Context XXI » Print » Jahrgang 1996 » ZOOM 3/1996
Manfred Gmeiner
Joachim Hirsch:

Der nationale Wettbewerbsstaat

Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus

Joachim Hirsch geht in diesem Buch den einschneidenden Ver­änderungen nach, denen der Kapitalismus unterliegt, und fragt nach Auswirkungen auf Demokratie und Staat sowie nach neuen Ansätzen für politi­sches Handeln.

Die neu entstehende Form des globalen Kapitalismus be­zeichnet Hirsch als den „natio­nalen Wettbewerbsstaat“. Sämtliche Prinzipien und Kate­gorien der klassischen bürgerli­chen Demokratietheorie — Staat, Volk, Gesellschaft, Nati­on, demokratische Partizipati­on — stünden heute zur Disposi­tion. Primäres Ziel der moder­nen Staaten sei nicht mehr die Sicherung dieser Strukturen, sondern die Standortsicherung als Schaffung profitabler Rah­menbedingungen für ein global operierendes Kapital.

Die drastische gesellschaft­liche Veränderung bestehe dar­in, daß die Zivilgesellschaft selbst eine neue Form des Tota­litarismus hervorbringt, der nicht mehr in erster Linie auf staatlicher Herrschaft beruht, obwohl sich auch diese weiter­hin ausweitet. Der neue Totali­tarismus besteht nach Hirsch in einer Verdrängung des „Be­wußtseins von der Möglichkeit und Notwendigkeit einer prak­tischen Gestaltung gesellschaft­licher Verhältnisse. Gesellschaft wird in ihrer vorfindlichen Ge­stalt zum nicht mehr hinterfrag­baren Schicksal“. Dieses Be­wußtsein entsteht aus den in­nersten Strukturen der Gesell­schaft und wird nicht von außen aufgezwungen.

Als praktischen Ansatz neuer Politik schlägt Hirsch ei­nen „radikalen Reformismus“ vor. Das heißt, ein politischer Kampf, der auf eine internatio­nal verflochtene politische Selbstorganisation unabhängig von den herrschenden Institu­tionen begründet ist und der gleichwohl schrittweise institu­tionelle Reformen zum Ziel hat.

Die Beobachtung, daß der Wille zur praktischen Gestal­tung gesellschaftlicher Verhältnisse immer mehr einer angeb­lichen Sachzwangpolitik weicht, ist sicher richtig. Daher scheint mir auch das Anliegen des Buches, neuere Entwick­lungen zu analysieren und dar­aus Möglichkeiten politischen Handelns abzuleiten, wichtig zu sein. Leider dominiert aber in dem Buch die Neigung zu al­les erklärenden großen Theori­en. Die Einbindung zahlrei­cher Einzelbeobachtungen in eine Gesamttheorie (Durchset­zung und Krise des Fordismus) geht auf Kosten der Analyse von Entwicklungen und Zu­sammenhängen. So verwun­dert es nicht, daß die vorgeschlagene neue Politik wie der alte Grundsatz „Global den­ken, lokal handeln“ unter Hin­zunahme der modernen Ver­netzung klingt.

Joachim Hirsch: Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus. Edition ID-Archiv, Berlin, Amsterdam 1995, 214 S., ca. öS 200,—

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1996
, Seite 28
Autor/inn/en:

Manfred Gmeiner:

Geboren 1964. War von 1996 bis 2020 gemeinsam mit Amalia Hernández Páez aus Motril in der Provinz Granada in Andalusien Buchhändler in Wien (La Librería) und nachweislich treuestes Redaktionsmitglied von Context XXI (von Anbeginn bis 2006). Er widmet sich jetzt ganz der Übersetzung spanischsprachiger Literatur.

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