MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 43
Karl Lind
Kommerz auf Megahertz

Alice ist kein Teufel mehr

Sich verändernde gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen ermöglichen nun auch in Österreich — als letztem westlichen Industrieland — die Auflösung des staatlichen Rundfunkmonopols. Das Ergebnis führt(e) — europaweit — zu zunehmender Kommerzialisierung und Konzentration, „alternatives Radio“ gehört zur seltenen Ausnahme.

In hierzulande geführten Diskussionen wird meist der Blick über die Grenzen gemieden, finden Erfahrungen anderer wenig Aufmerksamkeit.

Der Teufel ist auf die Erde zurückgekehrt, in vielfältigsten Erscheinungen. Der Teufel ist Alice, ist der totale Angriff auf den Staat der Unterdrückung, ist unser Lächeln, ist unser Geist, der denkt, der Teufel ist unser Körper, immer schöner und freier, fähig zu lieben. Heute ist der Teufel hier, und es ist sinnlos, ihm den Hof zu machen, er hat tausend Gesichter, verändert ständig den Ausdruck, wühlt sich durch die Städte, die Stadtteile, die Fabriken, die Schulen, wie eine wilde Katze. Wer ihn fängt, ist tapfer. Und dazu reicht sicher nicht die Erlaubnis des Todesschusses nach dem Legge Reale.

Der Teufel ist „Radio Alice“, Bologna, Italien.

Vielmehr war er es. Zur Zeit der „autonomia“, der Zeit des großen Widerstands in den Siebzigern, der „Brigate Rosse“, des „Legge 180“, Franco Basaglias und Toni Negris, der Massen auf den Straßen sowie vor und hinter den Toren von „Fiat“. Zur Zeit der großen Träume.

Rund vierzehn Jahre später wühlen sich Signore Berlusconi sowie die Freunde von „canale centocinque“ und „italia networks“ durch den Äther. Das Teufelchen hat die Seite gewechselt.

Nach dem „totalen Angriff auf den Staat“ und dessen Monopol.

Die beiden nationalen Radionetworks beherrschen die Szenerie: mit zentral produzierten Programmen, verteilt via Satellit, werden 60 Millionen Menschen wohl versorgt. Regionale und lokale „Fenster“ dienen beinahe ausschließlich der (Werbe)Wirtschaft, die militant-politischen „radio libres“ — wie unser Teufel Alice —, hierzulande noch immer ein Mythos, sind längst verschwunden.

Lediglich einige kleine „demokratische Radios“ konnten bestehen, meist genossenschaftlich organisiert, werden sie von Kräften der politischen Linken — Parteien und Gewerkschaften — getragen. Die „partito radicale“ verfügt in Rom mit „radio radicale“ über einen eigenen lokalen Sender. Machtlos gegen den Einfluß der Ketten.

Dem Artikel 21 der italienischen Verfassung nach „hat jeder das Recht, über Wort, Schrift und jedes andere Mittel der Verbreitung, seine Meinung zu sagen“.

Megahertz — Kommerz

Eine immer arbeitsteiligere Gesellschaft, das Entstehen „neuer Mittelschichten“, die Auflösung tradierter Parteienstrukturen, Deregulierung, Liberalisierung, Integration über Märkte und Medien schufen ein Klima, das die staatlichen Rundfunk- und Fernsehmonopole dahinschmelzen ließ.

Der werbetreibenden Wirtschaft stärker werdende Dynamik verlangt nach mehr. „Die Werbewirtschaft drängt am stärksten auf eine multimediale Präsentation ihrer Produkte: Internationalisierung, Kommerzialisierung, Multimedialisierung. Auf der anderen Seite: Gegentendenzen, das bestehende Interesse am Lokalen, am Nahbereich. Das muß man als dialektischen Prozeß sehen, in Europa gibt es beides“, so Hans Heinz Fabris, Professor an der Universität Salzburg. Die Verwertbarkeit lokaler und regionaler Bedürfnisse beschäftigt(e) die Unternehmen. Eines der Ergebnisse des „brain storming“: Lokalradio.

„Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es Werbezeitbeschränkungen, die Nachfrage nach Sendezeit ist größer als das Angebot, damit kam’s zur Verknappung. Im Regionalen kann sich ein Reservemarkt auftun, der im Moment, bezogen auf Hörfunkwerbung, etwas abstinent ist. Es können sich nicht alle einen so riesigen Streuverlust erlauben wie die Shopping City Süd, die in Ö3, also in ganz Österreich wirbt“, erklärt der Gewerkschafter Roman Hummel das Interesse. Dem Hang zum „Immer-mehr-und-öfter“ ist, meint Fabris, hierzulande vom ORF ganz gut entsprochen worden. Im Vergleich zu anderen Ländern, wo den öffentlich-rechtlichen Anstalten keine oder nur sehr geringe Werbezeit zur Verfügung stand, wurden dem heimischen Betreiber nur geringe Auflagen gemacht. Andernorts „hat die Wirtschaft massives Interesse gehabt, endlich potente Werbeträger entstehen zu lassen, die ihre Produkte anpreisen können.“

Die lang anhaltende — durch Proporz abgesicherte — relative Stabilität in Österreichs Politstruktur ließ die Frage nach dem Monopol zwar immer wieder aufkommen, wirklich gefährlich ward es nicht geworden jedoch. Die selbstzufriedene Verschlafenheit der heimischen Unternehmer tat ihr übriges. So findet sich in diesem Lande das letzte intakte Monopol, ist Österreich übriggeblieben in der Riege der sogenannten westlichen Industriestaaten.

Seit es die ÖVP allerdings nach allzulanger Abstinenz geschafft hat, mehr vom Politkuchen abzukriegen und ihre Minister zumindest während ihrer Dienstreisen erleben, was so vorgeht in Europa, läßt er sich nicht mehr vermeiden, der Ruf nach der Vertreibung der Sozialisten vom Küniglberg.

Jetzt geht es dem „Rotfunk“ ans Leder.

Erfrischt durch die Politik Frau Thatchers und der „Birne“ gleich droben vom Norden, ja selbst eines in Würde ergrauten Francois Mitterand, wollen sie den Einfluß der Sozialisten zurückdrängen. Aber es wäre nicht Österreich, fände sich nicht eine Lösung, die dem Hang zur extremen Mitte gerechtzuwerden vermöchte.

In der Koalitionsvereinbarung liest man unter der Rubrik „Medienpolitik“ was von Liberalisierung im Radiobereich und sonst nichts. Die Knappheit der Formulierung steht für die Haltung heimischer Politiker zu so etwas Unübersichtlichen, wie Medien es sind.

Entscheidung längst delegiert

Längst hat die Regierung die Entscheidung über die Zukunft der elektronischen Medien an den ORF und den „Verband Österreichischer Zeitungsherausgeber“ (VÖZ) delegiert.

Die beiden begannen im Jahre 1987 in trauter Eintracht, eine Konstruktion auszuarbeiten, die allen Interessen entsprechen könnte. Unter dem Titel „Radio Print“ und dem Dach des ORF sollte es den Zeitungsherausgebern erlaubt werden, „privates“ Radio zu betreiben. „Wir haben versucht, auszuloten, ob es möglich ist, unter dem derzeitigen Rundfunkgesetz eine Möglichkeit zu finden, daß Zeitungsgruppen in Kooperation mit dem ORF privates Radio machen dürfen. Nach einem halben Jahr sind wir zur Erkenntnis gelangt, daß das aus verfassungsrechtlichen und rundfunkgesetzlichen Gründen nicht geht“, so Franz Iwan, Sekretär des VÖZ.

Die Vereinbarung zerbrach an der Uneinigkeit in der Frage der Aufteilung von Werbezeiten, die den „Privaten“ zu gering erschienen.

In der nächsten Runde verhandelte man ein Kooperationsmodell ORF-Zeitungen zum Zwecke des Betreibens von „privaten“ landesweiten Regionalsender. Einige Male bereits vor dem endgültigen Scheitern der Verhandlungen, sehen die Beteiligten nunmehr dem Vertragsabschluß entgegen. „Ein Wahnsinn“, meint einer von drinnen, „da scheint ein blödsinniges Modell zu funktionieren, weil es einfach keine anderen Ideen gibt.“ „Es haben sich einige Provinzzeitungsmacher an den Stammtisch gesetzt und gesagt, jetzt steigen wir ins Geschäft ein“, sagt ein anderer.

Wenn es denn so passieren wird, wie es ORF und VÖZ gerne hätten, werden irgendwann nächstes Jahr alle Österreicher und Österreicherinnen mit Zeitungsradio bedient. Ob sie es wollen oder nicht.

Wirft man einen Blick auf die aktuelle Diskussion, läßt sich der Hintergrund erkennen, vor dem „Radio Print“ entstehen könnte. Die verschiedenen Interessen, die sich auch quer durch die Parteien ziehen, heben einander in einer Art Kräfteparallelogramm auf, was dem ORF und seiner Monopolverteidigung nützt. Und der VÖZ ist auch zufrieden.

So summt die SPÖ beinahe geschlossen im Chor. Josef Cap, der Zentralsekretär, Peter Schieder, der SP-Fraktionsführer im ORF-Kuratorium sowie Genosse Franz Vranitzky, der Bundeskanzler, stimmen der „Radio Print“ Lösung zu und betonen gleichzeitig ihre Weigerung, am TV-Monopol rütteln zu wollen. Einzig Väterchen Helmut Zilk zeigt sich barsch gegenüber den Monopolisten. Denn wo „Krone“-Chef Hans Dichand steht, ist der Bürgermeister üblicherweise nicht weit. Und Dichand liebt nur sein eigenes Monopol.

Sind also die SP-Interessen relativ eindeutig und abgestimmt — ja zu „Radio Print“, ja zum nur staatlichen Fernsehen — zeigt sich die ÖVP, die in Bälde ein eigenes ORF-Papier veröffentlichen möchte, zerrissener. Der Generalsekretär Helmut Kukacka sähe den ORF liebend gerne in eine Aktiengesellschaft umstrukturiert, an der vorerst mal Bund und Länder beteiligt sein dürften. Kukacka wird assistiert von den Landeshauptleuten, die sich mehr Einfluß erwarten, müssen sie sich im Moment doch mit der Entsendung je eines Vertreters in das ORF-Kuratorium begnügen.

VP-Mediensprecher Heribert Steinbauer stimmt dem Modell „Radio Print“ zu, auch Kukacka wird sich voraussichtlich mit der „Übergangslösung“ zufrieden geben.

Nicht so die FPÖ.

Die wird, so Generalsekretärin Heide Schmidt, im Oktober des heurigen Jahres ein Volksbegehren für die Abschaffung des Monopols starten. Eine Unterstützung von der ÖVP kann sie sich vorstellen, „machen wird die FPÖ das aber alleine“.

So ganz alleine werden sie nicht bleiben, zumindest die „Krone“ wird am Kreuzzug wider das Monopol teilnehmen. Jörg Haider hat noch eine Rechnung bei Hans Dichand offen. Und Zilk, Haider und „Krone“-Dichand werden dann im Frühherbst gemeinsam trompeten.

Einzig die Grünen verhalten sich etwas ruhig, schicken sich erst an, Medienpolitik zu thematisieren.

Das Zeitungsradio ist im Moment die Formel, auf die sich viele einigen können. Der ORF behält sein Monopol — der Form nach — noch eine Zeit lang, die Zeitungen starten ihre Radioprojekte, genießen den Wettbewerbsvorteil, bevor andere am Markt zugelassen werden müssen, bevor es also zu einer allumfassenden Liberalisierung kommen wird.

Eine sofortige Freigabe hätte die absolute Herrschaft der „Mediaprint“, sprich „KroKuWAZ“ zur Folge, deren Kapitaldecke weit dicker ist als die der anderen Verlagsunternehmen, der Bundesländerverband wäre abgeschlagen. Im Korsett des „Radio Print“ ist der Printmonopolist vorerst mal in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, die geplante Aufteilung der Werbezeiten mag ihm zum Trost gereichen. Und eben vorerst mal sind die Herren auch noch anderwertig beschäftigt.

Der Auftritt des BRD-Kapitals bei „Krone“ und „Kurier“ hatte während der Verhandlungen betreffs „Radio Print“ für einige Verwirrung gesorgt. „Die Gründung der ‚Mediaprint‘ hat unsere gesamten Überlegungen hinsichtlich der Versuchsprogramme in ein völlig neues Licht gestellt und mit dazu geführt, daß die Ergebnisse weit hinter dem vorgesehenen Zeitplan zurückliegen“, zeigt sich Iwan nicht allzu begeistert. „Soll man eine derartig mächtige Gruppe auch noch Radio machen lassen?“

Man muß. Das wissen alle, und fürchten tun sie sich auch ein wenig. Vor dem Interesse der „Mediaprint“, sich mehr am Markt ausbreiten zu wollen, als „Radio Print“ dies zuließe. Doch dazu bräuchte es ein neues Rundfunkgesetz, was, unter massivem Druck der Medien im „Mediaprint“-Besitz, wie „Krone“, „Kurier“, „profil“, „Wochenpresse“, „Basta“ usw. zumindest denkbar wäre. „Bei der Rückgratlosigkeit der österreichischen Politiker bin ich mir nicht sicher, ob sie einem Druck der WAZ widerstehen würden. Ich traue der KroKuWAZ Pressionen zu. Wenn die Politiker dem nachgäben, bliebe den zusammengerotteten anderen Zeitungen nur ein Vernichtungsfeldzug gegen diese Politiker, aber dann wird es kriminell in Österreich, das ist nicht unser Ziel. Aber bevor man total untergeht ... eine grausame Vision“, beschreibt Professor Neureiter, stellvertretender Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“, anschaulich eine Möglichkeit.

Die Fernsehdebatte bleibt noch ausgespart, gilt Österreich-TV als im Moment noch zu kostspielig. „Da wird sich erst was tun, wenn massive Interessen auftreten, so wenn z.B. RTL-Plus hier einsteigen wird, an dem auch die ‚Krone‘ beteiligt ist. Die würden mal mit Lokalfenstern im Kabelfernsehen kommen“, rückt Fabris den Zeitpunkt der Diskussion in fernere Zukunft.

Sollte „Radio Print" Wirklichkeit werden, stehen einige Schwierigkeiten bevor.

Säumig seit 1974

Der Verfassungsjurist Walter Berka attestiert dem Gesetzgeber Säumigkeit seit dem Jahre 1974. Damals entstand das Verfassungsgesetz über den Rundfunk und ein Rundfunkgesetz für den ORF, nicht jedoch ein gesetzlicher „Mantel“ dafür, unter welchen rechtlichen Bedingungen andere Veranstalter als der Staat Rundfunk betreiben dürfen. Und ohne die Definition des Rahmens gibt es keine Konzessionen, da der Gesetzgeber zuerst Richtlinien ausarbeiten müßte. Da ist die Verfassung vor.

Hierbei möchten eben ORF und VÖZ behilflich sein. Schon im Herbst wollen sie, meint Iwan, mit dem Gesetzesvorschlag ins Parlament. Die Phase der Behandlung wird dann wohl einige Zeit in Anspruch nehmen.

Iwan hätte gerne ein Versuchsgesetz von fünf Jahren, das nur den Zeitungen den Betrieb erlauben soll. Danach könnte man, unter Hinzuziehung der gemachten Erfahrungen, ein endgültiges Gesetz beschließen.

Dem Zeitungsradio kann Berka hingegen nicht allzuviel abgewinnen: „Daß Illusionen über die zu erwartende äußere Vielfalt gerade in der österreichischen Situation allerdings nicht angebracht sind, wurde bereits vermerkt. Über die Qualität der Programme, welche die, auf eine Maximierung der Reichweiten angewiesenen kommerziellen Rundfunkveranstalter anzubieten vermögen, kann man sich an Hand der ausländischen Erfahrungen ein Urteil bilden. Und die gegenwärtig vorgenommenen Weichenstellungen lassen schließlich auch befürchten, daß eine Auflockerung des ORF-Monopols letztlich nur neue Monopole in regionalen Bereichen zur Folge haben könnte, die — vor allem, wenn sie in der Form eines Medienquerverbundes zwischen den Printmedien und dem Rundfunk in Erscheinung treten — den hohen Konzentrationsgrad, der das österreichische Mediensystem insgesamt kennzeichnet, nicht etwa abschwächen, sondern im Gegenteil geradezu auf dem höheren Niveau von Doppelmonopolen weiter verstärken könnten. So scheint in der gegenwärtigen Situation zumindest ein gerütteltes Maß Skepsis realistischer zu sein als eine allzugroße Euphorie“, schreibt Walter Berka in „Rundfunkmonopol auf dem Prüfstand“ (Orac-Verlag, Wien 1989).

Auch verstoße, so Fabris, das Modell „Radio Print“ gegen den Gleichheitsgrundsatz. Wenn die Radios dürfen, warum die anderen nicht? „Die ganze Debatte läuft unter der Fiktion, daß der ORF nur den Zeitungen das Betreiben erlauben darf.“

Das Thema verspricht zum Renner zu werden. Einerseits geradezu ideal für das Füllen des medialen Sommerlochs, andererseits als Aufhänger für den nächsten Wahlkampf. Haiders Volksbegehren wird für weiteren Stoff sorgen.

Und die Zeit drängt. Immer mehr Sender, die, knapp hinter den Grenzen, auf Österreich strahlen, bedrohen den Werbekuchen heimischer Medienunternehmungen. „Tele Uno“ erreicht mit seinen in Italien installierten Sendeanlagen weite Teile Kärntens und der Steiermark sowie des Burgenlandes. Mittels einer Umsetzungsantenne an der burgenländisch-ungarischen Grenze sollen, so Tele-Chef Kurt Geissler, auch Wien und Niederösterreich bestrahlt werden können.

Herbert Vytiska, ehemaliger Mock-Pressesprecher, nunmehr Geschäftsführer der Wiener Holding „MBB“, die den Südtiroler Sender „Transalpin“ besitzt, will die „Entwicklung einer funktionierenden Privatrundfunklandschaft in Österreich“ forçieren. Zu diesem Zwecke plant er zuerst ein Privatradio auf ungarischem Boden, genauso wie sich eine Vielzahl anderer Medienkonzerne derzeit beim östlichen Nachbarn tummeln, um die begehrte Konzession zu kriegen.

Nicht nur im Osten und Süden, auch im Norden und Westen finden sich Österreichs Medienmacher eingekreist. Verständlich, daß sie auf die schnelle Auflösung des Rundfunkmonopols drängen.

Solange Österreich nicht offiziell in die EG eintritt, bestünde die Möglichkeit der nationalen Rundfunkgesetzgebung, abgestimmt auf österreichische Bedürfnisse. „Wenn wir da reingehen, können wir dann gar nichts mehr verhindern. Auch nicht, daß RTL sofort hier zu produzieren beginnt, weil Rundfunk nach der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes und nach der Rundfunkrichtlinie, die den EG-Ministerrat im Frühjahr passiert hat, eine Dienstleistung ist wie jede andere auch. Da werden dann nur mehr Minimalunterscheidungen möglich sein“, sagt Fabris.

Radio als Dienstleistung

Der innerösterreichische Spielraum wird, gemessen an der europäischen Entwicklung, immer enger.

Die EG bastelt an einem einheitlichen (Medien)Europa. In Brüssel vertritt die EG-Administration die Ansicht, ein Mehr an Europa zu schaffen, indem z.B. Radiomachen als Dienstleistung beschrieben wird. „Die Auffassung zeigt eine Verirrung, wie sie für zentrale Bürokratien charakteristisch ist. Die Theorie von den Kommunikationssystemen als einem Dienstleistungsverkehr ist eigentümlich ungegenständlich, d.h. sie verkennt die eigensinnigen Strukturen, auf denen Sprache, Kommunikation, Ausdrucksvermögen, Weltverständnis beruhen ... Eine Geschichte, die in jeder Einzelheit wiederholt wird, normierte Geschichten, sind nicht erzählenswert ... Während sich die Mehrzahl von Waren und Dienstleistungen stapeln oder quantifizieren lassen, bedarf die Kommunikation (also der Austausch von Informationen mit Rückantwort, die sich nicht vorhersagen läßt) eines Mediums: der gewohnten elaborierten Sprache. In ihr muß ich aufgewachsen sein. Oder ich muß eine Fremdsprache mit dem Selbstbewußtsein erlernen, daß ich notfalls das, was ich sage, an einer Sprache, mit der ich aufgewachsen bin, überprüfen kann. Ohne eine solche, in frühen libidinösen Bindungen verwurzelte Rückkoppelungen ist eine selbstbewußte Kommunikation unmöglich, die Kommunikation wird störrisch, leidet unter stummen Zonen“, schreibt Alexander Kluge in „Sprache und Identität. Relevanz und Rezeption europäischer Stoffe“.

Und so soll sie auch werden, die 320 Millionen Binnenmarkteinheitskultur.

Ein gigantischer Markt, die Herren Berlusconi, Maxwell, Murdoch, Kirch und Kollegen träumen von einem einsprachigen Europa, um die Sperrigkeit der verschiedenen europäischen Sprach- und Kulturräume überwinden zu können. Bis hin zur Machbarkeit identer Programme, empfangbar über verschiedene Sprachkanäle.

Eine Entwicklung etwas fernerer Zukunft, unmittelbarer geschieht die Aufteilung des deutschsprachigen Europas, dem — sprachlich gesehen — größten europäischen Einzelmarkt. Die Entwicklung in der DDR hin zur Westorientierung kann nicht schnell genug erfolgen.

Die Postmonopolzeit führte überall zu Kommerzialisierung und Konzentration im elektronischen Medienbereich. Im eingangs bereits erwähnten Italien beherrschen zwei nationale Networks den Markt. Sogenannte nichtkommerzielle Radios existieren nur vereinzelt, eine kurze Lebensdauer ist ihnen auf Grund der rüden Konkurrenz von Anfang an bestimmt. Privatradios an und für sich als Bereicherung der Medienszene zu verstehen, wäre verfehlt. Vielmehr zwingen die Privaten die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die immerhin einen Bildungs- und Kulturauftrag zu erfüllen haben (wofür sie durch Gebühren finanziert werden), zur Selbstkommerzialisierung, wollen die staatlichen Sendeanstalten nicht an den Rand des Marktes gedrängt werden. Ein Knick in der Qualität der Programme ist die unweigerliche Folge der Liberalisierung ohne gestaltende staatliche Eingriffe.

Ketten und Doppelmonopole

Die Entwicklung in der Schweiz und in Frankreich bestätigen die Voraussage, nach der eine Deregulierung geringere Qualität und die Vorherrschaft einiger weniger mit sich bringt, was im Gegensatz zur ursprünglichen Intention steht, Regional- und Lokalräume medial besser versorgen zu wollen.

Vielmehr bilden sich Doppelmonopole heraus bzw. schließen sich private Radiostationen zu Ketten — sogenannten „Networks“ — zusammen, die die nationalen staatlichen Sendeanstalten konkurrieren. Und einen hohen Wettberwerbsvorteil genießen: Durch die Vielzahl der zusammengeschlossenen Stationen ist ein Eindringen in Regionalgebiete eher möglich als bei den unflexiblen staatlichen Betreibern. Die Network-Programme allerdings haben nichts mehr vom Lokalcharakter an sich, außer dem der angepassten Werbespots. Zentral produziert, werden die Programme via Satellit an die angeschlossenen Stationen verschickt, mit ganz seltenen Ausnahmen füllt die „Fenster“ nur die Regionalwerbung, die auch Platz läßt für p.-r.-Sendungen.

Eine soeben erschienene Studie zum Thema „Lokalradio in der Schweiz“, wo die Aufweichung des Monopols mit einer recht aufschlußreichen Begleitforschung versehen wurde, repräsentiert eines der Papiere, die von Experimenten handeln, die Fakten schaffen. Aufschlußreich nur wieder insofern, als man in schweizerischer Präzision lesen kann, wohin Liberalisierung führt, wird sie nicht durch gestaltende staatliche Maßnahmen eingeschränkt. Von etwa 35 vergebenen Lizenzen ist nur mehr eine(!) im Besitz eines alternativen Radiosenders, des „LoRa“ (Lokalradio) Zürich. Alle anderen Stationen machen zum Teil satte Gewinne auf Kosten einer echten Regionalisierung. In etwa zwei Jahren sollen die Ergebnisse der Radioversuche in ein Gesetz gegossen werden; wem dies Gesetz nützen wird, steht jetzt schon fest.

Die Entwicklung in Frankreich zeigt — weil bereits weiter fortgeschritten — noch exzessiveren Charakter. Den Prophezeiungen sozialistischer Politiker zum Trotz, schlossen sich die privaten Radios ebenso zu Ketten zusammen wie andernorts, ging die beabsichtigte Regionalisierung längst verloren. Mittlerweile konkurrieren die neuerstandenen Networks nicht nur den staatlichen Rundfunk, sondern auch die im Jahre 1986 lizensierten „Radios Périphériques“ wie „RTL“, „Radio Monte Carlo“ oder „Europe No. 1“.

Der Tendenz nach entsteht überall ein identes Bild. Einzig die Regierungen der skandinavischen Staaten versuchen, gestaltend in den Prozeß einzugreifen. Sogenannte „Nahradios“ sollen der Konzentration und der Kommerzialisierung Widerstand leisten.

„Die elektronischen Medien räumen mit jeder Reinheit auf, sie sind prinzipiell schmutzig. Die Linke, sofern sie ihre Tradition nicht überprüfen will, weiß mit ihnen wenig anzufangen, weil sie das Verlangen nach einer sauber definierten ‚Linie‘ und nach der Unterdrückung von Abweichungen zerstören“, schrieb Hans M. Enzensberger vor einiger Zeit. Zum Teil hat er recht behalten, soweit er das Scheitern der „Linken“ tangierte. Aber die Wirklichkeit hat selbst einen Enzensberger eingeholt, könnte denn auch der Proponent der neuen Generation „zorniger alter Männer“ dies heute nicht mehr so formulieren. Das Ergebnis der erfolgten „Überprüfung der Tradition“ steht damit sozusagen in umgekehrter Proportionalität zur entfalteten „linken“ Hegemonie im Medienbereich.

Radio Alice sendet: Musik, Nachrichten, blühende Gärten, Salbadereien, Erfindungen, Entdeckungen, Rezepte, Horoskope, magische Filter, Lieben, Kriegsberichte, Photographien, Messages, Massagen, Lügen. Radio Alice ist ein Ort, wo die Kaninchen Westen tragen und die Sprecher im Trott gehen. Radio Alice ist reine Luft, Radio Alice dankt, ist eine gute Wolle, ein Rettungsstab, Schaumschläger, Polizist, Eitelkeit. Radio Alice ist der Marquis de Sade, Robin Hood, Seine Eminenz Hochwürden Freud, Batman, Maria Magdalena, Guglielmo Marconi, Valcarenghi.

— Am 12.3.1977 wird Bologna von Polizeieinheiten besetzt. Radio Alice wird geschlossen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1989
, Seite 50
Autor/inn/en:

Karl Lind:

Geboren 1962. Seit 1980 journalistisch tätig für verschiedene Tages- und Wochenzeitungen, Mitbegründer der Zeitschrift Moderne Zeiten — Zeitung für politische Unterstellung und hinterstellende Ästhetik (MOZ). Buchveröffentlichung: Nur kein Rhabarber, Wien 1989. Seit 1993 Gastronom am Wiener Spittelberg.

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