FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1954 - 1967 » Jahrgang 1965 » No. 136
Economicus

Angriff auf Fort Knox

De Gaulles Forderung, das Welt-Währungssystem durch Rückkehr zur Golddeckung zu reformieren, hat so viele Gründe und Hintergründe wie seine ganze Politik. De Gaulles hochpolitischer Husarenritt gegen den Dollar hat aber auch währungstechnische Aspekte, welche sich bestens dazu eignen, die Fachbibliotheken um etliche vielbändige Werke zu bereichern.

Denn hier prallen die heiligsten Überzeugungen der größten Währungsautoritäten hart aufeinander, und niemand glaubt, was des Weisen suchender Sinn nicht sieht, das fände in Einfalt ein politisch Gemüt. L. Albert Hahn, einer der bedeutendsten Währungstheoretiker, nennt de Gaulles Vorschlag schlichtweg „Unsinn“ und wirft ihm „monetäre Aggression gegen die USA“ vor. Der Vizepräsident der EWG, Marjolin, lehnt den Goldstandard als eine Verengung der Währungsliquidität entschieden ab. Pierre Paul Schweitzer, der geschäftsführende Direktor des Internationalen Währungsfonds, sagt, „mit simplen Lösungen“ der Währungsprobleme sei nicht zu rechnen. Der Präsident der Schweizerischen Nationalbank nannte de Gaulles Forderung „unrealistisch und gefährlich“, und die „Times“ schrieben, sie sei „verantwortungslos“.

De Gaulle hat also, wie gewöhnlich, außerhalb Frankreichs überwiegend schlechte Presse. Doch Jacques Rueff, wohl der geistige Vater der geldtheoretischen Kenntnisse des Generals, prophezeit bei dem jetzigen System einen Kollaps des Dollars; bei Rückkehr zum Goldstandard hingegen werde „das Defizit der Zahlungsbilanz der USA innerhalb von drei Monaten verschwinden“.

Selbstredend kann man einem solchen Kollaps auch nachhelfen, und was Paris zu diesem Zweck vermag, tut es zielbewußt. Finanzminister Giscard d’Estaing hat proklamiert, Frankreich werde auch im laufenden Jahr Dollars gegen Gold eintauschen und erst in den letzten Tagen sind wieder 12 Tonnen aus den USA in Paris eingetroffen.

Diese immer neue Konvertierung von Dollarreserven in Gold und das Bemühen de Gaulles, auch andere europäische Notenbanken zu der gleichen Politik zu überreden, sind ein gezielter Angriff auf die Position der amerikanischen Währung, die ohne Zweifel viel zu lange über ihre Goldverhältnisse gelebt hat und der heute die restliche, sehr bescheiden gewordene Golddeckung durch Frankreich immer mehr entzogen wird.

Die nächstliegende Reaktion, zu der Washington durch solche „monetäre Aggression“ provoziert werden soll, ist eine Erhöhung des Goldpreises, also eine Abwertung des Dollars. Damit wäre zwar seine Position als westliche Leitwährung völlig erschüttert, und zur Wiederherstellung der alten Paritäten müßten wohl fast alle anderen westlichen Währungen der Abwertung folgen. Aber der Wert des restlichen US-Goldes würde, nach Pariser Vorstellungen, um das Doppelte steigen — eine Überlegung, die, so glauben die Aggressoren, in Washington nicht ohne Eindruck bleiben kann.

Anderseits würde schon die bloße Möglichkeit, daß sich die USA zu einer solchen Operation auf Tod und Leben entschließen, für die europäischen Zentralbanken ein erhöhter Anreiz werden, sich Gold gegen Dollars zu beschaffen, dessen Deckung also noch mehr zu verringern und die Wahrscheinlichkeit einer Goldpreiserhöhung zur Aufwertung der Restbestände zu vermehren. Neuer Anreiz, neue Goldabgaben der USA, neuer Druck gegen den Goldpreis, und so weiter. De Gaulles Operation gegen die amerikanische Goldfestung Fort Knox ist taktisch vorzüglich angelegt.

Natürlich fordern Operationen, die ein General leitet, ihre Opfer. Sie sind unvermeidlich pour la patrie, pour la gloire, pour le franc. Die Ziele wechseln, die Generale bleiben.

Opfer zunächst von den USA. Für diese hat Johnson dezidiert erklärt, eine Goldpreiserhöhung komme nicht in Frage. In de Gaulles Muttersprache sagt man: „Qui vivra, verra.“ Entscheidend wird es sein, ob andere starke Nationalbanken, etwa die deutsche (die es bisher freilich strikt abgelehnt hat, auch „Germans to the front“ zu schicken) sich der französischen Attacke gegen Fort Knox anschließen. Geschieht das, dann wäre es unverständlich, wie die USA eine Goldpreiserhöhung vermeiden sollten, wenn sie nicht eines Tages ihren Dollar ohne Golddeckung sehen wollen.

Die Aufwertung des Dollars als Johnsons ultima ratio regis käme allen Goldbesitzern, nicht zuletzt der Sowjetunion zugute, deren externe Währungskraft im Ausmaß der Goldpreiserhöhung verstärkt würde. Im Rahmen des heutigen Flirts zwischen Paris und Moskau ist das kein Argument, das auf de Gaulle Eindruck machen kann, sondern nur ein anderes unvermeidliches Opfer der französischen Operation, das der Westen zu tragen hätte, um de Gaulles große Politik zu ermöglichen: Politik mit dem Ziel, den Dollar aus Europa zu verdrängen, die „Invasion“ amerikanischen Kapitals in die französische Industrie zu stoppen und den Franc zu einer Leitwährung zu machen.

Denn wenn die USA ihre Zahlungsbilanz sanieren wollen, dann werden sie vor allem ihre Kapitalexporte radikal einschränken müssen. Zunächst die nach Europa; die Internationale Handelskammer und die Schweizerische Nationalbank warnen schon jetzt vor der Gefahr einer kommenden Dollarlücke. Dann aber auch die Kapitalexporte an die Unterentwickelten, wobei de Gaulle gerne in die Bresche springen möchte, um Frankreichs wirtschaftliche présence in Übersee zu restaurieren. Daß er die Leistungen der USA niemals zur Gänze ersetzen könnte, bedeutet nur ein unvermeidliches Opfer für die Entwicklungsgebiete.

Sollten die USA aber gar ihre militärischen Positionen in Europa abbauen, so wäre Frankreichs Weg zur ersten Militärmacht des Kontinents geebnet. De Gaulle kann mit seiner Attacke gegen den Dollar eine Menge Fliegen auf einmal treffen.

Er führt seine Attacke als guter Stratege, zu einer Zeit, in der das Weltwährungssystem in mehr als einer Hinsicht fragwürdig geworden ist und nach Reformen ruft. Es gehört freilich de Gaulles Genie dazu, ein Problem, das nach seiner optimalen währungspolitischen Lösung verlangt, in den Dienst nationaler Machtpolitik zu stellen, deren Tarnung mit ökonomischen Argumenten nicht für jedermann zu durchschauen ist.

Washington ist in die Defensive gedrängt. Wer hätte das zur Zeit der Marshall-Hilfe geahnt? Während amerikanische Truppen gegen den Kommunismus in Südasien kämpfen, hat das verbündete Frankreich die währungspolitische Position Amerikas in der westlichen Welt in Gefahr gebracht. Johnson sagte: „Der Dollar ist so gut wie Gold. Diejenigen, die um ihn fürchten, machen sich unnötige Sorgen, jene, die auf seine Schwäche hoffen, hoffen vergeblich.“

Das war stolz und selbstbewußt gesprochen. Nur daß die Lage im Fort Knox zu solchem Selbstbewußtsein nicht legitimiert.

FORVM des FORVMs

Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)

Werbung

Erstveröffentlichung im FORVM:
April
1965
, Seite 168
Autor/inn/en:

Economicus:

Lizenz dieses Beitrags:
Copyright

© Copyright liegt beim Autor / bei der Autorin des Artikels

Diese Seite weiterempfehlen

Themen dieses Beitrags

Begriffsinventar

Geographie

Personen