(MOZ) Insidern ist die Tschuschenkapelle schon durch Auftritte in verschiedenen Besetzungen bekannt. Nun präsentiert sich die Gruppe um den in Wien lebenden jugoslawischen Sänger Slavko Ninic als Trio. Gitarre (S. Ninic), Kontrabaß (C. Petschina) und Mandoline, Bouzouki oder Ud (arabische, bundlose Laute, F. Fellner) bilden den musikalisch abgerundeten, aber dennoch spannungsreich instrumentalisierten Rahmen. Slavko Ninic musiziert mit zwei Österreichern und verfolgt dabei nicht nur ein musikalisches Ziel. Jenseits des trockenen Ernstes weltverbesserlicher Belehrungen soll auf die unter uns lebenden, aber weitgehend ignorierten „Tschuschen“ (wienerisch abfällig für Gastarbeiter) und ihre Kultur aufmerksam gemacht werden.
Das Repertoire der Gruppe gleicht einer musikalischen Reise mit dem Balkan-Expreß. Neben verschiedenen Melodien und Tänzen aus dem an Minderheiten reichen Völkergemisch Jugoslawien sind auch griechische Lieder im Stile der hierzulande bereits durch Lakis und Achwach bekannten Subkulturmusik des Rembetiko zu finden. Der Bogen spannt sich aber bis in die Türkei, wo schließlich Istanbul die Endstation ist.
Die Einstellung zum Musizieren, die von großer Spontaneität geprägt ist, gleicht der fahrender Volksmusikanten. Die in mehr als sechs Sprachen vorgetragenen Texte sind teils geprägt von tiefgründiger Volksphilosophie, teils witzigironischen Inhalts, aber niemals banal.
Insgesamt will das Projekt der Wiener Tschuschenkapelle, deren Musik es auch konserviert auf Kassette gibt, demonstrieren, daß Unterhaltung mehr sein kann als Berieselung — und daß es sich lohnt, die gar nicht so fremde Kultur des südöstlichen Europas kennenzulernen.
Nächster Auftritt: Freitag, 2. Juni 1989 um 20h30 im Andino (Münzwardeingasse 2, 1060 Wien), Kassettenbestellungen: Franz Fellner, Tel. 56 39 063.
Die Wiener Tschuschenkapelle ist eine Ethno-, Balkan- und Weltmusik-Band, die im Jahr 1989 in Wien gegründet wurde. Seit etwa 15 Jahren spielt die Band mit dem Bandleader und Sänger Slavko Ninić in konstanter Besetzung. Das Repertoire der Formation umfasst traditionelle Musik aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien bis hinunter nach Griechenland und die Türkei. So waren auf ihrem 1989 erschienenen Album das bosnische Volkslied Moj dilbere, das aus Mazedonien stammende Lied Bolen ležimlad Stojan sowie das türkische Lied Gidemem ben zu hören. Es sind immer wieder Elemente des griechischen Rembetiko, der Romamusik und der Klassik vertreten, man spielt aber auch Lieder aus Russland und der Ukraine, sowie auch aus ihrer neuen Heimat Österreich, wie z. B. das Wienerlied "Erst wann's aus wird sein", "Haus am Wasser" von Arik Brauer oder "Wiesmather Watschentanz" von Gerhard Blaboll. Slavko Ninić und Hidan Mamudov bringen immer wieder auch eigene Lieder ins Repertoire, wie das melodiöse Weihnachtslied "Zeitbestimmung", "Des is Wien" (beide Texte Gerhard Blaboll) oder "Kolo flott".
Den Namen Wiener Tschuschenkapelle (ursprünglich Erste Wiener Tschuschenkapelle) wählte der Kroate Ninić, um unter anderem dem Schimpfwort Tschusch durch ironische Selbstbezeichnung seine Härte zu nehmen (Melioration).
Die Wiener Tschuschenkapelle spielte mit den Wienern Philharmonikern in der Wiener Staatsoper, unter anderem in der Milleniumsnacht 2000. Weltweit spielte die Band spielt bisher u. a. in Zimbabwe, Marokko, Tunesien, Brasilien, Kanada, USA, in Europa fast überall; sie tritt aber regelmäßig in und um Wien auf. Als Gäste werden öfters der Sänger und Entertainer Willi Resetarits, der Sänger und Akkordeonist Otto Lechner oder der Schriftsteller und Kabarettist Gerhard Blaboll eingeladen.
2008 tourte die Wiener Tschuschenkapelle als Botschafter des Interkulturellen Dialogs quer durch den Balkan. Diese Konzertreise wurde im Auftrag des ORF dokumentiert im Film „Balkan Blues“ von Wolfgang Beyer. Die bisher letzte Auslandstour war im Jahr 2016 nach New York.
2018 ging ein langgehegter Wunsch des Bandleaders Slavko Ninić in Erfüllung: Nach vierzehn Tonträgern mit „tschuschischen“ Inhalten nahm die Wiener Tschuschenkapelle eine CD mit Musik ausschließlich aus Österreich auf. Von Mozarts Papageno über Lieder von Willi Resetarits und Gerhard Blaboll bis hin zu verschiedensprachigen Volksliedern zeigen sie den musikalischen Reichtum Österreichs und die verbindende Kunst der Musik - zwei Anliegen, die den musizierenden "Tschuschen" besonders am Herz liegen.