Schüssel: Sicher.
Schüssel: Es gibt ja fast keine Linken mehr. Im Zeitalter, in dem sich der orthodoxe Marxismus in Ost und West auflöst, sind es nur mehr ganz wenige, auf die diese Werbung überhaupt zutrifft.
Schüssel: Mein Gott, na, das ist halt ein Werbespruch. Außerdem wird er in jenen Medien veröffentlicht, wo nicht anzunehmen ist, daß den Lesern sofort schreckenserstarrt das Blatt aus den Händen fällt.
Schüssel: In einer Zeit, in der die Lohnquote bei 70% liegt, sollte es keine Schande sein, über Gewinne zu reden.
Schüssel: Irgendein gescheiter Mensch hat einmal gesagt, daß der Kapitalismus möglicherweise an seinen Erfolgen zugrunde gehen kann; beim realen Sozialismus ist es offenkundig, daß er an seinen Mißerfolgen zugrunde geht.
Unser Problem war viel zu lange, daß wir zu wenig Markt gehabt haben, aber das kommt jetzt langsam. Die Monopole weichen sich auf, die geschützten Sektoren lassen plötzlich durch die Zäune mehr Windzug. Das halte ich für einen wichtigen Prozeß.
Schüssel: Kapitalismus ist nicht der richtige Begriff. Was wir heute haben, ist ja nicht mehr Kapitalismus, das ist schon etwas ganz anderes.
Schüssel: Ich nenne es „soziale Marktwirtschaft“, die gerade jetzt durch die „Ökosoziale Marktwirtschaft“ ergänzt wird. Hinter dem Schlagwort steckt natürlich ein Programm, nämlich, daß sich der ursprüngliche Kapitalismus — das „hire and fire“ des Manchesterkapitalismus — zur Marktwirtschaft, zur sozialen Marktwirtschaft entwickelt hat und sich jetzt weiter mutiert hin zu einer stärker ökologisch orientierten Marktwirtschaft, die in der Lage ist, auf neue Bedürfnisse und neue Fragestellungen flexibel zu reagieren. Wäre die Marktwirtschaft nicht so flexibel, würde sie auch nicht so erfolgreich sein, auch im Bewußtsein der Öffentlichkeit.
Schüssel: De facto gibt es sie ja, die neue Gründerzeit. Wenn ich mich in Österreich umsehe, dann stelle ich seit zwei, drei Jahren geradezu einen Boom neuer Betriebsgründungen fest. So etwas hat es seit 20 Jahren nicht gegeben. Gerade in bestimmten Branchen sehen wir ungeheure Fortschritte. In den Marktnischen, die heute nachgefragt werden, in denen maßgeschneiderte, individuelle Lösungen verlangt werden, entstehen kleine Betriebe mit 20, 25 Leuten, fast im Daniel-Düsentrieb’schen Sinn. Solche Betriebe haben oft eine große ausländische Verflechtung und nicht selten 90% Exportanteil. Das meine ich mit „neuer Gründerzeit“.
Andererseits heißt Gründerzeit auch Infrastrukturinvestitionen. Lange haben wir gut von der Monarchie gelebt, ich erwähne nur das Wiener Wasserversorgungsnetz, die Kanalisation, das Eisenbahnnetz. Diese vormaligen Investitionen sind zum Teil schon kaputt, und es warten große Aufgaben auf uns, ein neuer Investitionsschub muß jetzt gelegt werden.
Schüssel: Die Energiewirtschaft ist ein Monopol, allerdings teilprivatisiert, was insoferne wichtig ist, als daß damit erstmals eine gewisse öffentliche Transparenz und Kontrolle in diese Unternehmungen einkehrt. Außerdem glaube ich, daß sich die E-Wirtschaft in Zukunft neuen Aufgaben stellen wird müssen. Früher war es wichtig, mehr Kilowattstunden zu produzieren und mehr Strom zu verbrauchen; in Hinkunft wird es notwenig sein, flexibler auf den Markt zu reagieren. Konkret heißt das, Energiesparen gesetzlich und satzungsmäßig zu verankern. Auch muß die E-Wirtschaft in neue Aufgaben umgelenkt werden, z.B. im Bereich der Entsorgung. Die größte deutsche E-Wirtschaftsgesellschaft RWE (Rheinisch-Westfälische) macht heute aus dem Nichtstromgeschäft mehr als die Hälfte ihres Umsatzes und ist hoch profitabel.
Schüssel: Wieso? Auch die Marktwirtschaft hat immer gewisse Spielregeln, die den fairen Wettbewerb garantieren und bestimmte überregionale Bedürfnisse abdecken sollen, das hat’s immer gegeben. Jedes Steuergesetz und jedes Sozialgesetz ist eine Regulierung, die hoffentlich Spielraum genug läßt für wettbewerbsmäßiges Verhalten. Da sehe ich keinen Gegensatz.
Schüssel: Ja.
Schüssel: Naja, ich bitte Sie, in der Wirtschaft gibt’s — wie überall im Leben — ein Werden und Vergehen, ein Leben und ein Sterben. Wenn ein Betrieb glaubt, daß er heute so wirtschaften kann wie vor 50 Jahren, ohne sich an die geänderten Verhältnisse anzupassen, wird er eingehen.
Schüssel: Noch einmal — das ist ganz klar und da ist jeder schon primär für sich verantwortlich: Wenn man sich nicht auf die Bedürfnisse einstellt, die die Kunden von einem erwarten, dann ist kein Platz für diesen Betrieb. Aber das hat ja nicht einmal etwas mit der EG zu tun, das passiert auch ohne EG. Es gibt immer wieder Neugründungen, also was soll’s. In einer gesunden Wirtschaft gibt’s nun mal ein Werden und Vergehen.
Schüssel: Ein Kleiner ist nicht unbedingt dem Untergang geweiht, wenn er in einem großen Wirtschaftsraum drinnen ist. Er ist dann sogar viel flexibler, wenn er sich gegenüber den großen Tankern durchsetzen kann, indem er sich geschwinder bewegt. Das fällt ihm ja vielleicht ganz leicht. Er kann individueller sein, er kann rascher liefern, er kann kundennäher sein, das ist gemeint. Wenn einer glaubt, das alles nicht sein zu müssen, dann ist kein Platz da für ihn.
Schüssel: Absolut. Das haben wir ja schon einige Male gemacht. Das Hauptproblem mit der Verstaatlichten sind die wahnsinnig hohen Gemeinkosten. In dem Augenblick, in dem ein kleiner Privater so einen verstaatlichten Betrieb übernimmt, braucht sich oft gar nicht so viel zu ändern, allein die Einsparungen der Gemeinkosten können den Betrieb in die schwarzen Zahlen bringen. Auch leidet die Verstaatlichte durch die Fehler der Vergangenheit an einem eklatanten Kapitalmangel.
Schüssel: Ich kann doch nicht mit einer möglicherweise richtigen historischen Analyse die Planungsdebakel in den 70er Jahren rechtfertigen, wie sie in der Verstaatlichten passiert sind. Das eine hat doch mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Die Situation ist so, daß die Verstaatlichte Industrie besonders durch das VÖEST-Debakel so weit am Boden war, daß der Steuerzahler letztmalig mit Milliardenbeträgen zur Kasse gebeten wurde. Und obwohl diese Unsumme hineingeflossen ist, steht die Verstaatlichte heute zwar, was die Vergangenheit betrifft, saniert da, was jedoch die Gegenwart betrifft, wie ein zerrupftes Huhn. Jetzt frage ich Sie: Was ist lustiger — und zwar heute und nicht vor 45 Jahren —, sollen wir jetzt wieder um 15-20 Mrd. öS zum Steuerzahler gehen oder ist es nicht gescheiter, nachdem am Kapitalmarkt die Banken vor Geld überquellen, daß sich diese Milliarden und Millionen daran beteiligen?
Schüssel: Da werden ja die Verluste privatisiert.
Schüssel: Von billigen Grundleistungen in den 50er Jahren zu sprechen, das trifft zu. Aber wo ist das heute zu haben?
Schüssel: Wir können doch nicht investieren, ohne etwas herauszubekommen. Heute ist Österreich ein reiches Land, daher: herbei mit diesem Kapital und hinein in die Betriebe; sie sollen österreichisch bleiben und breite Eigentumsstreuung haben. Das ist mein persönliches Credo.
Schüssel: Das waren ja andere Gründerzeitmodelle, die Sie jetzt da nennen. Ich habe von der Gründerzeit gesprochen, von deren Struktur wir heute noch leben, die uns die Ringstraßenbauten beschert hat und die Wiener Wasserleitung, die vom Bürgersinn hergestellten großen Institutionen wie den Musikverein und das Konzerthaus.
Schüssel: Nein. Wir sollten in diesem von mir ausgeführten Sinne eine neue Gründerzeit beginnen. Wir können ja nicht ununterbrochen vom Erbe leben.
Schüssel: Die Krachs der damaligen Zeit waren zwar tatsächlich eine wilde Spekulation. Aber es war daran nur eine ganz kleine Gruppe von wild Spekulierenden beteiligt. Heute haben Sie ja einen vollkommen anders strukturierten Kapitalmarkt. Heute gibt es eine um die Tausenderpotenz größere, weltweit verflochtene Kapitalmarktsituation.
Schüssel: Es hat immer ein gewisses Gefälle gegeben, es hat nie einen Gleichstand im Pro-Kopf-Einkommen gegeben zwischen allen Bevölkerungsgruppen und den verschiedenen Regionen. Die Frage ist ja nur, auf welchem Niveau das geschieht. Denn daß es geschieht, werden wir in einer diesseitigen Gesellschaft nicht vermeiden können. Und es ist festzustellen, daß selbst diejenigen, die möglicherweise an den Segnungen der Jetztzeit nicht so partizipieren können, eine immer noch unvergleichlich bessere Situation vorfinden, als das damals der Fall gewesen ist. Und vor allem ist heute die Breite derer, denen es objektiv gut geht, unvergleichlich größer als etwa vor 50 oder vor 100 Jahren.
Schüssel: Natürlich höre und lese ich das auch, aber — um den Ball zurückzuspielen — auch das ist Ideologie. Ich kann doch nicht von einer 2/3-Gesellschaft sprechen, wenn 95% Arbeit haben. Im Prinzip haben wir heute beinahe Vollbeschäftigung. Wenn wir die Spielregeln in der Bauwirtschaft ändern und die Saisonarbeiter wegrechnen, die mit fixer Beschäftigungszusage gelegentlich in die Arbeitslose geschickt werden, dann haben wir nicht mehr als 3% Arbeitslosigkeit. Das kann de facto mit Vollbeschäftigung gleichgesetzt werden. Recht haben Sie natürlich, daß es Armut gibt, daß es ausgegrenzte Minderheiten gibt. Und es gibt auch Leute, die mit dem Tempo unserer Zeit nicht mehr mitkommen, das ist ein echtes Problem. Die Frage ist nur: Was ist die adäquate Problemlösung? Sicherlich nicht richtig wäre es, die von mir angesprochenen Infrastrukturinvestitionen zurückzunehmen. Wenn man z.B. etwas für die Obersteiermark tun will, so muß man die Bahn-, Straßen- und Flugverbindungen ausbauen, um von dort in die Wirtschaftsräume Süddeutschland und Mailand zu gelangen. Das ist die vernünftigste Regionalpolitik, die es gibt.
Schüssel: Nein, ist es nie gewesen.
Schüssel: Ich lehne das eher ab, mich auf bestimmte Schulen zu konzentrieren, weil jede Schule einen hohen Ausschließungsgrad für andere Ideen beinhaltet. Ich habe das nie sehr dogmatisch gesehen. Meine Art von Politik ist sehr pragmatisch; wenn schon Schule, dann halte ich mich an die These von Erich Streissler, der gesagt hat, daß die Marktwirtschaft das einzige Instrument ist, das in der Lage ist, sozial oder — wenn gewünscht — auch grün zu sein.
Schüssel: Das ist eine persönliche Vorliebe, die ich zu keinem politischen Programm hochstilisiere.