FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1987 » No. 397/398
A. Georg

Aufruhr im Café Hungaria II

Die Stimmung im Café war dennoch nicht weihnachtlich: Ganz Budapest stand im Zeichen eines Mordes, der sich knapp vor den Feiertagen ereignet hatte und der interessanterweise von der internationalen Presse trotz brisantester Reaktionen übersehen wurde: Knapp vor dem in Ungarn so ausgiebig zelebrierten Fest gab es einen Taxlermord. Die Täter sollen zwei betrunkene sowjetische Soldaten gewesen sein.

Noch mehr als sonst bei Taxlermorden war die Bevölkerung, inklusive sämtlicher Stammgäste, empört. Die Budapester Taxler kamen, so wurde berichtet, zu hunderten zum Begräbnis, sie drohten mit Streik, sollte die offizielle Presse, die bisher dazu geschwiegen hatte, nicht darüber berichten. Die Behörden, so erzählte man im Kaffeehaus, hätten sich diesem Druck gebeugt — und mir wurde eine kurze, einspaltige Notiz im Parteiorgan gezeigt, die dann den drohenden Streik abwenden konnte.

Das Herz, auch jenes der Besten in Ungarn, schlägt sehr national. Auch jenes der Dissidenten. Eine Befragung meinerseits, welche Oppositionsgruppe die stärkste im Lande sei, wurde überall gleichlautend beantwortet. „Die nationale Opposition.“ Bei der Definition dieser nationalen Welle gab es einige Widersprüche: Ein Teil verwies auf eine gewisse Ähnlichkeit zur ÖVP in Österreich, andere wollten darin die Träger der Tradition der einst führenden politischen Partei ausmachen, der Kleinen Landwirte, andere wieder meinten, es sei ein neuer, geläuterter volkstümlicher Nationalismus.

Gute fünf Prozent der Bevölkerung Ungarns werden keine Freude haben, auch nicht am geläutertsten Nationalismus: Denn seine erste Wirkung ist die Anheizung der Vorurteile gegen die ohnehin sehr benachteiligte Minderheit der Sintis und Roms, im rassistischen Jargon auch bei uns Zigeuner genannt. Die ohnehin meist unterprivilegierten „Zigeuner“ müssen für die sozialen Spannungen büßen, die der reformierte Gulyas-Kommunismus mit sich bringt. Diese Spannung entgeht keinem Beobachter:

Die neue Bourgeoisie, wesentlich weniger vom Finanzamt geplagt als ihre österreichischen Berufskollegen, frönt dem protzigen Konsum in Kleidung, Auto, elektronischen Spielzeugen und Festessen. Es sind für westliche Verhältnisse im wesentlichen kleine Fische: Restaurantbesitzer, Pensionbetreiber, Geschäftsinhaber, Taxifahrer. Ein kleines Beispiel ihrer steuerlichen Begünstigung: Restaurants werden nicht nach Umsatz besteuert, sondern lediglich nach der Quadratmeterfläche des Gastraumes.

Als Prototyp des neuen Reichen gilt bei vielen, auch bei ansonsten anständigen und aufrichtigen Demokraten, ausgerechnet der böse Zigeuner. Ich hörte da Geschichten, wie solche dunkle Gestalten zum Kauf von Restaurants auftauchen, mit Säcken voller Goldmünzen, mit denen sie gleich bezahlen wollen. Was einst „der Jud“ war, ist leider heute der Zcigan.

Wobei bei dieser Anpassung an westliche Vorurteile auch „der Jud“ eine Rolle spielt: Bei Schilderungen der Kadar-Nachfolger wird immer wieder hervorgehoben, daß die neuen, jüngeren Männer im Politbüro „echte Ungarn“ sind. Das erinnert an Altbundeskanzler Klaus, der 1970 vergebens versuchte, sich gegenüber Kreisky als „echter Österreicher“ zu profilieren.

Die Zigeunerfrage ist zu einem sehr einfachen Maßstab geworden, um zu unterscheiden, ob Oppositionelle links oder rechts stehen: Für die linke Opposition ist dieses Problem unter dem Slogan „Kampf der Armut in Ungarn“ seit Jahren zum Herzstück ihrer Agitation geworden. Man ist an Kärnten erinnert, wo man ja auch sofort erkennen kann, wo der Gesprächspartner steht, wenn die Frage der slowenischen Minderheit aufgeworfen wird. Und es ist relativ selten, daß man jemanden tolerant und aufgeschlossen findet.

Aber dennoch: Kärnten läßt sich mit Budapest geistig nicht vergleichen. Denn im Café Hungaria werde ich immer wieder auf einen Österreicher angesprochen, der in Wien schon vergessen und in Kärnten weitgehend unbekannt ist: Friedrich Heer. Dieser große Denker ist fast jedem gebildeten Ungarn ein klarer Begriff — ein Beweis, daß dort mehr und lieber gedacht wird als bei uns.

Bei allen Fragen, die man sich auch über Ungarns nationale Opposition stellen muß, kommt man immer aus Budapest mit dem Gefühl zurück, daß die Kontakte zwischen Demokraten in Österreich und in Ungarn viel zu gering sind. Dialog wird zwar auf offizieller Ebene und auch im ORF gepflegt, aber nicht genügend auf informeller Ebene zwischen Gleichgesinnten. Dabei haben beide Länder so viele gemeinsame Probleme, lauter Themen, die eine Brücke des Gesprächs sein könnten.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
April
1987
, Seite 5
Autor/inn/en:

A. Georg:

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