MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 45
Andrea Komlosy
Tschechen versus Deutsche:

Unversöhnliche Nationalitätenkonflikte in der Habsburgermonarchie

„Bauer! — Hier. Nagl! — Hier. Wurmbrand! Hier.“ Die k.u.k. Rekruten im mährischen Olmütz melden sich zum täglichen Morgenappell. „Jelinek! — Zögern. Jelinek (lauter)! — Undeutliches Gemurmel. Jelinek (der Offizier brüllt)! Zde.“

Das Eis war gebrochen. Auch Vabr, Vachalek, Vaclavik, Vaculka verweigerten an diesem Morgen das deutsche „Hier“. Sie waren Tschechen, Nationalisten, nicht länger bereit, in ihrem land das fremde Deutsch als Verkehrssprache hinzunehmen.

Die Kronländer Böhmen und Mähren erlebten im Jahr 1899 einen heißen Herbst. Am 17. Oktober 1899 hatte die Regierung unter dem Druck der deutschnationalen Opposition endlich die umstrittene Sprachenverordnung rückgängig gemacht, die Böhmen und Mähren die Doppelsprachigkeit der Amtsführung bei Verwaltungs- und Gerichtsbehörden vorschrieb. Die deutschen Parteien triumphierten — die Tschechen waren vor den Kopf gestoßen und suchten nach Ventilen, ihrem gekränkten Nationalgefühl Luft zu machen.

Doppelsprachige Amtsführung

16 Jahre lang halten die Tschechen gegen ihre nationale Unterdrückung protestiert und keinen Abgeordneten in den vom deutschen Liberalismus beherrschten Reichsrat entsandt. 65 Prozent der Bevölkerung stellten sie in den Ländern Böhmen und Mähren, wo dennoch Deutsch die Amts- und Universitätssprache war. Bei Gericht und bei Behörden wurde nur auf deutsch verkehrt — in den rein tschechischsprachigen Bezirken eine besondere Schikane. Dem Ende der Konjunktur im Jahr 1873 folgte bald ein politischer Umschwung. 1879 bildete Ministerpräsident Taaffe eine Koalition aus Feudal-Klerikalen und verfassungstreuem Großgrundbesitz, die sich mit einigen längst überfälligen Zugeständnissen in nationalen Belangen der Stimmen der Tschechen und Polen versicherte. So wurde die Prager Universität in eine deutsche und eine tschechische geteilt und der Verkehr mit Behörden in tschechischer Sprache zugelassen.

Im Jahr 1897 gab die Regierung, nunmehr angeführt vom polnischen Ministerpräsidenten Badeni, dem Drängen des erstarkenden Tschechischen Bürgertums weiter nach und erließ im April eine neue Sprachenverordnung für Böhmen und Mähren: jeder Beamte mußte binnen drei Jahren beide Sprachen beherrschen. Bei den Oppositionsparteien stieß Graf Badeni mit seiner Verordnung auf ungeahnten Widerstand. Den deutschliberalen und nationalen Parteien, die Deutsch als ausschließliche Staatssprache der österreichischen Reichshälfte forderten, diente jede Aufweichung des deutschsprachigen Diktats als Anlaß für ihre Propaganda. Auch Christlich-Soziale und Sozialdemokraten, auf Grund einer halbherzigen Wahlrechtsreform seit 1897 erstmals im Reichsrat vertreten, erwiesen sich als erbitterte Gegner der Badenischen Reform.

Obstruktion im Reichsrat

„Die Gewährung und die Verweigerung sprachlicher Konzessionen bilden ein Hauptmittel der Herrschaft jeder Regierung“, legte die sozialdemokratische Arbeiterzeitung die Haltung der Partei dar, welche sich damals frei von nationalistischen Versuchungen wähnte, Erst einen Monat war es her, daß sie mit sieben deutschen, fünf tschechischen und zwei polnischen Abgeordneten als übernationale Partei in den Reichsrat eingezogen war. Den Nationalitätenkonflikt hielt sie für ein Scheingefecht, wie geschaffen, um die Völker von ihrem eigentlichen Joch, der Ausbeutung, abzulenken. Selbstverständlich war sie dafür, daß jeder bei Amt und bei Gericht in seiner Sprache verkehren könne — aber nicht, wenn die Zweisprachigkeit von einer undemokratischen Regierung von oben dekretiert werde: „Weil aber nicht das Bedürfnis der beiden Völker entscheidet, sondern das Interesse der besitzenden Klassen, die die Beamtenstellen in Anspruch nehmen, tobt ein endloser Streit zwischen Deutschen und Tschechen um das Absatzgebiet für ihre Söhne, die Beamte werden wollen. Jede Verschiebung zu Gunsten der Gleichberechtigung der Tschechen verengt den Markt für die deutschen Bourgeoisiesöhne.“

Während die Sozialdemokraten ihr Verhältnis zur nationalen Frage abklärten, schritten die deutschnationalen Parteien kräftig zur Tat. Die Verordnung Badenis durfte nicht in die Praxis umgesetzt werden. Neben Aufmärschen, Kundgebungen und Einschüchterungen der tschechischen Bevölkerung bedienten sich radikale Deutschnationale auch des Parlaments als Tribüne für die Obstruktion. Solange die Verordnung nicht zurückgenommen werde, kündigten Schönerer & Konsorten an, wollten sie den Reichstag nicht zur Ruhe kommen lassen: Endlosreden, Schreien, Pfeifen, Provokationen bis hin zur tätlichen Auseinandersetzung waren die Methoden, ihre Drohung wahr zu machen.

Saalschlacht im Abgeordnetenhaus
(26.11.1897)

„Uns sind die Sprachenverordnungen vielleicht die letzte Sache, worüber wir uns aufregen würden“, räsonierte derweil die Sozialdemokratie, „wenn es aber möglich ist, dieses schlechte und schändliche Ministerium durch die Sprachenverordnung zu Fall zu bringen, so wäre es unvernünftig, diese Möglichkeit ungenützt zu lassen.“ Und da ihr der Sinn nach Opposition stand — und nationale Selbstbestimmung ohnehin nur im Sozialismus verwirklichbar —, schlossen sich die 14 sozialdemokratischen Abgeordneten kurzerhand den deutschnationalen Hetzern im Reichsrat an. Gemeinsam mit den geiferndsten Verfechtern deutscher Vorherrschaft, den Alldeutschen Schönerers, stellten sie sich an die Spitze der Obstruktion.

Bald war das Parlament lahmgelegt. Da griff die Regierung zum letzten — geschäftsordnungswidrigen — Mittel und ordnete den gewaltsamen Ausschluß von Obstrukteuren an. Als am 26. November 1897 erstmals Polizisten im Hohen Haus aufmarschierten, provozierten Sozialdemokraten und Schönerianer deren Einsatz. Draußen auf der Straße forderten ArbeiterInnen und deutschnationale Studenten zu Tausenden den Rücktritt der Regierung. Zwei Tage später hatte Badeni demissioniert.

Eine lösung geriet durch die Aufhebung seiner Sprachenverordnung im Oktober 1899 selbstverständlich nicht in Sicht. Im Gegenteil, eine verzweifelte Welle haßerfüllten Tschechischen Nationalismus wandte sich gegen alles, was deutsch und — in antisemitischer Vereinfachung — vieles, was jüdisch war. Unternehmer, Meister und höhere Beamte waren in Böhmen und Mähren meist Deutsche; dies führte zu einer starken Verankerung des Nationalismus in der tschechischen Arbeiterbewegung und schließlich zur nationalen Spaltung der Sozialdemokratie. Die deutschen Parteien wiederum, die über die Frage des Antisemitismus schon längst in zwei unversöhnliche lager auseinandergedtiftet waren, fanden im antitschechischen Abwehrkampf ein verbindendes Betätigungsfeld.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Oktober
1989
, Seite 63
Autor/inn/en:

Andrea Komlosy:

Geboren 1957 in Wien, Wirtschafts- und Sozialhistorikerin ebenda.

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