Context XXI » Print » Jahrgang 2005 » Heft 1-2/2005
Sana Ahmed-Al-Khalily • Suhad Al-Zahid

Szenen zweier Frauen aus dem Irak

Zwei Exil-Irakerinnen berichten über die Entwicklung der Lage der Frauen im Irak und ihre persönlichen Erlebnisse.

Sana Ahmed-Al-Khalily
Bild: privat

Beginnend mit den 30er Jahren drangen im Irak immer mehr Frauen an die Universitäten, fanden Zugang zur Beschäftigung und auch zu höheren Po­sitionen und Ämtern. Sie genossen damit immer mehr die Privilegien wirtschaftlicher Unabhängigkeit und gesellschaftlicher Anerkennung im Beruf. Zu Beginn der 80er Jahre veränderte sich dieses Bild. Einerseits stieg die Zahl der Erwerbsfähigen bedingt durch den verhältnismässig hohen Ausbildungsgrad der Frauen. Andererseits verän­derte sich die Gesellschaft, Großfamilienverbände übernahmen nicht generell Aufgaben wie Kinderbe­treuung und Unterstützung der Kleinfamilien. Das Saddam-Regime übernahm diese Aufgaben jedoch nicht. Kindergartenplätze waren rar und staatliche Förderung nicht vorhanden. Die Entscheidung zwi­schen Beruf und Karriere war leicht zu treffen. Immer mehr Frauen waren unter diesen Umständen gezwungen, den Beruf an den Nagel zu hängen und ihre Kinder zu betreuen. Dennoch blieb ein Teil von Ihnen bei ihrem Beruf. Schwangere Frauen mussten bis zu Tag ihrer Entbindung arbeiten und hatten danach einen gesetzlichen Anspruch auf lediglich 6 Wochen Ka­renz.

Suhad al-Zahid
Bild: privat

Nach dem Beginn des ers­ten Golfkriegs gegen den Iran (1980-88) und den da­mit einhergehenden erheblichen Verlusten leitete Sad­dam Hussein eine Wende ein. Um die Geburtenrate anzuheben, wurden die Frauen per Gesetz ermutigt, sich für mehr Kinder zu entscheiden. Je mehr Kinder man hatte desto höhere „Prämien“ wurden ausgezahlt. Viele Familien entschieden sich dafür. Gleichzeitig wurde jedoch die Infrastruktur der Kinderbetreuung nicht ausgebaut oder gar staatlich gefördert, wodurch noch mehr Frauen diese Aufgaben zuhause übernah­men.

Nachdem der gewünschte Effekt für das Regime offenbar eingetreten ist, wurde dieses Gesetz ersatzlos gestrichen.

Prostitution

Nach dem Ende des ersten Golfkriegs war der Di­nar stark abgewertet und Gehälter hatten immer mehr symbolischen Charakter. Besonders hart traf diese Armut viele Soldatenwitwen. Da sie nicht wussten, wie sie ihre Kinder ernähren sollten, sahen sie oft keinen anderen Ausweg als die Prostitution. Angehörige Sad­dam Husseins wussten die Situation zu nutzen. Sogar in den Nachbarländern des Golf haben sie irakische Frauen in Prostitutionsringen „exportiert“ und an dem dreckigen Geschäft verdient. Nachdem sich die Betei­ligung des Regimes an solchen Organisationen rumge­sprochen hatte, wusste sich Saddam Hussein auch hier auf seine Art zu helfen. Ende der 90er Jahre wurde die Prositution verboten und die Fedayyin Saddam mit der Durchsetzung beauftragt: Wurde eine Frau der Pros­titution verdächtigt, dauerte es nicht lange, bis ihr öf­fentlich vor ihrem Haus der Kopf abgetrennt und als Warnung vor ihrer Haustür hinterlassen wurde.

Denunziation

Allgegenwärtig waren die berühmt-berüchtigten Mitarbeiter der Mukhabarat. Die Angst vor der Denunziation war so groß, dass Eltern innerhalb ihrer Familien Angst vor ihren Kindern hatten. Ein kleiner Ausrutscher eines Kindes reichte, um einer Familie die Auswanderung, Folter oder gar die Hinrichtung einzu­handeln.

1980 besuchte Saddam Hussein überraschend ei­nen Kindergarten. Ein kleines Mädchen erzählte ihm unbedarft, dass wenn sein Konterfei im Fernsehen auftaucht, ihr Vater immer auf den Bildschirm spuckt. Das Mädchen war so jung, dass es weder genau wusste, wer dieser unerwartete Besuch war, noch was die ge­nau Bedeutung des Bespuckens war. Die Familie dieses Mädchens wurde hingerichtet.

Eltern waren dazu gezwungen, ihre Kinder auf eige­ne Initiative zu indoktrinieren, um ihr Leben zu retten.

Abschiebung

Als ich (Suhad Al-Zahid) mit meiner Familie im De­zember 1981 ins Gefängnis kam, wurde unsere Fa­milie getrennt. Ich war getrennt von meinem Mann mit meinen zwei Kindern in einem Saal mit etwa 200 Frau­en und zahlreichen Kindern (jede Familie hatte zwei bis drei Kinder). Die sanitären Zustände waren kata­strophal. Es gab eine Toilette, deren Beschreibung ich allen hier erspare und kein Bad. Es gab keine Decken, fast alle hatten Läuse, einige der Frauen hatten Lepra und hielten sich in einer Ecke auf, der sich keine zu nähern gewagt hatte. Zusätzlich haben sich die Frauen gegenseitig bekämpft und waren psychisch erschöpft.

Hinzu kam, dass viele dieser Mütter, Töchter und Schwestern ins Gefängnis kamen und überhaupt nicht wussten, was mit ihren Männern, Vätern oder Brüder passiert ist und ob sie noch am Leben sind. Ich wusste wenigstens, dass mein Mann noch am Leben war, als ich ins Gefängnis kam.

Im Falle meiner Familie war „meine Schuld“ und die meiner Kinder diejenige, dass mein Mann sich regimekritisch geäu­ßert hat.

Die gesetzlich festgeschriebene kollek­tive Bestrafung von Gegnern des Regimes, Verrätern der „Revolution“, Angehörigen von Minderheiten etc. traf Frauen besonders. Sie sind für die Kinder verantwort­lich.

In vielen anderen Fällen wurde den Frauen angeboten, sich staatlich scheiden zu lassen und sich damit vom beschul­digten Ehemann zu „befreien“. Danach wurden die Männer mit ihren Kindern ausgewiesen.

Männer unter 35 Jahren wurden nicht abgeschoben, um zu verhindern, dass sie im Krieg der anderen Seite als Soldaten zur Verfügung stehen. Sie wurden dauer­haft eingesperrt oder gleich hingerichtet, ihre Frauen mussten die Abschiebung al­lein mit ihren Kindern durchmachen.

Im Jänner 1982 wurden wir abgescho­ben. Wir waren inzwischen eine Gruppe von etwa 1200 Leuten. Wir wurden an der irakischen Grenze im Frontgebiet abge­setzt. Die Soldaten sagten uns bloss, dass wir einen Fussmarsch von vier bis fünf Ta­gen in den Iran vor uns hätten. Und dann wurden wir zurückgelassen. Wir hatten weder Essen noch Trinken. Eine Frau hat­te noch vor wenigen Tagen im Gefängnis ihr Kind zur Welt gebracht und war mit ihren beiden Kindern ohne ihren Mann unterwegs. Sie wusste nur, dass er nach Abu Ghraib verlegt worden war. Kurz nach der Befreiung im April 2003 wurden die Überreste ihres Mannes in einem Mas­sengrab gefunden. Er war mit anderen Gefangenen dazu benutzt worden, Mi­nenfelder zu „räumen“.

Auch während der Abschiebung ge­schah es häufig, dass der Weg durch Minenfelder führte. Für viele war die Abschiebung damit gleichbedeutend mit dem Tod.

Hoffnung

Nach der Befreiung 2003 haben hun­derttausende irakische Frauen und Männer sich auf die verzweifelte Suche nach den Überresten ihrer Angehörigen gemacht. Durch die Suche nach und Öff­nung vieler Massengräber (inzwischen über 300) brechen zum Teil sehr alte Wun­den wieder auf. Der Wunsch nach Gewiss­heit plagt die Menschen seit Jahrzehnten. Gleichzeitig zerstört die Gewissheit über den Tod seiner Lieben jede Hoffnung.

Wie die Wahlen gezeigt haben, haben die Menschen im Irak aber immer noch Hoffnung. Und die Hoffnung der mutigen Frauen, ihre Lage zu verändern, hat auch sie zu den Urnen getrieben.

So wie sie Saddams Regime durchgehalten haben, werden sie auch dem Terrorismus trotzen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
2005
, Seite 10
Autor/inn/en:

Sana Ahmed-Al-Khalily: Exil-Irakerin, wurde mit ihrer Familie des Landes verwiesen wegen der iranischen Abstammung ihres Ehemannes, lebt sei 1983 in Wien und arbeitet im Innenministerium.

Suhad Al-Zahid: Exil-Irakerin, war im Gefängnis mit ihrer Familie, sei 1983 in Wien, als Sozialarbeiterin bei der Gemeinde Wien beschäftigt.

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