FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1992 » No. 465-467
Wolfgang Beck

Dank von & an Günther Anders

G.A. hat seit mehr als 10 Jahren Wien nicht mehr verlassen; seit anderthalb Jahren lebt er in einem Pflegeheim, nach einem Schenkelhalsbruch kann er sich kaum mehr bewegen. Sein Radius reicht über wenige wackelige Schritte vom Bett zum Tisch oder zum Waschbecken nicht hinaus. G.A. kann auch nicht mehr schreiben. Schwere Arthrosen, Schmerzen und Schwäche machen es unmöglich. Als ich ihn im Juli zu seinem 90. Geburtstag in Wien besuchte, fand ich ihn trotzdem ich möchte sagen — heiter, ja lustig und sprühend vor. Kopf und Geist waren unversehrt, von gewohnter Brillanz. Aber es gibt auch andere Tage — und sie werden immer zahlreicher — voller Niedergeschlagenheit, an denen er sich nichts als das Ende herbeiwünscht.

Sie werden es G.A. nachsehen, daß er mir keine Dankesrede mitgegeben hat, die ich Ihnen vorlesen könnte. Was ich Ihnen auszurichten habe, ist ganz kurz: G.A.
dankt von Herzen für die heutige Auszeichnung. Er freut sich darüber aufrichtig, was — von G.A. geäußert — nun wirklich viel heißt. Denn er lehnte in seinem Leben nicht nur zwei Professuren ab, er war auch ein Meister im Ausschlagen von Preisen und Auszeichnungen. Sie kennen vielleicht seinen in den »Philosophischen Stenogrammen« notierten Satz: „Laß dich nur von denen ehren, die du selbst ehrst.“ Hieran hat er sich Zeit seines Lebens konsequent gehalten. Aber auch, wenn er Ehrungen angenommen hat, geschah es nicht ohne Zwiespalt. Wie jeder Autor und Denker wünscht sich G.A. natürlich die Auseinandersetzung mit seinen Büchern und mit seinem Denken. Aber zuviel Zustimmung ist ihm suspekt; ins Lager der Konformisten, der „Mehrheitsfähigen“ möchte er keinesfalls eingereiht werden.
Der Ketzer, eine Figur, mit der er sich identifiziert, ist der Wahrheit näher als die Orthodoxie. Und dem Ketzer, dem Vertreter von Kampfthesen, widerfährt — so sagt G.A. — ebenfalls eine spezifische Ehre, nämlich indem man ihn attackiert. Die Ehre der Zustimmung ohne die Ehre des Widerspruchs wäre für G.A. unbefriedigend; er braucht beide.

Erlauben Sie mir, nach dieser kleinen Explikation dessen, was „Ehre“ für G.A.
bedeutet —, daß ich bekräftige, was ich schon gesagt habe: Die Verleihung des Sigmund-Freud-Preises ist für G.A. eine große Freude inmitten eher düsterer Tage — er hat es mir gestern am Telephon nochmals bestätigt. Er dankt der Akademie, und er dankt dem Laudator Ludger Lütkehaus.

Und abschließend danke auch ich: nämlich G.A. für eine langjährige, freundschaftliche, vertrauensvolle Autor-Verleger-Beziehung und für die ehrenvolle Rolle, daß ich ihn heute hier vertreten durfte.

Rede des Verlegers bei der stellvertretenden Entgegennahme des Freud-Preises

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Erstveröffentlichung im FORVM:
November
1992
, Seite 17
Autor/inn/en:

Wolfgang Beck:

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