Psychoanalytische Herangehensweisen an gesellschaftliche Erscheinungen haben zunehmend den Ruch des Veralteten angeheftet bekommen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie überdies auch noch triebtheoretisch argumentierten. Wie aktuell und fruchtbar solches Denken dagegen sein kann, belegt das zu besprechende Buch von Rolf Pohl.
Ausgehend von umfangreichen metapsychologischen Erörterungen und in Abgrenzung zu biologistischen Annahmen über vorgegebene Geschlechtscharaktere entwickelt Pohl einen Entwurf der Konstitution von männlicher Sexualität, wobei er aufzeigt, wie eng diese Normalität mit Hass und Gewalt verknüpft ist.
Zwei Paradigmen psychoanalytischer Geschlechterforschung unterzieht Pohl dabei einer grundlegenden Kritik. Erstens das „Ablösungsparadigma“, demzufolge für den Jungen eine Notwendigkeit zur Entidentifizierung mit der Mutter und zur Ablösung aus einer primären idyllischen Symbiose zwischen Mutter und Kind bestehe (Greenson). Dagegen beharrt der Autor auf der Unmöglichkeit einer Stillstellung der mit der Konstitution von Sexualität unvermeidbar sich einstellenden Spannung zwischen Autonomie und Abhängigkeit. Hervorgebracht durch den Widerspruch zwischen der prinzipiellen Angewiesenheit des Triebes auf (eigengesetzliche) Objekte und seinem Streben nach ungestörter Triebruhe, präge dieses „Sexualitätsdilemma“ alle menschlichen Beziehungen.
Zweitens kritisiert der Autor die „mutterätiologische“ Annahme, alle pathologischen Züge der späteren Männlichkeit ließen sich auf ein nicht „good enough mothering“ (Winnicott), dem der Junge ausgesetzt gewesen sei, zurückführen. Die Kombination dieser beiden kritisierten Paradigmen führte z.B. den Männlichkeitsforscher Klaus Theweleit zu Formulierungen wie: „Die Möglichkeiten der Behinderung der Loslösung des Kindes aus der Symbiose liegen zwischen den Extremen der zu ‚harten‘ Mutter, die ihr Kind zu früh von sich stößt oder es nie richtig annimmt, und der zu ‚weichen‘ Mutter, die das Kind aus ihrer Umklammerung nicht entlässt.“ Kausale Folge seien die beziehungsunfähigen und brutalen Züge, die die von Theweleit untersuchten Freikorpsmänner kennzeichneten.
Gegen solche Versuche, männliche Geschlechtsidentität auf reale frühe Erlebnisse zurückzuführen, betont Pohl die Nachträglichkeit und retrospektive Projektivität jener „Rekategorisierungen“ (Fast), in denen sich frühere Ambivalenzerfahrungen nach dem Erlernen der Geschlechterdifferenz als selbstbezüglichem Sinnstiftungssystem mit dieser verbinden. Insbesondere der Penis als Marker der Differenz zur Mutter wird mit Bedeutung aufgeladen, die sich in den Körper einschreibt. Aus dem „Sexualitätsdilemma“ wird so das „Männlichkeitsdilemma“.
Die „paranoide Abwehrkampfhaltung“, die dieses präge, resultiere aus der Vereinseitigung der Ambivalenz von Begehren nach dem Objekt und dem wegen dieser Affizierung des unabhängigen Selbst auf das Objekt gerichteten Hass. Die auf der Betonung der Differenz und der Verleugnung des Wunsches nach dem Objekt beruhende „männliche Lösung“ verknüpfe Sexualität und Gewalt und sei zur (illusorischen) Vermeidung von Abhängigkeit strukturell sadistisch auf die Unterwerfung und Devitalisierung des Objektes ausgerichtet. Mit dieser Analyse wendet sich der Autor gegen ein drittes Paradigma der Geschlechterforschung, dem vom angeblich asexuellen Charakter bloß sexualisierter Gewalt. Dieses Postulat übersehe, wie eng Gewalt innerhalb der psychischen Struktur hegemonialer Männlichkeit in die Sexualität eingelagert sei und ihr nicht etwa gegenüberstehe. Gestützt auf geschichtswissenschaftliche und ethnologische Befunde illustriert der Autor anhand von oft erschreckenden Beispielen die Resultate solcher Charakterdispositionen unter Freuds Prämisse über das Kontinuum zwischen Normalität und Pathologie in der Männlichkeit: „Ein stärkerer Zusatz zur sexuellen Aggression führt vom Liebhaber zum Lustmörder“.
Angesichts der Breite der verwendeten Beispiele (von Papua-Neuguinea bis Südchina, von Homers Ilias bis zum Genozid in Ruanda) drängt sich die Frage auf, ob die Herangehensweise des Autors nicht zu ahistorisch angelegt ist. Ist die beschriebene Binnenstruktur von Männlichkeit ein dermaßen ubiquitäres — er selbst spricht von „transkultureller Gültigkeit“ — Phänomen? Pohl argumentiert, dass das Sexualitätsdilemma in der Tat allgemein bestehe, seine Verarbeitung aber immer unter spezifischen gesellschaftlichen Vorzeichen geschehen müsse. Es bleibt unklar, inwieweit diese Einsicht mit der homogenen Interpretation der verwendeten Beispiele zusammenpasst.
Das „Feindbild Frau“ ist ein äußerst wichtiges Buch, das eine zentrale Lücke in der Geschlechterforschung schließt. Inwieweit es von den Humanwissenschaften angenommen werden wird, ist angesichts des Zurückdrängens der psychoanalytisch orientierten Sozialpsychologie allerdings fraglich.
Rolf Pohl: Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen, (Hannover 2004)