Streifzüge » Print-Ausgaben » Jahrgänge 2011 - 2020 » Jahrgang 2018 » Heft 72
Peter Oberdammer

Der Verkaufstrainer und der Präsident

Einem studierten Historiker und Geographen, Lehrer, Trainer und Coach mit langjähriger sozialwissenschaftlicher Forschungserfahrung vermittelt das AMS die Stelle eines Verkaufstrainers für Feinkostmitarbeiter der Lebensmittelfirma Merkur. Gesucht war ein „Trainer“ zur Einschulung der „Frische-Mitarbeiter (Feinkost, Fleisch, Backshop, Obst&Gemüse) österreichweit in unseren MERKUR Märkten in den Bereichen Kundenberatung, Servicequalität und Verkauf“.

Geschichte des Einzelhandels mag ein reizvolles Thema sein und den Horizont von Feinkostmitarbeitern durchaus bereichern, aber konkret fühlte sich der solchermaßen Bedachte der Aufgabe nicht gewachsen. Seine diesbezüglichen Vorstellungen stießen auf wenig Verständnis beim AMS-Personal, und unisono wurde vom Betreuer und einer Abteilungsleiterin materieller Existenzentzug wegen Arbeitsunwilligkeit (§10 AlVG) bei Nicht-Bewerbung angedroht. Das Plansoll wurde dann sogar übererfüllt: Neben einer Bewerbung beim potentiellen Dienstgeber kommunizierte der Zwangsbeglückte den Unfug des AMS auch dem sozialdemokratischen Volksanwalt des österreichischen Parlaments, dem sozialdemokratischen Sozialminister, der regionalen AMS-Leitung, dem Rechnungshof und dem christdemokratischen Präsidenten der Wirtschaftskammer Österreichs. Nur letzterer reagierte und schrieb: „Dass es in Ihrem Fall zu einem unpassenden Vermittlungsvorschlag gekommen ist, ist sehr bedauerlich. … Eine passgenaue Vermittlung von Arbeitsuchenden auf offene Stellen ist für uns wichtig!“ Bei bürgerlichen Standesvertretern hat die arbeitsgesellschaftliche Ideologie das Interesse an einer effizienten Zuführung von Arbeitskraft noch nicht soweit verdrängt, dass sie offensichtlichen Unfug nicht zugeben könnten, während den sozialdemokratischen Funktionären die Fehlzuweisung kein Piep entlockte. Als Anlass zur Demonstration von Arbeitswillen und somit arbeitsreligiöser Rechtgläubigkeit taugt die Stelle eben allemal.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
2018
, Seite 10002
Autor/inn/en:

Peter Oberdammer: Geboren 1961 in Wels/OÖ im Boom der fordistischen Konsumidiotisierung, ist immer noch distanzierter Betrachter ihrer Spektakel in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verfallsprozessen. Die Auseinandersetzung mit der Welt – ge- bzw. verformt durch ein gemächliches Geschichte- und Geographiestudium an der Uni Wien – verwertete sich in sozialwissenschaftlicher Forschung zu ethnischen Minderheiten, Nationalismus und Rassismus und deren polit-ökonomischen Verortung, und mehr vermittelnden Tätigkeiten zur Migrationspolitik und in der Erwachsenenbildung.

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