FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1989 » No. 428/429
Friedrich Geyrhofer

Das Kreuz mit dem Halbmond

Eine Strafanzeige ist erstattet worden. Von den „Europäischen Bürgerinitiativen zum Schutze des Lebens und der Menschenwürde“. Gegen Veranstalter der öffentlichen Lesung aus Salman Rushdies Roman „The Satanic Verses“ im Mai vor der Votivkirche. Unterschrift:

Martin Humer. A-4730 Waizenkirchen, Feldweg 1

mit Telefonnummer und Telefax. Die Anzeige beim Staatsanwalt Wien gilt Herrn Gerhard Ruiss (mit Adresse und Telefonnummer). Humer zitiert das Staatsoberhaupt:

Bundespräsident Dr. Kurt Waldheim sagt wörtlich: ‚Wir verurteilen es (‚Satanische Verse‘) als Blasphemie und Verietzung der religiösen Gefühle der Moslems.‘

„Blasphemie“ — das Stichwort für den Pornojäger! Er blättert oft im Strafgesetzbuch und findet gleich den richtigen Paragraphen („Herabwürdigung religiöser Lehren“). Freilich, so ganz zufrieden kann auch ein Martin Humer mit Waldheims Aussagen nicht sein. Er korrigiert:

Der Begriff ‚religiöse Gefühle‘ ist plötzlich im Sprachgebrauch aufgetaucht. Ich möchte aber feststellen, daß es sich hier nicht um religiöse Gefühle handelt, sondern an (!) den Glauben an einen Gott.

Die Schlußfolgerung ist leicht zu ziehen. Wie die Beispiele Waldheim und Humer beweisen, ist Österreich ein katholisches Land. Ergo muß hierzulande das islamische Recht herrschen. Die Strafanzeige der „Europäischen Bürgerinitiativen“ drückt sich mit unwiderstehlicher Logik aus:

Eine Religionsverhöhnung kann nicht eine Opposition gegen iranische Gesetze rechtfertigen.

Folglich hat die Staatsanwaltschaft Wien gegen „satanische Demokraten“ einzuschreiten, wie es in der Strafanzeige heißt. Sie ist durchaus im Geist des Heiligen Vaters abgefaßt, weil überhaupt der Dialog der Weltreligionen neuerdings lebensgefährlich wirkt.

Vom Vatikan ist die Teheraner Verdammung Salman Rushdies zustimmend kommentiert worden, abzüglich der Morddrohung. Als der Ayatollah starb, befand sich Wojtyla auf Tournee im hohen Norden; er lobte seinen orientalischen Kollegen in einem ehrenden Nachruf, worin Khomeinis „exemplarische Wirkung“ den Getauften ans Herz gelegt wurde. Bannflüche gegen Frevler und Ketzer: das war doch einmal unsere Arbeit, denkt sich neidlos der Nachfolger Petri, erinnert sich an die heilige Inquisition und segnet das geistliche Oberhaupt der Schiiten.

Nun haben wir sie wieder, die kämpfende Kirche. Kaum sind die Frommen am Wort, zücken sie das Schwert. Verständlich, daß ein Pornojäger sozusagen auf Pilgerfahrt nach Mekka geht. Ein Wiener Weihbischof (übrigens Humers alter Freund) behauptet einerseits, Seelenheil gebe es nur in der römischen Kirche. Die wahren Gläubigen in Rom und Waizenkirchen sind aber andererseits schon so weit, daß sie am neupersischen Fanatismus die Glaubensstärke bestaunen. Eine Glaubensstärke wohlgemerkt, die sich durch Gemetzel unter Glaubensgenossen auszeichnet.

Eine verzwickte Geschichte also, wie der liebe Gott vom Waldheim auf den Martin Humer kam. Echte Autoritäten sind hier am Werk gewesen. Der Monotheismus, gebraucht als Zwangssystem und Instrument der Einschüchterung. „In die Knie, Ungläubiger!“ Auf den Effekt kommt es an, nicht darauf, ob der Zwingherr die Bibel oder den Koran in Händen hält. So wie es eine Interpol gibt, so wächst auch eine Inter-Religion heran, in der die Hexenjäger aller Bekenntnisse zusammenarbeiten.

Der Autor der Strafanzeige hat ja ganz recht, wenn er den Ausdruck „religiöse Gefühle“ stark in Zweifel zieht. Gefühle sind dabei am wenigsten gefragt, ausgenommen Haß und Bosheit. In britischen Zeitungen wurden Fotos von Demonstrationen in Sheffield abgedruckt: nicht ausgemergelte Gastarbeiter protestierten gegen Rushdies Buch, sondern betuchte Geschäftsleute vom Typus „Kommerzialrat“. Innerhalb der großen orientalischen Minderheiten Westeuropas bilden Klassenunterschiede den Nährboden für hemmungslose religiöse Demagogie. Und wer mag von Khomeinis wahnsinniger Kriegsführung mehr profitiert haben, die Mullahs oder der Basar?

Unser katholischer Pornojäger empört sich in seiner „Begründung der Anzeige“ über vielerlei. Über „Ausschnitte, in denen Mohammeds Frauen als Huren bezeichnet werden“. (Bravo, gegen den Sexismus!) Über „die Beleidigung von mehr als einer Milliarde Moslems“ (ein Schlag gegen den Fremdenhaß). Und über den angezeigten Gerhard Ruiss, der sich Unsägliches zuschulden kommen ließ:

Er flunkerte von freier Meinungsäußerung, von Demokratie und über Khomeini. Was er eigentlich wollte, konnte er nicht erklären.

Vor die Entscheidung gestellt, die öffentliche Lesung aus „The Satanic Verses“ zu unterstützen, fand es der Vorstand der Grazer Autorenversammlung unter seiner Würde, von Meinungsfreiheit und Demokratie zu flunkern. Wohl aber wurde erklärt, „was er eigentlich wollte“. Erstens dürfe man der Ausländerfeindschaft keinerlei Vorschub leisten (vergleiche Humers „1 Milliarde Moslems“). Zweitens, irregeleitete Mohammedaner könnten das Büro in Brand stecken (das Türschild wurde für alle Fälle abmontiert). — Angenommen, die gefährliche Drohung käme von Skinheads, von Hakenkreuzlern, wäre auch dann die Sorge um Aktenordner mit einer besorgten Warnung — diesmal vor „Inländerfeindschaft“ — vereinbar?

Ablichtungen dieser Strafanzeige gehen an die Botschaften islamischer Länder,

notieren tatenfroh die „Europäische Bürgerinitiativen“ in Waizenkirchen. Um ihre Büromöbel müssen sie sich — Inschallah! — keine Sorgen machen.

Ein Vorschlag in Güte, adressiert an Wojtyla, Waldheim, Humer und die anderen, bevor die katholische Kirche geschlossen zum Islam übertritt. Nehmen wir in (Mutter-)Gottes Namen den Unzucht-Paragraphen wieder ins Strafgesetzbuch auf. Dafür schaffen wir mit dem Tatbestand „Religionsstörung“ (alias Blasphemie) endgültig den Scheiterhaufen ab, auf dem im Hundertjährigen Krieg die Jungfrau von Orléans verbrannt worden ist.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
August
1989
, Seite 75
Autor/inn/en:

Friedrich Geyrhofer:

Geboren am 03.09.1943 in Wien, gestorben am 16.07.2014 ebenda, studierte Jus an der Wiener Universität, war Schriftsteller und Publizist sowie ständiger Mitarbeiter des FORVM.

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