MOZ » Jahrgang 1989 » Nummer 41
Michael Baiculescu
Moçambique, Angola, Nicaragua, Vietnam:

Sozialpolitik am Ende

Nicht nur in den kapitalistischen Ländern werden Sozialprogramme und Staatsausgaben gekürzt. Auch die fortschrittlichen Länder der sogenannten „Dritten Welt“ können dem Druck des Weltmarktes und der militärischen Zermürbung immer weniger entgegensetzen. Ihr Handlungsspielraum wird zusehends geringer. Die imperialistische Strategie des Contra-Krieges scheint ihr Ziel erreicht zu haben.

Wiederaufbau in Sofala Province, Moçambique
Bild: AIM/Anders Nilsson

Vor drei Jahren noch waren die Verkaufsläden leer, ihre Scheiben zerbrochen, und vor den wenigen Geschäften, die rationierte Grundnahrungsmittel anboten, bildeten sich Menschenschlangen. Nur wenige Autos fuhren über die alten Prachtalleen. Lebensmittel und Kleidung waren nur auf dem Schwarzmarkt zu finden. Geld gab es genug, doch keine Güter. Moçambiques Hauptstadt Maputo im Kriegsjahr 1986.

Auf den Märkten türmt sich Obst und Gemüse, die Fischhändler bieten ein großes Sortiment, die kleinen Händler haben ihre Lokale wieder eröffnet. Es wird repariert, geputzt und gehandelt. Die Straßen sind voller Menschen. Doch die wenigsten können kaufen, was in den Schaufenstern angeboten wird. Die meisten sind ärmer als früher. Moçambiques Hauptstadt Maputo im Jahr 1989, immer noch im Krieg.

Dazwischen liegen Wirtschaftsreformen nach kapitalistischem Muster, wie sie mittlerweile von einigen fortschrittlichen Regierungen der „Dritten Welt“ durchgeführt werden.

Moçambique, 1975 nach langem Befreiungskampf unabhängig geworden, konnte trotz des Abzugs der Portugiesen bis 1981 die Wirtschaft langsam wieder aufbauen. Alphabetisierungskampagnen und betriebliche Ausbildung wurden schnell vorangetrieben. Die Analphabetenrate fiel in kurzer Zeit von 95 auf 70%. Das Gesundheitswesen wurde ausgebaut und war — während der Kolonialzeit völlig undenkbar — für einen symbolischen Geldbetrag für die Mehrheit der Bevölkerung zugänglich. So konnte in dieser Zeit eine Reihe von sozialen und politischen Errungenschaften erzielt werden.

Volle Geschäfte, leere Taschen

Seit 1981 finanziert das südafrikanische Regime einen Contra-Krieg gegen das Nachbarland. Angeleitet von südafrikanischen Terrorspezialisten, führt die Renamo, eine ca. 15.000 Mann starke Guerillatruppe, Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Dörfer werden überfallen und dem Erdboden gleichgemacht, die Menschen umgebracht, verstümmelt oder entführt. Seit Jahren leben die meisten Moçambiquaner im Bewußtsein, jederzeit überfallen werden zu können. Und sehr vielen ist es tatsächlich schon passiert — Hunderttausende sind von den Renamo-Banden getötet worden. Noch viel mehr sind an Hunger und schlechten hygienischen Bedingungen gestorben. Denn ein Drittel der Bevölkerung ist aus dem Land geflohen; ins Ausland oder in Flüchtlingslager, die von der Armee bewacht werden. Die Folgen sind drastisch: Ernteerträge gehen stark zurück, Transportwege sind unsicher geworden, der Handel wurde dementsprechend erschwert, Fabriken und andere Produktionsanlagen wurden von der Renamo überfallen und zerstört. In Zahlen: Die Bruttoproduktion Moçambiques ist von 1981 bis 1986 auf die Hälfte gesunken, die größte Einnahmequelle — der Transport- und Hafensektor — fast völlig zum Erliegen gekommen. Die Auslastung der Industriebetriebe liegt nur mehr zwischen 20 und 40%. Die Exporte gingen sogar um 70% zurück. Durch die mangelnden Einnahmen stieg die Verschuldung des Landes rapide an: die Ausgaben für Importe sind siebenmal so hoch wie die Einnahmen durch Exporte.

Mit sinkender Produktion fielen die Einnahmen der Betriebe. Ihre Defizite wurden immer höher. Gleichzeitig sanken auch die Steuereinnahmen des Staates. Dies führte zur absurden Situation, daß 33% des Budgets für die Defizitabdekkung, aber nur mehr 6% für das Gesundheitswesen ausgegeben werden konnten.

Die systematische Sabotage durch die Renamo zeigte Wirkung.

1984 trat Moçambique dem Internationalen Währungsfonds bei, um an Kredite zur Finanzierung überlebensnotwendiger Importe heranzukommen. Bis 1986 wurde verhandelt. Zwar konnte die Regierung einige soziale Härten verhindern und Veränderungen schonend einführen. Doch die üblichen Auflagen blieben:

  • Abwertung der Währung. Der Preis des US-Dollars ist in zwei Jahren von 40 auf 620 Meticais erhöht worden, womit er den halben Schwarzmarktkurs erreicht hat.
  • Die Staatsausgaben wurden im Sozialbereich gekürzt, Subventionen gestrichen, die Preise für die meisten Güter freigegeben.
  • Die schleichende Geldentwertung brachte eine Reallohnsenkung.
  • Durch Reprivatisierungen, Handelserleichterungen für Privathändler und die Aufhebung von Geldverkehrskontrollen wurden günstige Bedingungen für inländisches wie ausländisches Kapital geschaffen.
Von südafrikanischen MNR-Banditen in Brand gesetzter Laden in Manjacaze, Moçambique
Bild: AIM/Joel Chiziane

Der Westen hilft den Ärmsten

Seit 1984 jubelt die westliche Presse über eine stetige Annäherung Moçambiques an den Westen. Ein Sicherheitsabkommen mit Südafrika, das vom dortigen Regime nie wirklich eingehalten wurde, eröffnete Moçambique den Zugang zu westlichen Hilfslieferungen und sogar zu westlicher Militärhilfe. US-amerikanische „Hilfsorganisationen“, die der Kollaboration mit der CIA überführt wurden und deshalb 1980 noch aus dem Land flogen, liefern wieder Nahrungsmittel und haben Stützpunkte im Land eröffnet.

Seit 1987 ist ein „wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm“ in Kraft. Präsident Chissano erklärte den Sinn des Programms auf einer Parlamentssitzung: „In unserer Situation können wir nicht auf Frieden warten, um mit dem wirtschaftlichen Wiederaufbau zu beginnen. Wir müssen Krieg mit den Mitteln führen, die uns die Wirtschaft erlaubt, und die Wirtschaft muß an die unerläßlichen Notwendigkeiten des Krieges angepaßt werden.“

Die ersten offensichtlichen Folgen des Programms: die Märkte sind wieder voll, reges privatwirtschaftliches Treiben herrscht in der Hauptstadt und auf dem Land. Doch die sozialen Ungleichheiten sind drastisch gestiegen. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung kann sich die angebotenen Waren leisten. Während vor drei Jahren die Menschen noch ihre Zeit schlangestehend vor den Geschäften verbrachten und auf die rationierten Grundnahrungsmittel warteten, kann sich eine städtische Familie heute von einem Mindesteinkommen nicht einmal Brot kaufen.

Der Schwarzmarkt und die Inflation sind zwar fast völlig verschwunden, der Geldüberhang in der Wirtschaft reduziert, aber die Mittel sind völlig ungleich verteilt. Die Produktion ist zwar recht stark angestiegen, doch fehlt bereits die Nachfrage, um eine weitere Dynamik zu entwickeln. Knapp zwei Jahre nach Einführung dieser Radikalkur, dem IWF-Muster folgend, zeigt das Land schon klassische kapitalistische Krisenerscheinungen:

  • Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Verelendung der Bevölkerung
  • Trotz schlechter Versorgungslage steuert das Land auf eine Überproduktionskrise zu, weil die Bevölkerung ein zu geringes Einkommen hat, um die angebotenen Waren zu kaufen.

Politische Hauptgewinner der Wirtschaftsreform ist der Privatsektor, der zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit seine politischen und wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten erweitern konnte. Die privaten Händler haben den Staat vom Markt verdrängen können, ihr Einfluß auf Entscheidungen des Staates ist größer geworden. In Moçambique findet ein Klassenkampf statt; die Frage ist, wie sehr die Basisorganisationen und die Führung der regierenden Frelimo (Befreiungsfront) dem Druck schleichender Marktkräfte nachgeben müssen, um trotz des Krieges die Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, und wieviel politisches Kapital dabei zerstört wird.

Ein von der Renamo überfallener Stadtbus in Maputo
Bild: AIM

25.000% Inflation — die neue Dimension

Das Beispiel Moçambique ist mittlerweile nur eines von vielen. Auch in Ländern mit fortschrittlichen Regierungen werden ähnliche „Reformen“ durchgeführt.

In Nicaragua lag die Inflationsrate im letzten Jahr irgendwo zwischen 8.000 und 25.000%. Für einen US-Dollar wurden Ende Dezember rund 40.000mal soviele Córdobas bezahlt wie ein Jahr zuvor. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf sank um rund 12%. Die Contra ist zwar militärisch besiegt, doch in Nicaragua wird wieder gehungert. Großen Anteil daran hatte auch der Wirbelsturm Joan. Er richtete im letzten Jahr einen Sachschaden von mehr als 800 Mio. US-Dollar an, mehrere hunderttausend Menschen wurden obdachlos.

Der Contra-Krieg hat über ein Jahr hinweg die Produktion behindert und die Militärausgaben des Staates anwachsen lassen. Das US-amerikanische Wirtschaftsembargo verschärfte die Situation, der traditionell auf die USA ausgerichtete Handel mußte und muß weiter umstrukturiert werden. Sozialprogramme und staatliche Stützung der Preise für Grundnahrungsmittel können nun nicht mehr bezahlt werden. Das Land ist völlig bankrott.

Ende Jänner verkündete Präsident Ortega ein Stabilisierungsprogramm, um das wirtschaftliche Gleichgewicht im Land wieder herzustellen: die Inflation soll bekämpft, der Staatshaushalt ausgeglichen, die wirtschaftliche Produktion angekurbelt werden. Im Klartext: es muß gekürzt werden. Der Haushalt für das laufende Jahr wurde real um 44% zusammengestrichen, etwa 35.000 Arbeiter und Angestellte müssen entlassen werden; von ihnen sollen 10.000 in die landwirtschaftliche Produktion. Die Preise für Agrargüter werden angehoben, um damit die Agrarproduktion zu steigern.

Die sozialen und politischen Kosten dieser Veränderungen sind hoch, sehr hoch. Besonders in den Städten sorgen Inflation und Reallohnsenkung für blanke Not. Wegen der Entlassungen sind die Gewerkschaften gegenüber den Sandinisten bereits auf Distanz gegangen. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung, besonders der armen Schichten, die die Sandinisten unterstützt hatten und jetzt am stärksten betroffen sind, wächst.

Ähnliche wirschaftliche „Austerity“-Programme müssen derzeit von vielen fortschrittlichen Ländern durchgeführt werden. Vietnam beispielsweise macht kapitalistische Zugeständnisse und verhandelt mit dem Internationalen Währungsfonds über weitere Kredite. In Angola herrscht, trotz Friedensvereinbarung mit Südafrika, immer noch Krieg. Die MPLA (regierende angolanische Befreiungsfront) konnte die Wirtschaft nur durch Öleinnahmen über Wasser halten. Mittlerweile ist die Zermürbung so groß, daß auch hier die Preise „liberalisiert“ und marktwirtschaftliche „Reformen“ eingeleitet wurden.

Wo immer sich fortschrittliche Regierungen durchsetzen konnten, wurden sie von Anfang an durch Contrabewegungen behindert. Ihr Zweck war weniger die direkte Machtübernahme und Änderung des Systems als vielmehr die Zerstörung und Behinderung eines Aufbaus, der Vorbildwirkung haben könnte. Das ist ihnen offensichtlich gelungen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1989
, Seite 42
Autor/inn/en:

Michael Baiculescu: Redakteur des „Moçambique-Rundbriefs“, lebt in Wien.

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