Nach dem Regierungswechsel in Spanien von den Sozialisten (PSOE) zur konservativen Partido Popular (PP) wurde auch in Spanien beschlossen, die Wehrpflicht abzuschaffen. Innerhalb der nächsten sechs Jahre soll die Umwandlung in eine Berufs- bzw. Freiwilligenarmee vollzogen werden. Die Armee und ihr Rekrutierungssystem sind in Spanien schon seit Ende der achtziger Jahre heftig umstritten. Dazu beigetragen hat sicher das schlechte Image und die geringe Akzeptanz der Armee in der Bevölkerung. Letztere drückt sich nicht nur in Umfragen aus, sondern in erster Linie in den Verweigererzahlen (Zivildiener und Totalverweigerer), bei denen sich Spanien mit Deutschland an der europäischen Spitze befindet. Die Quote der Verweigerer, gemessen an der Zahl der für tauglich befundenen, lag in den letzten Jahren bei 32%. 1995 schätzte die Verweigererorganisation MOC (Movimento de objetores de conciencia) die Zahl der Totalverweigerer, die seit Beginn der Verweigerungskampagne 1988 verweigerten, auf 12.000. Auch die zum Teil äußerst strengen Urteile konnten die Verweigerer nicht abschrecken. Durch die letzte Gesetzesreform droht Totalverweigerern statt harter Gefängnisstrafen die soziale Ächtung: Sie können vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen werden, Stipendien können ihnen versagt werden usw. Totalverweigererinstitutionen bezeichnen dies als „Privatisierung der Strafe“. Jeder wird dort bestraft, wo es ihn am härtesten trifft, ohne damit jedoch öffentlich Aufsehen zu erregen. Ob es dazu in der Praxis noch kommen wird, ist fraglich, da die Bestrafung bei gleichzeitig proklamierter Abschaffung der Wehrpflicht wohl als unerträglicher Anachronismus empfunden würde und die Sympathien für Verweigerer in der Bevölkerung nach wie vor groß sind.
Trotz dieses Akzeptanzdefizits im Hintergrund sind die letztlich entscheidenden Gründe für die Bildung einer Berufsarmee in militärischen Interessen zu suchen. Zunehmende Auslandseinsätze und der Wunsch nach einer ehest möglichen vollständigen Integration in die Kommandostruktur der NATO machen die militärischen Gründe für die Wehrpflichtabschaffung deutlich. Die Verweigererorganisationen sehen dies daher als Herausforderung für neue Formen antimilitaristischer Arbeit, wie z.B. die bereits in den achtziger Jahren in die Wege geleitete Kampagne zum Rüstungssteuerboykott.
Quelle: 4/3 — Fachzeitschrift zur Kriegsdienstverweigerung