufall, daß Verteidigungsminister Fasslabend und der freiheitliche Wehrsprecher Scheibner die schärfsten Befürworter der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Männer und Frauen sind. In Verbindung mit den Bestrebungen, Frauen ins Heer einzubeziehen, ist das Ziel klar: Das Rekrutierungspotential muß für alle möglichen Fälle das größtmögliche bleiben

Aus all diesen Gründen wäre eine allgemeine Dienstpflicht ein Rückschritt in autoritäre Strukturen. Daß gleichzeitig die Diskussion über die Einführung einer Zwangsarbeit für Arbeitslose geführt wird, läßt historische Parallelen zu faschistischen Systemen schwer übersehen. Gerade dort, wo die Dienstverpflichteten eingesetzt werden sollen, sind Regelarbeitsverhältnisse, demokratische Strukturen und die Motivation der einzelnen geradezu Bedingung. Durch den Arbeitszwang würde die Dienstverpflichtung das Sozialsystem über kurz oder lang mit Frustration und Resignation überschwemmen. Wenn dann viele Dienstverpflichtete diese Arbeit im Sozialsystem gar nicht machen wollen, dann stellt sich bald die Frage, wer das Sozialsystem überhaupt noch will – außer diejenigen, die es benötigen.

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
November
1997
, Seite 11
Autor/inn/en:

Peter Steyrer:

Dr. phil, Kommunikationswissenschaft und Philosophie, war langjähriger Aktivist und „tragende Säule“ der ARGE für Wehrdienstverweigerung, Gewaltfreiheit und Flüchlingsbetreuung. Seit 1999 EU-Koordinator des Grünen Klubs im Parlament. Redaktionsmitglied von Context XXI (ZOOM) bis März 1999.

Lizenz dieses Beitrags:
Copyright

© Copyright liegt beim Autor / bei der Autorin des Artikels

Diese Seite weiterempfehlen