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Libyen

Tod den streunenden Hunden im In- und Ausland

Muammar al-Gadafi ist ursprünglich — im Jahr 1969 — durch einen unblutigen Putsch gegen König Idris an die Macht gekommen.

Heute, anderthalb Jahrzehnte danach, klebt das Blut der Opfer der von Gadafi und den Volkskomitees seit 1980 wiederholt proklamierten „physischen Liquidierung“ der Gegner der Revolution in Libyen selbst und im Ausland an den Händen des „Bruder Oberst“. Hinzu kommen als weitere Opfer politischen Mordens alle jene echten oder auch nur vermeintlichen Kritiker der „Libysch-Arabischen Volksdschamahirija“, die unter der Folter bei Verhören starben und sterben.

aus: „ai-informationen“, Nr. 3, März 1985

Nach amnesty international verfügbaren Informationen wird die Folter politisch Verdächtiger in Libyen systematisch von den Geheimdiensten und von den „Revolutionären Volkskomitees“ angewendet.

Die tödliche Verfolgung der „streunenden Hunde und Verräter“ in aller Welt ist — ganz offiziell und durch Ansprachen des Revolutionsführers, durch Aufrufe im Rundfunk oder in Zeitungen wie dem Organ des Revolutionskomitees „Al Zahaf Al Akhdar“ seit 1980 belegt — ein Recht und eine Aufgabe jedes libyschen Bürgers.

„Von jetzt an“, erklärte Colonel Gadafi im Oktober 1982, „kann die physische Liquidierung jener, die nicht in die Heimat zurückkehren, sich nicht mehr nur auf die revolutionären Komitees beschränken. Jeder Libyer, der ins Ausland reist, will als dem Erbe des Landes treuer Bürger ein freies Libyen und ist somit verantwortlich für die Eliminierung der Feinde, wo immer sie sind.“ Die Feinde im Land seien vernichtet, jetzt müßten sie im Ausland ausgeschaltet werden, lautet die offizielle Propaganda — und warnt gleichzeitig alle jene Staaten, die Exil-Libyern Schutz und Hilfe gewähren.

„Rechtmäßiges“ Morden

Wie selbstverständlich diese Strategie des politischen Mordens empfunden wird, erfuhr amnesty international — sonst kaum je Empfänger libyscher Antworten auf Appelle — im Dezember 1983 schriftlich vom „Volksbüro“ in Brüssel. „Viele Länder liquidieren ihre politischen Feinde im geheimen, nur die Dschamahirija kündigt diese ihre Politik öffentlich an“, wurde der Gefangenenhilfeorganisation die „völlige Rechtmäßigkeit“ der Vorgangsweise beschieden.

77 Gewissensgefangene

Die tiefe Sorge amnesty internationals gilt neben dem politischen Morden und der Folter in Libyen insbesondere auch den 77 betreuten Gewissensgefangenen — wobei diese Zahl wahrscheinlich nur einen Bruchteil jener Menschen ausmacht, die in schwerer Verletzung international garantierter Menschenrechte und ohne je Gewalt befürwortet zu haben, inhaftiert sind. Nach libyscher Rechtslage können sie nicht nur monatelang ohne jeden Kontakt nach außen gefangengehalten, sondern auch wegen ein und desselben „Verstoßes“ (Sabotage, Zugehörigkeit zu einer der verbotenen Parteien oder überhaupt wegen eines unklaren Vorwurfs) zwei- und dreimal zu jeweils höheren Strafen bis zum Tod verurteilt werden.

Für die Urteilssprüche der Volksgerichte haben Regelungen über faire Gerichtsverfahren keine Gültigkeit. Weiterhin gilt in Libyen die Todesstrafe auch für politische und wirtschaftliche Verbrechen, mit denen keinerlei Gewaltanwendung verbunden ist.

Nicht nach diesem Plan lief allerdings im vergangenen November die „Ermordung“ des ehemaligen Premierministers Libyens, Abdul Hamid Al Bakousch, in Ägypten: Der ägyptische Geheimdienst hatte den Plan entdeckt, die Tat vorgetäuscht und das Opfer schließlich im Fernsehen präsentiert. Der libysche Jubel war verfrüht gewesen.

Andere haben weniger Glück.

Im Juli 1984 wurden zwei libysche Studenten — der 21jährige Abdel Moneim el-Zawi und der 20 Jahre alte Attia Al-Fartas — in ihrer Wohnung ermordet aufgefunden. Beide waren erschossen worden, einer wies deutliche Würgemale auf. Kaum einen Monat zuvor war, ebenfalls in Athen, der aus Libyen stammende Geschäftsmann Manolis-Hiladakis angeschossen und schwer verletzt worden. Insgesamt geht die Liste der Opfer der seit 1980 fortwährend propagierten Kampagne außerhalb Libyens bereits in die Dutzende.

Hinrichtungswelle

In die Hunderte geht in Libyen selbst insbesondere seit dem behaupteten, vereitelten Anschlag auf das Hauptquartier Gadafis vom 8. Mai vergangenen Jahres die Zahl der Verhafteten, begleitet von einer Welle von Hinrichtungen.

Amnesty hat eine Liste mit den Namen von 150 Gefangenen erhalten. Etliche von ihnen wurden im libyschen Fernsehen mit Geständnissen vorgeführt und wiesen deutliche Folterspuren auf — danach wurden sie öffentlich gehenkt. Eines der Opfer war der 40jährige Dr. Abdulmoneim Qasim Al-Najjar aus Tripolis, er soll wenige Tage nach seinem TV-Auftritt unter der Folter gestorben und sein Leichnam der Familie übergeben worden sein. Erst im Jänner 1984 war der dreifache Vater und Absolvent der Universität von Pittsburgh (USA) in die Heimat zurückgekehrt.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
April
1985
, Seite 18
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