FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1990 » No. 439-441
Alexander Cockburn • Susanna Hecht • Camilla R. Nielsen (Übersetzung) • Klaus Nüchtern (Übersetzung)

Bäume, Kühe, Kokain

Ein Interview

O Wald! Sie schneiden dir dein grünes Herz heraus.
Die Gräser, die Paranufsbäume, die wilden Tiere wittern bereits den Geruch des Gefängnisses. Wir sagen: Menschen sehnen sich nach Freiheit; wer also werden dann die Meister unserer Geschichte sein?

Samba do Quinze

Im Laufe der letzten 25 Jahre wurden riesige Teile des Amazonas-Waldes eingeäschert. Die Erschließung des Amazonas läßt sich weniger als eine Politik der Entwicklung als eine Politik der verbrannten Erde beschreiben. Die Abholzungsrate stieg fast exponentiell an — allerdings ohne daß es irgendjemandem zugute gekommen wäre.

Die Amazonas-Wälder beherbergen mindestens zwei Drittel aller Organismen auf der Erde. Man weiß, daß sie drei Millionen Arten ernähren und die Ergebnisse jüngster Forschungen deuten darauf hin, daß deren Anzahl das Zehnfache betragen könnte. Die Zerstörung, die derzeit stattfindet, wird, wenn sie nicht aufgehalten wird, innerhalb der nächsten 25 Jahre mehr als die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten zerstören bzw. bedrohen.

Eine Katastrophe dieses Ausmaßes kommt dem Aussterben der Saurier und anderer Tierarten in der Kreidezeit gleich, das die Welt und den Verlauf der Evolution nachhaltig verändert hat. Viele der Pflanzen, die nun verschwinden werden, galten als potentielle Quellen für Nahrung, Futtermittel und Arzneimittel und damit als die Bausteine der zukünftigen biologischen Ökonomie. Eine Heilung des Krebs, von Hautkrankheiten, Aids, usw. wird womöglich mit den Bäumen zu Asche verbrannt.

Mag sein, daß der Verlust einzelner Arten und Pflanzen mit geheimen Wirkungen nicht gleich das Ende der medizinischen Forschung bedeutet. Aber die Einäscherung von Millionen und Abermillionen von Quadratkilometern und der dort lebenden Organismen wird jetzt als „Treibhauseffekt“ bewußt. Das bei der Verbrennung der Wälder entstehende Kohlendioxid hält die Sonneneinstrahlung zurück, so daß die Atmosphäre auf Temperaturen aufgeheizt wird, die eine Bedrohung der Menschheit darstellen. Tatsächlich behaupten einige Wissenschafter, daß grundlegende Veränderungen des Klimas in wenigen Jahrzehnten den nordamerikanischen Getreidegürtel in eine Dürrezone verwandeln werden, während die Überflutung zahlreicher pazifischer Inseln und asiatischer Küstenstriche das Gebiet fruchtbarer Reisfelder reduzieren und die Kapazitäten zur Nahrungsmittelproduktion überfordern wird.

Susanna Hecht studierte Biologie, Volkswirtschaft und Bodenkultur. 1975 kam sie ins Amazonasbecken, wo sie wegweisende Studien über die Folgen der Rodung von Wäldern und deren Umwandlung in schnell verkommendes Weideland begann. Seit mehreren Jahren arbeitet sie im Amazonasgebiet, im südlichen Pará und im nördlichen Mato Grosso, zusammen mit Kayapo-Indianern, Bauern und Gummizapfern in Acre, deren Führer, Chico Mendes, bekanntlich ermordet wurde. Sie ist Professorin an der Graduate School of Planning von UCLA. Das folgende Interview fand kurz nach der Oaxaca Konferenz statt.

„New Left Review“
Die Küste von Brasilien
Kupferstich, vermutlich um 1530
Alexander Cockburn: Vielleicht sollten wir zuerst einen Eindruck dessen vermitteln, was mit den Wäldern des Amazonasbeckens passiert.

Susanna Hecht: Wenn das Amazonasbecken die Vereinigten Staaten wäre, so würde es in den Kalifornischen Sierras beginnen und in New York enden. Es ist die größte Fläche tropischen Regenwaldes der Welt. Laut Aussagen des brasilianischen Instituts für Bodennutzung sind fast 50.000 Quadratkilometer verbrannt und rund 200.000 Quadratkilometer abgeholzt worden. Die Abholzung steigt jetzt exponentiell an.

Das Problem besteht darin, daß diese Wälder durch keine dauerhafte Nutzungsform des Landes ersetzt werden. Früher oder später enden diese Ländereien nämlich als Weideland in den Händen einer kleinen Anzahl von Landbesitzern. So haben wir es nicht nur mit einem krassen Zerstörungsprozeß, sondern auch mit einem überaus krassen Konzentrationsprozeß zu tun.

Man muß sich hier darüber klar sein, daß man nicht einfach sagen kann, „Ach, die armen Bäume — wenn wir nur eine bessere Politik hätten, womit wir dies verhindern könnten“. Da wird wirklich Geld gemacht, werden wirklich Menschen entwurzelt und da kämpfen wirklich Widerstandsbewegungen gegen die gegenwärtige Entwicklung. Es ist ein Grenzgebiet, und es steht unter dem Gesetz des Stärksten, oder, wenn Sie wollen, unter dem Gesetz des Dschungels.

Bleiben wir kurz bei dem, was wir allgemein in den Schlagzeilen lesen. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Abholzung der Wälder und dem Verlust an Sauerstoff?

Eigentlich gar keiner. Ein ausgewachsener Wald atmet, d.h., er braucht Sauerstoff, den er auch produziert, sodaß Produktion und Verbrauch von Sauerstoff sich mehr oder weniger die Waage halten.

Holzt man den Wald ab und ermöglicht dadurch das Wachstum jüngerer Pflanzen, so erhält man in Wirklichkeit mehr Sauerstoff, weil diese Pflanzen mehr Sauerstoff produzieren als sie verbrauchen. Die Theorie des „Sauerstoffverlustes“ stimmt also nicht, und man sollte sie fallen lassen. In Wahrheit passiert etwas Schlimmeres. Nehmen Sie das Jahr 1988, als etwa 65.000 Quadratkilometer vorsätzlich niedergebrannt wurden. Dadurch wurde eine aussergewöhnlich hohe Menge an Kohlenstoff in die Atmosphäre abgegeben, was natürlich den Treibhaus-Effekt zur Folge haben kann. Die Größenordnung des erhöhten Kohlendioxidspiegels, die durch diese Vorgänge im Amazonasgebiet hervorgerufen wird, entspricht fast fünfundzwanzig Prozent der weltweiten Zunahme.

Eine weitere radikale Veränderung des Klimas hat mit dem Kreislauf des Regenwassers im Wald zu tun. Durch Verfahren mit Radioisotopen konnte festgestellt werden, daß etwa die Hälfte des atmosphärischen Wassers in Amazonien durch den Wind vom atlantischen Ozean kommt, während die andere Hälfte vom Dunst stammt, den die Bäume selbst durch den Wasserkreislauf produzieren. Eine Veränderung im Baumbestand würde also den Feuchtigkeitsanteil, der in der Atmosphäre zirkuliert, ändern, was vielleicht schon jetzt schwerwiegende Auswirkungen auf das Klima in den angrenzenden Gebieten des Amazonas-Waldes hat. Diese allgemeinen klimatischen Effekte sind Gegenstand heißer Debatten, und die meisten Voraussagen beruhen auf theoretischen Annahmen. Nichtsdestotrotz sind die bisherigen Ergebnisse eher beunruhigend.

Und darüberhinaus?

Nun da gibt es auch die Frage der genetischen Vielfalt. Mit mehr als 2 Millionen Arten weist der Amazonas-Wald mit Abstand die größte Vielfalt auf. Durch die rücksichtslose Abholzung gehen sicherlich Arten zugrunde, selbst wenn man nicht genau sagen kann, wann oder wo. Auch ist schwer einzuschätzen, welchen Wert „unbekannte“ Arten haben. Immerhin war noch vor hundert Jahren der Kautschukbaum irgendein Baum im Dschungel, der einen unbedeutenden Saft produzierte, was sich aber dann über Nacht durch die Industrielle Revolution und Herrn Goodyear geändert hat. Eines von sechs Medikamenten, die von Ärzten verschrieben werden, ist, was seinen chemischen Wirkstoff betrifft, tropischen Ursprungs. Während Eingeborene achtzig oder mehr Prozent der Pflanzenarten eines bestimmten Gebiets für alles, von der Geburtenregelung bis zur Magie, verwenden, hat unsere Wissenschaft deren Bedeutung als Medizin, Nahrungsmittel, Futter, etc. zwar anerkannt, aber noch nicht dokumentiert. Es gibt da draußen noch eine ganze Menge chemisch aktiver Pflanzen, und was heute noch keinen Wert hat, könnte in Zukunft kostbar sein. Doch selbst wenn sie keinen Wert haben, warum soll man deswegen die auf der ganzen Welt existierende Vielfalt ohne Grund verbrennen?

Von religiösen, moralischen oder philosophischen Fragen hinsichtlich der Auslöschung von Arten einmal ganz abgesehen.

Ja. Und dazu kommt dann noch diese unbedeutende Angelegenheit mit den Eingeborenen und Siedlern, die hier leben. Man muß sich vergegenwärtigen, daß diese tropischen Gebiete ja nicht einfach riesige in der Dyas entstandene Flächen von Urwald sind, die da jenseits von Zeit, Raum und Geschichte existieren. Immerhin liegt Machu Picchu auf einem Nebenfluß des oberen Amazonas. Es gibt die Marajo Kultur an der Mündung des Amazonas. Einige Fachleute schätzen, daß wir im Amazonas erst jetzt wieder die Bevölkerungsdichte der präkolumbianischen Epoche erreichen. Die überlebenden Gruppen Eingeborener, die jahrhundertelang nur bedroht und hingeschlachtet wurden, sind Archive von Wissen, in denen neue Erfahrungen darüber gespeichert sind, wie man mit den Ressourcen des Waldes produktiv umgeht und ihn dabei gleichzeitig erhält. Viele der Einheimischen sind, weit davon entfernt, „außerhalb der Geschichte“ zu stehen, vielmehr in Märkte integriert und damit seit immer schon Teil großer wirtschaftlicher Systeme gewesen. Der Fernhandel begann nicht mit den Europäern. Die Salz-Routen des Amazonas-Gebiets erstreckten sich von den Anden bis zum Atlantik, und Vorräte an Pflanzen für medizinische und rituelle Zwecke wurden durch Jahrtausende auf den Flüssen transportiert.

Das ist aber weit entfernt von der alten Vorstellung vom unwissenden und zu nichts fähigen Wilden ...

Das gehört alles zu einem rassistischen Romantizismus. Aufgrund der Art und Weise, wie die Einheimischen mit den Pflanzen umgehen, die Vegetation verändern, Neues anpflanzen, Keimplasma verwenden, sind die Wälder ein Produkt menschlichen Handelns. Während die Menschen den Untergang des Regenwalds und dessen Folgen beklagen, inklusive der sozialen Kosten, über die Nordamerikaner weder besonders viel sprechen noch nachdenken, nimmt ein viel heimtückischeres Verhängnis seinen Lauf, das überaus ernste Auswirkungen sowohl auf die Einheimischen als auch auf das Ökosystem hat. Es handelt sich dabei um das Problem der Quecksilbervergiftung.

Quecksilbervergiftung wovon?

Land, Wasser, Tiere, Menschen. Vielleicht findet der größte Goldrausch dieses Jahrhunderts gerade jetzt im Amazonasbecken statt. Große Goldfunde gab es im kolumbianischen, venezolanischen, ecuadorianischen, peruanischen, besonders aber im brasilianischen Amazonasgebiet. Dieses gehört heute zu den führenden Goldproduzenten am Weltmarkt. Das Ministerium für Bergbau und Energie schätzt, daß als Folge davon 300.000 bis 400.000 Menschen von einer Quecksilbervergiftung bedroht sind.

Wie ist das passiert?

Abgesehen von den äußerst unmenschlichen physischen Bedingungen, unter welchen der Abbau des Goldes stattfindet (es wird die meiste Zeit im Wasser gearbeitet, wo man die Erde zu einem Schlamm rührt, aus dem dann das Gold gewonnen wird), gibt es das, was man das Amalgam-Verfahren nennt: der Schlamm wird mit Quecksilber vermischt, wodurch das Gold ausgefällt wird. Man erhitzt das Quecksilber zusammen mit dem Gold, wodurch Quecksilberdämpfe entstehen. Die Menschen greifen auch mit ihren Händen hinein, sodaß das Quecksilber auf drei Wegen in den Körper gelangt — Lungen, Haut und Mund.

Minimata, die bekannte japanische Quecksilberkatastrophe, hatte lediglich die Vergiftung von etwa vierhundert Menschen zur Folge. Im Amazonasgebiet betrifft es eine Größenordnung von etwa einer halben Million Menschen. Es handelt sich aber nicht bloß um einen Fall der direkten Einnahme von Quecksilber. Töpfe und Pfannen für die Goldgewinnung werden oft für den häuslichen Gebrauch wiederverwendet. Butan-Kanister aus dem Bergbaubereich finden sich an den Kochplätzen wieder. Föten reagieren sehr sensibel auf Quecksilber, weil dieses sehr schnell die Zellteilung beeinflußt. So können bei schwangeren Frauen und kleinen Kindern sogar kleinste, subklinische Dosen fürchterliche Auswirkungen haben. Das Quecksilber gelangt auch in die Flüsse und von dort, über Tiere und Fische, die es absorbieren, in den Nahrungskreislauf. Einer der Hauptlieferanten von Eiweiß für die Bevölkerung und die Tiere im Amazonas-Gebiet ist Fisch, und es gibt jede Menge sarkastischer Witze darüber. Gegenden wie der Rio Madeira, einst ein berühmtes Fischfanggebiet, bringen heute einen gräßlichen Fang hervor. Stromabwärts von diesen garimpos, den Goldwaschgebieten, tritt eine große Menge grauenhafter indirekter Wirkungen auf. Große Gebiete können verseucht werden, etwa Nationalparks, Reservate und die Wohngebiete von Indianerstämmen. Unter den Kayapos zum Beispiel findet man hohe Quecksilberkonzentrationen im Gewebe von Kindern.

Und viele sehr kranke Menschen.

Das Opfer einer Quecksilbervergiftung ist wirklich krank, er leidet an Wahnsinn, und es gibt nicht viel, was man für diese landlose, verarmte Bevölkerung tun kann, die am ärgsten gefährdet ist. Für jede Tonne Gold, die produziert wird, geht eine andere Tonne Quecksilber ins Ökosystem. Darüberhinaus ist ein großer Teil der brasilianischen Goldproduktion Schmuggelware, sodaß das Problem statistisch verharmlost wird. Wir stehen am Anfang einer Umweltkatastrophe, der größten der Dritten Welt, von solchen Ausmaßen, daß sie Bhopal weit in den Schatten stellt. Es gibt nichts Vergleichbares. Natürlich hat das auch weitere Auswirkungen, etwa auf die Zugvögel, die in den Tropen überwintern. Grund für Vogelbeobachter, sich aufzuregen, auch wenn sie die Lage der Bergarbeiter nicht berührt.

Ist das gleiche voriges Jahrhundert während des Goldrausches in Kalifornien passiert?

Bis zu einem gewissen Grad, ja. Was die Situation im Amazonas-Gebiet betrifft, so kann man da nur wenig tun — Quecksilber durch Arsen ersetzen, die Arbeiter etwas besser schützen, den Mechanisierungsgrad erhöhen. Allerdings haben maschinelle Techniken den erbitterten Widerstand der Goldminen hervorgerufen.

Eine Menge Leute werden argumentieren, daß die Zivilisation und die ökonomische Entwicklung unvermeidlich zur Vernichtung von Wäldern und, bedauerlicherweise, auch ihrer Bewohner führen. Schließlich waren die Vereinigten Staaten und Europa ja einst in der gleichen Lage.

Die Menschen wären über die Abholzung weit weniger entsetzt, wenn das gerodete Land weiterhin bearbeitet würde. Aber in dieser Gegend sind die Böden äußerst sehr karg. Wenn man die Bäume schlägert und sie dann zu Asche verbrennt, folgen darauf vielleicht ein paar produktive Jahre, aber dann ist es aus. Danach wird man fürchterliche Probleme mit Ungeziefer, Pflanzenkrankheiten und degradierten Böden haben.

Das Mikroklima wird sich auch zum Schlechteren gewandelt haben. Viele tropische Waldpflanzen werden durch Tiere verbreitet, und mit dem Niedergang des Waldes verschwinden auch diese Medien seiner Verbreitung. Samenlager im Boden werden verbrannt. Die Samen des Waldes gedeihen nicht unter den rauhen Bedingungen verkommenen Weidelandes — so kommt es kaum zur Regeneration der offenen Räume. Hinzu kommen noch Erosion und Bodenverdichtung, sodaß sich das gerodete, heruntergekommene Land schwer erholen kann. Und schließlich sind da auch noch die sozialen Kosten für die Bauern, Indianer und andere Bewohner.

Welche Rolle spielen hier die Bauern? Sind nicht sie es, die die Wälder rücksichtslos zerstören?

Es ist eine weitverbreitete Auffassung, daß die Pyromanie der Bauern für die Zerstörung des Walds in Amazonien und anderen Gebieten Lateinamerikas verantwortlich ist. In Wahrheit verhält es sich geradezu umgekehrt. Es mag schon eine kurze Phase der Bearbeitung durch Bauern geben, aber oft wird das gerodete Land direkt in Weideland umgewandelt, das dann sehr schnell verkommt und innerhalb von zehn Jahren unfruchtbar wird.

Warum?

Tropische Waldböden sind sehr karg, sodaß die Vegetation eine komplexe Art der Nahrungsaufnahme entwickelt hat. Das bedeutet, daß sich nachgerade alle Nährstoffe im lebenden Material bewegen. Sie befinden sich nicht im Boden, wie in den gemäßigten Zonen. Wenn man den Wald abholzt und niederbrennt, erzielt man dadurch für ein paar Jahre einen Nahrungsmittelstoß, einen Dünge-Effekt und dann wird das ganze ausgelaugt, es erodiert, einiges kann sogar in den Tonen des Bodens eingeschlossen werden. Selbst durch die Zunahme der Bodenfruchtbarkeit nach dem Niederbrennen erreicht man oft nicht einmal jenen Grad an Fruchtbarkeit, der notwendig ist, um die Produktion für Weideland aufrechtzuerhalten. Die Folge ist Bodenverdichtung — Wasser kann nicht hinein, Samen können nicht hinein, an die Wurzeln kommt keine Luft — die Folge ist Erosion. Wenn man im Amazonasgebiet viel herumfährt oder es überfliegt, so fällt einem auf, daß es im Vergleich zur Fläche des Weidelands nur wenig Tiere gibt. Der Viehbestand aber bringt eine Reihe von Nebenvorteilen mit sich, die mit der Produktion von Fleisch oder Kälbern nichts zu tun haben. Da sind größere Kräfte am Werk.

Welche Art von Kräften?

Bis Anfang der siebziger Jahre gab es im Amazonasgebiet nicht viele große Waldrodungen. In den vorhergehenden Zyklen, etwa dem Gummi-Boom, waren die Leute daran interessiert, Produkte aus dem Wald zu holen — Nüsse, Latex-Sorten, Arzneimittel —, sie hatten keinen Grund, den Wald zu zerstören. 1964 kamen in Brasilien die Militärs an die Macht, und typischerweise entwickelten die Generäle eine Ideologie der Manifest Destiny und der nationalen Sicherheit. Sie betrieben die Konsolidierung der nationalen Grenzen, die das Land, oft in entlegenen Waldgebieten, von den — nach Ansicht der Armee — potentiell feindlichen Nachbarn Ecuador, Peru, Kolumbien, Guyana und Bolivien trennten. Die Generäle begannen, die Regionen zu erschließen.

Die alte Geschichte. Sie bauten Straßen, die in abgelegene Gebiete führten, die sie verteidigen wollten, und schafften derart der Zerstörung Eingang.

Darüberhinaus hatten sie die ökonomische Integration des Landes im Auge. Das Amazonasbecken macht mehr als die Hälfte des gesamten brasilianischen Territoriums aus. Die drei Generäle und die drei Geschäftsleute, die diesen Plan entwickelten, waren daran interessiert, Investoren zu finden. Dabei hatten sie ein Auge auf die reichen Unternehmer aus dem Süden Brasiliens geworfen, denen sie zahlreiche Unterstützungen angedeihen ließen: bedeutende Landrechte, Zuschießung von fünfundsiebzig Prozent der Kapitalkosten für die Entwicklung eines Gebietes, subventionierte Kredite, die, unter den Bedingungen der Inflation, negativen Zinssätzen entsprachen, und ausgesprochen saftige Steuervergünstigungen — bis zu hundert Prozent für siebzehn Jahre — kein schlechtes Geschäft, wenn man zum Beispiel Volkswagen do Brasil war. Die Idee dahinter war, daß diese Unternehmer moderne, Vieh produzierende Gebiete für die Ernährung der fleischhungrigen brasilianischen Bevölkerung schaffen würden, die unter dem neuen Militärregime ohnehin etwas verstimmt war. Wenn es den Herrschern gelänge, die Fleischpreise niedrig zu halten, würde das Ausmaß an Protest, das sie erlebten, womöglich geringer werden. Darüberhinaus hatten sie gehofft, damit im internationalen Fleischmarkt Fuß zu fassen, der damals stark im Wachstum begriffen war.

Wie reagierten die Unternehmer aus dem Süden darauf?

Unter dem Programm zeitlich begrenzter Steuerbefreiung wurden etwa 350 grosse Viehfarmen errichtet. Unter groß verstehe ich 2.000 Quadratkilometer, oft noch größer. Aber natürlich kamen eine Menge kleinerer Unternehmer, etwa 60.000, ebenfalls angerannt, um auch ein Stück dieser Maßnahmen zu ergattern und in den Genuß einfach zu beschaffender Kredite zu kommen. Kurz darauf wollte die Regierung die Gebiete besiedeln. Also starteten die Generäle ein regionales Entwicklungsprogramm, das auf Vieh, und folglich auf der Abholzung der Wälder, auf Besiedlung und Straßenbau basierte und darüberhinaus einen Kreislauf unglaublicher Bodenspekulation in Gang setzte, der ebenfalls Rodungen zur Folge hatte. Als das Carajas Bergbau-Projekt anlief, bestand eines seiner Programme darin, Roheisen in Öfen zu schmelzen, die mit Holzkohle aus den Wäldern betrieben wurden. So ist während des letzten Jahres eine neue, sehr ernste Bedrohung entstanden. Der Bedarf an Holzkohle wird die Rodungen im östlichen Amazonasgebiet um mehr als 400 Quadratkilometer pro Jahr steigern.

Eigentumsrechte an Landbesitz im Amazonasgebiet gehen Jahrhunderte zurück und sind furchtbar kompliziert. Ein großer Teil davon basiert auf Ressourcen über dem Boden, z.B. Bäumen. Während des Gummi-Booms galten andere Bestimmungen bezüglich des Landbesitzes, etwa komplexe staatliche Pachtkonzessionen. Es gab traditionelles Siedlerrecht. In anderen Fällen beanspruchten Leute einfach ein Gebiet und schworen, jeden zu erschießen, der seinen Fuß darauf setzte. Plötzlich, nach vierhundert Jahren derartiger Komplikationen, kam es zu einem modernen kapitalistischen Land-Boom. Es gab eine Menge Betrug, da eine Möglichkeit, ohne die ärgerlichen Anfangskosten zu Land zu kommen, darin bestand, Besitzurkunden zu fälschen. Der Staat Mato Grosso vergab mehr Land als er hatte — um die Hälfte mehr. Die Bundes- und Staatsbehörden vergaben beide dasselbe Stück Land.

Eine der Möglichkeiten, einen Anspruch geltend zu machen, bestand darin, die Bäume zu fällen. Damit erwarb man mitunter nicht nur das Recht auf die gerodete Fläche, sondern bis zum sechsfachen derselben, zuzüglich der ganzen steuerlichen Vergünstigungen. Die Angst vor einer Enteignung im Zuge von Landreformen war ein weiterer Grund für die hohe Rodungsrate. Man konnte professionelle Landspekulanten sehen, wie sie das Land rodeten, nur um den Wert ihrer Investierung zu steigern. Sie verkauften das Mahagoni und andere wertvolle Hölzer, und dann verkauften sie die abgeholzten Ländereien noch immer um den dreifachen Wert des ursprünglichen, bewaldeten Landes. So verkamen in der Zwischenzeit große Gebiete zu totem Weideland.

In großen Teilen des brasilianischen Amazonasgebiets wurde damals Land gerodet und in Besitz genommen, noch bevor die kleinen Bauern kamen. Diese schauten sich nach unbebautem Land um, auf dem sie sich niederließen und von dem sie in Wellen großer Gewalttätigkeit vertrieben wurden. Dasselbe geschah mit den eingeborenen Indianern. Selbst wenn ihre Besitzrechte anerkannt wurden, war es für die Viehzüchter und Landbesitzer einfach, sie zu vertreiben. Es kam zu schweren Massakern an den Indianern durch verschiedene Gruppen, einschließlich Bombardements von Dörfern. Gleichzeitig wurden die Indianer gegen die kleinen Farmer ausgespielt, die sich tiefer in die Wälder zurückzogen, auf der Suche nach einem eigenen Stück Land. Darüberhinaus waren die Indianer besonders anfällig für westliche Krankheiten, wie dies immer der Fall war, seit der ersten Begegnung mit den Spaniern, die, wie man nicht vergessen darf, den größten Bevölkerungsrückgang in der Geschichte verursachten.

Es handelt sich um ein Gebiet der Gewalt, des Elends und der Verzweiflung. Warum? Weil es die Menschen dort nicht schaffen. Warum nicht?

Aus verschiedenen Gründen. Die Menschen leben nicht nur von der Landwirtschaft. Sie verwenden Fleisch, Futter und Holz als schmale Kapitalquelle. Sie erschöpfen eine wichtige Einkommensquelle, um die armseligen landwirtschaftlichen Anstrengungen zu subventionieren. Mehr als fünfundsechzig Prozent der Siedler gehen einer Lohnarbeit nach, arbeiten für jemand anderen, üblicherweise bei erzwungenen Rodungen oder im Bergbau.

All das wiederholt ziemlich genau, was in Nordamerika passiert ist. Die meisten Siedler schaffen es nicht, und zu allem Überfluß gibt es auch kein Kalifornien.

Es gibt kein Kalifornien, und es handelt sich um einen anderen historischen Zeitpunkt. Das Hauptprodukt des nördlichen Teils des sich ausdehnenden US-Frontier, Weizen, floß in die industrielle Entwicklung des Mittelwestens. Es gab, was Nationalökonomen wechselseitige Abhängigkeiten nennen: so bildete der Bedarf einerseits nach höherer landwirtschaftlicher Produktivität, um die urbanen Gebiete innerhalb einer an Arbeit armen Umwelt zu versorgen, und andererseits nach den dafür notwendigen Geräten und Maschinen die Basis für die Industrialisierung des Mittelwestens und seiner Autoindustrie. Im Amazonasgebiet gibt es kaum regionale Zusammenhänge dieser Art. Auch gab es in den Vereinigten Staaten, obwohl im Westen und Südwesten große Farmen entstanden, eine echte Siedlerbewegung, die imstande war, zu überleben und für Generationen fortzubestehen. Es gab auch die Jeffersonsche Ideologie, derzufolge der Grundbesitz und die freien Bauern die Grundlage der Demokratie darstellen. In Ländern, in denen es keine Demokratie im vollen Sinne des Wortes gibt, kann man es als einzelner kapitalistischer Produzent nicht wirklich schaffen, es gibt keinerlei echte regionale Entwicklung. Tatsächlich hängen im Amazonasgebiet Beschäftigung und kleindimensionierte, industrielle Entwicklung viel stärker mit der mit dem Abbau von Naturprodukten beschäftigten Industrie — Holz, Kautschuk, Paranuß, Palmenherzen und dergleichen — zusammen als mit der Landwirtschaft. Die gegenwärtige Welle der Schlägerung von Waldbestand vernichtet das, was vielleicht eine lächerliche industrielle Grundlage ist, auf der man aber, im Hinblick auf regionale, nationale und internationale Märkte, eher aufbauen könnte, statt diese zugunsten von Weideland zu zerstören.

Was ist nun mit dem Rind — der berüchtigten „hamburger connection“ — und der Behauptung, daß jeder Burger, den man ißt, der Grabstein für einen tropischen Baum ist? Viele Menschen glauben, daß die schädlichste Ware, die ihren Weg von Lateinamerika nach Norden findet, Kokain ist, und womöglich haben sie recht damit. Aber ist es nicht ebenfalls zutreffend, daß Rindfleisch, Signum des Wohlstands, ebenso schädlich, wenn nicht sogar schädlicher ist? Und zwar nicht nur für die Gesundheit des Konsumenten, sondern auch im Hinblick darauf, was seinetwegen mit den sozialen Strukturen und den Böden in seinem Ursprungsland geschieht? Oder ist das alles Unfug?

Teilweise. Die Menschen glauben, daß es die „hamburger connection“ ist, die zu all dem führt, und sie haben unrecht. Sie machen den Fehler zu glauben, daß das gerodete Weideland existiert, weil die Menschen beabsichtigen, Vieh zu züchten, um es an McDonalds oder Burger King zu verkaufen. Tatsächlich war dies in Zentralamerika, Costa Rica und Guatemala der Fall, aber nicht in Brasilien. Gemäß den Nettowerten ist das Amazonasbecken ein Einfuhrgebiet für Rindfleisch.

Warum züchten Menschen im Amazonasbecken überhaupt Vieh? Ich habe versucht, zu erklären, daß es in Wirklichkeit um Land, um Zugang zu Land, geht. Der Grund, warum in ganz Lateinamerika Weideland durch Rodung gewonnen wird, ist Geld. Und man kommt zu Geld gemäß den Mechanismen, die ich beschrieben habe: zeitlich begrenzte Steuerbefreiung, finanzielle Anreize, gestützte Kredite, Landspekulation. Die Hyperinflation Brasiliens, die so um die 600 Prozent pro Jahr beträgt, ist ein weiterer kräftiger Anreiz, Grundeigentum zu erwerben. Darüberhinaus weisen Untersuchungen der Regierung darauf hin, daß sich noch Bodenschätze von großem Wert, darunter Gold, unter dem Land befinden. Wenn man also den Wald schlägert, bekommt man Gewinnanteile beim Abbau von Bodenschätzen ein Faktor, der in Staaten wie Pará oder Rondonia besonders wichtig ist. Aus all diesen Gründen — steigende Bodenpreise, Inflation, Subventionen, Ansprüche auf Bodenschätze, Anspruch auf Land, Zugang zu möglichem Kapitalzuwachs, Verhinderung von Enteignung — werden die Wälder abgeholzt. Man muß die regionalen Verhältnisse im Auge behalten und nicht nach weltweiten Zusammenhängen Ausschau halten, denen zufolge alles von den Rindfleischkonsumenten der Vereinigten Staaten bestimmt wird. Es ist so: wenn man den Wert eines Quadratkilometers im Amazonasbecken, den man durch Viehzucht erzielt, mit dem vergleicht, der durch andere Landnutzung erreicht wird, kommt man zu dem Schluß, daß die Produktion von Rindfleisch die niedrigsten Gewinnraten abwirft; man kommt jedoch auf exorbitante Gewinne, wenn man die Nebenvorteile miteinrechnet.

Ist meine Theorie also verrückt?

Ich habe gesagt „teilweise“. Ihr Argument, daß der Viehbestand auf die regionale Wirtschaft einen verheerenderen Einfluß hat als Koka, trifft absolut zu, und die Koka-Produktion hat an der Geschichte des Amazonasbeckens und der Zukunft der Wälder entscheidenden Anteil. Die Viehhaltung hat wirklich einen verheerenden Einfluß auf die regionale Wirtschaft. Sie absorbiert keine Arbeit. Sie reißt das Land an sich. Sie marginalisiert die Bevölkerungsteile, die eine dauerhafte Landnutzung hätten entwickeln können. Koka dagegen ist ein wunderbares Gewächs und an die Bedingungen im Amazonasgebiet gut angepaßt. Es hat, wie die Nationalökonomen sagen, einen relativen Vorteil hinsichtlich seiner Produktion in tropischen Zonen und wurde tatsächlich von den Indianern des oberen Amazonas zuerst heimisch gemacht. Es ist für den gemischten Anbau, gemeinsam mit Bäumen oder landwirtschaftlichen Produkten gut geeignet. Im Unterschied zu perennierenden Pflanzen ist Koka bereits nach sechs Monaten ertragreich; und weil es durch Samen oder Ableger verbreitet werden kann, ist es leicht beweglich. Es wirft fast sofort eine gute Ernte für den Verkauf ab, was für die armen Bauern doch recht interessant ist.

Es ist also der zerstörte Traum eines Ökologen?

Koka hat für die Bauern einige unglaubliche Vorteile, und wenn man sich das Scheitern und die Abwanderung von Siedlern in das Amazonasbecken ansieht, wird man feststellen, daß jene Gebiete, die Kokain produzieren, den geringsten Anteil daran haben. Koka ist gewinnbringend genug, um den Einsatz von Dünger rentabel zu machen; es ist arbeitsaufwendig, sorgt also für regionale Beschäftigung, und die Bezahlung ist ziemlich gut. Koka-Produzenten gehören nicht zu den am meisten ausgebeuteten Arbeitern der Welt. Tatsächlich gibt es in den Koka-Gebieten gutbezahlte Tagelöhner. Das wiederum erzeugt eine entsprechende Nachfrage nach landwirtschaftlichen Nahrungsmitteln, wodurch die Entwicklung einer vernünftigen regionalen Landwirtschaft ermöglicht wird. Die ersten Schritte der Koka-Veredelung sind eher einfach, sodaß es regionale Veredelung und eine im Entstehen begriffene Veredelungsindustrie gibt.

Weitere Vorteile für die nicht so Wohlhabenden.

Es ist ein Modell dafür, wie eine für den Verkauf bestimmte Ernte aussehen sollte. Vieh bringt ein paar Dollar pro Quadratkilometer; Kakao vielleicht 370 bis 500 dollar pro Quadratkilometer; ein kurzfristiger Anbau von Mais vielleicht 370 Dollar pro Quadratkilometer. Mit Koka verdient man 12.000 bis 25.000 $ pro Quadratkilometer.

Es ist konkurrenzlos.

Richtig. So spricht der rational denkende Bauer. Wir haben hier also ein für eine regional tragfähige Entwicklung in den amazonischen Feuchttropen extrem interessantes Anbauprodukt. Möglich, daß es zur Erosion kommt, wenn man es auf Hängen pflanzt, aber das trifft auf alle Anbauprodukte zu. Und da die regionale Veredelung so einfach ist, ist es leicht, Monopole zu durchbrechen. Ohne Monopole in den ersten Stadien der Veredelung gibt es viele kleine Zwischenhändler auf lokaler Ebene, regionalen Handel, und so weiter. Dort wird also das Ideal des Jefferson’schen Bauern verwirklicht.

Das Problem ist, daß es illegal ist. Darüberhinaus wird Koka in Gebieten angebaut, die meistens von Revolutionstruppen kontrolliert werden, und wo sich darüberhinaus auch weniger sympathische Mafia-Typen herumtreiben. Allein das Vorhandensein solcher Bewegungen führt dazu, daß Koka-Gebiete zu Brennpunkten von Contra-Aufständen werden, oft unter dem Deckmantel der Drogenkontrolle. Diese Gebiete werden zunehmends zu Orten der Gewalt. Man muß die Struktur als ganze betrachten. Es gibt die Aufständischen, die auf die Bauern vertrauen; es gibt das Militär, das auf die Staatsmacht vertraut und durch den Staat und internationale Gelder finanziert wird; und dann gibt es das Absatzorgan, welches die Kokain-Mafia mit ihren Privatarmeen darstellt. Das Ergebnis ist ein Jeder-gegen-jeden, bei dem keine der Gruppen die Hegemonie hat, um die Region unter Kontrolle zu bringen, obwohl eine zunehmende Kooperation von Mafia und rechtsgerichteten Militärs, zumindest im Falle Kolumbiens, zu systematischen Angriffen auf Gruppen Aufständischer geführt hat. Diese Klassenallianz ist übrigens völlig vorhersehbar — Mafiosi, welche die Früchte derer ernten, die arbeiten, haben viel mehr mit Kaffeebaronen als mit Bauern gemein.

Also kommt es, aufgrund der geographischen Entlegenheit und der Anpassung von Koka an das Gebiet, zu einer Explosion auf der Angebotsseite. Auf der Seite der Nachfrage brachten die Achtziger in den Vereinigten Staaten mehr wirtschaftliches Elend, soziale Desintegration und in der Folge sowohl ein Verlangen nach Kokain und Crack am Fuße der sozialen Leiter als auch die kokainschnupfende Mentalität manischer Bereicherung an derem anderen Ende.

Das Ergebnis ist eine ökonomische Explosion in einigen wirtschaftlich besonders heruntergekommenen Gebieten der Dritten Welt. Der Kokain-Anbau ist die Entwicklungspolitik für diese Länder in einem sehr fundamentalen Sinne.

Das Kokain verdanken wir also Philipp II. und Milton Friedman, das sollte auch George Bush einsehen.

Sie betrachten das Kokain zu sehr aus internationaler Perspektive. Aus regionaler Perspektive hat es für diese Kulturen seit tausenden von Jahren höchste Bedeutung, real wie symbolisch. Wir sollten uns daran erinnern, daß alles in diesen Koka-produzierenden Ländern, von rechts nach links, auf dieser breiten ökonomischen Basis ruht. Wir sprechen über etwas, das wirklich ungeheure Geldsummen produziert: Die Koka-Exporte aus den Anden sind etwa 60 Milliarden Dollar wert. Die Anden-Flanke des Amazonasbeckens ist vom Kokahandel geprägt. Es schafft mehr Arbeitsplätze und ist ein bedeutenderes Exportgut als alles andere.

Wie kam es zu diesem plötzlichen Aufstieg des Kokains? Es ist wie mit Zucker und Kaffee am Ausgang der kapitalistischen Periode.

Sie meinen, warum der Zucker aus der Mitgift von Königinnen in jedermanns Tee kam? Zum einen wurde die Kokain-Produktion Ende der 70er rationalisiert. Meiner Meinung nach hat sich die Kokain-Mafia einiger hochkarätiger Agronomen bedient — so ähnlich wie das im 18. und 19.Jahrhundert mit der Zuckerproduktion passiert ist. Sie müssen wissen, daß die Landwirtschaft nicht nur das ist, was man im Boden anpflanzt. Da gibt es immer eine Menge an Forschungsarbeit, die um all das herum geschieht. Es handelt sich dabei um einen dynamischen Prozeß, währenddessen ständig Manipulationen am Öko-System und am Keimplasma vorgenommen werden.

Kokain zeigt hervorragend, wie gute Technologie funktioniert. Es gab offensichtlich große Verbesserungen, denn man nahm etwas, das für den Eigenbedarf im Garten gepflanzt wurde, und machte daraus eine Feldfrucht. Das funktioniert nicht, ohne daß man Änderungen an der Produktionstechnik vornimmt, testet, wie der Dünger einzusetzen ist, usw.

Koka-Produktion zerstört also keine Regenwälder?

Koka alleine kaum. Es wird in kleinen Flecken, üblicherweise unter einem Hektar, angebaut. Kleine Flecken sind wichtig, um den Militärs zu entgehen. Man zerstört keine großen Flächen, um es anzubauen, und es ist im Unterschied zu anderen Anbauprodukten beständig, weil sich der Aufwand an Arbeit und intensivem Management auszahlt.

Schnupfen Sie etwas Koks und retten Sie einen Baum!

Bis zu einem gewissen Grad könnte man das so sagen. Was dazu neigt, destruktiv zu werden, ist der Umstand, daß in einem Gebiet, das Koka produziert, die Menschen, deren Lebensziel es bis dahin war, ein Maultier zu besitzen, nun plötzlich zu einem Haufen Geld kommen; jedenfalls für ihre Verhältnisse, wenngleich es in den USA kaum für eine von der Wohlfahrt lebende Mutter reichen würde.

Wofür geben diese Menschen ihr Geld aus? Nun, historisch betrachtet werden sie als Bauern in landwirtschaftliche Belange investieren. So haben unter anderem die hohen Profite von Koka zur Vergrößerung der Viehbestände geführt, weil es einen Mangel an anderen Kapitalanlagen gibt. In der Guviare, in Kolumbien, zum Beispiel wird auf 50 Quadratkilometern Koka angebaut, während es 3.500 Quadratkilometer für Vieh gibt.

Vom Koka zur Bank, zum Land, zu unserem alten Feind, der Kuh.

Schnupf etwas Koks, fäll einen Baum, wie auch immer — um es zusammenzufassen: wir haben einen Regenwald, der verschwindet, eine falsche Politik und eine Wirtschaft, die von Kokain, Gold, Mineralien und Holz lebt. Wir haben einen Planeten, der vom Treibhaus-Effekt heimgesucht wird, auf dem die Artenvielfalt dezimiert wird, auf dem Eingeborene von ihrem Land vertrieben werden und bei verrückten Damm-Projekten ertrinken, die sich die Bauindustrie ausgedacht hat. Was könnte das alles ändern?

Das Problem besteht darin: wenn man in den Vereinigten Staaten von der „Umweltkrise“ spricht, denkt man meist an Umweltverschmutzung (saurer Regen, usw.) oder beschreibt dieses Phänomen im ästhetischen Sinn, etwa, daß das romantische Naturerlebnis durch die Anwesenheit anderer Menschen, durch Kreissägen oder die Verschandelung der Gegend verdorben wird. Viele nordamerikanische Umweltschützer bemerken deswegen die sozialen und wirtschaftlichen Faktoren überhaupt nicht, die bei der Zerstörung des lateinamerikanischen Regenwaldes zum Tragen kommen — Faktoren, die mit sozialer Gerechtigkeit und dem Umgang von Menschen mit Menschen zu tun haben.

Ich möchte ein Wort über Wissenschafter hinzufügen, die auf diesem Gebiet arbeiten und dazu neigen, die Wälder ohne Menschen als einen Ort zu betrachten, wo Männer noch richtige Männer sind und die dort lebenden Menschen die Eingeborenen sind. Ihre Publikationen lesen sich manchmal wie Ausgaben von sehr anspruchsvollen Söldnermagazinen wie „Soldier of Fortune“. Eine Art von Machismo läßt diese Forscher auf regionale Siedler oder Indianergemeinschaften verächtlich herabblicken, die seit vierhundert Jahren als Kinder des Dschungels leben. Solche Gemeinschaften verfügen oft über ein hervorragendes Wissen von der regionalen Ökologie, was natürlich von Leuten übersehen wurde, die mehr mit der Fortpflanzung der Katzen oder der Taxonomie der Fledermäuse anfangen können, als mit den dort lebenden Menschen.

Das ist die Art von Leuten, die, als Antwort auf die Rodung der Wälder, meinen: laßt uns ein paar Nationalparks errichten und ein System von Schuldverschreibung einführen, bei dem die Schulden eines Landes von einer Gruppe von Umweltschützern wiedergekauft werden, um durch diese sanfte Schuldenerleichterung umwelterhaltende Maßnahmen zu fördern.

Diese Form von Umweltschutz läßt alle anderen Faktoren unberücksichtigt: zum Beispiel, daß es da Menschen gibt, die in diesen Nationalparks wohnen wollen und dort seit Jahrzehnten wohnen. Menschen und die Erhaltung von Ressourcen schließen sich nicht gegenseitig aus. Wenn man sich Landsat-Photos des Amazonasbeckens ansieht, stellt man fest, daß Indianerreservate und Gebiete, in denen die Industrie vom Abbau der Naturprodukte lebt, zu den wenigen Gegenden gehören, in denen es keine Rodungen von Wäldern gibt, weil die dort ansässige Bevölkerung in der Regel die Ressourcen erhält, von denen sie lebt. Darüberhinaus muß eine Analyse den Kampf zwischen denen, die vom Wald, und denen, die von seiner Zerstörung leben, berücksichtigen. Parks sind ohne einen unglaublichen Militärapparat schwer zu verteidigen. Daher überrascht es nicht, daß in vielen Parks Bauern, Goldgräber und andere eingedrungen sind.

Die andere Sache ist die, daß sich die Naturschutzbewegung in den Vereinigten Staaten tatsächlich aus der romantischen Sicht entwickelt hat, die im 19.Jahrhundert über den Bereich und den Gebrauch der Natur herrschend war. Man meinte, es ging „um Schönheit, Gesundheit und Fortbestand“, und genau diese Strategie der Erhaltung funktioniert in Lateinamerika nicht. Es ist schon wichtig, Naturparks zu haben, aber das bedeutet auch, daß es Touristen gibt, die hinein und hinaus spazieren. Da gibt’s aber nicht viel. Es gibt nicht viel zu sehen, außer man ist dafür ausgebildet. Zillionen von Bäumen. Es ist heiß, es ist voll von stechenden Insekten, und sie kriegen wahrscheinlich als Durchschnittstourist irgendeinen Parasiten im Darm. Sie können herumgehen, aber es gibt nicht viele Blumen. Es ist schwer, Tiere zu Gesicht zu bekommen, aber nichtsdestotrotz kann man sich die ganze Zeit vor Schlangen erschrecken. Wenn Sie also auf große touristische Erlebnisse aus sind — der tropische Regenwald bietet sie nicht, außer in der Form von nachträglichen großartigen Cocktail-Gespräche oder der Art von Schund, die Leute wie Redmond O’Hanlon schreiben. Es gibt viele schöne Sehenswürdigkeiten, aber keinen bequemen Tourismus. Der Naturschutz ist zwar wichtig, aber das ihm zugrundeliegende Prinzip müßte etwas anders aussehen.

Was könnte man, abgesehen von der Idee der unberührten Nationalparks, noch tun?

Man könnte Reservate schaffen, in denen Einheimische das Gebiet verwalten. Jedesmal, wenn in indianischem Gebiet bedeutende Vorkommen von Bodenschätzen entdeckt werden, kommt es zu schnellen Verschiebungen der Grenzen. Eine andere Möglichkeit wäre, Leuten, die in kleinem Maßstab mit dem Abbau von Naturprodukten — Palmherzen, Kautschuk, Paranüssen usw. — beschäftigt sind, die Nutzungsrechte zu übertragen und das Land aus dem Markt zu nehmen. Der Schlüssel liegt darin, denen zu helfen, die den Wald brauchen, um zu überleben. Es gibt noch eine Menge anderer Mittel. Hört auf, Straßen zu bauen — aber selbst, wenn der Staat keine mehr baut, werden es Privatunternehmer tun, nur um den Wert des Landes zu erhöhen. Die Regierungen berufen sich auf die nationale Sicherheit, genau wie in den 50er Jahren, als sie hier das „interstate system“ errichtet haben. Die Prozesse sind im Gang, man kann die Uhr nicht einfach um zwanzig Jahre regionaler Entwicklung zurückdrehen. Es ist ein bißchen spät. Dann sagt man: macht eine bessere Politik. Aber eine bestimmte Politik wird aus politischen Gründen gemacht, und obwohl die Kredite für die Rodung von Land zurückgegangen sind, ist die Abholzung der Wälder schlimmer als je zuvor.

Ich glaube nicht an technische Patentlösungen, aber es gibt Techniken, wie etwa Anbau und Ernte von zwei verschiedenen Pflanzen oder die Mischung von Land- und Forstwirtschaft, die es ermöglichen, daß gerodetes Land produktiv bleibt. Weiters gibt es die politischen Kämpfe, die ausgetragen werden müssen. Die Widerstandsgruppen im Amazonasgebiet sind zahlreich und vielfältig — das klassische Beispiel sind die Gummizapfer aus Acre. Man könnte sagen, der Amazonas ist eine Art Zufluchtsort für Probleme, die auf nationaler Ebene noch ungelöst sind, wie etwa die Agrarreform oder die ungerechte Verteilung von Reichtum und Macht. Die letzte Schlacht um das Amazonasgebiet wird auf politische Weise entschieden werden, auf eine Art, die wir gerade erst zu begreifen beginnen. Zwar war Chico Mendes sicherlich der bekannteste Organisator am Land, aber es gibt Hunderte von ihnen. Und viele werden wie er ermordet — nicht, weil sie den Amazonaswald retten wollen oder über den Treibhauseffekt beunruhigt sind, sondern weil sie die Grundlage an Ressourcen nur schützen wollen, damit deren Bestandteile überleben.

Was kann Nordamerika tun? Oder erinnern wir uns zuerst daran, was Nordamerika bereits getan hat: Es war die Kennedy-Regierung, die die Militäreliten Lateinamerikas in den frühen sechziger Jahren unterstützt und dadurch geholfen hat, den Staatsstreich in Brasilien durchzuführen, der den ganzen Kreislauf in Gang gesetzt hat.

Ja, man kann der Regierung Kennedy und den nachfolgenden Regierungen eine Menge vorwerfen. Aber was kann Nordamerika jetzt tun? Dem Environmental Defense Fund, dem World Wildlife Fund oder anderen nichtstaatlichen Organisationen Geld geben, die diesen Fragen auf fortschrittliche Weise begegnen. Es gibt auch einige recht brauchbare Formen der Schuldverschreibung, die nicht völlig idiotisch sind. Die Leute können auch noch so brüllen und kreischen, wenn von „massiven Verboten“ in den Koka produzierenden Gebieten die Rede ist. Der Kampf gegen Drogen sollte die Händler, unter denen sich auch internationale Bankiers befinden, betreffen, und nicht die Produzenten, die Bauern sind und sich auf der Flucht vor einer Dynamik ihres eigenen Landes befinden, die teilweise von den Vereinigten Staaten verursacht wurde. Man kann auch Druck auf die multilateralen Banken ausüben, die helfen, solche schmutzigen Geschäfte zu finanzieren.

Aber im großen und ganzen gibt es, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, nicht viel, was Nordamerika oder Europa tun kann, weil die Krise durch interne Faktoren des Gebiets verursacht wird. Wir haben heute nicht jene imperiale Welt, die sich jedermann vorstellt und in der Nordamerika nur einzuschreiten braucht. Die Abholzung der Wälder und die Beschädigung der Umwelt sind aber soziale und keine biologischen Vorgänge. Sie können durch gesellschaftliche Entwicklungen und Bewegungen rückgängig gemacht werden. Also gilt es, die Aufständischen zu unterstützen und nicht zu verzweifeln.

Mit freundlicher Erlaubnis der „New Left Revue“
Aus dem Englischen von Camilla Nielsen und Klaus Nüchtern

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1990
, Seite 56
Autor/inn/en:

Klaus Nüchtern:

Alexander Cockburn:

Camilla R. Nielsen:

Susanna Hecht:

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