Wurzelwerk » Jahrgang 1983 » Wurzelwerk 18
Norbert R. Müllert

Steter Stein höhlt den Tropfen

Gibt es bald nur noch Trinkwasser in Flaschen?

Gibt es bald nur noch Trinkwasser in Flaschen?

Sommerzeit. Das Wasser wird (tournusgemäß) knapper und kostbarer zu dieser Zeit. Liest man sich jedoch etwas hinein und hört genau hin, dann wird Wasserversorgungs- und Abwasserproblematik in unserer hyperindustrialisierten Landschaft langsam zu einer Katstrophe. Ja, im Grunde tickt eine Zeitbombe, die gutes Trinkwasser nicht mehr nur im Sommer knapp werden läßt. Während wir gestern noch gegen die Schaumberge wegen der überreichlichen Phosphate aus den Waschmitteln kämpften oder betroffen gegen das Fischsterben protestierten, geht es uns langsam selbst an den Kragen. Gift im Trinkwasser! Obwohl inzwischen Milliarden in die Wasserversorgung hineingesteckt wurden (z.B. in die kommunalen Kläranlagen zwischen 1971 und 1981 allein 14 Mrd. DM), gibt es bei der Aufbereitung von Oberflächenwasser schon ernsthafte und beim Grundwasser bald erhebliche Schwierigkeiten. Die jetzigen Aufbereitungstechniken sind nicht fähig, alle Schadstoffe überhaupt zu erfassen oder gar zu entfernen. Leichtflüchtige Organohalogenverbindungen (THM) entstehen sogar erst durch die chemische Chlorierung im Wasserwerk. Von diesen Stoffen wissen wir, daß sie krebsfördernd sind. Am Beispiel Nitrat im Trinkwasser wird deutlich, wie sehr unsere gesamte Wirtschaftsweise auf unseren Lebenssaft Wasser sich auswirkt. Durch Nitrate aus stickstoffhaltigen Düngemitteln ist unser Grundwasserschatz offenbar viel ernster gefährdet als bisher angenommen wurde. „Das dicke Ende kommt erst noch“, schreibt der Arbeitskreis Wasser im BBU, denn zwischen Nitrateintrag und Austritt im Förderbrunnen können Jahrzehnte vergehen.

Zentralisierter Größenwahn

Schon jetzt muß aus immer entfernteren Quellen, immer tieferen Brunnen nach dem köstlichen Naß gesucht werden. So bleibt nicht aus, daß Mammutvorhaben wie Fernwasserleitungen eher den Zorn anheizen statt den Durst zu löschen. Im Landkreis Erding in Bayern sitzen die „Wasserrebellen“, denn die Wasserzweckverbände — zu denen man sich für diese riesigen Unternehmungen zusammenschloß — werden immer größer, immer unüberschaubarer und natürlich eine kostspieligere Angelegenheit für die Betroffenen (Anschlußbeiträge bis zu 33.000DM mußten gezahlt werden).

Mit der zunehmenden Zentralisierung und Monopolisierung der gesamten Wasserwirtschaft ist eine einseitige und unglaublich komplizierte Wassertechnologie entstanden. In einem Aufsatz der Wasserexperten Uwe Lahl und Barbara Zeschmar wird auf ihre Kritik an den Wasserwerken entgegengehalten: „... Sehen Sie sich doch nur einmal diese Fülle von Filtern und Apparaten an, diesen ausgeklügelten Überwachungsapparat, alles modernste Technologie. Da sind wir führend. Auch Sie als Naturwissenschaftler — in Ihren Fingern müßte es doch kribbeln, wenn Sie vor einem solchen Problem stehen, wenn Sie aus Rheinwasser Trinkwasser machen sollten. Eine faszinierende Aufgabe. Eine wissenschaftliche Herausforderung. Sicherlich bleibt noch einiges zu tun, aber ...“ Alles was machbar ist, wird gemacht. Fachidiotie und Technokraten betonieren, atomisieren und bereiten neuerdings die letzte Drecksbrühe für die Wasserleitung auf.

Im gleichen Heft schreiben die Autoren über die Verflechtung von Wasserwerken, Industrie und Politik und stellen fest, daß gerade die großen Wasserversorgungsunternehmen einen sehr „moderaten“ Widerstand gegen diejenigen entwickeln, die ihnen in die Kaffeekanne pinkeln“. „Im Verborgenen jedoch existiert ein Gordischer Knoten von nicht zu entwirrenden Verbindungen, Abhängigkeiten, Interessenverflechtungen und Personalunionen mit Verursachern (des Schmutzwassers Anm. d. R.), der letztlich für die Politik der Wasserwerke bestimmend ist.“ Auf ihre im Ökoninstitut gemachten Studie „Wie krank ist unser Wasser“ ist eine Fülle von Reaktionen (siehe auch Buchtips) entstanden, so auch dieser Ausspruch von Wasserwirtschaftlern: „Haben wir viel zu spät die Wirtschaftskriminalität in den kriminalpolitischen Griff genommen, so sollten wir hier eine neue Erscheinungsform dieses Metiers beachten: die kriminelle Erzeugung von Massenpsychosen durch pseudowissenschaftliche Aussagen.“

Das System wehrt sich mit allen Mitteln: Alternativen zur herkömmlichen Wasservergeudungswirtschaft werden schlichtweg als Rückfall bezeichnet, dabei zeigen die Autoren genügend Möglichkeiten, wie im Haushalt, in der Stadt und in der Industrie Wasser gespart werden könnte. Nach den Verbrauchsprognosen (z.B. Batelle-Institut) soll es aber mit dem Wasser genauso gehen wie seinerzeit noch mit den völlig falschen Energieprognosen, immer größer und gigantischer im Verbrauch.

Was ist zu tun?

Wasser ist geduldig. Wir müssen unsere Flüsse einfach noch mehr in Schutz nehmen, denn als Abwasserkanal, Trinkwasserspender, Energielieferant und Transportweg sind diese Lebensadern einfach überfordert.

Da gibt es auf der einen Seite den ganz persönlichen Wassersparweg, den schon viele genauso zwangsläufig gehen, wie bei der Energie. Doch heißt es auch hier neue Sparideen zu entwickeln und auf unnötige Belastungen aufmerksam zu machen. Zum Beispiel gehört organischer Abfall wieder in die Erde und nicht mit Wasser verdünnt in teure Kläranlagen, die einen hohen technischen Aufwand benötigen, diese Stoffe wieder zu trennen. (Ich höre schon wieder die Schreier: „Zurück zur Steinzeit? Nein danke!“). Aber auch Regenwassernutzung und die sinnvolle Wiederverwendung von Brauchwasser gehört in diese Richtung.

Andererseits müssen aber Initiativen stärker als bisher entwickelt werden, die sich für die Untersagung von Einleitung giftiger Abwässer einsetzen, die den Schutz der Gesundheit vor die wirtschaftlichen Interessen stellen. Gesetze müssen verbessert, Analysen öfters und strenger durchgeführt werden, wie es der Bundesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz fordert.

Wer Probleme oder Unbehagen über sein Wasser hat, sollte sich an die nächste Behörde wenden, dort kann man sich über Analysenwerte, Härte und Qualität des Wassers informieren (Gesundheitsamt, Wasserversorgungsamt, Wasserwirtschaftsamt oder oberste Wasserbehörde der Bezirksregierung). [Anm. der Red.: In der BRD!]

Wenn es uns an’s Wasser geht

Über Wasser jederzeit und überall fast beliebig verfügen zu können gilt als selbstverständlich. Schauen wir uns mit offenen Augen um, dann wird die Vergeudung offenbar: Der Zierrasen wird stundenlang in sengender Mittagssonne besprengt, da wird übermäßig geduscht und gebadet, da schlucken unsere Klosettspülungen gleich mehrere Liter zuviel, da werden Wasch- und Spülmaschinen bei jeder Kleinigkeit eingeschaltet, da werden Straßen von der Stadtreinigung, ob verschmutzt oder sauber, nach Plan abgestrahlt, da ...

Verglichen mit der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts sind wir zu einer Wassergesellschaft geworden. Kam der Durchschnittsbürger in Deutschland in den zwanziger Jahren noch mit 40 Litern Wasser am Tage aus, so brauchte er 1950 schon 80 Liter, dann 1974 132 Liter und 1980 über 200 Liter. Dabei sind die Haushalte mit nur 10% am Gesamtverbrauch beteiligt (Industrie mit 80% und Landwirtschaft mit 10%).

Um uns ein Bild zu machen, welche Mengen Wasser, meist Trinkwasser, benötigt werden, einige Beispiele:

Erzeugnisnotwendige Wassermenge
1 Liter Bier bis 20 Liter
1 Tonne Papier bis 3.000 Liter
1 Tonne Wolle bis 1.000 Liter
1 Tonne Stahl bis 20.000 Liter
1 Auto bis 380.000 Liter
1 Kilogramm Früchte 350—400 Liter
1 Kilogramm Reis 1.500—1.900 Liter
1 kg Fleisch (Schlachtalter) 9.500—22.700 Liter

Die riesigen Wassermassen, die unser modernes, industrielles Leben verschlingt, gehen an die Substanz. D.h.: wir verbrauchen mehr Wasser, als auf natürliche Weise wieder hinzukommt, da das Wasserreservoir eines Landes sich kaum verändert. Die Folge ist, daß die Wasserwerke versuchen, die enormen Steigerungen (10% jährlich) durch Anzapfen entfernter Feuchtgebiete und durch immer tiefere Brunnen aufzufangen. Fruchtbare bzw. waldreiche Gebiete werden so durch den absinkenden Grundwasserspiegel gefährdet — z.B. schon spürbar in Osthessen, im Süden von Hamburg, in den an das Ruhrgebiet angrenzenden Wald- und Landwirtschaftregionen.

Aber nicht nur das Grundwasser ist bedroht, sondern auch die Genießbarkeit läßt zu wünschen übrig. Die Aufbereitung von Brauchwasser zu Trinkwasser stößt an Grenzen, denn es wird immer aufwendiger, die vielen Schadstoffe auszusondern. Wenn beispielsweise das Rheinwasser siebenmal getrunken wird, dann hat es sicherlich kaum noch etwas mit Quellwasser gemein. Die Tropfenbilder verdeutlichen, wie tot das aufbereitete Wasser ist:

Tropfenbild eines quellfrischen Trinkwassers: Lebendige, feingliedrige Blattformen
Tropfenbild eines hygienisch und toxikologisch einwandfreien Trinkwassers, das aus einem mit Abwässern belasteten See gewonnen wird: Wasser ohne Formkraft.

Verwenden wir inzwischen in den Großstädten und Ballungsräumen abgestorbenes Wasser, also „raffiniertes, biologisch minderwertiges Wasser“, um unseren Flüssigkeitsbedarf zu decken, so verschlechtert sich dieser Zustand noch durch die schleichende Vergiftung. Laut Bundesgesundheitsamt und Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher können sich im Trinkwasser Spurenelemente an Blei, Cadmium, Quecksilber, Pestiziden, Nitraten und Natrium befinden, wobei zulässige Höchstwerte oft überschritten werden, Beispielsweise werden bei München, Frankfurt, Köln und Bremen, an Donau, Main und Mosel — überall also, wo Wein-, Obst- und Hopfenbauern kräftig düngen — Nitratgehalte im Grundwasser gefunden, die die zulässige Menge von 50 Milligramm pro Liter oft um das Doppelte übersteigen (siehe nächstes WURZELWERK). Ähnlich ist die Lage bei den geschmacklosen Natriumsalzen, die alle Diät gegen hohen Blutdruck — so vermuten Experten der WHO — ad absurdum führen.

Werden die Grenzwerte erreicht, die wiederum selbst umstritten sind, helfen sich die Wasserwerke durch Verdünnung des überlasteten Grundwassers mit aufbereitetem Flußwasser. Oder, wenn es ganz schlimm kommt, wie kürzlich in Watschendonk am Niederrhein, wird der Wasserhahn abgedreht; das „Nitratwasser“ aus der Leitung durfte nur noch zum Waschen benutzt werden.

Unser lebensnotwendiges Naß ist von zwei Seiten bedroht: von übermäßigem Verbrauch und allmählicher Vergiftung. Dem können wir nur unser Verhalten im kleinen entgegensetzen, indem wir sparsam mit ihm umgehen und möglichst keine das Öko-System gefährdenden Stoffe benutzen. Nur das, oder können wir noch mehr?

Wollen wir nicht alle auch in Zukunft Trinkwasser, das nicht nur H2O und zugesetzte Mineralstoffe sowie minimierte Gifte darstellt, sondern das ein biologisch vollwertiges Lebensmittel ist, notwendig für die Gesundheit unseres gesamten Organismuses? Schreibt uns, macht Vorschläge, entwickelt Gegenkonzepte!

Norbert R. Müllert aus: „Sanfter Weg“, früher „ALTERNATIVEN“ — Berlin, entwickelt aus der Arbeit der Prokol-Gruppe — Berlin. Die Hefte 813/14 sind noch für 8,40 DM bei Einzahlung auf das PschKonto Nr.421 294-107 PschA Bin-w zu erhalten.

Artikel und Anregungen an: W. Martin, PF 71, 8652 Stadtsteinach.

„sanfter Weg“ erscheint im pala-verlag und ist regelmäßig der NACHBARSCHAFT beigeheftet.

Zuviel Nitrat im Trinkwasser gefährdet nicht nur Säuglinge

  • Nitratbroschüre des Arbeitskreises Wasser im BBU Bestellung: AK Wasser, Holzstr. 1, 6509 Ober-Flörsheim, DM 4,—
  • „Trinkwasserkrise in der Bundesrepublik“, Uwe Lahl, Barbara Zeschmar, Sonderdruck aus „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Köln 1981
  • „Wie krank ist unser Wasser?“, Dreisam Verlag, Freiburg 1982
  • Gesundheitsgefahren durch Trinkwasser, Infoblatt des BBU, für 20 DM erhältlich bei BBU-Geschäftsstelle, Hellbergstr.6, 7500 Karlsruhe 21
  • Regenwassernutzung, ein Beitrag zur Einsparung von Trinkwasser. A. Wagner, Marburg 1980, S 36, DM 3,—. Dieses Buch greift das Problem der Wasserversorgung auf und zeigt Alternativen: Im Haushalt läßt sich Regenwasser für den Garten, das Toilettenwasser und für die Waschmaschine gut, anstelle von Trinkwasser, nutzen.
  • Der hydraulische Widder, eine selbständige Pumpe ohne Motor: Anwendungsmöglichkeiten, Wirkungsweise, Selbstbauanleitung. H. Mönninghoff, Hann. 1980, S 25, DIN A5, DM 2,50. Die Broschüre beschreibt den Selbstbau eines Widders, der die Fließkraft eines Flusses nutzt, um Wasser auf Höhe zu pumpen. Eine einfache Konstruktion, die ohne Fremdeneragie arbeitet.
  • Mach Gold daraus, Recycling-Entwürfe für Wasser und menschliche Abfälle: Trockentoiletten, Schmutzwasser-Systeme & städtische Kloake. Sim Van der Ryn, Freier Verlag, A-5441 Wallingwinkl 1980, S 126,—, DM 14,80. Das Abwasserproblem wird von einer ganz anderen Weise gesehen: Nicht die möglichst schnelle Entfernung unseres Abfalls mit Wasser ist die Lösung, sondern aus der Umwandlung von Scheiße zu Humus wird daraus kostbarer Nährstoff. Wenn man überlegt, daß für die Verdünnung einiger weniger Zentner menschlicher Abfälle im Jahr ungefähr 40t Wasser benötigt werden ...
  • Regenwassersammelanlage — Eine Bauanleitung W. Bredow, Öko-Buchverlag, Grebenstein 1981, S 80, DM 8,50. Jeder hat das Recht, das auf ihn fallende Regenwasser sinnvoll zu nutzen! Die Anleitung beschreibt ausführlich, wie eine Regenwassersammelanlage auch von Laien gebaut und genutzt werden kann. Der Verfasser baute im Sommer 1979 eine derartige Anlage für sein Haus, die seither den Brauchwasserbedarf einer 4-köpfigen Familie zufriedenstellend deckt.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
1983
, Seite 10
Autor/inn/en:

Norbert R. Müllert:

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