Der diesjährige Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil geht an einen meiner Lieblinge: an Georg Stefan Troller. Er schrieb das sehr autobiographische Drehbuch zu Axel Cortis Trilogie „Wohin und Zurück“. Die drei Filme gehören wohl zu dem, was mich vom Bildschirm herab am meisten berührt hat. Wien 1938 — Prag, Paris, Marseille — der Zwischenstop in Casablanca wird übersprungen — New York. Der Traum eines Jugendlichen, in der Fremde verloren, vom Wilden Westen, von Santa Fe, die Rückkehr to Old Europe als GI, die endgültige Vertreibung, diesmal nicht durch den Wiener Mob, sondern durch die Wiener Normalität.
Der 1921 in Wien geborene Georg Stefan Troller lebt heute in Paris. In seinem neuen Zuhause verfasste er fürs deutsche Fernsehen seit den 60er Jahren drei Jahrzehnte lang seine berühmten und beeindruckenden Personenbeschreibungen und sein Pariser Journal. Vor zwei Jahren erschien dann auch ein Buch über Paris: Dichter und Bohemiens. Ein verrückter Streifzug durch eine verrückte Stadt, voller Geschichte und Geschichten. Genauso lesenswert, weil genauso ins Vergessene und Unbekannte ausschweifend ist sein neuestes Buch: Das fidele Grab an der Donau — mein Wien 1918-1938. Im Zentrum des Geschehens: Georg, der gymnasiale Jäger nach Autogrammen und seine bald massakrierte Welt.
In Trollers Parisbuch ist natürlich auch von den Regenschirmen der Armen: den Passagen, die Rede. Also von jenen überdachten Gassen, die Paris durchziehen und denen Walter Benjamin seine letzte große Arbeit gewidmet hat: das Passagen-Werk. Eine ganz besondere Annäherung zu diesen Regenschirmen und vor allem zu Benjamin hat Karin Stögner in Traum-Zeit Moderne — das ewige Bild der Weiblichkeit unternommen. Die Autorin, Mitarbeiterin des Instituts für Konfliktforschung, hat jene Ansätze bei Benjamin gesucht und gefunden, die man durchaus als feministisch bezeichnen kann. Indem Benjamin die Geschichte des Kapitalismus und seiner Herrschaftsformen anhand der Kulisse beschreibt, die Paris ihm geboten hat, erzählt er auch von der „ewigen Wiederkehr des immer Gleichen“ in den zwischenmenschlichen Beziehungen und den damit verbundenen Unterdrückungen und Revolten. Karin Stögner geht jenen Gedanken Benjamins nach, welche die Weiblichkeit in der Moderne evozieren und führt die LeserInnen dabei in die schrillsten und dunkelsten Ecken sowohl der Seine-Stadt, wie auch der bürgerlichen Gesellschaft. „Wie in der antiken Sklavenhaltergesellschaft war auch in der bürgerlichen die Gleichheit der Herrschenden zu haben nur über die Beherrschung anderer. Die Verblendung von Moderne und Antike entlarvt derart die Scheinhaftigkeit von bürgerlicher Gleichheit und Freiheit, die in ihrer Partikularität die Geschlechtergrenzen verschärfte und die Versklavung der Massen in der Lohnarbeit erforderte.“ (Stögner, S. 28)
- Georg Stefan Troller: Das fidele Grab an der Donau. Mein Wien 1918-1938. Wien 2004,
- Georg Stefan Troller: Dichter und Bohemiens. Literarische Streifzüge durch Paris. Wien 2003.
- Karin Stögner: Traum-Zeit Moderne — das ewige Bild der Weiblichkeit. Eine Annäherung an Walter Benjamins Passagen-Werk. Braunmüller-Verlag: Wien 2004.