MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 41
Igor Schellander
Pulverfaß „Naher Balkan“:

Die Schlacht am „Kosovo Polje“

Serbien ist wieder Herr über Kosovo. Der Widerstand der albanischen Bevölkerungsmehrheit hat dennoch nichts Vergleichbares mit den Kämpfen in Palästina oder Nordirland. Kosovo ist anders.

Bild: Contrast/Alain Buu
Bild: Contrast/Alain Buu

Das Jahr 1389 ist in der Geschichte des serbischen Volkes als Katastrophe vermerkt: der serbische König Lazar unterlag mit seinem Heer der Armee des türkischen Sultans Murat: der Legende nach stand das Blut der Dahingemetzelten am Kosovo polje, dem Amselfeld, knöchelhoch. Die nationale Tragödie der Serben — die türkische Okkupation — sollte erst nach fünf Jahrhunderten (1815) ihr Ende finden. 1908 hatten die Serben (nach den Balkankriegen) auch ihr heiliges Kosovo wieder. 600 Jahre nach der verhängnisvollen Schlacht am Amselfeld fließt in Kosovo — diesmal im Namen Serbiens und seines KP-Chefs Slobodan Milosevic — wieder Blut. Serbisches und albanisches.

„In Kürze werden alle Verantwortlichen eingesperrt“

Belgrad, am 28. Februar 1989: Man meint, die ganze Stadt sei auf den Beinen, Hunderttausende marschieren mit serbischen und jugoslawischen Fahnen sowie Transparenten in Demonstrationszügen zur Skupstina, dem gesamtjugoslawischen Parlament. Der Verkehrszusammenbruch ist offensichtlich eingeplant, Taxis und öffentliche Verkehrsmittel scharen die Leute, solange es noch geht, zum Nulltarif zusammen. 20.000 Studenten belagerten schon die Nacht davor (es tagte gerade das Präsidium des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens) unter der Führung ihres Rektors die Skupstina. Nun wartet die halbe Stadt bis in die Nachtstunden auf den Auftritt jenes Mannes, der wie kein anderer davor die serbischen Massen in seinen Bann zieht: Slobodan Milosevic sagt der versammelten Menge (die serbische Presse berichtet später von einer Million Teilnehmern), wo es lang gehen soll.

Der Grund für den Auflauf: im albanisch bevölkerten autonomen Kosovo war auf Grund von Massenprotesten und Bergarbeiteraufständen die durch politische Interventionen Milosevic’ eingesetzte Führung unter dem ehemaligen Polizeichef Rahman Morina zurückgetreten — eine Provokation für Milosevic und ganz Serbien. Milosevic’ Auftritt vor seinem aufgebrachten Publikum ließ daran keinen Zweifel: jetzt wird mit dem „albanischen Irredentismus“ endgültig abgerechnet, die Serben werden in Kosovo wieder für Ruhe und Ordnung sorgen ...

Genossinnen und Genossen, dieses Meeting zeigt, daß dieses Land nicht untergehen kann und daß es niemals untergehen wird. Dieses Land wird nicht untergehen, weil es das Volk nicht zuläßt. Ich möchte euch versichern, daß wir so wie bisher unnachgiebig, mit euch allen, mit allen Bürgern der Sozialistischen Republik Serbien und mit allen ehrlichen Freunden Jugoslawiens kämpfen werden, damit Ruhe (Friede), Ordnung, Recht und Gleichheit in Kosovo und in jedem Teil unseres Landes wieder einkehren. Es gibt keinen Preis und keine Macht, welche die Führung und die Bürger Serbiens im Kampf um die gerechten Ziele ins Wanken bringen kann. (...) Genossinnen und Genossen, wir stehen unmittelbar vor Verfassungsänderungen und vor der Lösung aller Fragen, die Kosovo betreffen. (...) In Kürze werden alle Namen der Organisatoren der (albanischen, d.A.) Demonstrationen veröffentlicht sein, und ich möchte euch versichern, daß jene bestraft und eingesperrt werden. Im Namen der Führung der Sozialistischen Republik Serbien garantiere ich dafür.

Es ging Schlag auf Schlag. Noch während Milosevic allen nicht „ehrlichen Freunden Jugoslawiens“ den Krieg erklärte, rollten über die Straßen Kosovos Panzerkolonnen der jugoslawischen Volksarmee. Spezialeinheiten besetzten alle strategisch wichtigen Punkte. Eine Verhaftungswelle gegen die „Organisatoren der Demonstrationen“ setzte ein. Rahman Morinas Rücktritt wurde von Milosevic als ungültig erklärt, da er unter Druck erfolgte. In den darauffolgenden Tagen wurde von Belgrad erklärt, es gäbe eine Verschwörung des albanischen Geheimdienstes aus Tirana, durch einen Putsch in Kosovo die Macht zu ergreifen. Einige führende albanische Politiker wurden als Sündenböcke verantwortlich gemacht und verhaftet. Faktische Beweise für den angeblichen Putsch wurden der Öffentlichkeit bis heute allerdings nicht vorgelegt. Am 23. März stimmte Kosovos regionale Skupstina in Pristina — unter offensichtlichem Druck — den serbischen Verfassungsänderungsvorschlägen zu. Damit kehrt in die — seit Titos Verfassungsreform von 1974 — politisch und verwaltungsmäßig autonome Region Kosovo wieder serbische Hoheitsgewalt zurück. Die darauffolgenden Tage waren von bürgerkriegsartigen Aufständen der albanischen Bevölkerung gekennzeichnet.

Vor allem in der Stadt Urosevac gab es richtige Straßenkämpfe zwischen den aus mehreren Teilen Jugoslawiens zusammengezogenen Sicherheitskräften und den Albanern. Einige tausend Albaner skandierten Protestparolen. Die Polizeikräfte mußten vor einem regelrechten Steinhagel in Deckung gehen. Der Befehl zum gewaltsamen Auflösen der Versammlung durch Schlagstockeinsatz der Spezialeinheiten kam erst, nachdem die Menge einen Militärlaster mit Steinen zum Stehen brachte, umkippte und ihn dann in Brand setzen wollte. Barrikaden aus umgekippten und in Brand gesetzten Autos und Reifen hinderten die Exekutive am Eingreifen mit Militärfahrzeugen; die Auseinandersetzungen dauerten bis in die späten Nachtstunden, dazwischen hagelte es nicht nur Steine, sondern auch einige Kugeln. Zwei serbische Polizisten wurden von Demonstranten erschossen.

Keine Frage, daß diese Vorgänge, vor allem aber die Unfähigkeit, den harten Kern der protestierenden Albaner zu fassen, die zum größten Teil von Serben gestellten Sicherheitskräfte aggressiver werden und auch gegen Unbeteiligte brutal vorgehen ließen. Die Unruhen wiederholten sich bis zur Ausrufung des Ausnahmezustandes mit Versammlungsverbot und nächtlichem Ausgehverbot an einigen weiteren Orten. Ersten offiziellen Meldungen zufolge sollen dabei 29 Albaner ums Leben gekommen sein, inoffiziellen Schätzungen nach über hundert. Durch den Ausnahmezustand änderten die Albaner ihr Vorgehen. Trotz Zwangsmobilisierung von 30.000 Arbeitern ruht die Arbeit — sie erscheinen zwar in den Betrieben, setzen aber die Maschinen nicht in Gang.

Bild: Contrast/Alain Buu

Albaner — die Palästinenser Kosovos?

Die Vorgänge in Kosovo sind für die ökonomische, gesellschaftliche und politische Umgestaltung Jugoslawiens eine große Belastungsprobe. Die Kosovo-Albaner stehen in der Öffentlichkeit doppelt diskreditiert da: man hat sie einerseits politisch entmündigt — das Vorgehen der Serben wurde vom gesamtjugoslawischen ZK (Zentralkomitee) gebilligt —, und man hat ihr Beharren an der bisherigen Autonomieregelung für ihre Region propagandistisch und manipulativ als staatsfeindlich diffamiert sowie die Kriminalisierung von ganzen Bevölkerungsteilen ermöglicht. Fatale Folgen sind denkbar: während früher die gewählten politischen Körperschaften der autonomen Region das Vertrauen des Großteils der Bevölkerung genossen, könnten sich nun verstärkt bisher wenig einflußreiche nationalistische Gruppen in Szene setzen.

Die Serben wiederum haben sich mit ihrem Vorgehen selbst in eine Sackgasse manövriert. Milosevic setzte auf den serbischen Nationalismus und konnte — mit Unterstützung seiner unermüdlich demonstrierenden Volksmassen — die beiden autonomen Regionen Vojvodina und Kosovo gleichschalten. Serbien ist wieder groß und stark. Ein Weg zurück scheint kaum wahrscheinlich. Es geht sogar noch weiter. Um die „Ausrottung der Slawen“ in Kosovo zu verhindern, versucht man wieder vermehrt, Serben in dieser Region anzusiedeln. Eine richtiggehende Kolonialisierung Kosovos gab es schon während der Zwischenkriegszeit, als die Albaner im südslawischen autoritären Königsstaat vollkommen rechtlos und somit vogelfrei waren. Neben dem Argument, daß Kosovo aus serbischer Sicht ein historisches und nationales Heiligtum ist, dürfte auch der Umstand, daß dieser heilige Boden (knapp 11.000 km2) einen beträchtlichen Anteil der jugoslawischen Bodenschätze (u.a. Nickel, Kobalt, Lignit, Bentonit und Kohle) in sich birgt, eine große Rolle spielen.

Die Konfliktsituation verschärft sich nicht nur wegen der nationalen, historischen und ökonomischen Umstände. Kosovo ist das Armenhaus Jugoslawiens. Gleichzeitig gibt es eine albanische Bevölkerungsexplosion. Auch hier wollen die Serben durchgreifen. Der Eingriff in die private Sphäre der durchwegs noch von muselmanischen Traditionen geprägten albanischen Bevölkerung kann die Spannungen nur steigern. Der von Milosevic erzwungene Verlust der politischen und verwaltungsmäßigen Autonomie hatte bürgerkriegsartige Unruhen und innenpolitische Spannungen zur Folge. Slowenien, das sich in den vergangenen Monaten als Anwalt der Albaner exponiert hat, ist nun mit einem Boykott slowenischer Waren und Erzeugnisse in Serbien konfrontiert.

Bild: Contrast/Alain Buu

Kosovo den Albanern

Die Serben als Juden, die ihr heiliges Land wieder in Besitz nehmen, die Albaner als auf eigenem Boden entrechtete Palästinenser — die Vergleiche der aufgebrachten Presse in Slowenien treffen zwar nicht den Kern der Sache, umso mehr aber die Verantwortlichen in Belgrad. Kosovo gleicht zur Zeit einem Dampfkessel mit Überdruck: Kosovo ist Serbien, schwören die einen, Kosovo den Albanern, protestieren die anderen — auf beiden Seiten wird kräftig nachgeheizt. Die blutigen Vorfälle im März und April waren der — in Fragen von Demokratie und Menschenrechten stets „besorgten“ — internationalen Öffentlichkeit keinen Protest wert. Selbst Alois Mock, protestierender Adabei, wenn in Prag wieder einmal eine Demo am Wenzelsplatz untersagt wird, verzichtete beim Staatsbesuch auf jeden Kommentar. Für viele ist und bleibt Kosovo eben doch nur ein Stück Balkan-Grill ...

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1989
, Seite 35
Autor/inn/en:

Igor Schellander: Freier Journalist, studierte Publizistik und Slawistik in Wien, war von 1983 bis 1985 Sekratär des Klubs slowenischer Studentinnen und Studenten, lebt in Wien und St. Jakob/Sentjakob (Kärnten).

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