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Angelika Beer • Helmut Hugler

Die Globalisierung des Militärs

Verspielte Chancen für die Friedenspolitik

Die Debatte um die „Globalisierung“ ist nicht vom Himmel gefallen. So wie sie in der Öffentlichkeit geführt wird, hat sie eine reale und eine ideologische Komponente mit politischen und ökonomischen lmplikationen. Auch wenn das Thema Globalisierung des Militärs auf den ersten Blick mit der ökonomischen Dimension nicht sehr viel zu tun hat, halten wir es für notwendig, sich diese Zusammenhänge vor Augen zu führen.

Die Globalisierungsdebatte ist insbesondere im Zusammenhang mit der „Standort-Debatte“ zu bewerten. Die „Standort-Diskussion“ basiert auf einem allgemeinen Trend der neoliberal ausgerichteten Modernisierung der kapitalistischen Gesellschaft, die in Deutschland über die konservativen Kräfte hinaus auch von der SPD und im Kern auch von den Grünen mitgetragen wird. Konkret geht es vor allem den konservativeren Kräften des „Modernisierungslagers“ um eine Zurückdrängung und Delegitimierung des Sozialstaates, um die Schwächung der Arbeiterbewegung sowie neuer sozialer Bewegungen wie z.B. der Frauenbewegung. Die Debatte ist Bestandteil des aktuellen „Klassenkampfes von oben“, der die gegenwärtigen Umstrukturierungen und Umwälzungen in den ökonomischen Strukturen zuungunsten der – inzwischen zu einem Großteil nur noch potentiellen – Lohnabhängigen durchführen soll.

Trotz der ideologischen Anteile spricht die Globalisierungs-Debatte viele Aspekte der gegenwärtigen Entwicklungen im weltweiten Maßstab an und weist auf reale Phänomene hin. Von daher hat sie ihre Berechtigung und Erklärung. Da auch die Ebene der Sicherheitspolitik mit den Folgen der „Globalisierung“ zu tun hat, werden wir diese Problematik debattieren.

Was ist unter „Globalisierung“ zu verstehen?

Wenn heute in der Öffentlichkeit über „Globalisierung“ gesprochen wird, hat der Begriff eine seltsam unklare Bedeutung. Unter „Globalisierung“ werden unterschiedliche, wenn nicht gar gegensätzliche Entwicklungen gefaßt. Zum einen werden ökonomische Entwicklungen wie die Ablösung der Finanzmärkte von der realökonomischen Sphäre, die zunehmende Internationalisierung der Produktion und die wachsende Zahl von global weltmarktorientierten Unternehmen damit beschrieben.

Zum andern sind politische Erscheinungen wie die wachsende Zahl von „Regimen“ und die Notwendigkeiten multilateraler Abstimmung zwischen den National- und Territorialstaaten darunter gefaßt. Die These der herrschenden, neoliberalen Ideologie ist, daß die Einzelstaaten immer mehr an Handlungsmöglichkeiten verlieren und gezwungen seien, in einen globalen Wettbewerb mit anderen Staaten zu treten, um Wohlstand beziehungsweise Arbeitsplätze zu sichern. Das Ergebnis ist der „Wettbewerbsstaat“ (Joachim Hirsch), dessen Funktion es ist, Kapital anzuziehen.

Darüberhinaus werden unter dem Begriff der Globalisierung Tendenzen im ideologischen Bereich wie die staaten- und regionenübergreifende Medienwelt und die Herausbildung eines Weltbewußtseins ggf. in Form oder in Richtung einer Weltgesellschaft subsumiert. Als weiterer Trend wird der Zwang zur globalen Risikogesellschaft – begründet mit den ökologischen Bedrohungen – der Globalisierung zugerechnet, denn die anstehenden Umweltprobleme könnten nicht mehr von den einzelnen Staaten, sondern nur noch auf globalem Niveau bewältigt werden.

In der herrschenden Debatte wird allerdings kaum thematisiert, daß es sich bei der „Globalisierung“ keineswegs um einen harmonischen Prozeß handelt, sondern daß es ein in sich widersprüchlicher und konfliktreicher Prozeß ist, in dem die zukünftige innerstaatliche wie internationale Ordnung hart umkämpft ist. Globalisierung und Regionalisierung sind zwei Seiten einer Medaille. Die zunehmende Verelendung in den Metropolen, das Nebeneinander von Reichtum und Armut schaffen gesellschaftliche Situationen, die Berlin und Rio vergleichbar erscheinen lassen.

In der Folge dieser Trends verändert sich das Verhältnis von Ökonomie, Staat und Politik. Erstens wird die global orientierte ökonomische Sphäre gegenüber der „territorial“ gebundenen Politik autonomer. Dies liegt an der Bedeutung der Kapital- und Finanzmärkte im „Casino“-Kapitalismus, deren Akteure in freien Spekulationsräumen agieren. Der Staat ist nicht mehr in der Lage, die monetären Kreisläufe zu kontrollieren, und hat somit einen Teil an politischer Souveränität verloren. Dieser Verlust vollzog sich nicht „naturwüchsig“, sondern ist das Ergebnis sozialer Auseinandersetzungen, die innerhalb der jeweiligen Staaten stattgefunden haben.

Der National- und Territorialstaat bleibt weiterhin der politische Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Der These von der Ohnmacht des Staates möchten wir somit widersprechen.

In der internationalen Politik artikulieren sich die aktuellen Trends auf unterschiedliche Weise. Im reichen Norden führen sie zu einer spannungsreichen Kombination von multilateraler Politik und Renationalisierungstendenzen, die im Rahmen von Verhandlungen (GATT, WTO) und internationalen Regimen, wenn auch äußerst konfliktreich, reguliert werden. In den peripheren Regionen zerfallen die politischen Strukturen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Somalia, dessen lokale Strukturen über Jahrzehnte durch den Ost-West- Konflikt und die externen ökonomischen Bedingungen überformt wurden, und im Anschluß daran nicht mehr autonom lebensfähig waren, als ihnen die ökonomische Basis entzogen wurde.

Nicht zufällig ist daher mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes die Debatte um das „Regieren ohne Regierung“ auf internationaler Ebene intensiviert worden. Die neue internationale Situation, der (noch) eine kontrollierbare Grundordnung fehlt, und die daher von den Eliten der Industriegesellschaften als unsicher und „turbulent“, wenn nicht gar als „chaotisch“ empfunden wird, soll durch eine koordinierte Ordnungspolitik reguliert werden. Es ist eine Zunahme von multilateralen Verhandlungen und Arrangements festzustellen. An den „harten“ Verhandlungen sitzen als vollwertige Partner nur die Industriestaaten am Tisch, bei anderen Verhandlungen versuchen sie sich im Vorfeld abzustimmen. Die politischen Strukturen zwischen den Industriestaaten werden enger, sie verflechten sich und grenzen andere aus.

Die Europäische Union kann dafür aufgrund ihrer geographischen Beschränkung zwar nicht unbedingt als Vorbild, wohl aber als Anschauungsmodell in dem Sinn dienen, als sie zeigt, wie sich das Spannungsverhältnis von gemeinsamer Politik und einzelstaatlichen Interessen unter den Bedingungen verlorengegangenen Handlungsspielraums artikulieren kann. Mittels der Entwicklung eines Verhandlungssystems von vergemeinschafteten und intergouvernementalen Politikbereichen ist es den in der EU führenden Staaten möglich, ihre Interessen im (west-) europäischen Raum umzusetzen.

Ordnungspolitische Folgen für die Sicherheits- und Militärpolitik

Eine der indirekten Folgen dieser Entwicklungen in der Ökonomie ist die Veränderung der Rolle des Militärs. In der Sicherheits- und Militärpolitik ist ebenso eine „Globalisierung“ zu beobachten. Während in den Zeiten des Ost-West-Konflikts die „globale“ Sicherheitspolitik in den Kontext des System-Antagonismus eingebunden war und die Verfahrensweisen via Rüstungskontrollgremien oder Dialogforen wie der KSZE routinisiert waren, sind die militärischen Strukturen inzwischen „entfesselt“ und von der Disziplinierung durch den Ost-West-Konflikt entbunden. Hinter den seit 1989 durch die NATO entdeckten Risiken und Unsicherheiten verbirgt sich der Anspruch einer globalen und ggf. auch militärisch durchgesetzten Ordnungspolitik, die an den Interessen der Industriestaaten ausgerichtet ist.

Das Militär spielt in der Praxis, d.h. bei der Organisation globaler Probleme und Abläufe eine nicht zu unterschätzende Rolle. Denn je nachdem, wer gerade die Macht hat und diese Position verteidigen oder ausbauen will, wird ggf. auch Gewalt einsetzen, um seine Ordnung durchzusetzen. Daher werden Ansätze einer aktiven Konversionspolitik sowie Anstöße für eine Zivilisierung der Außenpolitik mit dem Ziel, die Welt demokratischer, sozial gerechter und ökologisch verträglicher zu organisieren, blockiert. Das Politikmodell bleibt im Grundsatz konfrontativ statt kooperativ angelegt.

Um die Gefahren deutlich zu machen, die von Seiten militärischer Politik heute drohen, ist es notwendig, die gegenwärtige sicherheitspolitische Agenda zu diskutieren.

Die klassischen Aufgaben des Militärs treten heute, zumindest was die OECD-Welt betrifft, in den Hintergrund. Das Verständnis von Sicherheit wurde entterritorialisiert und im Gegenzug funktionalisiert. Das Militär der Industriestaaten dient weniger der klassischen Kriegsführung; da sich die Politik geändert hat, ändert sich auch die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Das heißt nicht, daß es Gewalt als Mittel der Politik nicht mehr geben wird, sondern daß sich die Zielrichtung und die Kriterien für den Einsatz gewandelt haben. Der kooperative Aspekt der neuen Weltmilitärordnung bezieht sich auf die militärische Zusammenarbeit zwischen den Industriestaaten. Bewaffnete Konflikte zwischen den Staaten der OECD-Welt sind nicht zu erwarten. Das Militär der OECD-Welt mutiert von der Armee der Landesverteidigung zum Ordnungsfaktor für die neue Weltordnung.

Es gibt aufgrund der Implosion der realsozialistischen Staaten keine strategische Bedrohung mehr. An deren Stelle wurden, zum Teil als Legitimierungsstrategie für die alten Militärinstitutionen aus dem Blockantagonismus, Risiken definiert. Diese Risiken umfassen nicht nur herkömmliche militärische Gefahren, sondern auch „zivile“ Probleme wie Drogenhandel und Migration. Damit wird faktisch der Einzugsbereich militärischen Handelns ausgeweitet. Das hängt zusammen mit den neuen Kriegen und dem neuen Kriegsbild.

Und hier kommen wir auf die Folgen für die peripheren Regionen zu sprechen. Die Mehrzahl der heutigen Kriege sind nicht mehr zwischenstaatlicher Natur und finden nicht im „Norden“ statt. Nach einer Übersicht, die von Jens Siegelberg erstellt wurde, gab es vom Juli 1995 bis Juni 1996 weltweit 34 Kriege. Zwei davon waren direkt in Europa (der kroatisch-serbische Krieg und der Krieg in Bosnien-Herzegowina) zwei im europäischen Umfeld (Tschetschenien und der türkische Krieg gegen die Kurden), [1] die restlichen Kriege wurden außerhalb Europas geführt. Es handelt sich dabei in erster Linie um innergesellschaftliche Kriege, die in der Regel mit Kleinwaffen ausgetragen werden. Aufgrund der unklaren Frontlinien und des oft bandenartigen Charakters der gegnerischen Parteien sind die Abläufe der Konflikte von außen kaum beeinflußbar.

Die relative Untätigkeit des „Nordens“ gegenüber der Mehrzahl dieser Konflikte, inklusive derer, die nicht in einen gewaltförmigen Austrag umgeschlagen sind, hat jedoch einen anderen Grund. Sie zeigt vielmehr, daß Konflikte von Seiten der OECD-Staaten eher als ordnungs-, kontroll- und interessens- denn als friedenspolitische Probleme betrachtet werden. Es geht der „Realpolitk“ eben nicht um die Zivilisierung der internationalen Beziehungen, sondern um deren Beherrschbarkeit. Dementsprechend werden die neuen Kriege, ungeachtet aller humanitären Rhetorik, ignoriert, solange sie die Funktionsweise der „neuen Weltordnung“ nicht berühren. In diesem Sinn ist der Satz von Volker Rühe zu verstehen, daß der heutige Feind die Instabilität sei. Die neuen Kriege bleiben in der Regel lokal ausgetragene Konflikte. Sobald sie als „Stabilitätsprobleme“ wahrgenommen werden, sind sie „globalisiert“, oder um mit den Worten von Zygmunt Baumann zu sprechen, „glokalisiert“. [2] Die Eroberung Kuweits durch den Irak hat aus Sicht der USA zwei ordnungspolitische Faktoren getroffen: zum einen die Frage des Gleichgewichts in einer strategisch wichtigen Region, zum andern den Ölpreis. In Somalia handelt es sich in erster Linie um die ordnungspolitische Glaubwürdigkeit. Dabei darf in jedem Einzelfall die Rolle der Öffentlichkeit nicht unterschätzt werden, denn ein Militäreinsatz in Somalia wäre ohne die Diskussion in der US-amerikanischen Presse nicht in Erwägung gezogen worden. Auch die traditionellen Instrumente der Rüstungskontrolle greifen in dieser Art von Konflikten nicht.

Die Diskussion um die sog. „ethnischen“ Kriege lenkt ein Stück weit von der grundsätzlichen Problematik ab, auch wenn die „Ethnisierung“ von Konflikten politische Bedeutung hat. Die längerfristigen Ursachen, auch von innergesellschaftlichen Konflikten, sind interessenspolitischer Natur. Es mag sich dabei vor allem um ökonomische oder politische Interessen handeln. Die Ethnisierung ist eher Ergebnis von andauernden Konflikten als deren Ursache, hat aber natürlich Auswirkungen auf den konkreten Konfliktaustrag. Das heißt, daß die Frage der Ethnien in der Frühphase eines Konfliktes häufig noch entschärft werden könnte. Am Beispiel Ex-Jugoslawien läßt sich besonders gut verdeutlichen, daß sowohl „Überzeugungstäter“ als auch eine Instrumentalisierung ethnischer Politik konfliktverschärfend wirken können. Während der Nationalist Tudjman – mit deutscher Unterstützung – seine kompromißlose Strategie umsetzte, spielte der von Frankreich gestützte Milosevic die ethnische Karte aus machtstrategischen Gründen.

Eine neue Rolle für das Militär und die neuen Sicherheitsstrukturen

Das Problem, das sich für die herrschende Ordnungspolitik aus dieser „chaotischen“ Situation ergibt, ist, daß es zwar noch das generelle gemeinsame Interesse an der Stabilisierung der globalen Politik gibt, aber in konkreten Situationen die Interessen sich tendenziell auseinanderentwickeln und regionalspezifische Differenzen zum Tragen kommen können. Die unterschiedlichen Politikstrategien, die die EU-Mitglieder in Ex-Jugoslawien verfolgten und die in differierenden Interessen begründet waren, machen diese Problematik deutlich. Die offizielle Politik der EU und der OSZE wurden dadurch konterkariert. Mit nur einer Organisation, die zudem nicht über eine flexible Instrumentierung verfügt, war keine Weltordnung zu schaffen. Aus diesem Grund mußten Strukturen geschaffen werden, die ein Auseinanderdriften des ehemaligen Westens verhindern und einen Grundkonsens sichern können, gleichzeitig aber flexible Reaktionen ermöglichen, auch wenn nicht alle OECD-Staaten betroffen sind, beziehungsweise wenn ihre Interessen sogar differieren.

Die Industriestaaten haben auf die neuen „Herausforderungen“ schnell reagiert. Das Konzept der „interlocking institutions“ (NATO, EU, GASP, WEU, OSZE, UNO) stellt eine Arbeitsteilung dar, die die militärischen Optionen für die aus Sicht der herrschenden Politik flexiblen und schwer vorhersehbaren Einsatznotwendigkeiten schaffen. Das Konzept vereint die Möglichkeit nationalstaatlicher Interessenvertretung und gemeinsamer militärischer Handlungen durch ein System des flexiblen militärischen Multilateralismus. Auch Ad-hoc-Koalitionen, das heißt bi- oder multilaterale militärische Maßnahmen, sind in diesem Rahmen möglich. Das Konzept der interlocking institutions steht so für das Festhalten an national orientierter, multilateral organisierter Macht- und Interessenspolitik.

Für die Neuorientierung der transatlantischen Arbeitsteilung wurde zwischen der NATO und der WEU das Konzept der Combined Joint Task Force (CFJT) geschaffen, das Bestandteil der Kommandostrukturreform der NATO ist. Es soll ermöglichen, daß WEU-Mitglieder im Fall von militärischen Aktionen auf die NATO-Kommando-Strukturen, die Logistik und die Infrastruktur zurückgreifen können. Trotz aller Umsetzungsschwierigkeiten bedeutet es einen qualitativ neuen Schritt in Richtung flexiblere Einsatzfähigkeit von Militär.

In diesen Kontext gehört auch die Militarisierung der Europäischen Union. Bei der gegenwärtig stattfindenden Regierungskonferenz geht es vor allem um das Verhältnis von WEU und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union. Dabei ist die wichtige Frage die der pragmatischen Schritte. Mit einer integrierten Anbindung der WEU an die EU ist aufgrund der Divergenzen zwischen EU- und WEU-Mitgliedschaften nicht zu rechnen. Die zu erwartenden Ergebnisse werden auf eine demokratisch nicht zu kontrollierende Entscheidungsstruktur hinauslaufen, die an das Konzept der interlocking institutions angebunden sein wird und umsetzbar ist. Es wird keine homogene europäische Armee geschaffen, sondern eine den einzelnen nationalstaatlichen Interessenpolitiken angemessene offene Struktur weiterentwickelt. Auf den Begriff gebracht könnte man das als eine pragmatische Militarisierung der europäischen Integration bezeichnen.

Gleichzeitig sichern sich die NATO-Staaten die Dominanz und Letztentscheidung gegenüber der UNO und der OSZE. Sie marginalisieren beide Organisationen, wie sich konkret am Beispiel Ex-Jugoslawien aufzeigen läßt. Denn es waren imgrunde dieselben politischen Akteure, die der UNO zunächst nicht ausreichend Ressourcen zur Vefügung stellten, und als die NATO auf den Plan trat, die Mittel sofort zur Verfügung stellten. Durch die Aufwertung der NATO wird ein Militärbündnis zur federführenden Organisation für Ordnungsaufgaben. Die UNO und die OSZE werden auf die Bereiche der „weichen“ Politik zurückgedrängt beziehungsweise auf die Beschaffung der Legitimation reduziert. Die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten sind mitverantwortlich für die Marginalisierung der UNO. Denn sie weigern sich, auf die Vorschläge von Boutros-Ghalis Agenda für den Frieden einzugehen. Darüber hinaus hat insbesondere Verteidigungsminister Rühe deutlich gemacht, daß er die NATO höher bewertet als die UNO, und keine Bundeswehreinsätze im Rahmen von friedenserhaltenden Maßnahmen unter UNO-Führung akzeptiert.

Entsprechend den neuen Anforderungen wird das Militär der NATO-Staaten umstrukturiert. Im Personalbericht findet eine weitere Professionalisierung des Militärs statt. Da kein NATO-Mitglied erwartet, auf absehbare Zeit einen größeren Landkrieg führen zu müssen, können die Armeen problemlos reduziert und die Wehrpflicht abgeschafft werden. Die Landesverteidigung gilt zwar in der Bundesrepublik noch als die Hauptaufgabe der Bundeswehr. An der Priorisierung der Krisenreaktionskräfte bei den Beschaffungsaufgaben kann man jedoch sehen, daß die faktische Priorität dort liegt.

Dieser Reduzierungprozeß der westeuropäischen Armeen darf jedoch nicht mit Abrüstung verwechselt werden, sondern ist im Kontext der strategischen Umorientierung und der veränderten Aufgabenstellung der jeweiligen Armeen zu verorten. Es geht, das zeigt insbesondere das französische Beispiel der Abschaffung der Wehrpflicht, um die Effektivierung des Militärs im Sinne der neuen Interventionsstrategien und nicht zuletzt um Kosteneinsparungen. Für die neuen Einsatzarten sind Wehrpflichtige in der Regel nicht genügend ausgebildet und auch schwerer zu motivieren. Die Bundesregierung hält zwar noch offiziell an der Wehrpflicht fest, es stellt sich aber die Frage, wie lange diese finanziell noch haltbar ist.

Die politischen Umorientierungen spiegeln sich in den konkreten Militärplanungen wider. Die Kriterien dabei sind Mobilität, Flexibilität, Reaktionsfähigkeit und Multinationalität.

Die Bundesrepublik nimmt in dem Prozeß eine Sonderrolle ein. Im Gegensatz zu den ehemaligen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien und den Vereinigten Staaten, mußte sie sich in der Zeit des Ost-West-Konfliktes in militärischer Zurückhaltung üben. Seit der Erlangung der Souveränität wird umgesetzt, was vorher hinter den verschlossenen Türen des Bundesverteidigungsministeriums diskutiert wurde: der Aufbau von weltweit einsetzbaren Interventionsstreitkräften. Da Militär in der „Staatenwelt“ nicht nur reale Macht bedeutet, sondern auch einen hohen Symbolwert hat, wird unter den Stichworten „Normalisierung“ und „Gleichberechtigung“ eine Umorientierung der deutschen Außenpolitik vorgenommen. Die Bundesregierung ist aktiv an der Reform der NATO und am neuen militärischen Multilateralismus beteiligt. Der angestrebte ständige Sitz im Sicherheitsrat ist nur ein Ausdruck der neuen deutschen Großmachtpolitik.

Materielle Grundlage für die neue Weltmilitärordnung ist die Politik der Rüstungsbeschaffung und damit die Rüstungsindustrie. Auch hier sind neue Entwicklungen zu verzeichnen. Aufgrund der hohen Kosten neuer Technologien ist der Wettbewerbsdruck auf die nationalen Rüstungsindustrien und die einzelnen Rüstungsbetriebe immens gestiegen. Das hat zwei Folgen. Erstens internationalisiert sich gegenwärtig auch der Rüstungsmarkt über Fusionen und Rüstungskooperationen. Auf der anderen Seite steigt der Druck zu exportieren. Die Harmonisierung der Rüstungsexportregelungen im Rahmen der westeuropäischen Integration sind, insbesondere im Fall der Bundesrepublik, als nationale Strategien zu verstehen, die Exportrestriktionen zu lockern und die Position auf den Rüstungsmärkten zu verbessern.

[1Jens Siegelberg: Im Überblick: Kriege und bewaffnete Konflikte Juli 1995 bis Juni 1996, S. 113ff. Die bewaffneten Kriege haben wir nicht mitgezählt, dadurch würde das Verhältnis noch mehr zuungunsten der außereuropäischen Konflikte ausfallen.

[2vgl. Zygmunt Baumann: Glokalisierung oder: Was für die einen Globalisierung ist, ist für die anderen Lokalisierung, in: Das Argument 217/1996, S. 653–664; außerdem: Elmar Altvater/Birgit Mahnkopf: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. Münster 1996.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1997
, Seite 7
Autor/inn/en:

Angelika Beer:

Angelika Beer ist verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündinis 90 / Die Grünen im Deutschen Bundestag.

Helmut Hugler:

Helmut Hugler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Bündinis 90 / Die Grünen und Mitglied des Instituts für Internationale Politik.

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