MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 54
Ulrike Sladek
Expo ’95:

Wahn statt Plan

Weltstadt Wien — wie gern sonnen sich Politiker und Stadtplaner in diesem zukunftsreichen Schlagwort. Der Mehrheit der Wiener Bevölkerung steht dagegen eine akute Klimaverschlechterung ins Haus, wenn obgenannte Verantwortliche ihre Träume wahrmachen.

Bild: Contrast / Hinterleitner

Im 1986 bis 1988 abgehaltenen Ideenwettbewerb „Chancen für den Donauraum“ wurde vor allem einem keine Chance gelassen: dem kommunalpolitischen Weitblick, ein sozial verträgliches Stadtentwicklungskonzept unter ökologischen Perspektiven zu entwerfen. Der Wettkampf der Metropolen, zu der sich Wien erst mausern sollte, vernebelte den Blick. Ein Blick über die Grenzen — und voller Neid wurde festgestellt, daß die’‚neue Zeit‘ in den Großstädten des westgeblockten Auslands schon angebrochen war. Also mußten „Brücken in die Zukunft“ geschlagen werden, wenn diese auch ungewiß war. Lag sie im Osten?

Die gemeinsame Veranstaltung der Weltausstellung mit Budapest als Twin-City-Konzept dominierte schon damals die Idee der Sprungschanze nach Osteuropa. Die Aufweichung der Planwirtschaft war im Nachbarland Ungarn bereits im Gange und verbreitete Hoffnungsschimmer für einheimische Investoren. Finanzpotentaten aus aller Wirtschaftswelt sollten angereizt werden, vom sicheren Österreich aus ihre Fühler in den Ostblock vorzustrecken, bei gleichzeitiger Belebung der WienerstadtÖkonomie. Daß die Veränderungen zur Ablösung des ‚sozialistischen‘ Systems so schnell voranschreiten würden, war aber nicht abzusehen.

So wurde aus der dekorativen Partnerstadt Budapest eine ernstzunehmende Konkurrenz. Mittlerweile sind finanzkräftige japanische Multikonzerne viel stärker an unterstützenden, da unbegrenzte Gewinnchancen versprechenden Investitionen in der ungarischen Hauptstadt interessiert. Ganze Stadtviertel werden dort als Opfergabe dem goldenen Kalb Kapitalismus für eine Dauer von 99 Jahren in den Rachen geworfen, während das goldene Wienerherz in Form eines Finanzstadtrates und Vizebürgermeisters Mayr bloß 22 Hektar hochwertiges Stadtgebiet zum Verkauf anbietet. Bislang versucht er noch, das Einflußnahmerecht auf die Nachnutzung durchzusetzen. Das kann einem wahren Finanzhai allerdings den Appetit verderben.

Bei der Orientierung an der ökonomischen Entwicklung internationaler Großstädte wurde ein nicht unbedeutender Aspekt völlig außer Acht gelassen: die wirtschaftliche Gesamtsituation des jeweiligen Landes. So liegt das oft als Beispiel zitierte München wohleingebettet in die stärkste Wirtschaftsmacht des europäischen Kontinents und kann auf eine langjährige Industrieansiedlung zurückgreifen, deren Struktur Innovation Richtung High-Tech geradezu zwangsläufig erforderlich macht.

Das 1983 in Japan beschlossene „Technopolis-Law“, das Förderungsprogramme, gezielte Stadtentwicklungs- und technologische Innovationsaspekte gesetzlich absichert, entstand ebenfalls nicht in einem Land, dessen Wirtschaft angeblich zwischen Sein oder Nichtsein dahindämmert. Mag Japan auch als Wunderland gelten, seine disharmonische Sozialstruktur gereicht nicht zum Vorbild, sondern sollte eher als abschreckende Warnung dienen.

Die Weltausstellung 1995 schien trotzdem für ehrgeizige Politiker das Mittel zur Verbesserung der geopolitischen Lage Wiens zu sein, die Chance für eine umfassende Selbstdarstellung, die die internationale High-Tech-Industrie anlocken sollte.

Die Frage, was denn nun darzustellen wäre, wird mit dem Innovationspotential begründet, das durch die EXPO wachgeküßt würde und zu einem geistigen Wettbewerb sondergleichen führen sollte. Die Eliten scharren schon in den Startlöchern.

Fest steht, daß die Fortschrittsillusion auf Kosten der am stärksten benachteiligten Gruppen der städtischen Bevölkerung geht, die da sind: AusländerlInnen; Obdachlose, Arbeitslose usw.

Neues muß her

Bevorzugt werden neue Unternehmen mit einem hohen Dienstleistungsanteil, Dependancen international renommierter Konzerne, Konferenzen, die Entscheidungen über das gesamte Weltgeschehen fällen etc. Als Vorboten treten schon allerorts neue Hausbesitzer auf, denn nie zuvor war es so lukrativ, mit Immobilien zu spekulieren, gefolgt von neuen MieterInnen, die die neuen hohen Wohnkosten locker bezahlen können. Neu wird auch eine große Anzahl von Polizisten sein, wenn des Wiener Polizeipräsidenten Bögls EXPO-Träume wahr werden, denn Aufstockung tut not bei solch einem Großereignis.

Weniger neu ist, daß unter einem Teil des vorgesehenen Ausstellungsgeländes, dem Donaupark, eine Mülldeponie ihr giftiges Unwesen fristet. Geschätzte fünf Millionen Kubikmeter Müll müssen entsorgt werden, wiewohl noch kein durchführbares Konzept zur Entfernung und Endlagerung an einem anderen Ort (die Deponie Rautenweg ist im Gespräch) entwickelt werden konnte.

Doch auch zwischen neu und neu gibt es gewaltige Unterschiede. So sind die neuen Migranten aus den ehemaligen Ostblockländern zwar eine grenzenlose Neuerung, aber eine unerwünschte. Die ‚Drehscheibe‘ wollen wir doch anders verstanden wissen, wer zu uns kommt, bestimmen wir.

Leider entzieht sich die heißersehnte Ostbank örtlicherweise unserer Kompetenz — London wurde als deren Sitz auserkoren. Und die nächsten KSZE-Konferenzen werden wahrscheinlich in der neuen Hauptstadt des neuen Großdeutschland, Berlin, über den Rüstungshaushalt der Welt entscheiden. So bleibt nur mehr der Anschluß — jetzt erst recht Ja zur EG. Doch das ist beileibe nichts Neues.

Was trägt noch?

Den „Brücken in die Zukunft“ untergefüttert, brachte dieses Motto nicht viel Haltbares ans Tageslicht, bloß eines: das Image Wiens muß ein bißchen aufpoliert werden, der Rest folgt von selbst.

Le reste, c’est l’Autriche — diese historische Aussage scheint von immerwährender Aktualität, immerwährender jedenfalls als die so bezeichnete Neutralität. Österreich — das Letzte. Die Vision einer Drehscheibe zum Osten entwickelte sich leider zu einem doppelten Rittberger, nach dessen Ausführung die Stadt Wien froh sein muß, wieder auf beiden Beinen zu landen.

Doch der Herrgott hat kein Einsehn net. Die Stadtgewaltigen rechnen und planen und die Bauwirtschaft rechnet mit. Das Thema Wertschöpfung gaukelt fröhlich durch die Gazetten, Investitionsvolumen werden auf Arbeitsplätze umgerechnet, und die Horrorvisionen städtebaulicher Betonkapazität übertreffen alles bisher Dagewesene. Der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und die Errichtung des eigentlichen Ausstellungsgeländes, nicht zuletzt der erneut forcierte Bau der Donaustaustufe Freudenau, lassen manche sogar schon von einer Überhitzung des Baugewerbes sprechen. Gigantische Beträge werden lockergemacht: Allein 5 Milliarden Alpenmärker sind für den Ausbau der Autobahnen (Ostautobahn via Parndorfer Haide, Südosttangente) und des Wiener Bundesstraßennetzes vorgesehen, 7,6 Milliarden für die Verstärkung der U1 und die Verlängerung der U6. Park & Ride-Anlagen kosten ein zusätzliches, wenngleich die Standorte dafür noch nicht feststehen. Zur Vollständigkeit der Rundumerneuerung Wiens und seiner Umgebung fehlte nur mehr der Plan, den Flughafen Wien-Schwechat auszubauen.

Der Trägerraketeneffekt

Nicht wie weiland Phönix aus der Asche, nein, wie eine Interkontinentalrakete von der Abschußrampe soll Wien in den Himmel der ‚Stadt der Superlative‘ hochschnellen. Großräumige Stadtentwicklung bedarf eines Anlasses, um durchgeführt zu werden. Wohlgemerkt, von Stadtsanierung spricht keine/r, denn das wäre zu sehr der Gegenwart verhaftet. Der Fortschritt muß rasend schnell über uns kommen, wie ein Wirbelwind zieht er über uns her und fegt das bisherige System einer gewissen sozialen Absicherung durch die Gassen. Josef Hochgerner von der Wiener Arbeiterkammer: „Die sozialen und kulturellen Verhältnisse eines Landes verbessern sich ebensowenig selbsttätig, wie auch der technische Fortschritt nicht vom Himmel fällt.“ Der Wiener Arbeiterkammer ist in diesem Zusammenhang die segensreiche Aufgabe zugefallen, sich der „sozialen Erneuerung“ anzunehmen. Da sie im EXPO-Programm selbst nicht vorkommt, muß noch um Pavillons gekämpft werden, in denen dann ein „Zentrum für soziale Innovation“ eingerichtet wird. 1995 soll in Labors über „Zukunft der Arbeit — arbeiten an der Zukunft“ ebenso beraten werden wie über „Alltagskultur — Leben heute“. Die EinwohnerInnen der Bezirke im Einzugsbereich des EXPO-Geländes, die bereits jetzt sukzessive abgewandert und ausgesiedelt werden, können dann von ihren neuen Lebenswelten erzählen. Das Leben in suburbanen Wohnsilos ist sicher aufregender als in den Grätzeln des zweiten und zwanzigsten Bezirks. Vielleicht finden sich auch die neuen BewohnerInnen der, einer Weltsausstellungsstadt „angemessenen städtebaulichen und architektonischen Typologien“ (Perspektiven 3/90, EXPO-Magazin für Stadtgestaltung und Lebensqualität) zu einem Plauderstündchen bereit.

Die in Aussicht gestellte Arbeit der Zukunft betrifft während der Weltausstellung hauptsächlich die Touristenbetreuung. Wenn Frauen fragen, was sie denn zum Beispiel mit dem Milliardenspektakel zu tun hätten, wird vom großen Bedarf an Arbeitskräften im Gast- und Hotelgewerbe und in den Sekretariaten der sich hier ansiedelnden Unternehmen gesprochen.

Die Trägerrakete EXPO wird, noch bevor sie in die ungeahnten Höhen einer überlegenen neuen sozialen Klasse und einer neuen Wirtschaftsstruktur abhebt, einiges an Alt- und Neulasten abwerfen. Bedenkenswert sind da etwa die Millionen Tonnen an Bauschutt, die zig Quadratkilometer zubetonierter Flächen, die Umwidmung städtischen Grünlandes in Bauland, die Steigerung des Haus- und Touristenmüllaufkommens.

Beunruhigend die Konfusion der städtischen Verkehrsplaner, die den vielzitierten zukünftigen Innovationsschub nicht dazu benutzen werden, Wien endlich zur autofreien Stadt zu erklären und eine ökologisch verträgliche öffentliche Infrastruktur zu schaffen.

Erschreckend die steigende Anzahl sozial und materiell ausgegrenzter Menschen, die kühl lächelnd der Selbstver(ent)sorgung ausgeliefert werden.

Bedrohlich die diskutierte Aufrüstung der Polizei zur Bekämpfung des inneren Feindes — krasse soziale Gegensätze gefährden die Sicherheit der Besitzenden. Ruhe muß schon vorweg hergestellt werden, denn das ersehnte ausländische Kapital legt nicht an in einem Hafen der Unsicherheit.

25 Milliarden Schilling werden derzeit als Kostenleitzahl der Weltausstellung genannt. Eine Summe, die für gelernte ÖsterreicherInnen bis 1995 durchaus ausbaufähig ist. Eine Summe, die für den Abbau an Lebensqualität von vielen und den Profit von wenigen steht. Eine merkwürdige Abart postmodernen Dekonstruktivismus, jedoch international durchaus gebräuchlich. Wien wird sich in diesem Sinne sıcher mit den daraus resultierenden Problemen in die Reihe der wahrhaft großen Metropolen katapultieren können.

Leopoldstadt und Brigittenau

EG- und Weltstadtfieber haben sich vorerst einmal in einer saftigen Erhöhung der Grundstückspreise niedergeschlagen. Seit 1985 haben sich die Bodenpreise im gesamten Wiener Raum vervierfacht. Im zwanzigsten Bezirk sind sie allein seit Beginn des heurigen Jahres um das Drei- bis Vierfache angestiegen.

Dem tragen auch Wiener Boulevardzeitungen Rechnung: Der „Kurier„zum Beispiel gibt Tips, wie der Verkauf eines Zinshauses nicht zur Steuerfalle werden kann und läßt den Bundesinnungsmeister der Immobilien- und Vermögenstreuhänder folgendermaßen zu Wort kommen: „Wer über genügend Kapital verfügt, sollte trotzdem dran bleiben, denn im Zinshausboom ist die Spitze noch nicht erreicht.“

Gewarnt wird allerdings vor der starken Konkurrenz von Versicherungen, Immoblienfonds und ausländischen Financiers.

Jene Zinshäuser, die mit ihrem Substandard-Niveau am günstigsten zu erhalten sind (der Quadratmeter Nutzfläche ist schon um läppische 3.000 Schilling zu ergaunern), sind im 2. und 20. Bezirk zahlreich vorhanden. Und ebenso heiß umschwärmt.

Wohnungsuchende haben allerdings Pech in der Gegend zwischen Donau und Donaukanal: Wer in die einschlägigen Annoncenseiten der Wiener Tageszeitungen blickt, findet bestenfalls Angebote von Eigentumswohnungen. Mietwohnungen aller Kategorien werden zurückgehalten, denn mit zunehmender Leere des Hauses steigt der Wert. Und der Spekulationsboom hat den Siedepunkt noch nicht erreicht.

Auch an die Nahversorgung der zukünftigen neuen BrigittenauerInnen und LeopoldstädterInnen wird gedacht. Entlang der U6 sind einige große Einkaufszentren in Planung bzw. bereits im Entstehen. So muß die alte Eisfabrik am Höchstädtplatz (passenderweise gleich gegenüber der österreichischen KP-Zentrale) einem Konsumtempel mit integrierten Wohnungen und Büroanlagen weichen. Dem TGM in der Wex-Straße ist ebenfalls ein solcher Monsterbau als Vis-à-vis sicher, allerdings auf bloße Verkaufstätigkeit ausgerichtet.

Das sogenannte Bretteldorf Ecke Adalbert Stifter Straße/Dresdner Straße ist auch nicht von Dauer. Das Chorherrenstift Klosterneuburg als Grundstücksbesitzer beabsichtigt, diesen mittlerweile ‚hochwertigen‘ Boden dem Profit zuzuführen. Wie hochwertig dieses gute Stück Brigittenauer Erde ist, mögen allerdings UmweltexpertInnen feststellen. Denn hinter der Bezeichnung „Bretteldorf“ verbirgt sich keine Slum- oder Schrebergartensiedlung, sondern ebenerdige Gebäude von Kleingewerbetreibenden, die ihre giftigen Abfälle durch die Bretter im Hinterhof ihrer Betriebe ‚entsorg(t)en‘.

In diesen Bauboom, der dem Vergleich mit jenem der sechziger Jahren durchaus standhält, paßt auch das Konzept der Verlängerung der Vorortelinie S45 entlang des Handelskais zum Mexikoplatz.

Bild: Contrast / Himml

Was tun?

Die Bezirksvertretung des 2. Bezirks hat am 15. Mai diesen Jahres einen einstimmigen Antrag (alle Fraktionen unterschrieben) verfaßt, in dem sie bekundet, ihr besonderes Augenmerk auf Spekulationsobjekte ihres Einzugsbereiches zu lenken. Vor allem der Mieterabsiedlung soll entgegengewirkt und die Erhaltung der sozialen Struktur gewährleistet werden.

Sanktionen entziehen sich aber meist dem Einflußbereich des einzelnen Bezirkes und müßten von der Gemeinde Wien gesetzt werden Den Bezirksvertretern sind legistisch die Hände gebunden, der Druck auf die EXPO-gewaltigen Wiener Stadtväter kann, wenn überhaupt, nur durch verstärkten öffentlichen Druck hergestellt werden.

So sieht denn auch Getraud Kermani, KP-Bezirksrätin des zwanzigsten Hiebs, in der Öffentlichkeit eine, wenn auch kleine Chance. In Brigittenau gestalten sich die Verhältnisse anders, denn der ÖVP-Mandatar Weißenbeck möchte lieber den ‚weißen‘ Fleck im Stadtplan, genannt Nordwestbahnhof, dem EXPO-Gelände einverleiben, denn seine Aufmerksamkeit dem Spekulantentum widmen. Eine einheitliche kritische Stellungnahme zu spekulativen Umtrieben scheint nicht im Bereich des Möglichen zu liegen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1990
, Seite 51
Autor/inn/en:

Ulrike Sladek:

Kulturwissenschafterin in Wien.

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