FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1975 » No. 257/258
Alexander Cockburn • James Ridgeway

Bankenkrach?

Das große Zittern in der Wall Street

Die USA hocken auf einem Schuldenberg von 2,5 Billionen Dollar: Autos, Häuser, Fabriken, Maschinen. Eine Billion stammt von den großen Konzernen, 600 Milliarden sind Hypothekarschulden, 500 Milliarden Staatsschulden, 200 Milliarden von Bundesstaaten und Gemeinden, 200 Milliarden Privatschulden. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs haben die USA täglich 200 Millionen Dollar Schulden gemacht (Business Week‚ 12. Oktober 1974). Die kurzzeitigen Verbindlichkeiten der Großbanken machen schon mehr als ein Fünftel des Bruttonationalprodukts aus. Die großen Kommerzbanken liehen 1974 bereits 82 Prozent dessen her, was sie an Depositen halten. Das Kurzzeitborggeschäft betrug 1974 48,5 Prozent aller Kredite (Monthly Review, Februar 1975).

Mitte März rief die Petromina-Affäre große Unruhe unter den Eurodollar-Bankern hervor. Petromina — die Indonesische Staatliche Ölgesellschaft — geriet bei zwei Eurodollar-Anleihen in Zahlungsverzug. Der Eurodollarmarkt ist nun eng mit den US-Banken verbunden. Indonesien gehört mit Indien und Brasilien zu den drei größten Schuldnerländern unter den Entwicklungsländern. Indiens Schwierigkeiten sind seit langem bekannt. Brasiliens Probleme wurden Mitte März durch die Nationalisierung der portugiesischen Banken und Versicherungen verschärft. Inflation und politische Unsicherheit prägen das Klima. Die traditionellen Verbindungen zwischen den brasilianischen und portugiesischen Banken könnten dazu führen, daß jedes Anzeichen des Scheiterns einer Neuordnung der brasilianischen Schulden einen Aufschaukelungsprozeß hervorruft — und an diesem Tag könnten die Dominosteine des internationalen Bankensystems fallen.

Anfang März hielt Arthur Burns, Chef der Federal Reserve Bank der USA, eine Reihe von geheimen Besprechungen ab, auf denen er Alarmpläne zur Unterstützung wackelnder Finanzinstitutionen darlegte. Burns sagte, angesichts der Depression halte sich seine Bank für eine Mund-zu-Mund-Beatmung bereit.

Burns mag etwa folgende „Dominosteine“ des Bankwesens im Auge haben:

IMMOBILIENTREUHÄNDER: 1960 beschloß der Kongreß ein Gesetz, wonach die Anteilseigner bei Immobilieninvestitoren bestimmte Steuervorteile genießen. Immobilien-Investitions-Treuhänder (Real Estate Investment Trusts, abgekürzt REITs) hatten in den sechziger Jahren und Anfang der siebziger einen Boom. Seit dem Zusammenbruch der Wohnbauindustrie, einem der ersten Krisenopfer, stehen die REITs mit elf Milliarden Dollar bei den Banken in der Kreide. Bei vielen Krediten ist bereits Zahlungsverzug eingetreten, auf eine Milliarde Dollar dieser Schulden zahlen die REITs keine Zinsen mehr.

Die Banken sind in einem Dilemma. Schuldeneintreibung würde die REITs in den Bankrott stürzen, woraus sich wieder Verluste für die Banken ergäben, die sie selber ins Taumeln brächten; die Aktiva der REITs liegen nämlich beträchtlich unter ihrem Nominalwert. Die REITs wissen das alles genausogut wie die Banker und wollen eine Verfallserklärung erreichen. Zwei aneinandergekettete Schwimmer strampeln im Schuldensumpf!

Chase Manhattan Mortgage and Reality, der REIT der Chase Manhattan Bank (Vorsitzender: David Rockefeller), hat (nominelle) Aktiva von etwa 800 Millionen Dollar. In Wirklichkeit sind sie um vieles niedriger — etwa so: ein Kredit der Bank über ihren REIT an einen Bauherrn in Florida, der ein großes Projekt halbfertig stehenlassen muß, das jetzt niemand kaufen will, kann nicht genausoviel wert sein wie in den Zeiten des Baubooms. Die Union Bank of California z.B.hat ein Viertel ihrer Kredite in Immobilien angelegt.

Die neun größten Banken haben nun 1,3 Milliarden Dollar an Krediten zusammengekratzt, die sie den sechs größten REITs gegeben haben. Chase hat 227,3 Millionen in diesen Topf getan, wobei 150 Millionen gleich an den REIT gingen, der ihren Namen trägt. Alle halten jetzt den Atem an. Jeden Augenblick kann sich ein Gläubiger weigern, bei dieser Lebensrettung mitzuwirken, er könnte seine hergeliehenen Gelder zurückverlangen und damit eine Lawine lostreten, wo alle Banken ihr Geld herausholen wollen — die Dominosteine würden fallen.

BONITÄT: Einige große Konzerne, die riesige Anleihen getätigt haben, stellen große Risken für die gebenden Banken dar. Der bestbekannte Fall ist der von W. T. Grant, einer Handelskette. Die Banken haben ihr 700 Millionen Dollar geliehen. Chase Manhattan, Morgan Guaranty und First National City („Citibank“) sind mit je 97,5 Millionen Dollar beteiligt. Wieder taucht das Dilemma auf: sollen die Banken die „schlechten“ Gelder abschreiben oder — wie Arthur Burns immer wieder verlangt — den Kreditrahmen offenhalten?

UNTERHOLZ: Eine Rezession oder ein Krach soll das Unterholz ausmisten. Aber in den siebziger Jahren sind alle durch Leih und Borg derart verflochten, daß das Ausholzen den ganzen Wald in Mitleidenschaft zöge.

LEASING: Die Banken haben sich immer mehr in das Verleihgeschäft verwickelt, so daß sie nunmehr unter ihren Aktiva Tanker und Flugzeuge führen. Beide Zweige liegen gegenwärtig darnieder, und dementsprechend sind diese Aktiva zu bewerten.

AUSLANDSGLÄUBIGER: Unter den großen Schuldnern der US-Banken sind überseeische Staaten. Ein Banker drückte das unlängst so aus: „Es kommt darauf an, ob Italien und England die Schuldenzahlungen durchhalten.“ Eine US-Bank mag es für einen nützlichen Sozialdienst halten, das Gehalt eines italienischen Briefträgers vorzustrecken. Was aber, wenn der italienische Staat seine Schulden verleugnet?

In Großbritannien durchlebt der Bausektor eine Krise; die Bankschulden aus diesem Bereich betragen elf Milliarden Dollar. Das Geld für viele dieser Posten wird wohl aus US-Banken stammen. Die Finanzierung von Großbritanniens letzter Hoffnung, dem Nordseeöl, liegt großteils ebenfalls in den Händen amerikanischer Banker. Anfang März wurde verlautbart, daß die Reserven im entscheidenden Ninian-Feld (90 Meilen östlich Shetland) um 20 Prozent niedriger angesetzt werden müssen. Die Furcht geht um in Bankkreisen, daß der Weltmarktpreis des Öls unter jenes Minimum fallen könnte, wo die Ausbeutung von Nordseeöl rentabel ist. Ohne diesen letzten größeren Aktivposten würde die britische Wirtschaft in der Tat am Rande des Abgrunds stehen. In dieses Loch könnte das ganze internationale Banksystem fallen.

aus: the village voice, 24. März 1975

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1975
, Seite 24
Autor/inn/en:

Alexander Cockburn:

James Ridgeway:

Lizenz dieses Beitrags:
Copyright

© Copyright liegt beim Autor / bei der Autorin des Artikels

Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

Begriffsinventar